Normen
BAO §188
BAO §200 Abs1
BAO §200 Abs2
BAO §207
BAO §208 Abs1 litd
BAO §209 Abs1
BAO §209 Abs3
BAO §209 Abs4
BAO §295
BAO §303
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019150153.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Die mitbeteiligte Partei war ‑ nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) ‑ im Streitjahr u.a. an mehreren Gesellschaften als Mitunternehmer (Kommanditist) beteiligt und erklärte daraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Mit Bescheid vom 17. Februar 2009 veranlagte das Finanzamt ihn zunächst erklärungsgemäß. Aufgrund einer Wiederaufnahme erging am 22. Mai 2013 ein neuer Einkommensteuerbescheid.
2 Der gemäß § 188 BAO ergangene Feststellungsbescheid 2007 betreffend die Beteiligung S‑KG wurde am 6. Mai 2009 vorläufig erlassen. Als Begründung wurde ein noch nicht beendetes Rechtsmittelverfahren angeführt. Am 2. Februar 2018 nahm das für das Feststellungsverfahren zuständige Finanzamt (nach einer 2017 begonnenen Außenprüfung) das Verfahren gemäß § 303 BAO wieder auf und erließ einen (endgültigen) Feststellungsbescheid.
3 Der Feststellungsbescheid 2007 betreffend die Beteiligung U‑KG wurde am 23. Juli 2008 vorläufig erlassen. Der Bescheid blieb unbegründet. Am 23. Juni 2009 wurde er gemäß § 299 BAO aufgehoben und ein neuer Feststellungsbescheid vorläufig erlassen. Am 9. Jänner 2018 nahm das für das Feststellungsverfahren zuständige Finanzamt das Verfahren gemäß § 303 BAO wieder auf und erließ einen endgültigen Feststellungsbescheid.
4 Der Feststellungsbescheid 2007 betreffend die Beteiligung N‑KG wurde am 15. September 2008 endgültig erlassen. Der Bescheid blieb unbegründet. Am 14. Februar 2018 nahm das für das Feststellungsverfahren zuständige Finanzamt das Verfahren gemäß § 303 BAO wieder auf und erließ einen neuen (endgültigen) Feststellungsbescheid.
5 Aufgrund von abweichenden Mitteilungen des für die Einkünftefeststellung gemäß § 188 BAO zuständigen Finanzamtes betreffend S‑KG vom 2. Februar 2018 und betreffend U‑KG vom 14. Februar 2018 erließ das Finanzamt gegenüber der mitbeteiligten Partei gemäß § 295 BAO einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2007 vom 13. März 2018, der zu einer Erhöhung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Beteiligungen) führte.
6 Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde, in der er geltend machte, die Einkommensteuer 2007 sei bereits verjährt.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das BFG der Beschwerde betreffend Einkommensteuer 2007 ‑ nach einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung durch das Finanzamt und einem Vorlageantrag der mitbeteiligten Partei ‑ Folge und behob den bekämpften Bescheid ersatzlos. Begründend führte es aus, die Festsetzung der Einkommensteuer 2007 verjähre gemäß § 207 Abs. 2 iVm § 208 Abs. 1 lit. d und § 4 Abs. 2 lit. a Z 2 BAO grundsätzlich mit 31. Dezember 2012 und die absolute Verjährung trete gemäß § 209 Abs. 3 BAO grundsätzlich mit 31. Dezember 2017 ein, sofern keine Ausnahme des § 209 Abs. 4 BAO vorliege.
8 Das Verfahren nach § 188 BAO stelle sich als Bündelung eines Ausschnittes der Einkommensteuerverfahren aller Beteiligten dar. Die Vorläufigkeit eines Feststellungsbescheides schlage daher auf den abgeleiteten Bescheid durch und zwar auch dann, wenn dieser vorher endgültig erlassen worden sei (Hinweis auf Ellinger ua, BAO3 § 208 Anm 4, sowie VwGH 29.1.2015, 2012/15/0121).
