VwGH Ro 2018/15/0026

VwGHRo 2018/15/00267.9.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamts Graz‑Stadt (nunmehr Finanzamt Österreich, Dienststelle Graz‑Stadt) in 8010 Graz, Conrad von Hötzendorfstraße 14‑18, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 7. September 2018, Zl. RV/2100689/2014, betreffend Festsetzung von Beschwerdezinsen (mitbeteiligte Partei: t GmbH in G, vertreten durch die Schenz & Haider Rechtsanwälte OG in 2340 Mödling, Enzersdorfer Straße 4), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §279 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RO2018150026.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es Zinsen für den Zeitraum 2. September 2005 bis 9. März 2008 betrifft, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes aufgehoben.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Partei, eine in Deutschland ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die in Österreich Umsätze tätigt, verkaufte in den Jahren 2003 und 2004 vier Maschinen in Österreich, wobei sie diese grenzüberschreitenden Geschäftsfälle in Österreich der Umsatzsteuer unterzog (Umsatzsteuervoranmeldungen März 2003 und Jänner 2004). Im Mai 2005 machte die mitbeteiligte Partei die in den Jahren 2003 und 2004 getätigten Verkäufe unter Geltendmachung des Eigentumsvorbehalts rückgängig. In der Umsatzsteuervoranmeldung Mai 2005 machte sie (mit Wirkung vom 19. Juli 2005) eine Umsatzsteuergutschrift in Höhe von 367.081,58 € geltend. Die Umsatzsteuergutschrift wurde im Rahmen einer Außenprüfung, die im Juli 2006 begann und im Juni 2008 endete, geprüft und am 10. März 2008 auf dem Abgabenkonto der Mitbeteiligten verbucht.

2 Mit Bescheid vom 13. Oktober 2008 setzte das Finanzamt ‑ der geänderten Beurteilung im Abschlussbericht der Außenprüfung folgend ‑ die Umsatzsteuer 2005 mit 2.734,36 € fest (Umsatzsteuer‑Jahresbescheid). Dadurch ergab sich auf dem Abgabenkonto der mitbeteiligten Partei eine Nachforderung in Höhe von 367.081,59 €, die durch Verrechnung mit einem bestehenden Guthaben auf dem Abgabenkonto der mitbeteiligten Partei und Überweisung des Restbetrages entrichtet wurde.

3 Mit Schriftsatz vom 14. November 2008 brachte die mitbeteiligte Partei gegen den Umsatzsteuerbescheid 2005 das Rechtsmittel der Berufung ein, in der sie u.a. die Aussetzung der Einhebung des Nachforderungsbetrages gemäß § 212a BAO beantragte.

4 Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom 20. Mai 2009 als unbegründet ab, woraufhin die mitbeteiligte Partei deren Vorlage an den unabhängigen Finanzsenat beantragte (Vorlageantrag vom 2. Juni 2009).

5 Am 6. August 2012 gab das Finanzamt dem Antrag auf Aussetzung der Einhebung vom 14. November 2008 statt und setzte den Nachforderungsbetrag von 367.081,59 € gemäß § 212a BAO aus. Am 19. September 2012 verfügte das Finanzamt den Ablauf der Aussetzung.

6 Der unabhängige Finanzsenat gab der Berufung gegen den Umsatzsteuerbescheid 2005 mit Berufungsentscheidung vom 8. April 2013 (zugestellt laut angefochtenem Erkenntnis am 12. April 2013) statt, woraufhin dem Abgabenkonto der mitbeteiligten Partei der Betrag von 367.081,59 € gutgeschrieben wurde (Gutschrift vom 10. Mai 2013).

7 Der Betrag von 367.081,59 € wurde der mitbeteiligten Partei über Antrag vom 15. Mai 2013 am 23. August 2013 ausbezahlt.

8 Unter Verweis auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (u.a. EuGH 19.7.2012, Littlewoods Retail Ltd, C‑591/10) beantragte die mitbeteiligte Partei am 21. Oktober 2013 für den Zeitraum 19. Juli 2005 bis 10. Mai 2013 eine Verzinsung des Betrages von 367.081,58 €.

