VwGH Ra 2020/21/0495

VwGHRa 2020/21/049518.2.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision von 1. M H, und 2. H H, beide vertreten durch Mag. Dr. Vera M. Weld, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Weihburggasse 4/40, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. Oktober 2020, G314 2207586‑1/4E und G314 2207585‑1/2E, jeweils betreffend Ausweisung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
EURallg
FrPolG 2005 §66 Abs1
NAG 2005 §27 Abs1
NAG 2005 §52 Abs1 Z1
NAG 2005 §52 Abs1 Z2
NAG 2005 §54 Abs1
NAG 2005 §54 Abs5
NAG 2005 §54 Abs5 Z1
NAG 2005 §54 Abs5 Z4
NAG 2005 §55 Abs3
VwGG §34 Abs1
32004L0038 Unionsbürger-RL Art13 Abs2 litc

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210495.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Erstrevisionswerberin, eine Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina, war zunächst in ihrem Herkunftsstaat mit F. H. verheiratet. Der Ehe entstammt die am 6. August 2008 geborene Zweitrevisionswerberin. Nachdem diese Ehe geschieden worden war, übersiedelten die Revisionswerberinnen im Jänner 2016 nach Österreich, wo die Erstrevisionswerberin am 29. Jänner 2016 den hier lebenden und erwerbstätigen kroatischen Staatsangehörigen Z. B. heiratete. In der Folge wurden den Revisionswerberinnen mit Gültigkeit ab 9. Februar 2016 Aufenthaltskarten erteilt.

2 Die Erstrevisionswerberin war beginnend ab 21. Juni 2016 bei einem Reinigungsunternehmen beschäftigt. Sie verfügt über Basiskenntnisse der deutschen Sprache. Die Zweitrevisionswerberin besucht hier die Schule und erwarb sehr gute Deutschkenntnisse.

3 Die Ehe der Erstrevisionswerberin wurde mit Gerichtsbeschluss vom 12. Juni 2017 rechtskräftig geschieden. In der Folge heiratete sie am 9. September 2017 wieder F. H.; am 21. November 2017 wurde ein gemeinsamer Sohn geboren. Die Erstrevisionswerberin stellte für ihn am 5. Februar 2018 und am 30. März 2018 für sich und die Zweitrevisionswerberin jeweils Anträge auf Erteilung einer „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“.

4 Von der Scheidung der Ehe hatte die Erstrevisionswerberin entsprechend § 54 Abs. 6 NAG die Niederlassungsbehörde am 11. September 2017 verständigt. Hierauf leitete das mit Schreiben der Niederlassungsbehörde vom 29. März 2018 gemäß § 55 Abs. 3 NAG befasste Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung ein. Nachdem die Erstrevisionswerberin dazu am 11. Juli 2018 niederschriftlich befragt worden war und der Rechtsvertreter eine mit 2. August 2018 datierte schriftliche Stellungnahme erstattet hatte, verfügte das BFA mit Bescheiden vom 3. September 2018 ‑ jeweils unter Gewährung eines Durchsetzungsaufschubs von einem Monat ‑ gestützt auf § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG die Ausweisung der Revisionswerberinnen aus dem österreichischen Bundesgebiet.

5 Die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 12. Oktober 2020 als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

6 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

8 In der Revision wird nicht in Frage gestellt, dass das den Revisionswerberinnen aufgrund der Ehe der Erstrevisionswerberin mit einem EWR‑Bürger zugekommene Aufenthaltsrecht nach § 54 Abs. 1 NAG iVm § 52 Abs. 1 Z 1 bzw. Z 2 NAG im Hinblick auf die Scheidung dieser Ehe nach einer Dauer von weniger als drei Jahren grundsätzlich nicht mehr besteht (vgl. § 54 Abs. 5 Z 1 NAG) und daher der Ausweisungstatbestand nach § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG verwirklicht wäre (siehe dazu des Näheren VwGH 15.3.2018, Ro 2018/21/0002, Rn. 8 bis 12).

