VwGH Ra 2019/01/0361

VwGHRa 2019/01/036114.1.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. September 2019, Zl. W111 2117871- 1/17E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: K L, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
MRK Art8
VwGG §42 Abs2 Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019010361.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinen Spruchpunkten A) II. und A) III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein georgischer Staatsangehöriger, stellte am 12. September 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29. Oktober 2015 wurde dieser Antrag vollinhaltlich abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt III.), sowie eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.). 3 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde des Mitbeteiligten hinsichtlich der Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz als unbegründet ab (Spruchpunkte A) I.), sprach in Erledigung der Beschwerde aus, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei (Spruchpunkt A) II.), und erteilte dem Revisionswerber gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 den Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten (Spruchpunkt A) III.). Im Übrigen erklärte das BVwG die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

5 Begründend führte das BVwG zur Person des Mitbeteiligten aus, dieser sei unbescholten, habe im Herkunftsstaat Eltern, eine Schwester sowie drei Kinder und lebe seit fünf Jahren im Bundesgebiet. In dieser Zeit habe er ein schützenswertes Privatleben in Österreich entwickelt. Der Mitbeteiligte habe die Dauer seines Aufenthalts nicht durch wiederholte Stellung unbegründeter Asylanträge zu verlängern versucht, habe sich grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet und verfüge über eine Einstellungszusage. Insgesamt könne daher von einer ausreichenden Integration des Mitbeteiligten und einer positiven Zukunftsprognose ausgegangen werden, sodass das Interesse an der Aufrechterhaltung des Privatlebens des Mitbeteiligten die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiege.

6 Gegen den Ausspruch der Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sowie gegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels (Spruchpunkte A) II. und A) III. des angefochtenen Erkenntnisses) richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurück-, in eventu die Abweisung der Revision.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Amtsrevision macht zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst geltend, das BVwG habe die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Grundsätze für die nach § 9 BFA-VG vorzunehmende Interessenabwägung missachtet, weil es das Kriterium des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG sowie die Bindung des Mitbeteiligten an den Herkunftsstaat nicht entsprechend berücksichtigt habe. Das führe im vorliegenden Fall dazu, dass die Interessenabwägung als unvertretbar einzustufen sei. Die vom BVwG herangezogenen Merkmale der Integration begründeten im vorliegenden Fall keine derart außergewöhnliche Situation, dass sich eine Aufenthaltsbeendigung als unzulässig darstellen würde. 8 Die Revision ist aus den dargelegten Gründen zulässig; sie ist auch begründet.

9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. für viele etwa VwGH 5.11.2019, Ra 2019/01/0348, mwN).

10 Die durch das BVwG durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist vom Verwaltungsgerichtshof also nur dann aufzugreifen, wenn das BVwG die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien und Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003).

11 Dies ist aus folgenden Erwägungen vorliegend der Fall:

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 28. Februar 2019, Ro 2019/01/0003, bereits ausführlich dargelegt, dass es maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Auf die nähere Begründung dieser Entscheidung wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen. Der darin angeführte Aspekt, es müsse unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht akzeptiert werden, dass ein Fremder mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen, trifft auch auf den Revisionsfall zu.

13 Indem das BVwG im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber den festgestellten privaten Interessen des Mitbeteiligten nicht entsprechend den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gewichtete und gänzlich außer Acht ließ, dass der Mitbeteiligte sowohl sämtliche Integrationsschritte in Bewusstsein seines unsicheren Aufenthaltsstatus setzte als auch, dass er starke Bindungen an den Herkunftsstaat hat, hat es im Revisionsfall die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien und Grundsätze nicht ausreichend beachtet und damit den ihm grundsätzlich eingeräumten Ermessensspielraum in unvertretbarer Weise überschritten.

14 Das Erkenntnis war schon deshalb im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 14. Jänner 2020

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