VwGH Ra 2018/11/0086

VwGHRa 2018/11/00868.10.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Krems gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 5. April 2018, Zl. LVwG‑S‑2738/001‑2017, betreffend Übertretung des AVRAG (mitbeteiligte Partei: F B in G, vertreten durch Riel Grohmann Sauer Rechtsanwälte in 3500 Krems, Gartenaugasse 1), zu Recht erkannt:

Normen

VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §50

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018110086.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 8. August 2017 wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, er habe entgegen § 7i Abs. 5 Arbeitsvertragsrechts‑Anpassungsgesetz (AVRAG) in Verbindung mit dem Kollektivvertrag für Arbeiter im Metallgewerbe seinem Sohn als Arbeitnehmer für den Zeitraum von 11. bis 17. Jänner 2016 nicht das kollektivvertraglich zustehende Entgelt von € 77,63 geleistet. Über den Mitbeteiligten wurde deshalb eine Geldstrafe von € 1.000,‑ ‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 6 Stunden) verhängt; außerdem wurde ihm ein Verfahrenskostenbeitrag von € 100,‑ ‑ vorgeschrieben.

2 Dagegen erhob der Mitbeteiligte Beschwerde und bestritt das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Der Sohn des Mitbeteiligten habe inzwischen den Familienbetrieb übernommen. Zuvor habe er nicht im Betrieb gearbeitet, sondern sporadisch und ohne Zwang hin und wieder mitgeholfen. Der Mitbeteiligte habe seinen Sohn nie angewiesen, mitzuhelfen ‑ im Gegenteil sei dieser auf den Mitbeteiligten zugekommen, wenn er habe mithelfen wollen. Es sei lebensnah und nachvollziehbar, dass der Sohn vor Übernahme des Familienbetriebs habe eingeschult werden müssen.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten gemäß § 50 VwGVG Folge, hob das angefochtene Straferkenntnis auf und sprach gemäß § 25a VwGG aus, dass die Revision unzulässig sei. Begründend führte es aus, gemäß § 7i Abs. 6 Z 1 AVRAG sei Strafvoraussetzung, dass dem Beschuldigten von der Behörde die Möglichkeit eingeräumt werde, dem Arbeitnehmer binnen einer festzusetzenden Frist die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem kollektivvertraglich gebührenden Entgelt zu bezahlen. Aktenkundig sei diese Voraussetzung nicht erfüllt, da eine entsprechende Einräumung der Möglichkeit und Fristsetzung im verwaltungsbehördlichen Verfahren unterblieben sei. Die Voraussetzungen zur Erlassung des angefochtenen Straferkenntnisses seien somit nicht erfüllt gewesen, weswegen spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (Amts‑)Revision. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung. Zur Zulässigkeit wird unter anderem vorgebracht, dass das Verwaltungsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, da das Straferkenntnis lediglich aufgehoben werde, aber kein weiterer, die Sache erledigender Ausspruch erfolgt sei. Des Weiteren habe sich das Verwaltungsgericht nicht damit auseinandergesetzt, dass die Tatbestände nach § 7i Abs. 6 Z 1 und Z 2 bzw. Z 3 AVRAG kumulativ vorliegen müssten.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 Die Revision ist aus den in ihr genannten Gründen zulässig, sie ist auch begründet.

7 § 7i des Arbeitsvertragsrechts‑Anpassungsgesetzes ‑ AVRAG, BGBl. Nr. 459/1993, in der Fassung BGBl. I Nr. 44/2016, lautet auszugsweise:

„Strafbestimmungen

§ 7i. ...

(5) Wer als Arbeitgeber/in einen/e Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen. ...

...