9 Im Jahr 2018 habe das für die Feststellungsverfahren zuständige Finanzamt die Verfahren betreffend S‑, U‑ und N‑KG gemäß § 303 BAO wieder aufgenommen und (endgültige) Feststellungsbescheide erlassen. Die Abgabenbehörde habe sodann im Revisionsfall am 13. März 2018 ‑ außerhalb der 10‑jährigen Verjährung ‑ einen gemäß § 295 BAO geänderten Einkommensteuerbescheid erlassen, bei dem die neu festgestellten Anteile betreffend S‑, U‑ und N‑KG betragsmäßig berücksichtigt worden seien. Da die bescheidmäßige Umsetzung der Feststellungsverfahren außerhalb der absoluten (10‑jährigen) Verjährung der Einkommensteuer 2007 am 13. März 2018 erfolgt sei, sei dies nur dann zulässig, wenn ein Anwendungsfall des § 209 Abs. 4 BAO vorliege.
10 Gemäß § 209 Abs. 4 BAO verjähre das Recht, eine gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufige Abgabenfestsetzung wegen der Beseitigung einer Ungewissheit im Sinn des § 200 Abs. 1 BAO durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen, spätestens fünfzehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruchs.
11 Zwar seien zwei der betreffenden Feststellungsbescheide im Jahr 2008 bzw. 2009 vorläufig erlassen worden, was grundsätzlich auf das Einkommensteuerverfahren durchwirken und auch die absolute Verjährung auf (maximal) 15 Jahre erweitern würde, die Sonderregelung des § 209 Abs. 4 BAO gelte nach dem Gesetzeswortlaut jedoch nur für den Ersatz des vorläufigen Bescheides durch einen endgültigen Bescheid, nicht jedoch für auf andere Verfahrenstitel gestützte Abänderungen des vorläufigen Bescheides (Hinweis auf Ritz, BAO6 § 209 Rz 55). Im vorliegenden Fall seien die Verfahren über die Feststellung der Einkünfte jedoch zunächst gemäß § 303 BAO wiederaufgenommen und erst dann ein endgültiger Feststellungsbescheid erlassen worden. Es liege somit kein Fall des § 209 Abs. 4 BAO vor, der zu einer Verlängerung der absoluten Verjährungsfrist auf 15 Jahre führen und eine Festsetzung der Einkommensteuer 2007 im Jahr 2018 erlauben würde.
12 Die Änderung gemäß § 295 BAO im Einkommensteuerverfahren 2007 sei aufgrund der gemäß § 303 BAO wiederaufgenommenen Feststellungsverfahren und nicht ‑ wie in § 209 Abs. 4 BAO gefordert ‑ aufgrund der Ersetzung eines vorläufigen durch einen endgültigen Bescheid erfolgt. Das Recht auf Festsetzung der Einkommensteuer 2007 sei daher bezogen auf die drei streitgegenständlichen Beteiligungen mit 31. Dezember 2017 absolut verjährt. Die Bescheidänderung gemäß § 295 BAO vom 13. März 2018 sei daher schon deshalb zu Unrecht erfolgt und der Bescheid ersatzlos aufzuheben.
13 Eine Auseinandersetzung mit dem Vorliegen einer tatsächlichen Vorläufigkeit iSd § 200 BAO, dem Beginn der im Zusammenhang damit stehenden Verjährung und der Umsetzung einer Tangente eines nicht vorläufig ergangenen Feststellungsbescheides auch außerhalb der absoluten Verjährung könne folglich unterbleiben.
14 Die Revision erklärte das BFG für unzulässig, weil im Revisionsfall nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen worden sei bzw. sich die Rechtsfolgen aus den gesetzlichen Bestimmungen ergäben.
15 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Amtsrevision. Zu deren Zulässigkeit macht das revisionswerbende Finanzamt geltend, es liege noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Rechtsfrage vor, ob die längere absolute Verjährungsfrist von 15 Jahren (§ 209 Abs. 4 BAO) auch dann gelte, wenn ein vorläufiger Bescheid wegen Beseitigung einer Ungewissheit im Sinn des § 200 BAO durch einen endgültigen Bescheid ersetzt werde und der Ersatzbescheid im Zuge einer Wiederaufnahme des Verfahrens ergehe. Zur Auslegung des mit dem Betrugsbekämpfungsgesetz 2010 neu angefügten § 209 Abs. 4 BAO liege überdies bis dato noch gar keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vor. Insbesondere zu den beiden Fragen, wann iSd § 209 Abs. 4 BAO die Beseitigung einer Ungewissheit und wann eine endgültige Festsetzung vorliege, fehle Rechtsprechung.
