VwGH Ra 2021/19/0224

VwGHRa 2021/19/022429.6.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des B H, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das am 23. April 2021 mündlich verkündete und am 14. Juni 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W259 2238732‑1/11E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §58 Abs2
AVG §60
B-VG Art133 Abs6 Z1
FlKonv Art1 AbschnA Z2
VwGG §26 Abs1 Z1
VwGG §42 Abs2 Z3
VwGVG 2014 §29
VwGVG 2014 §29 Abs1
VwGVG 2014 §29 Abs2
VwGVG 2014 §29 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190224.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 12. September 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er habe Syrien wegen des Krieges verlassen und weil er einerseits bei der syrischen Armee hätte einrücken müssen und ihn andererseits die Freie Syrische Armee (FSA) habe rekrutieren wollen.

2 Mit Bescheid vom 16. Dezember 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte dem Revisionswerber eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

3 Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

4 Das BVwG führte am 23. April 2021 eine mündliche Verhandlung durch und verkündete an deren Ende das angefochtene Erkenntnis, mit dem es die Beschwerde als unbegründet abwies und die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig erklärte.

5 Das Erkenntnis wurde auf Antrag des Revisionswerbers vom BVwG am 14. Juni 2021 (nach Einbringung der Revision) schriftlich ausgefertigt.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, weil maßgeblich gegen die Begründungspflicht verstoßen worden sei, zumal das Verwaltungsgericht (ohne Begründung) zu gegenteiligen Feststellungen als in den in der Entscheidung aufgelisteten Länderinformationsberichten komme.

8 Das BVwG sei ferner von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen, weil der Revisionswerber jedenfalls einberufen worden sei und heutzutage auch Männer „in ihren 50er[n]“ eingezogen werden würden. Der Einberufung hätte sich der Revisionswerber durch seine Flucht widersetzt. Das BVwG verkenne die Gefahr, bei Rückkehr zum syrischen Militär eingezogen zu werden.

9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird mit der mündlichen Verkündung die Entscheidung unabhängig von der in § 29 Abs. 4 VwGVG geforderten Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung rechtlich existent. Dies korrespondiert mit der Regelung des § 26 Abs. 1 Z 1 VwGG, wonach die sechswöchige Revisionsfrist in den Fällen des Art. 133 Abs. 6 Z 1 B‑VG dann, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung beginnt, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber nur mündlich verkündet wurde, jedoch mit dem Tag der Verkündung. In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass vor dem Hintergrund des § 29 VwGVG keine Bedenken gegen die Möglichkeit der Anfechtung bereits des nur mündlich verkündeten Erkenntnisses bestehen (vgl. VwGH 23.9.2020, Ra 2019/14/0558, mwN).

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits mehrfach festgehalten, dass die Begründung jenen Anforderungen entsprechen muss, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 23.3.2021, Ra 2019/19/0431, mwN).

11 Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier ein Begründungsmangel ‑ als Zulassungsgrund ins Treffen geführt, so muss die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 9.12.2020, Ra 2020/19/0110, mwN). In der Regel wird die Relevanz von Mängeln der Begründung der mündlich verkündeten Entscheidung wegfallen, wenn eine schriftliche Ausfertigung vorliegt, die diese Mängel behebt (vgl. zuletzt etwa VwGH 29.3.2021, Ra 2020/18/0064, bzw. grundlegend VwGH Ra 2019/14/0558, jeweils mwN).

12 Im Ergebnis wird selbst eine erst nach Revisionserhebung ‑ aber vor Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ‑ zugestellte schriftliche Ausfertigung für das Revisionsverfahren beachtlich sein und insofern allfälligen Mängeln der mündlich verkündeten Begründung die Wesentlichkeit nehmen. Ein Revisionswerber ist zwar auf Grund der Konsumation des Revisionsrechtes gehindert, nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung eines mündlichen verkündeten Erkenntnisses eine weitere (zweite) Revision einzubringen. Es ist ihm jedoch möglich, eine Revisionsergänzung vorzunehmen (vgl. VwGH erneut Ra 2019/14/0558, mwN).

