VwGH Ra 2020/19/0195

VwGHRa 2020/19/019516.2.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Mai 2020, Zl. W121 2192776‑1/17E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und FPG (mitbeteiligte Partei: H A in W, vertreten durch Dr. Graciela Faffelberger, Rechtsanwältin in 1170 Wien, Alszeile 125/1/2), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190195.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

I.

1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 15. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er eine langjährige, verbotene, außereheliche Beziehung zu einer Frau geführt habe und nun von der Familie dieser Frau verfolgt werde.

2 Mit Bescheid vom 23. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Mitbeteiligten sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Es erließ weiters eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Afghanistan zulässig sei und setzte eine zweiwöchige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der Beschwerde des Mitbeteiligten nach Durchführung einer Verhandlung statt, erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten zu und stellte fest, dass dem Mitbeteiligten kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Zudem sprach es aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

4 Das BVwG erachtete es als glaubwürdig, dass der Mitbeteiligte auf Grund seiner außerehelichen Beziehung eine „Blutrache“ zu befürchten habe. Er habe sowohl die Ehre seiner Familie als auch die Ehre der Familie des Mädchens verletzt. Von einer hinreichenden Schutzgewährung seitens der zuständigen afghanischen Behörden könne nicht ausgegangen werden. Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative stehe nicht zur Verfügung.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, die ihre Zulässigkeit in erster Linie mit einer Abweichung ‑ von näher genannter ‑ Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die erforderlichen Feststellungen zur Beurteilung einer innerstaatlichen Fluchtalternative begründet.

6 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Abweisung der Amtsrevision begehrt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Revision ist in Hinblick auf die im Zulässigkeitsvorbringen aufgezeigte Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig; sie erweist sich auch als begründet.

8 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der Begründung des Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichts in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Parteien ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise darzutun, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen es die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete. Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung der Entscheidung führt (vgl. etwa VwGH 3.7.2020, Ra 2020/14/0006, mwN).

9 Die Amtsrevision zeigt bezüglich der Annahme einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr des Mitbeteiligten zu Recht auf, dass dem Erkenntnis des BVwG nicht entnommen werden kann, ob der Mitbeteiligte im gesamten Staatsgebiet Afghanistans mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgt werden würde.

10 Das BVwG verkennt hier auch die bisherige Rechtsprechung zur Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. grundlegend VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001). Es stellt nämlich lediglich fest, dass dem Mitbeteiligten keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe, ohne dies jedoch näher zu begründen. Damit ist es dem Verwaltungsgerichtshof nicht möglich, die angefochtene Entscheidung in der vom Gesetz geforderten Weise einer nachprüfenden Kontrolle zu unterziehen.

11 Darüber hinaus ist im vorliegenden Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach das Verwaltungsgericht, wenn es von einer Entscheidung des BFA abweichen will, gehalten ist, auf die beweiswürdigenden Argumente des BFA einzugehen und nachvollziehbar zu begründen, aus welchen Gründen es zu einer anderen Entscheidung kommt (vgl. VwGH 15.5.2019, Ra 2019/01/0012, mwN).

12 Schließlich ist in der vorliegenden Revisionssache auch zu beachten, dass die vom Mitbeteiligten vorgebrachten Ereignisse, wenn sie als glaubwürdig zugrunde gelegt werden können, zeitlich lange zurückliegen. Daher wäre für die Frage der Asylrelevanz konkret zu prüfen, ob der Mitbeteiligte im Zeitpunkt der Entscheidung (hier des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit und nicht mit einer entfernten Möglichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0472; 6.4.2020, Ra 2019/01/0443; jeweils mwN).

13 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

Wien, am 16. Februar 2021

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