VwGH Ro 2020/22/0001

VwGHRo 2020/22/000122.5.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des E K, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 1. Oktober 2019, VGW‑151/019/10473/2019‑1, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

ARB1/80 Art6 Abs1
B-VG Art133 Abs4
EURallg
NAG 2005 §45 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwRallg
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art3 Abs2 lite

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020220001.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, verfügt seit 21. Oktober 2010 über Aufenthaltsbewilligungen „Studenten“, zuletzt mit Gültigkeit bis 14. November 2019. Am 20. Mai 2019 stellte er einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt ‑ EU“. Dabei berief er sich auf unselbstständige Tätigkeitenseit dem 13. Dezember 2010 bei verschiedenen Arbeitgebern und darauf, dass er Rechte aus Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) erworben hätte.

2 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den abweisenden Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 5. Juli 2019 betreffend den Zweckänderungsantrag ab.

3 Begründend führte das Verwaltungsgericht ‑ soweit für das gegenständliche Verfahren relevant ‑ aus, der Revisionswerber erfülle die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80. Damit stehe ihm implizit ein aus dem ARB 1/80 direkt ableitbares Aufenthaltsrecht zu (Hinweis auf VwGH 23.6.2015, Ro 2014/22/0038), er sei jedoch nicht als niedergelassen anzusehen. § 45 NAG setze die Richtlinie 2003/109/EG (Daueraufenthaltsrichtlinie) betreffend die Rechtsstellung langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger um. Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Daueraufenthaltsrichtlinie finde diese auf Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates aufhielten. Art. 3 Abs. 2 lit. a der Daueraufenthaltsrichtlinie sehe jedoch eine Ausnahme für Aufenthalte zum Zwecke des Studiums oder einer Berufsausbildung vor, sodass sich der Revisionswerber hinsichtlich seiner bisher inngehabten Aufenthaltsbewilligungen für den Zweck Student nicht auf diese Richtlinie berufen könne. Zudem schließe Art. 3 Abs. 2 lit. e der Daueraufenthaltsrichtlinie Drittstaatsangehörige, deren Aufenthaltsgenehmigungen förmlich begrenzt wurden, von ihrem Anwendungsbereich aus. Bei der dem Revisionswerber aus dem Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfließenden Aufenthaltsrecht handle es sich um eine solche förmlich begrenzte Aufenthaltsgenehmigung iSd Art. 3 Abs. 2 lit. e der Daueraufenthaltsrichtlinie.

4 Somit ergebe sich aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80, dass dessen erster und zweiter Spiegelstrich lediglich die Voraussetzungen regelten, unter denen ein türkischer Arbeitnehmer, der rechtmäßig in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates eingereist sei und dort die Erlaubnis erhalten habe, eine Beschäftigung auszuüben, seine Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat ausüben könne. Erst der dritte Spiegelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 verleihe dem türkischen Arbeitnehmer nicht nur das Recht, sich auf ein vorliegendes Stellenangebot zu bewerben, sondern auch auf uneingeschränkten Zugang zu jeder von ihm frei gewählten Beschäftigung im Lohn‑ oder Gehaltsverhältnis.

5 Zur unterlassenen Durchführung einer mündlichen Verhandlung führte das Verwaltungsgericht aus, der von der Behörde festgestellte Sachverhalt sei nicht bestritten worden; im vorliegenden Fall sei lediglich die Rechtsfrage zu klären gewesen, ob der Revisionswerber die Voraussetzungen der Daueraufenthaltsrichtlinie erfülle oder nicht.

6 Die Zulässigkeit einer ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob türkische Staatsangehörige, die unter Art. 6 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 fallen, als niedergelassen im Sinn des § 45 Abs. 1 und Abs. 2 NAG gelten und daher die Zeiten einer der Niederlassung vorangehenden Aufenthaltsbewilligung „Student“ zur Hälfte gemäß § 45 Abs. 2 NAG auf die Fünfjahresfrist des § 45 Abs. 1 NAG anzurechnen seien.

7 Dagegen richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.

8 Die Revision ist entgegen dem ‑ den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden (§ 34 Abs. 1a VwGG) ‑ Ausspruch des Verwaltungsgerichtes im Hinblick auf das zwischenzeitig ergangene hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2020, Ro 2019/22/0009, nicht zulässig (vgl. zum nachträglichen Wegfall einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auch für ordentliche Revisionen etwa VwGH 12.9.2016, Ro 2015/12/0024, Rn. 14, mwN).

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis Ro 2019/22/0009, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgeführt, dass türkische Staatsangehörige, die ihr Aufenthaltsrecht direkt aus Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 ableiten, die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 NAG zur Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt ‑ EU“ nicht erfüllen. Das aus Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 abgeleitete Aufenthaltsrecht ist nämlich insofern eingeschränkt, als es von der Erneuerung der Arbeitserlaubnis bei demselben Arbeitgeber und der Verfügbarkeit eines Arbeitsplatzes bei diesem abhängt. Mit einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ wäre hingegen ein unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt verbunden, also eine deutlich weiter gehende Berechtigung (Hinweis auf VwGH 13.12.2018, Ro 2018/22/0009, Rn. 9).

10 Die in diesem Erkenntnis getroffenen Aussagen sind auf Fälle nach dem zweiten Spiegelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gleichermaßen anwendbar, weil ein türkischer Staatsangehöriger auch aus dieser Bestimmung noch kein Recht auf einen uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt ableiten kann (vgl. VwGH 6.9.2018, Ro 2018/22/0008, Rn. 4). Somit kann der Revisionswerber auch aus Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 kein Recht auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels nach § 45 Abs. 1 NAG ableiten.

11 Ausgehend davon sieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch nicht veranlasst, dem EuGH ‑ wie vom Revisionswerber angeregt ‑ die in der Revision angeführten Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 22. Mai 2020

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