VwGH Ra 2020/08/0084

VwGHRa 2020/08/00848.7.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision des A K in W, vertreten durch Dr. Ingo Riß, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gußhausstraße 14 Top 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. April 2020, W255 2228458‑1/3E, betreffend Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Redergasse), zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10
AlVG 1977 §10 Abs1 Z4
MRK Art6
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §24 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020080084.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht ‑ in Bestätigung eines Bescheides des Arbeitsmarktservice Wien Redergasse (AMS) ‑ ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ausgesprochen, dass der Revisionswerber gemäß § 10 AlVG den Anspruch auf Arbeitslosengeld von 12. November 2019 bis 23. Dezember 2019 verloren habe. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.

2 Das AMS habe dem Revisionswerber aufgetragen, sich in Eigeninitiative um Stellen zu bewerben und zumindest zwei Bewerbungen pro Woche nachzuweisen. Der Revisionswerber habe jedoch für den Zeitraum vom 12. Oktober 2019 bis 12. November 2019 keine Nachweise über Bewerbungen vorgelegt. Dieser Sachverhalt ergebe sich aus dem Akt des AMS. Der Revisionswerber habe vorgebracht, dass er aufgrund einer Erkrankung an der Vornahme von Bewerbungen gehindert gewesen sei. Zum Nachweis dieser Behauptung habe er jedoch ‑ trotz schriftlicher Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichtes ‑ keinen Nachweis vorgelegt. Soweit der Revisionswerber dazu in seiner Beschwerde auf im Akt des AMS befindliche medizinische Urkunden verwiesen habe, sei dem entgegenzuhalten, dass derartige Unterlagen tatsächlich nicht im Akt vorhanden seien. Der Tatbestand des § 10 Abs. 1 Z 4 AlVG sei daher erfüllt. Gründe für eine Nachsicht seien nicht hervorgekommen.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Das AMS hat nach Einleitung des Vorverfahrens mitgeteilt, auf die Einbringung einer Revisionsbeantwortung zu verzichten. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

4 Die Revisionswerber macht unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit seiner Revision geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe in Abweichung von (näher genannter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen, obwohl diese beantragt worden und zur Klärung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes erforderlich gewesen sei.

5 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

6 Der Revisionswerber hat im Beschwerdeverfahren ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der GRC entgegenstehen.

7 Bei Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt es sich um „civil rights“ im Sinn des Art. 6 EMRK (vgl. VwGH 13.5.2019, Ra 2019/08/0057, mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehört es im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer (bei Geltendmachung von „civil rights“ in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden) mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa VwGH 31.1.2019, Ra 2017/08/0015, mwN).

8 Der Revisionswerber ist im vorliegenden Fall dem Vorwurf des AMS, er habe im Sinn des § 10 Abs. 1 Z 4 ASVG keine ausreichenden Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung nachgewiesen (vgl. zu den Voraussetzungen einer solchen Annahme etwa VwGH 24.4.2014, 2013/08/0070) unter Erstattung eines Tatsachenvorbringens, dem nicht von vornherein die Prozessrelevanz abgesprochen werden kann, entgegengetreten.

9 Da die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung somit auf einer Verkennung der Vorgaben des § 24 VwGVG beruhte, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Wien, am 8. Juli 2020

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