VwGH Ra 2019/20/0379

VwGHRa 2019/20/03792.9.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des M H F in S, vertreten durch MMag.a Marion Battisti, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. März 2019, Zl. W248 2163600-1/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11 Abs1
MRK Art3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019200379.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 11. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Bescheid vom 22. Mai 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. 3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Begründend führte es zusammengefasst - und soweit für den gegenständlichen Revisionsfall von Interesse - aus, dem Revisionswerber könne zwar aufgrund der in seiner Herkunftsprovinz Logar vorherrschenden Sicherheitsprobleme eine Rückkehr dorthin nicht zugemutet werden, jedoch stünden ihm innerstaatliche Fluchtalternativen in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif zur Verfügung.

4 Mit Beschluss vom 11. Juni 2019, E 1368/2019-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis an ihn gerichteten Beschwerde ab und trat diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht. 5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 8 Die vorliegende außerordentliche Revision macht in ihren Zulässigkeitsgründen Begründungsmängel im Zusammenhang mit der Annahme des BVwG von zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternativen in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif geltend. Die Überlegungen des BVwG zu den verzeichneten Anschlägen in Kabul sowie die Möglichkeit, sich dort und in anderen afghanischen Großstädten ein ausreichendes Einkommen sichern zu können, würden von den vom BVwG getroffenen Feststellungen abweichen. Das Erkenntnis enthalte keine Begründung, weshalb trotz widersprüchlicher Beweisergebnisse zur Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat die näher angeführten Feststellungen getroffen worden seien. Im Hinblick auf die Versorgungslage in Kabul habe sich das BVwG auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gestützt, die sich auf die zwischenzeitig überholten UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 bezogen habe. Darüber hinaus seien keine Feststellungen dazu getroffen worden, ob der Revisionswerber im jeweiligen Neuansiedlungsgebiet ein Leben ohne unangemessene Härten führen könne und ob dessen Familie im Falle einer Rückkehr langfristig wirtschaftliche und soziale Unterstützung leisten könne bzw. wolle.

9 Dem angefochtenen Erkenntnis fehle im Zusammenhang mit der Begründung einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch eine hinreichende Auseinandersetzung mit den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018, denen zu entnehmen sei, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Kabul grundsätzlich zu verneinen sei. Auch im Hinblick auf die Verfügbarkeit von innerstaatlichen Fluchtalternativen in den Städten Herat und Mazar-e Sharif habe das BVwG die von UNHCR angemeldeten massiven Bedenken übergangen. Es habe sich vielmehr mit dem Hinweis darauf begnügt, dass die Provinz Balkh und die Stadt Herat vergleichsweise stabil und sicher seien.

10 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates selbstverständlich wesentliche Bedeutung hat. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein. Beim Kriterium der "Zumutbarkeit" handelt es sich um ein eigenständiges Kriterium, dem neben Art. 3 EMRK Raum gelassen wird. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. etwa VwGH 29.5.2019, Ra 2019/20/0208, mwN).

11 Es trifft auch zu, dass den Richtlinien des UNHCR besondere Beachtung zu schenken ist ("Indizwirkung"). Diese Indizwirkung bedeutet zwar nicht, dass die Asylbehörden in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR internationalen Schutz gewähren müssten. Allerdings haben die Asylbehörden (und dementsprechend auch das BVwG) sich mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN).

12 Entgegen dem Revisionsvorbringen traf das BVwG allerdings aktuelle Feststellungen zur allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in den für die innerstaatlichen Fluchtalternativen ins Auge gefassten Gebieten und setzte sich auch mit den am 30. August 2018 veröffentlichten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender auseinander. Auf dieser Grundlage kam das BVwG fallbezogen zum nicht unvertretbaren Ergebnis, dass dem alleinstehenden, gesunden und erwachsenen Revisionswerber, der über Schulbildung und mehrjährige Berufserfahrung verfüge, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zumutbar sei. Dagegen bringt die Revision nichts Konkretes vor. Das BVwG sprach darüber hinaus ergänzend - nachdem es ausdrücklich schon die Möglichkeit der Existenzsicherung durch den Revisionswerber alleine bejaht hatte - die verfügbare wirtschaftliche und soziale Unterstützung durch die nach wie vor in der Heimatprovinz lebende Familie an. Soweit die Revision - jedoch ohne darzulegen, warum die Familie des Revisionswerbers entgegen den Feststellungen über die traditionelle Rolle der Großfamilie in Afghanistan keine Unterstützung leisten würde - die Annahme des Vorhandenseins eines sozialen Netzwerkes rügt, genügt es darauf hinzuweisen, dass sich das BVwG diesbezüglich nicht tragend auf das Vorhandensein eines familiären Netzwerkes stützte, sodass insoweit das rechtliche Schicksal der Revision nicht von dieser Rechtsfrage abhängt. 13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 2. September 2019

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