VwGH Ra 2020/21/0387

VwGHRa 2020/21/03875.2.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des A M, vertreten durch Mag. Dr. Vera M. Weld, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Weihburggasse 4/40, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25. August 2020, I401 2234034‑1/5E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Begleitaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z5
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210387.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber beantragte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 10. Dezember 2002 mit der Behauptung, ein Staatsangehöriger Somalias zu sein, die Gewährung von Asyl. Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 15. April 2004 ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung „nach Nigeria und Somalia“ für zulässig.

2 Einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde nicht Folge gegeben und ‑ zuletzt mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28. Jänner 2011 ‑ auf Basis insbesondere eines eingeholten Sprachgutachtens festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria (als seinem Heimatstaat) zulässig sei.

3 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16. Dezember 2014 wurde über den Revisionswerber wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels als Beitragstäter eine vierjährige Freiheitsstrafe verhängt.

Er hatte von Mai 2011 bis Ende Februar 2013 in Wien als Mitglied einer kriminellen Vereinigung zur Ausfuhr aus den Niederlanden und zur Einfuhr von insgesamt mehr als sieben Kilogramm Kokain nach Österreich sowie zur Überlassung dieses Suchtgiftes in einer nicht mehr feststellbaren, jedoch jedenfalls die Grenzmenge übersteigenden Menge an nicht mehr feststellbare Abnehmer beigetragen, indem er sich vor Beginn der Suchtgiftlieferungen und vor der Weitergabe des Suchtgiftes bereit erklärt hatte, ein von ihm betriebenes Geschäft als Zahlstelle für die finanziellen Transaktionen der Tätergruppe zur Verfügung zu stellen, die Erlöse aus dem Verkauf des Suchtgiftes entgegenzunehmen, offene Forderungen der anderen Mitglieder der kriminellen Vereinigung zu betreiben, Bargeld in größere Geldscheine umzuwechseln, die ihm übergebenen Geldbeträge für die anderen Mitglieder der kriminellen Vereinigung zu verwalten und darüber Buch zu führen, im Auftrag der anderen Mitglieder der kriminellen Vereinigung Auszahlungen zu tätigen und Überweisungen ins Ausland durchzuführen sowie sonstige Hilfstätigkeiten für die anderen Mitglieder der kriminellen Vereinigung zu verrichten, was er in der Folge auch ausführte.

Der Revisionswerber verbüßte die genannte Freiheitsstrafe bis zu seiner bedingten Entlassung am 10. August 2016.

4 Mit Bescheid vom 13. Juli 2020 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005. Unter einem erließ es gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria zulässig sei, erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG die aufschiebende Wirkung ab und gewährte dem Revisionswerber gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise. Schließlich erließ das BFA gegen den Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 und 3 Z 5 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot.

5 Am 28. Juli 2020 erteilte der Revisionswerber dem Verein Menschenrechte Österreich (VMÖ) Vollmacht, der daraufhin Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 13. Juli 2020 erhob.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 25. August 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diese Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

7 Begründend ging auch das BVwG, vor allem mit Bezug auf das bereits im Asylverfahren eingeholte Sprachgutachten, davon aus, dass es sich beim Revisionswerber, der unter verschiedenen Aliasidentitäten aufgetreten sei, um einen nigerianischen Staatsangehörigen handle. Seine mit Eingabe vom 17. Mai 2017 erfolgte Vorlage von zwei Seiten einer Kopie eines somalischen Reisepasses könne daran nichts ändern, weil eine Fotokopie eine Echtheitsprüfung nicht zulasse und er nur (unplausibel) behauptet habe, den Reisepass im Original nicht vorlegen zu können, dieses bereits abgelaufene Dokument zerrissen zu haben und lediglich eine Kopie zu besitzen.

Der Revisionswerber sei ledig, kinderlos und habe ungeachtet seines Aufenthalts in Österreich ab dem Jahr 2002 nur Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 erworben. Im Bundesgebiet hielten sich auch keine seiner Verwandten auf. Seit 25. Oktober 2016 lebe er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, ebenfalls einer nigerianischen Staatsangehörigen, die über einen Aufenthaltstitel (Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus) verfüge, einer Erwerbstätigkeit nachgehe und für den gemeinsamen Lebensunterhalt sorge. Der gesunde und arbeitsfähige Revisionswerber selbst sei nur in der Zeit vom 1. Dezember 2010 bis zum 31. Jänner 2013 und vom 1. September 2013 bis zum 31. August 2014 einer Pflichtversicherung nach dem GSVG unterlegen. Er habe nämlich bis zu dessen Insolvenz ein „Hip‑Hop‑Geschäft“ betrieben, das er zur Begehung der in Rn. 3 genannten Suchtgiftdelikte zur Verfügung gestellt habe. Seit 5. September 2018 beziehe er wieder Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Daneben gehe er gelegentlich der Schwarzarbeit nach. Maßgebliche Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht seien nicht hervorgekommen.