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
17 Die Revision ist zulässig und begründet.
18 Gemäß § 209 Abs. 3 BAO verjährt das Recht auf Festsetzung einer Abgabe spätestens zehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches (absolute Verjährung).
19 Mit dem Betrugsbekämpfungsgesetz 2010 (BBKG 2010) wurde in § 209 Abs. 4 BAO neben der allgemeinen absoluten Verjährung eine verlängerte absolute Verjährungsfrist von 15 Jahren eingeführt. Demnach verjährt „abweichend von Abs. 3 ... das Recht, eine gemäß § 200 Abs. 1 vorläufige Abgabenfestsetzung wegen der Beseitigung einer Ungewissheit im Sinn des § 200 Abs. 1 durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen, spätestens fünfzehn Jahre nach Entstehung des Abgabenanspruches“.
20 Die Erläuterungen haben diese Ergänzung des Verjährungsrechts damit begründet, das „im Interesse der Betrugsbekämpfung in Fällen lang dauernder Ungewissheiten ... eine Verlängerung der ‚absoluten‘ Verjährungsfrist für den Fall erfolgen [soll], dass Bescheide gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig erlassen wurden“ (ErlRV 875 BlgNR 24. GP 7).
21 Auf welche Art und Weise ein vorläufiger Bescheid durch einen endgültigen Bescheid ersetzt wird, legt § 209 Abs. 4 BAO nicht fest. Dass die der endgültigen Festsetzung vorangehende Beseitigung des vorläufigen Bescheides nicht unmittelbar auf § 200 Abs. 2 BAO (sondern etwa ‑ wie im Revisionsfall ‑ auf § 303 BAO) gestützt worden ist, steht einer Anwendung des § 209 Abs. 4 BAO sohin ‑ entgegen der Auffassung des BFG ‑ nicht entgegen.
22 Wurde ein vorläufiger Abgabenbescheid rechtskräftig erlassen, ist es für eine Anwendbarkeit des § 209 Abs. 4 BAO auch unerheblich, ob tatsächlich eine Ungewissheit iSd § 200 Abs. 1 bestanden hat, da eine fehlende tatsächliche Ungewissheit einer Endgültigerklärung nach der hg. Rechtsprechung nicht entgegensteht (vgl. Ellinger ua, BAO3 § 209 Anm 41 sowie § 200 Anm 16 unter Hinweis auf VwGH 4. 9.1986, 86/16/0083; VwGH 27.2.2014, 2010/15/0073, mwH).
23 Die absolute Verjährung legt allerdings lediglich die äußerste zeitliche Grenze für die Abgabenfestsetzung fest und begrenzt damit insbesondere die (mehrfachen) Verlängerungsmöglichkeiten der Verjährungsfristen des § 207 BAO (vgl. Ellinger ua, BAO3 § 209 Anm 1).
24 Ungeachtet der offenen absoluten Verjährung iSd § 209 Abs. 4 BAO ist daher entscheidend, ob im Revisionsfall ‑ auch unter Berücksichtigung allfälliger Verlängerungsjahre ‑ nicht bereits die Festsetzungsverjährungsfrist des § 207 BAO abgelaufen ist (vgl. dazu Ritz, BAO6 § 209 Rz 57).
25 Eine diesbezügliche Auseinandersetzung blieb das BFG im angefochtenen Erkenntnis schuldig.
26 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, stellt sich das Verfahren nach § 188 BAO als Bündelung eines Ausschnittes der Einkommensteuerverfahren aller Beteiligten dar. Vorläufige Bescheide werden erlassen, um einen dem Grunde nach wahrscheinlich entstandenen Abgabenanspruch in jenen Fällen realisieren zu können, in denen der eindeutigen und zweifelsfreien Klärung der Abgabepflicht oder der Höhe der Abgabenschuld nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens vorübergehende Hindernisse entgegenstehen. Soweit im Rahmen eines Feststellungsverfahrens gemäß § 188 BAO die Höhe des einheitlichen Gewinnes bzw. Überschusses aufgrund vorübergehender Hindernisse nicht ermittelt werden kann, steht der Anteil am Gewinn bzw. Überschuss der einzelnen Beteiligten nicht fest. Diese Ungewissheit kommt durch die Erlassung eines vorläufigen Feststellungsbescheides zum Ausdruck und erfasst insoweit auch den abgeleiteten Einkommensteuerbescheid. Folglich liegt hinsichtlich dieser Ungewissheit auch dann ein Anwendungsfall des § 208 Abs. 1 lit. d BAO vor, wenn ein Feststellungsbescheid gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig ergangen ist und der davon abgeleitete Bescheid ‑ im Hinblick auf § 295 BAO ‑ endgültig erlassen wurde (vgl. VwGH 29.1.2015, 2012/15/0121).