9 Das Finanzamt erließ am 4. Februar 2014 einen Bescheid, mit welchem es der mitbeteiligten Partei für die Zeiträume 1. Jänner 2012 bis 5. August 2012 sowie 19. September 2012 bis 8. April 2013 Beschwerdezinsen gemäß § 205a BAO in Höhe von 10.021,32 € festsetzte. Zur Begründung führte das Finanzamt aus: „Die Beschwerdezinsen waren für jene Abgaben gutzuschreiben, für die aufgrund eines Antrages eine bereits entrichtete Abgabenschuldigkeit, als Folge der Beschwerde herabgesetzt wurde.“

10 Die gegen den Bescheid vom 4. Februar 2014 eingebrachte Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung als unbegründet ab, woraufhin die mitbeteiligte Partei die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht beantragte.

11 Das Bundesfinanzgericht änderte mit dem angefochtenen Erkenntnis den Bescheid des Finanzamtes ab und setzte Beschwerdezinsen (in Höhe von insgesamt 51.170,02 €) für die Zeiträume 2. September 2005 bis 9. März 2008, 1. Jänner 2012 bis 5. August 2012 und 19. September 2012 bis 8. April 2013 fest.

12 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht mit der Begründung für zulässig, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Verzinsung verspätet erstatteter Umsatzsteuerguthaben gemäß § 205a BAO ‑ insbesondere für Zeiträume vor Inkrafttreten des § 205a BAO ‑ fehle.

13 Die Revision richtet sich gegen dieses Erkenntnis, soweit mit ihm Zinsen für den Zeitraum 2. September 2005 bis 9. März 2008 zugesprochen werden. In der Revision bringt das Finanzamt zur Zulässigkeit u.a. vor, dass ein Abspruch über Beschwerdezinsen für den Zeitraum 2. September 2005 bis 9. März 2008 nicht Inhalt des Spruches seines mit Beschwerde bekämpften Bescheides vom 4. Februar 2014 gewesen sei. Das Bundesfinanzgericht habe die Sache des Beschwerdeverfahrens (§ 279 Abs. 1 BAO) überschritten und das angefochtene Erkenntnis dadurch mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet.

14 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die zulässige Revision erwogen:

16 Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Bundesfinanzgericht ‑ von hier nicht betroffenen Fällen abgesehen ‑ immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

17 Die bei der Entscheidung über die Bescheidbeschwerde bestehende Änderungsbefugnis im Sinne des § 279 Abs. 1 zweiter Satz BAO ‑ nach jeder Richtung ‑ ist durch die Sache nach § 279 Abs. 1 erster Satz BAO begrenzt. Sache ist im Bescheidbeschwerdeverfahren die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des bekämpften Bescheides erster Instanz gebildet hat (vgl. etwa VwGH 17.12.2020, Ra 2020/16/0137; und 25.4.2013, 2012/15/0161).

18 Mit Bescheid vom 4. Februar 2014 hat das Finanzamt Beschwerdezinsen für die Zeiträume 1. Jänner 2012 bis 5. August 2012 und 19. September 2012 bis 8. April 2013 festgesetzt, also nur für Zeiträume, in denen die Regelung des § 205a BAO betreffend Beschwerdezinsen bereits in Kraft war. In Bezug auf den davorliegenden Zeitraum hat das Finanzamt über den Antrag der mitbeteiligten Partei noch nicht abgesprochen, sodass der Antrag insoweit noch vom Finanzamt zu erledigen ist.

19 Die Beschwerde, in der u.a. die Höhe des Zinsanspruches bekämpft wurde, richtete sich gegen den Bescheid des Finanzamts vom 4. Februar 2014. Sache des Beschwerdeverfahrens konnte daher nur der Abspruch über Zinsen für den Zeitraum 1. Jänner 2012 bis 8. April 2013 sein (vgl. nochmals VwGH 17.12.2020, Ra 2020/16/0137).

20 Das Bundesfinanzgericht hat in seiner Beschwerdeentscheidung auch Beschwerdezinsen für den Zeitraum 2. September 2005 bis 9. März 2008 (erstmals) festgesetzt, also für einen Zeitraum, der außerhalb des von der Sache des Beschwerdeverfahrens erfassten Zeitraumes liegt. Dafür war das Bundesfinanzgericht funktionell nicht zuständig.

21 Das angefochtene Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang, nämlich soweit es Zinsen für den Zeitraum 2. September 2005 bis 9. März 2008 betrifft, gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesfinanzgerichts aufzuheben.

22 Zur Frage der Verzinsung von Umsatzsteuerforderungen wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2021, Ro 2017/15/0035, verwiesen.

Wien, am 7. September 2021

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