13 Das BVwG legte seinen Länderfeststellungen das aktuellste Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA vom Februar 2021, einen Auszug aus dem UNHCR‑Bericht, relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR‑Länderleitfadens für Syrien, Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien ‑ „illegale Ausreise“ aus Syrien und verwandte Themen mit Stand von Februar 2017 sowie einen Auszug aus den UNHCR‑Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, mit Stand von November 2017, zu Grunde.

14 Das Vorbringen der Revision, das BVwG habe zwar drei Berichte zur Lage im Heimatstaat namentlich aufgezählt, jedoch ohne inhaltlich näher auf sie einzugehen und es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Quellen das BVwG die jeweilige Information beziehe, übersieht, dass aus der schriftlichen Ausfertigung eindeutig und klar erkennbar ist, welche Feststellungen anhand welchen Berichts getroffen wurden und warum das BVwG zum Schluss kam, dass dem Revisionswerber keine Gefahr drohe, zum syrischen Militärdienst eingezogen zu werden.

15 Inwiefern das BVwG zu gegenteiligen Feststelllungen als in den in der Entscheidung aufgelisteten Länderinformationsberichten gekommen wäre, wird von der Revision nicht substantiiert vorgebracht und ist dies auch nicht ersichtlich.

16 Selbst wenn dem mündlich verkündeten Erkenntnis ein Begründungsmangel anhaften würde, wäre dessen Relevanz im Sinn der zitierten Rechtsprechung mit Erlassung der schriftlichen Ausfertigung, die den Anforderungen der Begründungspflicht jedenfalls entspricht, weggefallen.

17 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser ‑ als Rechtsinstanz ‑ zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 27.5.2021, Ra 2020/19/0115, mwN).

18 Das BVwG verkannte nicht, dass auch einer Wehrdienstverweigerung Asylrelevanz zukommen könne, wenn dem Betroffenen wegen seiner Wehrdienstverweigerung vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde und den Sanktionen ‑ wie bei Anwendung von Folter ‑ jede Verhältnismäßigkeit fehle. Allerdings kam das BVwG fallbezogen zum Ergebnis, es sei nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die syrische Regierung dem Revisionswerber eine oppositionelle Gesinnung unterstellen werde und ihm im Fall einer Rückkehr eine asylrelevante Verfolgung drohe.

19 Das BVwG verwies im Rahmen seiner Einzelfallprüfung darauf, dass der Revisionswerber vor dem BFA eine Gefahr einer Rekrutierung durch das syrische Militär oder eine Verfolgung auf Grund seiner politischen Einstellung nicht konkret vorgebracht habe. Auch aus den Länderberichten ergebe sich eine entsprechende Gefahr allein auf Grund des Umstandes, dass der Revisionswerber in einer Region gelebt habe, die unter der Kontrolle der FSA gestanden sei bzw. stehe, nicht. Eine wie in der Beschwerdeschrift bzw. in der mündlichen Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters in der Verhandlung vorgebrachte unterstellte politische Gesinnung habe nicht festgestellt werden können. So habe der Revisionswerber einerseits vor dem BFA ausdrücklich eine persönliche Verfolgung oder Bedrohung in Syrien auf Grund seiner politischen Einstellung verneint und eine solche auch nicht als mögliche Befürchtung im Fall einer Rückkehr nach Syrien in der mündlichen Verhandlung vorgebracht. Zudem sei es auch dem (damals etwa 45‑jährigen) Bruder des Revisionswerbers möglich gewesen, aus der Türkei wieder in die Stadt Idlib zurückzukehren.

20 Ausgehend davon vermag die Revision nicht darzutun, dass diese Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre.

21 Insofern die Revision mit ihrem Vorbringen auf ältere Länderinformationsblätter Bezug nimmt, ist darauf zu verweisen, dass das diesbezügliche Vorbringen von dem im Entscheidungszeitpunkt des BVwG aktuellsten Länderinformationsblatt zum Teil nicht gedeckt ist. Ebenso ist der Revision hier zu entgegnen, dass eine Feststellung allgemeiner Umstände im Herkunftsstaat die Glaubhaftmachung der Gefahr einer konkreten, individuell gegen den Revisionswerber gerichteten Verfolgung nicht ersetzen kann (vgl. VwGH 31.8.2020, Ra 2020/19/0232, mwN).

22 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 29. Juni 2021

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