VwGH Ra 2019/18/0216

VwGHRa 2019/18/021614.8.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das am 11. März 2019 mündlich verkündete und am 29. April 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, Zl. W208 2186103-1/14E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: F N, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Promenade 3), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52
MRK Art8
VwGG §42 Abs2 Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180216.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Anfechtungsumfang, sohin hinsichtlich seiner Spruchpunkte A) III. und IV., wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 3. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. 2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 12. Jänner 2018 wurde der Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

4 Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 11. März 2019 wies das BVwG diese Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des Bescheides als unbegründet ab (Spruchpunkte A) I. bis II.). Hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. des Bescheides wurde der Beschwerde stattgegeben. Unter einem wurde die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 52 FPG in Verbindung mit § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt (Spruchpunkt A) III.) und dem Mitbeteiligten der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 für die Dauer von 12 Monaten erteilt (Spruchpunkt A) IV.). Die ordentliche Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig (Spruchpunkt B)).

5 Begründend führte das BVwG zur Person des Mitbeteiligten im Wesentlichen aus, er sei ein der Volksgruppe der Hazara und dem schiitischen Glauben zugehöriger Staatsangehöriger Afghanistans, der in der Provinz Ghazni geboren sei. Er halte sich seit August 2015 in Österreich auf und verfüge seit Dezember 2018 über eine eigene Wohnung. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung überwögen im konkreten Einzelfall die privaten Interessen des Mitbeteiligten am Verbleib im österreichischen Bundesgebiet und an der Fortführung seines bestehenden Privatlebens gegenüber den öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens, weshalb sich eine Rückkehrentscheidung im Entscheidungszeitpunkt als unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK erweise. Dabei berücksichtigte das BVwG insbesondere den ca. dreieinhalbjährigen Aufenthalt des Mitbeteiligten, den Abschluss des zweiten Lehrjahres einschließlich seiner Leistung in der Berufsschule sowie sein darüber hinausgehendes berufliches Engagement für den österreichischen Denkmalschutz in der Erlernung traditioneller Schmiedetechniken. Der Mitbeteiligte habe sich um das Erlernen der deutschen Sprache besonders bemüht, nehme am Gemeinde- und Kulturleben teil und leiste freiwillige Arbeit für die Lebenshilfe. Er weise auch eine Beschäftigungsgarantie nach der Lehre auf und unterhalte eine enge Beziehung zu seiner Patin und seiner ehemaligen Betreuerin.

6 Gegen die Spruchpunkte A) III. und IV. des angefochtenen Erkenntnisses (Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und Erteilung eines Aufenthaltstitels) richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.

7 Zur Zulässigkeit führt die Revision zusammengefasst und unter Verweis auf näher bezeichnete Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs aus, das BVwG habe dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen nicht die nach der hg. Rechtsprechung zukommende Bedeutung beigemessen, indem es die Integration des Mitbeteiligten in unverhältnismäßiger Weise in den Vordergrund gestellt habe. Der Verwaltungsgerichtshof habe in vergleichbaren Fällen erkannt, dass eine derart außergewöhnliche Konstellation alleine aufgrund der Tatsache, dass ein Asylwerber in einem Lehrverhältnis stehe, gute Sprachkenntnisse habe, in einem Verein engagiert sei, sich ehrenamtlich betätige, soziale Kontakte geknüpft habe, gut integriert und unbescholten sei, nicht vorliege. Im Revisionsfall liege daher auch keine derartige Verdichtung vor, dass bereits von außergewöhnlichen Umständen gesprochen werden könnte, aufgrund derer dem Mitbeteiligten unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsse.

8 Zudem weiche das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil das BVwG über die Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung bzw. deren Gegenstück, die Feststellung der Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG und den damit einhergehenden Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 abspreche, obwohl es der Beschwerde gegen die Nichterkennung eines Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 stattgebe, indem es der Beschwerde gegen den Spruchpunkt III. des Bescheides stattgebe, ohne dies näher zu begründen. Über die Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden Spruchpunkte sei erst zu entscheiden, wenn ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde. 9 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragte, die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

 

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.

12 Der vorliegende Fall gleicht in seinen

entscheidungsrelevanten Fragen jenen, die mit Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofs vom 10. April 2019, Ra 2019/18/0049 und Ra 2019/18/0058, entschieden worden sind. Auf die nähere Begründung dieser Entscheidungen wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen. Aus den in diesen Erkenntnissen dargelegten Gründen besteht auch im vorliegenden Revisionsfall unter Berücksichtigung der umfassenden Integrationsbemühungen des Mitbeteiligten allein dadurch noch keine derartige Verdichtung seiner persönlichen Interessen, dass bereits von "außergewöhnlichen Umständen" gesprochen werden könnte und ihm schon deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsste.

13 Das angefochtene Erkenntnis war somit schon deshalb im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 14. August 2019

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte