Normen
BFA-VG 2014 §48
BFA-VG 2014 §48 Abs1
BFA-VG 2014 §48 Abs2
BFA-VG 2014 §48 Abs3
BFA-VG 2014 §52
BFA-VG 2014 §52 Abs1
BFA-VG 2014 §52 Abs2
VwGG §46 Abs1
VwGVG 2014 §33
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140054.L00
Spruch:
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 7. Jänner 2019 wurde dem Wiedereinsetzungswerber der ihm zuerkannte Status des Asylberechtigten aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Weiters wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt. Außerdem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Schließlich wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise erteilt.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 31. Jänner 2020 als unbegründet ab. Unter einem wurde ausgesprochen, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
3 Dieses Erkenntnis wurde am 31. Jänner 2020 der als Vertreterin des nunmehrigen Wiedereinsetzungswerberbers fungierenden Rechtsberatungsorganisation nach § 52 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 53/2019 zugestellt. Davon ausgehend endete die sechswöchige Revisionsfrist gemäß § 26 Abs. 1 VwGG am 13. März 2020.
4 Mit einem am 18. Februar 2021 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragte der Wiedereinsetzungswerber die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und führte aus, dass ihm das gegenständliche Erkenntnis von seiner Vertreterin nicht weitergeleitet worden sei, weshalb er nicht fristgerecht einen Antrag auf Verfahrenshilfe stellen habe können. Einem administrativen Mitarbeiter bei der Vertreterin sei ein Versehen passiert, indem er das Erkenntnis nach seinem Eingang in der Datenbank anderen Klienten zugeordnet und diesen das betreffende Erkenntnis übermittelt habe. Der Fehler sei erst auf Nachfrage des Wiedereinsetzungswerbers aufgefallen. Die Vertreterin habe im Jahr 2020 täglich etwa 40 Zustellungen über einen elektronischen Zustelldienst erhalten. Die bei der Bearbeitung dieser Zustellungen einzuhaltenden Prozesse seien in einem Leitfaden dokumentiert, jeder Bearbeitungsschritt sei auch im Nachhinein nachvollziehbar. Dieses System habe in der über 10‑jährigen Tätigkeit der Vertreterin als Rechtsberatungsorganisation insbesondere auf Grund der Sorgfalt der beauftragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlerlos funktioniert. Sollte daher dabei in einem einzigen Fall ein systemwidriger Fehler passieren, so liege dies weder an einer Fehleranfälligkeit des Systems noch an mangelnder Sorgfalt der handelnden Personen.
5 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht.
6 Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. VwGH 28.8.2019, Ra 2019/14/0375, mwN).
7 Im Hinblick auf die einem Vertreter unterlaufenen Fehler ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei trifft, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Immer dann, wenn ein Fremder das als Vollmachtserteilung zu verstehende Ersuchen um Vertretung im Sinn des BFA‑VG an die mit der Besorgung der Rechtsberatung betraute juristische Person richtet oder der juristischen Person schriftlich ausdrücklich Vollmacht erteilt, ist dem Fremden das Handeln des sodann von der juristischen Person konkret mit der Durchführung seiner Vertretung betrauten Rechtsberaters wie bei jedem anderen Vertreter zuzurechnen. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass Rechtsberater das Anforderungsprofil gemäß § 48 Abs. 1 bis 3 BFA‑VG erfüllen müssen. Damit ist bereits geklärt, dass es sich bei Rechtsberatern nicht um rechtsunkundige Personen handelt (vgl. jeweils VwGH 22.4.2020, Ra 2020/14/0139 bis 0141, mwN).
8 Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. VwGH 10.7.2019, Ra 2019/14/0140, mwN). Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur erforderlichen Kontrolle des Kanzleiapparates berufsmäßiger Parteienvertreter ist auch auf eine zur Vertretung bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation im Sinne des § 52 BFA‑VG anzuwenden (vgl. VwGH 30.5.2017, Ra 2017/19/0113).
9 Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer ansonsten verlässlichen Kanzleikraft überlassen. Solche Vorgänge sind etwa die Kuvertierung, die Beschriftung eines Kuverts oder die Postaufgabe, also manipulative Tätigkeiten (vgl. VwGH 19.9.2017, Ra 2017/20/0102, mwN). Auch die Zuordnung von einlangenden Schriftstücken zu Klienten ist als ein solcher rein technischer Vorgang anzusehen, der nicht ständig beaufsichtigt werden muss.
10 Wenn allerdings in keiner Weise dargelegt wird, ob jemals eine Kontrolle der manipulativen Vorgänge im Kanzleibetrieb oder der Kanzleiangestellten erfolgte bzw. wie das diesbezügliche Kontrollsystem eingerichtet ist, kann von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristgerechte Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sicherstellt, und von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein. Fehlt es an einem diesbezüglichen Vorbringen, liegt jedenfalls kein bloß minderer Grad des Versehens vor (vgl. erneut VwGH 19.9.2017, Ra 2017/20/0102, mwN).
11 Aus dem Vorbringen im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und dem vorgelegten Leitfaden ergibt sich die bei der Vertreterin einzuhaltende Vorgehensweise bei der Bearbeitung von einlangenden Schriftstücken. Es ist daraus jedoch nicht ersichtlich, ob oder wie die richtige Zuordnung eingelangter Gerichtsentscheidungen an die richtige Klientin oder den richtigen Klienten in der Datenbank kontrolliert wird, um einen allfälligen Fehler, wie er im vorliegenden Fall unterlaufen ist, aufdecken zu können. Daher ist bereits mangels einer Darlegung eines wirksamen Kontrollsystems bei der Vertreterin des Wiedereinsetzungswerbers von einem nicht minderen Grad des Versehens auszugehen. Die Voraussetzungen für die Bewilligung des Wiedereinsetzungsantrages sind daher nicht erfüllt.
12 Sohin war es auch entbehrlich, einen Auftrag zur Behebung des dem Wiedereinsetzungsantrag anhaftenden Mangels ‑ dieser wurde entgegen der Bestimmung des § 24 Abs. 2 VwGG nicht durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt abgefasst und eingebracht ‑ zu erteilen. Ein solcher Auftrag erübrigt sich nämlich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wenn ‑ was hier der Fall ist ‑ der Antrag zweifelsfrei erkennen lässt, dass keinerlei Anhaltspunkte für die Stattgabe des Wiedereinsetzungsantrages gegeben sind und somit auch nach Behebung des Mangels die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausgeschlossen wäre (vgl. erneut VwGH 22.4.2020, Ra 2020/14/0139 bis 0141, mwN).
13 Über den gemeinsam mit dem Wiedereinsetzungsantrag eingebrachten Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe wird vom zuständigen Berichter (§ 14 VwGG) gesondert entschieden werden.
Wien, am 17. März 2021
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