VwGH Ro 2019/21/0006

VwGHRo 2019/21/000626.6.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. Jänner 2019, G314 2212345-1/2E, betreffend insbesondere ersatzlose Behebung einer Rückkehrentscheidung und eines befristeten Einreiseverbotes (mitbeteiligte Partei: V J, vertreten durch Dr. Wolfgang Blaschitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 11/10), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §27 Abs1 Z1
AsylG 2005 §27 Abs2
AVG §39 Abs2
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §52 Abs1 Z2
FrPolG 2005 §52 Abs9
FrPolG 2005 §53 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RO2019210006.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte ist ein serbischer Staatsangehöriger, der in Österreich straffällig und deshalb wegen gewerbsmäßig schweren Einbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren und sechs Monaten rechtskräftig verurteilt wurde. Er ist nach seiner Festnahme am 16. April 2014 zunächst in Untersuchungshaft und anschließend in Strafhaft angehalten worden. Am 28. August 2015 wurde der Mitbeteiligte dann nach Erlassung von entsprechenden gerichtlichen Auslieferungsbeschlüssen den serbischen Behörden zur Vollstreckung von Freiheitsstrafen, die von serbischen Gerichten über ihn in den Jahren 2012 und 2013 verhängt worden waren, übergeben. Seitdem befindet er sich wieder in Serbien.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erließ gegenüber dem Mitbeteiligten den Bescheid vom 15. November 2018, mit dem gemäß § 52 Abs. 1 Z 2 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen und damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein mit acht Jahren befristetes Einreiseverbot verbunden wurde. Des Weiteren stellte das BFA noch gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung des Mitbeteiligten nach Serbien fest.

3 Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 30. Jänner 2019 Folge und es behob den genannten Bescheid des BFA ersatzlos. Das BVwG vertrat zusammengefasst die Meinung, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und des darauf aufbauenden Einreiseverbotes seien nicht mehr zulässig gewesen, weil das Verfahren nicht im Sinne des § 52 Abs. 1 Z 2 FPG binnen sechs Wochen ab der Ausreise des Mitbeteiligten eingeleitet worden sei. Daran anknüpfend sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehle, in welcher Form die Einleitung eines Rückkehrentscheidungsverfahrens im Sinne des § 52 Abs. 1 Z 2 FPG erfolgt sein müsse, insbesondere, ob und bejahendenfalls wie diese nach außen in Erscheinung getreten sein müsse.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (ordentliche) Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung - und Vorlage der Akten durch das BVwG (§ 30a Abs. 4 bis 6 VwGG) erwogen hat:

5 Die Revision ist aus dem vom BVwG genannten Grund, auf den sich der Sache nach auch das BFA in der Zulässigkeitsbegründung bezieht, unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig; sie ist auch berechtigt.

6 Abs. 1 des mit "Rückkehrentscheidung" überschriebenen § 52 FPG lautet:

"§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

  1. 1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
  2. 2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde."

    7 Die Gesetzesmaterialen (ErläutRV zum FNG 1803 BlgNR 24. GP  64) führen dazu aus:

    "Zu Z 150 (§ 52 Abs. 1)

    Der vorgeschlagene Abs. 1 entspricht dem ersten Satz des geltenden § 52 Abs. 1. Die übrigen Sätze des geltenden § 52 Abs. 1 finden sich nunmehr in Abs. 8. Es wird darauf abgestellt, dass die Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen zu erlassen ist, wenn er sich - wie bisher - nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (Z 1) und zudem nicht rechtmäßig aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise aus dem Bundesgebiet gegen ihn eingeleitet wurde (Z 2). Diese zweite Voraussetzung ist notwendig, da sich ein Drittstaatsangehöriger nicht durch eine Ausreise der aufenthaltsbeenden Maßnahme entziehen soll, da Österreich insoweit zur Erlassung einer solchen Maßnahme unionsrechtlich gegenüber den anderen Mitgliedstaaten durch die Rückführungsrichtlinie verpflichtet ist. Die Möglichkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, wenn der Drittstaatsangehörige bereits ausgereist ist, soll aber nicht zeitlich unbeschränkt gelten. Aus diesem Grund wird ein zeitlicher Konnex (binnen sechs Wochen) zwischen Ausreise und Einleitung eines Rückkehrentscheidungsverfahr ens hergestellt."

    8 Der Gesetzeswortlaut und die zitierten ErläutRV stellen zwar nur darauf ab, dass das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen nach der Ausreise eingeleitet werden muss. Fristwahrend ist freilich auch, wenn die Einleitung des Rückkehrentscheidungsverfahrens schon vor der Ausreise vorgenommen und die Rückkehrentscheidung erst danach erlassen wurde. Davon gehen auch das BVwG und das BFA in der Revision sowie der Mitbeteiligte in der Revisionsbeantwortung aus. Ebenso wird nicht bezweifelt, dass die Versäumung der genannten Frist die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und des - deren Erlassung gemäß § 53 Abs. 1 FPG voraussetzenden - Einreiseverbotes samt der Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG nach sich zieht und dass sich der Betroffene - wie der Mitbeteiligte in der Beschwerde - auf die Fristversäumung berufen kann. Schließlich wird zutreffend auch nicht in Frage gestellt, dass unter dem Begriff "Ausreise" nicht nur das in den ErläutRV angesprochene freiwillige Verlassen des Bundesgebietes zu verstehen ist, sondern auch eine zwangsweise Überstellung in den Zielstaat. 9 Strittig ist lediglich die Frage, welche Verfahrenshandlungen bewirken, dass das Rückkehrentscheidungsverfah ren im Sinne des § 52 Abs. 1 Z 2 FPG als eingeleitet gilt. 10 Das BVwG vertrat dazu im angefochtenen Erkenntnis unter Bezugnahme auf eine Kommentarstelle (Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht, Anm. 5 zu § 52 FPG) die Auffassung, die Verfahrenseinleitung "muss wohl, um geltend gemacht werden zu können, nach außen hin in Erscheinung getreten sein", was etwa durch eine Ladung oder durch eine Aufforderung zur Stellungnahme geschehen könne. Fallbezogen sei die nach außen in Erscheinung tretende Einleitung des gegenständlichen Rückkehrentscheidungsverfa hrens mit der wirksam erst an den Vertreter des Revisionswerbers gerichteten Aufforderung zur Stellungnahme ("Parteiengehör") vom 12. September 2018 erfolgt, somit "weit nach dem Ablauf der sechswöchigen Frist", die mit der Außerlandesbringung des Mitbeteiligten am 28. August 2015 begonnen habe.

