European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190099.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerber sind irakische Staatsangehörige. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind die Eltern der Dritt- bis Fünftrevisionswerber.
2 Die Revisionswerber stellten am 23. November 2015 Anträge auf internationalen Schutz. Begründend brachten sie vor, der Erstrevisionswerber habe für das amerikanische Militär gearbeitet, weswegen ihnen Verfolgung durch Milizen drohe. Der Erstrevisionswerber habe sich auf Druck der Familie der Zweitrevisionswerberin von dieser scheiden lassen, sei aber dennoch mit ihr geflohen, weswegen ihnen bei einer Rückkehr Verfolgung durch ihren Clan bzw. der Zweitrevisionswerberin die Gefahr eines Ehrenmordes drohe. Auch der Viertrevisionswerberin drohe bei einer Rückkehr die Gefahr eines Ehrenmordes, da sie (nach ihrer Flucht) als Minderjährige außereheliche sexuelle Kontakte gehabt habe; überdies gehöre sie der Gruppe der westlich orientierten jungen Frauen an.
3 Mit Bescheiden jeweils vom 2. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG habe die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen. Das vom BVwG seiner Entscheidung zu Grunde gelegte Länderinformationsblatt würde das Fluchtvorbringen der Revisionswerber „geradezu bestätigen“.
9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 25.9.2020, Ra 2019/19/0407, mwN).
10 Das BVwG, das sich im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von den Revisionswerbern verschaffte und sie zu ihrem Fluchtvorbringen befragte, erachtete die behauptete Verfolgung als nicht glaubwürdig. Beweiswürdigend stützte es sich hinsichtlich der Verfolgung durch Milizen insbesondere auf ein gesteigertes Fluchtvorbringen sowie auf den Umstand, dass der Erstrevisionswerber niemals persönlich, sondern lediglich in Form eines Briefes bedroht worden sei, danach aber noch fünf Jahre unbehelligt im Irak gelebt habe. Hinsichtlich der Verfolgung durch den Familienclan der Zweitrevisionswerberin stützte sich das BVwG beweiswürdigend insbesondere darauf, dass das Vorbringen der Revisionswerber widersprüchlich sei. In Bezug auf die Viertrevisionswerberin gelangte das BVwG mit näherer Begründung zu dem Schluss, dass sich eine „westliche“ Lebenseinstellung nicht in einem identitätsstiftenden Ausmaß in ihrer Verhaltensweise manifestiert habe, und dass ihre Angaben zu ihrer außerehelichen Beziehung widersprüchlich gewesen seien.
11 Die Revision zeigt auch mit ihren Hinweisen auf Inhalte des Länderinformationsblattes nicht auf, dass diese Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre.
12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiter vor, das BVwG habe ein veraltetes Länderinformationsblatt herangezogen und keine Feststellungen zur COVID‑19‑Pandemie im Irak getroffen, weswegen es nicht beurteilen habe können, ob den Revisionswerbern bei einer Rückkehr eine reale Gefahr einer Verletzung ihrer Rechte nach Art. 3 EMRK drohe. Bei Heranziehung aktueller Länderinformationen hätte das BVwG feststellen müssen, dass der Irak infolge der COVID‑19‑Pandemie „mittels Flugzeug nicht zu erreichen sei“ und auf Grund von „Sperrmaßnahmen der Regierung“ eine Wiederansiedelung „wegen der geschlossenen Infrastruktur und der stark eingeschränkten Bewegungsfreiheit“ nicht möglich sei.
13 Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 21.10.2020, Ra 2020/19/0288, mwN). Bei der Frage, ob im Fall der Rückführung eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK besteht, kommt es somit nicht darauf an, ob infolge von zur Verhinderung der Verbreitung von SARS‑CoV‑2 gesetzten Maßnahmen sich die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellt, solange die Sicherung der existentiellen Grundbedürfnisse weiterhin als gegeben anzunehmen ist (vgl. VwGH 20.1.2021, Ra 2020/19/0334, mwN).
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Es reicht aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, aufzuzeigen. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 10.3.2021, Ra 2021/19/0060, mwN).
15 Zu Recht macht die Revision geltend, dass sich das BVwG im angefochtenen Erkenntnis mit den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie im Irak nicht beschäftigt hat. Sie zeigt aber mit ihrem bloß allgemein gehaltenen Hinweis auf die Auswirkungen der Pandemie in Bezug auf die Erreichbarkeit des Irak und die Bewegungsfreiheit der Menschen vor Ort nicht auf, zu welchen anderen konkreten Feststellungen in Bezug auf die Revisionswerber das BVwG bei Heranziehung aktueller Länderinformationen gekommen wäre, welche fallbezogen eine andere Entscheidung hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten hätten bringen können (vgl. zum Erfordernis der Relevanzdarstellung in Bezug auf die Auswirkungen der COVID‑19‑Pandemie im Irak VwGH 6.11.2020, Ra 2020/18/0375).
16 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 14. April 2021
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