(6) Stellt die Bezirksverwaltungsbehörde fest, dass

1. der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt binnen einer von der Behörde festzusetzenden Frist nachweislich leistet, und

2. die Unterschreitung des nach Abs. 5 Z 1 maßgeblichen Entgelts unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien gering ist oder

3. das Verschulden des/der Arbeitgebers/in oder des/der zur Vertretung nach außen Berufenen (§ 9 Abs. 1 VStG) oder des/der verantwortlichen Beauftragten (§ 9 Abs. 2 oder 3 VStG) leichte Fahrlässigkeit nicht übersteigt,

hat sie von der Verhängung einer Strafe abzusehen. Ebenso ist von der Verhängung einer Strafe abzusehen, wenn der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührende Entgelt vor der Aufforderung durch die Bezirksverwaltungsbehörde nachweislich leistet und die übrigen Voraussetzungen nach dem ersten Satz vorliegen. In Verwaltungsstrafverfahren nach Abs. 5 ist § 45 Abs. 1 Z 4 und letzter Satz VStG nicht anzuwenden. Weist der/die Arbeitgeber/in der Bezirksverwaltungsbehörde nach, dass er/sie die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt geleistet hat, ist dies bei der Strafbemessung strafmildernd zu berücksichtigen.“

8 In Verwaltungsstrafsachen haben die Verwaltungsgerichte jedenfalls, also ohne dass die ausnahmsweise nach § 28 VwGVG bestehende Möglichkeit zur Aufhebung des Bescheids zum Tragen kommen könnte, in der Sache selbst zu entscheiden (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist). Diese grundsätzliche Verpflichtung zu einer reformatorischen Entscheidung ist schon verfassungsgesetzlich vorgegeben (Art. 130 Abs. 4 erster Satz B‑VG) und wird einfachgesetzlich in § 50 VwGVG wiederholt bzw. konkretisiert. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt mithin in Verwaltungsstrafsachen gemäß § 50 VwGVG eine (bloße) Aufhebung des vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheids nicht in Betracht. Es macht dabei keinen Unterschied, ob das Verwaltungsgericht das angefochtene Straferkenntnis nur (ersatzlos) behebt oder zusätzlich ausspricht, dass die Angelegenheit an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheids zurückverwiesen wird; in beiden Fällen wird die Verwaltungsstrafsache nicht abschließend erledigt (vgl. VwGH 27.4.2020, Ra 2018/11/0214, mwN).

9 Im Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht weder die Beschwerde zurückgewiesen, noch in der Sache selbst ‑ sei es durch Einstellung des Strafverfahrens oder im Sinn eines Schuldspruches ‑ entschieden, sondern das angefochtene Straferkenntnis der belangten Behörde lediglich aufgehoben. Schon damit hat es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. VwGH 6.9.2019, Ra 2019/11/0053 bis 0055, mwN).

10 Die Revision weist auch zutreffend darauf hin, dass ein Absehen von der Verhängung einer Strafe nach § 7i Abs. 6 erster Satz AVRAG nur in Betracht kommt, wenn der Arbeitgeber die Differenz zum gebührenden Entgelt binnen einer von der Behörde festzusetzenden Frist nachweislich geleistet hat (Z1) und die Unterschreitung des maßgeblichen Entgelts unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien gering ist (Z2) oder das Verschulden des Arbeitgebers (des zur Vertretung nach außen Berufenen bzw. des verantwortlichen Beauftragten) leichte Fahrlässigkeit nicht übersteigt (Z3).

11 Das Verwaltungsgericht hat sich vorliegend ausschließlich darauf gestützt, dass die belangte Behörde dem Mitbeteiligten keine Frist zur Leistung des noch ausstehenden Entgelts gesetzt habe, ohne darauf einzugehen, ob die Entgeltunterschreitung als gering zu bejahen sei oder das Verschulden des Mitbeteiligten leichte Fahrlässigkeit nicht überschritten habe, und auch insoweit die Rechtslage verkannt (vgl. abermals VwGH Ra 2018/11/0214). Das Verwaltungsgericht wird sich im fortgesetzten Verfahren im Übrigen auch mit dem Beschwerdevorbringen auseinanderzusetzen haben, dass kein Arbeitsverhältnis im Sinne des AVRAG vorgelegen sei (siehe hierzu VwGH 8.9.2016, Ra 2014/11/0083, mwN).

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

Wien, am 8. Oktober 2020

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