VwGH Ra 2021/17/0064

VwGHRa 2021/17/006416.7.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und den Hofrat Mag. Berger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Bundesministers für Finanzen gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 16. Februar 2021, LVwG‑413789/9/Py/Hue, betreffend Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Oberösterreich; mitbeteiligte Partei: V s.r.o., vertreten durch Dr. Fabian A. Maschke, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dominikanerbastei 17/11), zu Recht erkannt:

Normen

GSpG 1989 §52 Abs1
GSpG 1989 §53 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021170064.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 4. August 2020 ordnete die belangte Behörde gegenüber der mitbeteiligten Partei infolge einer in einem näher bezeichneten Lokal durchgeführten glücksspielrechtlichen Kontrolle gemäß § 53 Abs. 1 Z 1 lit. a Glücksspielgesetz ‑ GSpG die Beschlagnahme von acht näher bezeichneten Geräten an.

2 Gegen diesen Bescheid erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG). Das LVwG führte eine mündliche Verhandlung durch, bei der es zwei bei der Kontrolle anwesende Organwalter der Finanzpolizei als Zeugen vernahm. Der ebenfalls bei der Kontrolle anwesende Mitarbeiter der Mitbeteiligten wurde nicht einvernommen.

3 Das LVwG gab der Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis in der Folge statt und behob den Beschlagnahmebescheid (Spruchpunkt I.). Mit Spruchpunkt II. sprach es aus, dass gegen diese Entscheidung eine Revision unzulässig sei.

4 Begründend führte das LVwG u.a. aus, im Zeitpunkt der Kontrolle seien die Geräte am Tatort vorgefunden worden; die Mitbeteiligte sei Eigentümerin der Geräte. Das Lokal habe erst nach zwangsweiser Öffnung der verschlossenen Eingangstüre betreten werden können, weil zuvor auf mehrmalige Ankündigung der Glücksspielkontrolle durch Vorzeigen der Dienstausweise durch die Kontrollorgane in die Überwachungskamera an der Türe nicht reagiert worden sei. Zum Zeitpunkt des Betretens des Lokals seien die Geräte „heruntergefahren“ und vom Stromnetz getrennt gewesen, es habe aber noch Restwärme festgestellt werden können, was auf deren Betriebsbereitschaft bis kurz vor der zwangsweisen Öffnung schließen lasse. Während der Kontrolle habe keine Betriebsbereitschaft hergestellt werden können, die Bildschirme seien inaktiv geblieben. Der bei der Kontrolle anwesende Mitarbeiter habe seine „Auskünfte bzw. Behauptungen“ auf nähere Aussagen beschränkt; u.a., dass er zwei Spiele kenne und diese „glaublich vom Zufall abhängen“.Es habe daher nicht festgestellt werden können, ob auf den Geräten gegen Leistung von Einsätzen Spiele angeboten worden seien. Weder aus den „rudimentären Angaben“ des bei der Kontrolle anwesenden Mitarbeiters der Lokalbetreiberin noch aus den zeugenschaftlichen Aussagen der Kontrollorgane in der mündlichen Verhandlung könnten „die für ein Verfahren erforderlichen Feststellungen für die einzelnen Geräte abgeleitet“ werden. Es könne daher kein substantiierter Verdacht eines Verstoßes gegen Bestimmungen des § 52 Abs. 1 GSpG begründet werden.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des Bundesministers für Finanzen. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Die Amtsrevision erweist sich im Hinblick auf ihr Zulässigkeitsvorbringen zur fehlenden Einvernahme eines Zeugen im Zusammenhang mit der Frage des Vorliegens eines ausreichend substantiierten Verdachtes im Beschlagnahmeverfahren nach dem GSpG als zulässig.

7 Die Revision ist auch begründet.

8 Gemäß § 38 VwGVG gilt im Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten gemäß § 25 Abs. 1 VStG das Amtswegigkeitsprinzip und gemäß § 25 Abs. 2 VStG der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit, wonach vom Verwaltungsgericht von Amts wegen unabhängig von Parteivorbringen und ‑anträgen der wahre Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise zu ermitteln ist. Betreffend die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte ist festzuhalten, dass gemäß Art. 130 Abs. 4 erster Satz B‑VG (s. auch § 50 VwGVG) in Verwaltungsstrafsachen das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst entscheidet, woraus folgt, dass in Verwaltungsstrafverfahren dem Verwaltungsgericht in jedem Fall auch die Befugnis und Verpflichtung zu allenfalls erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen zukommt (vgl. VwGH 15.12.2014, Ro 2014/17/0121, mwN).