    11 Demgegenüber meint das BFA, für die Einleitung des Rückkehrentscheidungsverfahrens im Sinne des § 52 Abs. 1 Z 2 FPG genüge es, dass die Behörde Verfahrensschritte setze, aus denen zweifelsfrei erkennbar sei, dass ein bestimmtes Verwaltungsverfahren von Amts wegen eingeleitet worden sei. Da hierfür kein bestimmter Verfahrensakt vorgeschrieben sei, bedürfe es nur eines von der Behörde intern eindeutig gesetzten Verwaltungshandelns, aus dem sich klar die Einleitung eines bestimmten Verfahrens ergebe. Warum dieses sonst in Verwaltungsverfahren geltende Prinzip in einem Rückkehrentscheidungsverfahren nicht gelten solle, werde vom BVwG nicht begründet. Auch in den ErläutRV fänden sich keine die Ansicht des BVwG stützenden Anhaltspunkte. Die für die Einleitung des Rückkehrentscheidungsverfahrens maßgeblichen (internen) Verfahrensakte stellten nach Auffassung des BFA im vorliegenden Fall somit schon die wiederholten, erstmals nach der Mitteilung von der Anhaltung des Mitbeteiligten in Untersuchungshaft am 23. April 2014 und dann nach der Übermittlung der Strafurteile erster und zweiter Instanz jeweils vorgenommenen Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR) und im Elektronischen Kriminalpolizeilichen Informationssystem (EKIS) dar. 12 Richtig ist jedenfalls, dass sich dem Wortlaut des § 52 Abs. 1 Z 2 FPG nicht entnehmen lässt, für die Einleitung des Rückkehrentscheidungsverfahrens bedürfe es eines bestimmten Verfahrensaktes. Insbesondere ist nicht ausdrücklich vorgeschrieben, dass die Verfahrenseinleitung mittels Bescheides zu erfolgen habe (siehe dazu etwa § 50 Abs. 1 Z 1 Flurverfassungs-GrundsatzG 1951 oder § 9 Abs. 3 BodenbeschaffungsG) oder dass es hierfür - wie nach § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 - einer an den Betroffenen gerichteten schriftlichen Verfügung oder - wie nach § 27 Abs. 2 AsylG 2005 - eines ausdrücklichen Aktenvermerks bedürfe. In einer solchen Konstellation bedarf es nach allgemeinen Grundsätzen aber zumindest eines von der Behörde intern eindeutig gesetzten Verwaltungshandelns, aus dem sich klar die Einleitung eines bestimmten Verfahrens ergeben muss (vgl. etwa das auch in der Amtsrevision zitierte Erkenntnis VwGH 21.6.2007, 2006/07/0096, mwN). Die Einleitung eines amtswegigen Verfahrens setzt einen entsprechenden Willensakt voraus, welcher der zuständigen Behörde zuzurechnen ist und seinem Inhalt nach - objektiv betrachtet - darauf abzielt, den Sachverhalt bezüglich der Voraussetzungen für den beabsichtigten Verwaltungsakt (hier die Rückkehrentscheidung) zu klären (vgl. VwGH 19.6.2018, Ra 2018/03/0023 bis 0025, Rn. 46, mwN; siehe zum Ganzen auch Hengstschläger/Leeb, AVG, Rz. 5 und 6 zu § 39).

    13 Im Hinblick auf den insoweit keine Einschränkungen enthaltenden Wortlaut des § 52 Abs. 1 Z 2 FPG sind keine ausreichenden Gründe ersichtlich, von dieser generellen Linie abzugehen und dem dort verwendeten Begriff der Einleitung des Verfahrens einen davon abweichenden Inhalt zu unterstellen, zumal auch das BVwG für die gegenteilige Auffassung - außer dem Hinweis auf eine nicht weiter begründete Kommentarstelle - keine nachvollziehbaren Argumente ins Treffen führt. Hätte der Gesetzgeber Abweichendes vor Augen gehabt, so wäre zu erwarten gewesen, dass er Entsprechendes auch ausdrücklich normiert. 14 Am Vorliegen der in Rn. 12 dargestellten Voraussetzungen kann in Bezug auf die vom BFA in Reaktion auf Mitteilungen betreffend das strafrechtliche Fehlverhalten des Mitbeteiligten durchgeführten ZMR- und EKIS-Abfragen kein Zweifel bestehen. Demzufolge wurde das gegen den Mitbeteiligten geführte Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung (samt Einreiseverbot) rechtzeitig im Sinne des § 52 Abs. 1 Z 2 FPG eingeleitet, sodass sich die dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde liegende Auffassung des BVwG als nicht tragfähig erweist. Dieses Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

    Wien, am 26. Juni 2019

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