27 Wurde ein vorläufiger Abgabenbescheid erlassen, obwohl keine Ungewissheit iSd § 200 Abs. 1 BAO bestanden hat, und erwächst ein derartiger Bescheid in Rechtskraft, so ist nach der hg. Rechtsprechung in der Folge auch für die Frage, mit welchem Zeitpunkt die Verjährung beginnt, von der Ungewissheit iSd § 200 Abs. 1 BAO bei Bescheiderlassung auszugehen. Dies hat zur Folge, dass der Verjährungsbeginn nach der Regelung des § 208 Abs. 1 lit. d BAO bestimmt wird und keinesfalls vor dem Zeitpunkt der Erlassung des vorläufigen Abgabenbescheids liegen kann. Entscheidend für den ‑ nach der Regelung des § 208 Abs. 1 lit. d BAO zu bestimmenden ‑ Beginn der Verjährung ist daher, ob zum Zeitpunkt der Erlassung der in Rede stehenden vorläufigen Bescheide ‑ objektiv gesehen ‑ eine Ungewissheit bestanden hat und wann diese Ungewissheit weggefallen ist. Hat tatsächlich keine Ungewissheit bestanden, beginnt die Verjährung mit Ablauf des Jahres der Erlassung des vorläufigen Bescheids (vgl. VwGH 27. 2. 2014, 2010/15/0073, mwN).
28 Zwar unterliegt die Erlassung von Feststellungsbescheiden selbst grundsätzlich nicht der Festsetzungsverjährung des § 207 Abs. 1 BAO (vgl. etwa VwGH 22.5.2013, 2009/13/0088), sodass § 207 BAO keine Grenze für deren Erlass bietet.
29 Allerdings ist für den Beginn und damit den Lauf der Verjährungsfrist für das Einkommensteuerverfahren 2007 die oben beschriebene Durchschlagswirkung einer vorläufigen Feststellung durch § 208 Abs. 1 lit. d BAO zeitlich befristet, wonach die Verjährung mit dem Ablauf des Jahres beginnt, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde.
30 Hat tatsächlich keine Ungewissheit bestanden, beginnt die fünfjährige Festsetzungsverjährung für die Einkommensteuer 2007 mit Ablauf des Jahres der Erlassung des vorläufigen Feststellungsbescheids betreffend die Beteiligung S‑ bzw. U‑KG, also in beiden Fällen mit Ablauf des Jahres 2009, und würde ‑ ohne Berücksichtigung von allfälligen Verlängerungshandlungen ‑ mit Ablauf 2014 und sohin deutlich vor dem Ende der absoluten Verjährungsfrist im Jahr 2022 enden.
31 Liegt ausschließlich eine Ungewissheit hinsichtlich der Lösung einer Rechtsfrage vor, begründet dies im Übrigen keine Ungewissheit im Sinne des § 200 BAO (vgl. dazu VwGH 28.10.1993, 93/14/0123).
32 Indem das Bundesfinanzgericht sich in Verkennung der Rechtslage einerseits hinsichtlich der revisionsgegenständlichen Feststellungsbescheide nicht näher mit dem tatsächlichen Bestehen allfälliger Ungewissheiten und gegebenenfalls dem Zeitpunkt von deren Beseitigung und den sich daraus für den Beginn der Verjährungsfrist des § 207 BAO ergebenden Folgen im Einkommensteuerverfahren und andererseits mit den für den weiteren Lauf der Verjährungsfrist relevanten Verlängerungshandlungen, die auch in den einzelnen Feststellungsverfahren erfolgt sein können, auseinander gesetzt hat, hat es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit behaftet.
33 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen (prävalierender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (Fehlen wesentlicher Feststellungen auf Grund unrichtiger Rechtsansicht) aufzuheben.
Wien, am 21. Oktober 2020
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