9 Betreffend die Ermittlung des Sachverhaltes bedeutet dies, dass die Verwaltungsgerichte verpflichtet sind, von Amts wegen ohne Rücksicht auf Vorträge, Verhalten und Behauptungen der Parteien die entscheidungserheblichen Tatsachen zu erforschen und deren Wahrheit festzustellen. Der Untersuchungsgrundsatz verwirklicht das Prinzip der materiellen (objektiven) Wahrheit, welcher es verbietet, den Entscheidungen einen bloß formell (subjektiv) wahren Sachverhalt zu Grunde zu legen. Der Auftrag zur Erforschung der materiellen Wahrheit verpflichtet die Verwaltungsgerichte, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2 E 4 zu § 25 VStG). In diesem Sinne sind alle sich bietenden Erkenntnisquellen sorgfältig auszuschöpfen und insbesondere diejenigen Beweise zu erheben, die sich nach den Umständen des jeweiligen Falles anbieten oder als sachdienlich erweisen können. Die Sachverhaltsermittlungen sind ohne Einschränkungen eigenständig vorzunehmen. Auch eine den Beschuldigten allenfalls treffende Mitwirkungspflicht enthebt das Verwaltungsgericht nicht ihrer aus dem Grundsatz der Amtswegigkeit erfließenden Pflicht, zunächst selbst ‑ soweit das möglich ist ‑ für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen (vgl. insgesamt erneut VwGH 15.12.2014, Ro 2014/17/0121, mwN).

10 Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist eine Beschlagnahme nach § 53 Abs. 1 GSpG nur dann zulässig, wenn ein ausreichend substantiierter Verdacht vorliegt, dass mit Glücksspielgeräten oder sonstigen Eingriffsgegenständen, mit denen in das Glücksspielmonopol des Bundes eingegriffen wird, fortgesetzt oder wiederholt gegen Bestimmungen des § 52 Abs. 1 GSpG verstoßen wird. Nicht erforderlich ist dabei zwar, dass die Übertretung des Gesetzes zum Zeitpunkt der Beschlagnahme bereits erwiesen ist, jedoch erfordert die Überprüfung eines Beschlagnahmebescheids jedenfalls Feststellungen über die Art des Spiels, weil ansonsten eine Überprüfung der rechtlichen Beurteilung nicht möglich ist. Hierzu ist die ansatzweise Darstellung des Spielablaufes erforderlich (vgl. etwa VwGH 16.1.2020, Ra 2019/17/0081, mwN).

11 Die konkrete Beurteilung eines ausreichend substantiierten Verdachts hängt dabei von den Umständen des Einzelfalles ab und obliegt dem Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 6.9.2018, Ra 2017/17/0843, 0844) im Rahmen seiner Verpflichtung zur amtswegigen Wahrheitserforschung. Dabei können Dokumentationen von Probespielen, aber auch - insbesondere wenn solche fehlen - Zeugenaussagen oder andere Beweismittel herangezogen werden (vgl. VwGH 9.12.2019, Ra 2019/17/0066).

12 Im Revisionsfall hat das LVwG - das im angefochtenen Erkenntnis einen Teil der Angaben des bei der Kontrolle anwesenden Mitarbeiters der Mitbeteiligten gegenüber der Finanzpolizei zusammenfassend wiedergab - abgesehen von der Einvernahme von Mitarbeitern des Finanzpolizei keine weiteren Beweise zur Beurteilung der Verdachtslage hinsichtlich des Vorliegens von Glücksspielgeräten erhoben, sondern aus der Beseitigung der Betriebsbereitschaft der in Rede stehenden Geräte bei der glücksspielrechtlichen Kontrolle und der daran anschließenden Unmöglichkeit deren Probebespielung allein darauf geschlossen, dass keinerlei Feststellungen zu allfällig darauf verfügbaren Spielen getroffen werden könnten und daher eine Verdachtslage im Sinne der oben genannten Rechtsprechung nicht vorliege und die Beschlagnahme bereits aus diesem Grund aufzuheben sei.

13 Der Umstand allein, dass die Bespielung der Geräte und damit die Durchführung von Probespielen zum Zeitpunkt der glücksspielrechtlichen Kontrolle nicht (mehr) möglich waren, führt jedoch für sich genommen noch nicht dazu, dass schon deshalb angenommen werden könnte, der Verdacht des Eingriffes in das Glücksspielmonopol des Bundes mit Glücksspielgeräten sei entkräftet (vgl. dazu nochmals VwGH 9.12.2019, Ra 2019/17/0066).

14 Bei Einvernahme des bei der Kontrolle anwesenden Mitarbeiters der Mitbeteiligten, der nach der Aktenlage ausgesagt hat, er kenne zwei Spiele, die auf diesen Geräten gespielt werden könnten, und diese hingen glaublich vom Zufall ab, kann jedoch vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beurteilung von Eingriffsgegenständen im Sinne des § 52 Abs. 1 Z 1 iVm § 52 Abs. 2 GSpG nicht ausgeschlossen werden, dass das LVwG zu anderen Feststellungen und in der Folge zu einer anderen rechtlichen Beurteilung gelangt wäre.

15 Da es das Verwaltungsgericht somit unterlassen hat, Beweiserhebungen zur Beurteilung einer Verdachtslage hinsichtlich der Glücksspielgeräteeigenschaft der beschlagnahmten Geräte zu tätigen und erst auf deren Grundlage entsprechende Feststellungen zu treffen, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Wien, am 16. Juli 2021

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