9 Die Revision macht diesbezüglich allerdings geltend, im gegenständlichen Fall lägen die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 54 Abs. 5 Z 4 NAG vor. Danach bleibt das Aufenthaltsrecht bei Scheidung der Ehe erhalten, wenn dies zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere weil dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe nicht zugemutet werden kann. Vor diesem Hintergrund wird dem BVwG in der Revision vorgeworfen, es verkenne die „gefestigte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes“, wonach immer dann, wenn der Ehegatte eines Drittstaatsangehörigen Ehebruch oder eine gleichwertige Eheverfehlung begangen habe, von „besonderer Härte“ auszugehen sei, die dem Drittstaatsangehörigen ein Festhalten an der Ehe mit dem EWR‑Bürger im Sinn des § 54 Abs. 5 Z 4 NAG jedenfalls unzumutbar mache.

10 Abgesehen davon, dass der Revision keine Belegstelle für die dort referierte Auffassung entnommen werden kann, hat der Verwaltungsgerichtshof vor dem unionsrechtlichen Hintergrund des § 54 Abs. 5 Z 4 NAG, nämlich Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. c der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG ), geradezu das Gegenteil judiziert. Nach der genannten Richtlinienbestimmung soll der Verlust des Aufenthaltsrechts nämlich nur dann nicht eintreten, wenn „es aufgrund besonders schwieriger Umstände erforderlich ist, wie etwa bei Opfern von Gewalt im häuslichen Bereich während der Ehe oder der eingetragenen Partnerschaft“. Daran anknüpfend hielt der Verwaltungsgerichtshof in Rn. 14 des schon genannten Erkenntnisses VwGH 15.3.2018, Ro 2018/21/0002, fest, angesichts des genannten Beispielsfalls könne es jedenfalls keinem Zweifel unterliegen, dass der ‑ mit den Worten des BVwG (im dort angefochtenen Erkenntnis) ‑ „typische Fall einer Ehescheidung, bei dem ein Eheteil einen anderen Partner findet“, keine „besonders schwierigen Umstände“ darstellt, aufgrund derer die Aufrechterhaltung des bisherigen Aufenthaltsrechts des Drittstaatsangehörigen „erforderlich“ gewesen wäre. Auch im Beschluss VwGH 20.8.2020, Ra 2020/21/0292 bis 0294, Rn. 13, wurde dem Vorbringen, die geschiedene (ungarische) Ehefrau des Drittstaatangehörigen „habe einen Freund gehabt, woran die Ehe gescheitert sei“, unter Bezugnahme auf das Erkenntnis Ro 2018/21/0002 erwidert, ein besonderer Härtefall werde mit dem bloßen Hinweis auf ein ‑ sei es auch ausschließliches ‑ Verschulden des anderen Ehepartners an der Scheidung nicht dargelegt.

11 Entgegen der Meinung in der Revision bewegte sich das BVwG bei seiner Beurteilung des vorliegenden Falles im Rahmen dieser Rechtsprechung. Es stellte fest, die Erstrevisionswerberin habe sich von Z. B. Ende 2016 getrennt, nachdem sie im Sommer 2016 erfahren habe, dass dieser eine außereheliche Beziehung eingegangen sei. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob sie vom Ehebruch ‑ wie vom BVwG der Stellungnahme des (damaligen) Rechtsvertreters der Revisionswerberinnen vom 2. August 2018 folgend angenommen wurde ‑ im Sommer 2016 oder ‑ wie in der Revision entsprechend den Angaben der Revisionswerberin in der Niederschrift am 11. Juli 2018 behauptet wird ‑ Ende Dezember 2016 (durch unmittelbare eigene Wahrnehmung) Kenntnis erlangte. Bei dieser Sachlage war es jedenfalls nicht rechtswidrig, dass das BVwG bei der rechtlichen Beurteilung davon ausging, trotz der Behauptung der Erstrevisionswerberin, ein Festhalten an der Ehe hätte ihr wegen des „Fremdgehens ihres Ex‑Ehemannes“ nicht zugemutet werden können, liege kein Härtefall im Sinne des § 54 Abs. 5 Z 4 NAG vor. Das begründete das BVwG neben der Bezugnahme auf die oben in Rn. 10 zitierten Ausführungen im Erkenntnis VwGH 15.3.2018, Ro 2018/21/0002, damit, dass die Erstrevisionswerberin noch vor der Scheidung von Z. B. die Beziehung zu ihrem früheren Ehemann, von dem sie ein Kind erwartet habe, wieder aufgenommen und ihn kurz nach der Scheidung zum zweiten Mal geheiratet habe. Da die Erstrevisionswerberin weder Opfer häuslicher Gewalt während der Ehe geworden sei noch andere „besonders schwierige Umstände“ vorlägen, sodass die Aufrechterhaltung des bisherigen Aufenthaltsrechts „erforderlich“ wäre, seien die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht infolge der Ehescheidung unter Berücksichtigung von § 54 Abs. 1 und 5 NAG weggefallen.