Unter Berücksichtigung der massiven Suchtgiftdelinquenz, der Ausübung von Schwarzarbeit sowie der geringen in Österreich erreichten Integration sei ungeachtet der langen Dauer des Aufenthalts sowie der ‑ zudem während unsicheren Aufenthalts begründeten ‑ Lebensgemeinschaft die Aufenthaltsbeendigung geboten. Es sei nämlich von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den schwach ausgeprägten privaten Interessen des Revisionswerbers auszugehen.

Mit der Möglichkeit einer Reintegration in Nigeria, wo er bis zu seiner Ausreise gelebt sowie die Hauptsozialisierung erfahren habe und die Landessprache auf Muttersprachenniveau beherrsche, sei zu rechnen. Kontakte insbesondere zur Lebensgefährtin könnten im Weg von Besuchen oder durch moderne Telekommunikationsmittel aufrechterhalten werden.

Im Hinblick insbesondere auf die in Rn. 3 dargestellte strafgerichtliche Verurteilung und die Schulduneinsicht des Revisionswerbers sei auch die Erlassung eines Einreiseverbotes in dem vom BFA verhängten Ausmaß geboten.

Die Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA‑VG unterbleiben können. Der Sachverhalt sei nämlich bereits durch das BFA vollständig erhoben worden und weise die gebotene Aktualität auf. Das BVwG habe sich der Beweiswürdigung des BFA zur Gänze angeschlossen, strittige Fragen seien nach dem Beschwerdevorbringen nicht verblieben.

8 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision erweist sich als unzulässig.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (unter anderem) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG „nicht zur Behandlung eignen“, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11 Insoweit macht der Revisionswerber geltend, bei seiner strafgerichtlichen Verurteilung vom 16. Dezember 2014 handle es sich um ein Fehlurteil. Diesem Standpunkt steht allerdings die Rechtskraft des Strafurteils entgegen (vgl. etwa VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0200, Rn. 13 und 14). Schon von daher können dem BVwG auch nicht fehlende ergänzende Ermittlungen vorgeworfen werden.

12 Weiters bringt der Revisionswerber vor, tatsächlich ein Staatsangehöriger Somalias zu sein. Um dies eindeutig abzuklären, hätte das BVwG im bisherigen Verfahren insoweit aufgetretenen unterschiedlichen Beweisergebnissen näher nachgehen und die beantragte mündliche Verhandlung durchführen müssen.

13 Dem ist zu entgegnen, dass der Revisionswerber selbst ‑ im Rubrum seiner Beschwerdeschrift ‑ seine Staatsangerhörigkeit mit „Nigeria alias Somalia“ bezeichnet und im Rahmen der Beschwerdeausführungen die schon vom BFA zugrunde gelegte nigerianische Staatsangehörigkeit nicht bestritten hat. Insoweit durfte das BVwG, das der (beweiswürdigenden) Begründung des BFA inhaltlich gefolgt ist, die Notwendigkeit und Möglichkeit einer weiteren Klärung des Sachverhalts verneinen und von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung absehen, zumal ‑ entgegen der Revision ‑ darin, dass der ‑ rechtskräftig verurteilte ‑ Revisionswerber in der Beschwerdeschrift seine Straftaten erstmals (konkludent) zugestanden hat, kein widersprüchliches Vorbringen, das eine Klärung erfordert hätte, zu erblicken ist.

14 Soweit der Revisionswerber insbesondere in diesem Zusammenhang ein Abweichen des BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, derzufolge der VMÖ nicht seine Vertretung im Beschwerdeverfahren hätte „ausführen“ dürfen, behauptet, ist die gebotene Darlegung unterblieben, von welcher konkreten Entscheidung abgewichen wurde (vgl. dazu etwa VwGH 7.9.2018, Ra 2018/03/0097, Rn. 6). Ein solches Abweichen ist auch der Sache nach nicht ersichtlich.

15 Schließlich verweist der Revisionswerber auf seinen rund achtzehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet und erachtet auf dieser Grundlage die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung als unvertretbar.

16 Dem ist zu entgegen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen ‑ wenn sie (wie hier) auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist. Im Hinblick auf die massive, zu einer strafgerichtlichen Verurteilung von vier Jahren unbedingter Freiheitsstrafe führende und die Aufenthaltsdauer somit relativierende Suchtgiftdelinquenz, die weitere Schwarzarbeit sowie das geringe Maß der im Bundesgebiet (vor allem sozial, sprachlich und beruflich) erzielten Integration kann von einer Unvertretbarkeit des vom BVwG erzielten Ergebnisses jedoch nicht die Rede sein.

17 Insgesamt zeigt die Revision somit keine für die Lösung des vorliegenden Falles wesentliche grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG auf, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen war.

Wien, am 5. Februar 2021

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