VwGH Ro 2020/01/0004

VwGHRo 2020/01/000423.4.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der K M in L, vertreten durch Mag. Dr. Alfred Poferl, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Museumstraße 11/1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 11. Dezember 2019, Zl. LVwG‑750722/2/ER/AO, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Oberösterreichische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §69 Abs1 Z1
AVG §69 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGG §25a Abs1
VwGG §28
62008CJ0135 Janko Rottman VORAB
62017CJ0221 Tjebbes VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020010004.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Angefochtenes Erkenntnis

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache das Verfahren zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an die im Irak geborene Revisionswerberin wiederaufgenommen und ihr Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft abgewiesen (I.). Die Revision wurde für zulässig erklärt (II.).

2 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin habe eine Prüferin des Österreichischen Integrationsfonds gegen Bezahlung von Bestechungsgeld dazu bestimmt, Testanworten des „Deutsch-Tests für Österreich“ nachträglich zu berichtigten. Deshalb sei die Revisionswerberin wegen Bestechung (§ 307 Abs. 1 StGB) und (als Bestimmungstäterin) wegen Urkundenunterdrückung (§ 12 zweiter Fall iVm § 229 Abs. 1 StGB) strafgerichtlich verurteilt worden. Die Urkundenunterdrückung habe die Verleihung der Staatsbürgerschaft an die Revisionswerberin herbeigeführt. Somit lägen alle Voraussetzungen für die Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG vor.

3 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) in den Rechtssachen C‑135/08, Rottmann, und C‑221/17, Tjebbes u.a., und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf VwGH 30.9.2019, Ra 2018/01/0477) sei beim drohenden Verlust der Unionsbürgerschaft der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Jene Verfahren seien jedoch nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht mit dem gegenständlichen Verfahren vergleichbar. Vorliegend habe die Revisionswerberin jene Handlungen, deretwegen sie verurteilt worden sei, gerade zu dem Zweck begangen, die Verleihung der Staatsbürgerschaft herbeizuführen. Eine derart herbeigeführte Staatsbürgerschaft könne nicht dazu führen, dass ihr Wegfall durch ein wiederaufgenommenes Verfahren unverhältnismäßig sei, zumal dieser Vorsatztat jedenfalls erhebliches Gewicht zukomme, das schwerer wiege als allfällig durch die zu Unrecht erlangte Staatsbürgerschaft begründeten persönlichen Bindungen oder „Verwurzelungen“ der Revisionswerberin. Abgesehen davon trete das Verfahren nach Wiederaufnahme in jene Lage zurück, in der „sie sich“ vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden habe. Der Revisionswerberin sei vor der Verleihung der Staatsbürgerschaft aufgrund ihres Status als Asylberechtigte ein Aufenthaltsrecht zugekommen, weshalb sie auch ohne österreichische Staatsbürgerschaft in der Lage sei, ihre persönlichen Bindungen und „Verwurzelungen“ in Österreich aufrechtzuerhalten.

4 Einer (neuerlichen) Verleihung stehe das Verleihungshindernis der gerichtlichen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen einer Vorsatztat nach § 10 Abs. 1 Z 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) und das Fehlen eines Nachweises über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 10a Abs. 1 Z 1 StbG entgegen.

5 Die ordentliche Revision sei zulässig, da keine Rechtsprechung zur Frage der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Falle einer Wiederaufnahme eines Verfahrens, in der eine gerichtlich strafbare Handlung begangen worden sei, um die Verleihung einer österreichischen Staatsbürgerschaft ‑ und damit einhergehend der Unionsbürgerschaft ‑ herbeizuführen, und der darauffolgenden Abweisung des Antrags auf Verleihung der Staatsbürgerschaft existiere. Dieser Frage komme eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 6 VwGG mit der Revisionsbeantwortung der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.

Zulässigkeit

Allgemein

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

Zulässigkeitsvorbringen des Verwaltungsgerichts

10 Zweck der Begründungspflicht nach § 25a Abs. 1 zweiter Satz VwGG ist bei einer ordentlichen Revision die vom Verwaltungsgericht vorzunehmende Fokussierung auf die vom Verwaltungsgerichtshof zu lösende grundsätzliche Rechtsfrage (vgl. etwa VwGH 17.12.2019, Ro 2019/01/0012, 0013, mwN).

11 Mit der Zulassungsbegründung des Verwaltungsgerichts, es liege keine Rechtsprechung (des Verwaltungsgerichtshofes) zur Frage der Verhältnismäßigkeitsprüfung in der vorliegenden Fallkonstellation vor, wird keine grundsätzliche Rechtsfrage aufgezeigt:

12 Zunächst behandelt bereits das Urteil des EuGH vom 2. März 2010 in der Rechtssache C‑135/08, Rottmann, den Fall der Entziehung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats, weil die Einbürgerung durch Täuschung erschlichen wurde.

13 Der Verwaltungsgerichtshof geht ‑ dem EuGH folgend ‑ in Fällen, in denen die Verleihung der Staatsbürgerschaft erschlichen wurde, von der Erwägung aus, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft nach Maßgabe des § 69 Abs. 1 Z 1 (iVm Abs. 3) AVG grundsätzlich zulässig ist. Die Staatsbürgerschaftsbehörde hat in derartigen Fällen jedoch zu prüfen, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist; bei dieser Prüfung ist der Behörde ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, wobei es Sache des Verleihungswerbers ist, konkret darzulegen, dass die Behörde diesen Beurteilungsspielraum überschritten hat (vgl. zuletzt etwa VwGH 30.9.2019, Ra 2019/01/0281, mwN, unter anderem auf EuGH 2.3.2010, C‑135/08, Rottmann, und EuGH 12.3.2019, C‑221/17, Tjebbes u.a.).

14 Vorliegend ist nicht zu sehen, warum für die vom Verwaltungsgericht fallbezogen beurteilte Wiederaufnahme wegen Erschleichung nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG anderes gelten sollte. Der Umstand, dass im vorliegenden Einzelfall eine gerichtlich strafbare Handlung begangen wurde, um die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ‑ und damit der Unionsbürgerschaft ‑ herbeizuführen, ändert nichts daran, dass es sich um eine in der bisherigen Rechtsprechung bereits behandelte Erschleichung der Einbürgerung durch Täuschung gehandelt hat.

15 Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht nicht von dieser Rechtsprechung abgewichen, sondern hat eine den oben angeführten Leitlinien entsprechende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen.

Kein Zulässigkeitsvorbringen der Revision

16 Der Revisionswerber hat auch in der ordentlichen Revision von sich aus die im Lichte des Art. 133 Abs. 4 B‑VG maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Auffassung ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. für viele VwGH 17.12.2019, Ro 2019/01/0012, 0013, mwN).

17 Ein solches Zulässigkeitsvorbringen enthält die vorliegende Revision nicht.

Ergebnis

18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 23. April 2020

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