12 Dieser zutreffenden Argumentation tritt die Revision nicht wirksam entgegen. Soweit daraus abgeleitet wird, das BVwG sei „aktenwidrig“ davon ausgegangen, die Auflösung der Ehe sei „bloß deshalb“ erfolgt, weil die Erstrevisionswerberin ihre Beziehung zum früheren Ehemann schon vor der Scheidung wieder aufgenommen habe, wird dies den Feststellungen des BVwG nicht gerecht. Dass die Beziehung zum früheren Ehemann schon vor der Scheidung am 12. Juni 2017 wieder bestand, ist ‑ wie das BVwG zutreffend erkannte ‑ schon aufgrund der Geburt des gemeinsamen Sohnes am 21. November 2017 evident. Eine kausale Verknüpfung mit der Ende 2016 erfolgten Trennung von Z. B. hat das BVwG jedoch ‑ entgegen der Auffassung in der Revision ‑ nicht vorgenommen, sondern ausdrücklich festgestellt, die Trennung sei wegen des Ehebruchs des Z. B. erfolgt.

13 In der Begründung der Zulässigkeit der Revision wird dann noch die Meinung vertreten, das BVwG habe „entgegen der ständigen Rechtsprechung des VwGH“ verkannt, dass auch Drittstaatsangehörigen, die wegen der Scheidung von einem EWR‑Bürger ihr Aufenthaltsrecht verloren hätten, ebenso wie Drittstaatsangehhörigen, die (unter anderem) mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet gewesen seien, nach § 27 NAG ein eigenständiges Niederlassungsrecht zustehe; sonst liege eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vor.

14 Auch zu dieser These wird es unterlassen, in der Revision eine entsprechende Belegstelle zu nennen. Im Übrigen hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits mit einer solchen Argumentation befasst und im Beschluss VwGH 25.1.2018, Ra 2017/21/0247, unter Rn. 10 diesbezüglich klargestellt, dass sich der Anwendungsbereich des § 27 NAG auf die Fälle der in Abs. 1 dieser Bestimmung taxativ aufgezählten Aufenthaltstitel beschränkt und dass (in Bezug auf das hier verfahrensgegenständliche, aus dem Unionsrecht abgeleitete Aufenthaltsrecht) nur die für (ehemalige) Angehörige eines EWR‑Bürgers geltende Sondernorm des § 54 Abs. 5 NAG zur Anwendung kommen könne.

15 Schließlich wird in der Revision, die im Übrigen die nach § 66 Abs. 2 FPG iVm § 9 BFA‑VG umfassend vorgenommene, vor allem auch die Situation der Zweitrevisionswerberin berücksichtigende Interessenabwägung des BVwG nicht bekämpft, die Unterlassung der in der Beschwerde beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung gerügt. Allerdings wird die in diesem Zusammenhang behauptete Verletzung des Parteiengehörs nicht nachvollziehbar dargestellt. Auch soweit bemängelt wird, das BVwG hätte „nicht einfach die von der Erstbehörde aufgenommenen Beweise eigenständig ‚umwürdigen‘ und die Feststellungen der Erstbehörde abändern“ dürfen, bleibt im Dunkeln, worauf sich dieser Einwand konkret bezieht und durch welche abgeänderten Feststellungen des BVwG eine Rechtsverletzung der Revisionswerberinnen bewirkt wurde.

16 Der Revision gelingt es somit insgesamt nicht, im vorliegenden Fall maßgebliche grundsätzliche Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG darzulegen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 18. Februar 2021

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