VwGH Ra 2018/18/0447

VwGHRa 2018/18/044723.1.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision 1. der R M, 2. der N M und 3. des M M, alle vertreten durch Dr. Thomas Boller, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntnerstraße 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juli 2018, Zlen. 1) W253 2134542- 1/16E (ad 1.), 2) W253 2134550-1/16E (ad 2.) und 3) W253 2134547- 1/16E (ad 3.), betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180447.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind Mitglieder einer Familie. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der minderjährigen Zweitrevisionswerberin und des minderjährigen Drittrevisionswerbers. Sie sind alle Staatsangehörige Afghanistans und beantragten am 18. Jänner 2016 internationalen Schutz im Bundesgebiet.

2 Als Fluchtgrund gab die Erstrevisionswerberin in ihrer Einvernahme zunächst an, schon als Jugendliche die Absicht gehabt zu haben, nach Österreich zu kommen, um zu studieren. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei sehr schlecht. In ihrem vormaligen Wohnort in der Provinz Baghlan - in den letzten drei Jahren seien sie illegal im Iran aufhältig gewesen - seien die Taliban aktiv gewesen. Vor acht Jahren hätten die Taliban begonnen, ihren Mann dazu aufzufordern, ihre Söhne zu den Taliban zu schicken. Konkret passiert sei jedoch bis zur Ausreise nichts. Sie und ihre Töchter hätten das Haus nicht verlassen dürfen bzw. hätten sich verschleiern müssen. Die Kinder hätten nicht in die Schule gehen können. Die Zweitrevisionswerberin gab den Krieg und die Taliban als Fluchtgrund an. Sie habe das Haus nicht verlassen und nicht zur Schule gehen können. Der minderjährige Drittrevisionswerber habe dieselben Fluchtgründe.

3 Mit Bescheiden vom 11. August 2016 (betreffend die Erstrevisionswerberin und den Drittrevisionswerber) bzw. vom 13. August 2016 (betreffend die Zweitrevisionswerberin) wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der revisionswerbenden Parteien auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen fest.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide (Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten) als unbegründet ab, gab der Beschwerde jedoch hinsichtlich Spruchpunkt II. (Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten) Folge, erkannte den revisionswerbenden Parteien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihnen befristete Aufenthaltsberechtigungen. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

5 Begründend führte das BVwG - soweit entscheidungsrelevant - aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass die Erstbzw. die Zweitrevisionswerberin eine Lebensweise angenommen hätten, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Es stehe der Erstrevisionswerberin offen, ihren Beruf als Krankenschwester, welchen sie bereits in Kabul ausgeübt habe, in Afghanistan weiter auszuüben, da ihr Bruder und ihre Schwiegermutter, welche ihr die Berufsausübung verboten hätten, mittlerweile ausgereist seien. Die angeführten Freizeitaktivitäten und die sozialen Kontakte nehme die Erstrevisionswerberin nur im kleinstmöglichen Bewegungsradius und im vertrauten Umfeld wahr. Aus ihren Bemühungen um Integration lasse sich noch kein Rückschluss auf den Wunsch nach einer selbstbestimmten Lebensweise ziehen. Allein die in der Verhandlung getragene Kleidung und das Make-up würden nicht ausreichen, um eine westliche Orientierung darzutun. Auch die Zweitrevisionswerberin nehme ihre Freizeitaktivitäten in einer geschützten Sphäre wahr. Die Erstrevisionswerberin habe sich auch für eine Schulbildung der Zweitrevisionswerberin ausgesprochen. Aus den Länderberichten ergebe sich eine zunehmende Besserung der Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen. Ebenso habe eine asylrelevante Verfolgung des Drittrevisionswerbers aufgrund einer drohenden Zwangsrekrutierung durch die Taliban nicht glaubhaft dargelegt werden können.

6 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluss vom 26. November 2018, E 3328-3332/2018-16, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

7 Gegen das dargestellte Erkenntnis des BVwG richtet sich die nunmehr vorliegende außerordentliche Revision, welche zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, das BVwG sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur "westlichen Orientierung" abgewichen. Das BVwG habe das diesbezügliche Vorbringen inhaltlich nicht gewürdigt und die Beweiswürdigung sei nicht nachvollziehbar. Die revisionswerbenden Parteien hätten auch plausibel und ausführlich dargelegt, dass sie aus Angst vor einer Zwangsrekrutierung der Söhne durch die Taliban geflohen seien. Das BVwG habe jegliche Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen unterlassen und habe notwendige Ermittlungen hierzu nicht durchgeführt.

8 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Soweit sich die Erst- und die Zweitrevisionswerberin zunächst gegen die Beurteilung des BVwG betreffend ihre Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen mit westlicher Orientierung wenden, ist zunächst auf die hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, dazu führt, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0301 bis 0306, mwN).

13 Im gegenständlichen Fall setzte sich das BVwG mit dem von der Erst- und der Zweitrevisionswerberin erstatteten Vorbringen zu ihrer aktuellen Lebensweise und den vorgebrachten Alltagsbeschäftigungen auseinander, würdigte das entsprechende Vorbringen und kam letztlich - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - in einer nicht unvertretbaren Weise zum Ergebnis, dass die Erst- und die Zweitrevisionswerberin keine Lebensweise angenommen hätten, welche einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Der Revision gelingt es in diesem Zusammenhang nicht darzulegen, welche Umstände vom BVwG im vorliegenden Fall nicht berücksichtigt worden wären bzw. inwiefern die beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG in einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wären (vgl. hierzu etwa VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0157-0158, mwN). Die Revision beschränkt sich vielmehr darauf, das bereits erstattete Vorbringen zur Lebensweise der Erst- und der Zweitrevisionswerberin zu wiederholen und auszuführen, dass daraus eine "westliche Orientierung" abzuleiten sei. Eine unvertretbare Beweiswürdigung wird damit allerdings nicht aufgezeigt.

14 Insoweit die Revision in diesem Zusammenhang rügt, dass aus der Entscheidung des BVwG nicht erkennbar sei, inwieweit das Gericht seine Einschätzung auf die Herkunftsregion oder auf Kabul beziehe, ist dem entgegenzuhalten, dass das BVwG - wie eben ausgeführt - bereits tragfähig eine angenommene westlich orientierte Lebensweise verneinte.

15 Ebenso vermochte die Revision keine unschlüssige Beweiswürdigung des BVwG hinsichtlich der behaupteten Zwangsrekrutierung des Drittrevisionswerbers darzutun. Soweit die Revision in diesen Zusammenhang Ermittlungsmängel ins Treffen führt, gelingt es ihr nicht, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels in ausreichender Weise darzutun (vgl. zur Relevanzdarlegung etwa VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0107, mwN).

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 23. Jänner 2019

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