Normen
FrPolG 2005 §53 Abs2 Z6
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §28 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210372.L00
Spruch:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in Österreich am 22. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag vollinhaltlich ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 und erließ eine Rückkehrentscheidung samt Begleitaussprüchen. Einer dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 24. Oktober 2019 keine Folge. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof wurde mit dessen Beschluss vom 25. Februar 2020, E 4455/2019, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde in der Folge nicht ausgeführt.
2 Mit Bescheid vom 25. Mai 2020 sprach das BFA gegenüber dem im Bundesgebiet verbliebenen Mitbeteiligten neuerlich aus, dass ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Es erließ wiederum eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig sei, und erließ gemäß § 53 Abs. 1 und 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot. Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt. Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.
3 Begründend verwies das BFA im Wesentlichen auf den rechtswidrigen Verbleib des Mitbeteiligten im Bundesgebiet nach Abschluss seines Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz. Seither seien weder Gründe hervorgekommen, die zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 führen könnten, noch hätten sich seit dem Erkenntnis des BVwG vom 24. Oktober 2019 schützenswerte private Interessen des gesunden, arbeitsfähigen, ledigen und kinderlosen sowie ohne Angehörige in Österreich lebenden Mitbeteiligten ergeben. Eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Mitbeteiligten im Herkunftsstaat sei weder ersichtlich, noch könne eine solche aus dem Vorbringen des Mitbeteiligten, der eine maßgebliche Änderung der Situation seit Erlassung des eben genannten Erkenntnisses des BVwG nicht einmal behauptet habe, abgeleitet werden.
Zum Einreiseverbot führte das BFA aus, der Mitbeteiligte lukriere Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit, deren Höhe nicht festgestellt werden könne und wobei überdies der „Verdacht auf Scheinselbständigkeit“ vorliege. Er bewältige seinen „derzeitigen Lebensunterhalt ... vollends durch [seine] Einnahmen als selbstständigen Erwerbstätigkeit“. Auf dieser Feststellungsgrundlage bejahte das BFA ‑ unter weiterer Bedachtnahme darauf, dass der Mitbeteiligte seiner Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen sei, was gemäß Art. 11 der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG ) die Erlassung eines Einreiseverbotes rechtfertige ‑ das Vorliegen insbesondere der Voraussetzungen des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 15. Juli 2020 hob das BVwG über Beschwerde des Mitbeteiligten den Bescheid des BFA vom 25. Mai 2020 auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
5 Begründend warf das BVwG dem BFA im Wesentlichen Ermittlungsmängel zum Grund und zur Dauer des Einreiseverbotes vor. Ermittlungsschritte zum geäußerten Verdacht auf Scheinselbstständigkeit und damit auf Arbeit ohne arbeitsmarktrechtliche Bewilligung habe das BFA gänzlich unterlassen, in diesem Zusammenhang lediglich auf eine Anzeige der Finanzpolizei verwiesen und ohne nähere Konkretisierung ausgeführt, dass der Aufenthalt des Mitbeteiligten im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde. Dazu komme, dass der Mitbeteiligte nicht niederschriftlich einvernommen worden, ihm kein aktuelles Länderinformationsblatt zu Indien vorgelegt worden und auch nicht die Möglichkeit gegeben worden sei, dazu Stellung zu nehmen. Dies falle besonders ins Gewicht, weil sich die Lage seit Erlassung des Erkenntnisses des BVwG vom 24. Oktober 2019 (laut Rn. 1), als dem Mitbeteiligten zuletzt Länderfeststellungen vorgelegt worden seien, aufgrund der aktuellen Covid‑19 Pandemie stark geändert habe und ein „auch diese Umstände berücksichtigendes ‑ aktuelles Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 30.03.2020“ vorliege.
6 Über die gegen diesen Beschluss erhobene Amtsrevision des BFA hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Revision erweist sich, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, als zulässig und berechtigt.
7 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, Punkte II. B. 2.6.2. und 2.6.3. der Entscheidungsgründe).
8 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung darf somit nur bei krassen, also besonders gravierenden, Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder wenn sie bloß ansatzweise ermittelt hat. Sind hingegen lediglich ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit iSd § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 25.9.2018, Ra 2017/21/0253, Rn. 14, und VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0105, Rn. 12).
9 Was die Erlassung eines Einreiseverbotes anlangt, hat das BFA neben dem Hinweis auf den unrechtmäßigen Verbleib im Bundesgebiet durch den Mitbeteiligten das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 53 Abs. 2 Z 6 FPG (Mittellosigkeit) angenommen. Letzteres hat das BVwG mit dem Hinweis darauf, dass das BFA ohne ausreichende Ermittlungsschritte vom Verdacht auf Scheinselbstständigkeit ausgegangen sei, im Ergebnis als unzureichend geklärt angesehen. Dabei wurde jedoch nicht beachtet, dass auch die Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeit unrechtmäßig wäre und daher ‑ angesichts der Unterhaltsbeschaffung aus illegalen Quellen ‑ den Einreiseverbotstatbestand des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG verwirklichen würde (vgl. VwGH 22.8.2019, Ra 2018/21/0134 und 0135, Rn. 28 ff). Ein erheblicher, das jedenfalls anfallende Maß wesentlich überschreitender Verfahrensaufwand als Folge der dem Erstbescheid des BFA anhaftenden Mängel wurde daher im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit des Mitbeteiligten nicht aufgezeigt.
10 Auch hinsichtlich der vom BVwG im Übrigen angesprochenen Länderberichte zur aktuellen Situation in Indien sind krasse (also besonders gravierende) Ermittlungslücken im Sinn der dargestellten Judikatur, die eine Aufhebung und Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA zur Durchführung notwendiger Ermittlungen rechtfertigen könnten, zu verneinen. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann das bloße Erfordernis einer Ergänzung der Länderfeststellungen durch Einsicht in die aktuelle Staatendokumentation eine kassatorische Entscheidung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGG nämlich ‑ jedenfalls im Regelfall ‑ nicht rechtfertigen (vgl. etwa VwGH 12.8.2019, Ra 2019/20/0192, Rn. 16, und VwGH 24.6.2020, Ra 2020/19/0074, Rn. 10 bis 14, jeweils mwN).
11 Dass die (schon im Hinblick auf die rasche Änderung der aktuellen Situation) erforderlichen ergänzenden Feststellungen im vorliegenden Fall mit besonderen, ausnahmsweise eine Zurückverweisung rechtfertigenden Schwierigkeiten verbunden gewesen wären, legt auch das BVwG in der Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht konkret dar.
12 Da das BVwG nach dem Gesagten somit zu Unrecht mit einer Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG vorgegangen ist, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 15. Dezember 2020
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