VwGH Ra 2018/21/0011

VwGHRa 2018/21/001115.3.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16. November 2017, W171 2108735- 2/3E, betreffend Ausweisung gemäß § 66 FPG (mitbeteiligte Partei:

X D in W, vertreten durch Dr. Eleni Diamanti, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Weyrgasse 6), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28 Abs5;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210011.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein chinesischer Staatsangehöriger, hält sich seit April 2012 in Österreich auf und heiratete am 23. Mai 2012 eine italienische Staatsangehörige. Im Hinblick auf diese Ehe erhielt der Mitbeteiligte eine bis 23. Mai 2017 befristete Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 NAG als Angehöriger einer unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgerin.

2 Nachdem das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Wege der Niederlassungsbehörde davon Kenntnis erhalten hatte, dass die erwähnte Ehe des Mitbeteiligten am 1. Oktober 2014 rechtskräftig geschieden worden war, erließ es den Bescheid vom 26. Mai 2015, mit dem der Mitbeteiligte gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen wurde. Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen für das Weiterbestehen seines Aufenthaltsrechtes nach § 54 Abs. 5 Z 1 NAG lägen nicht vor, weil der Mitbeteiligte mit seiner italienischen Ehefrau nicht mindestens drei Jahre verheiratet gewesen sei. Schon deshalb komme ihm das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht mehr zu.

3 In der dagegen erhobenen Beschwerde machte der Mitbeteiligte (unter anderem) geltend, vom BFA sei nicht berücksichtigt worden, dass er zur Arbeitssuche eingereist sei und nachweisen könne, dass er weiterhin Arbeit suche und begründete Aussicht habe, eingestellt zu werden. Diesbezüglich wurde eine "Arbeitsbestätigung" vom 28. Mai 2015 betreffend die Beschäftigungsmöglichkeit in einem bestimmten Restaurant vorgelegt.

4 "In Erledigung der Beschwerde" behob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Beschluss vom 1. August 2016 den Bescheid des BFA vom 26. Mai 2015 und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 (zweiter Satz) VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück.

5 In der rechtlichen Beurteilung dieser Entscheidung führte das BVwG zunächst aus, dem BFA sei insofern beizutreten, als der Tatbestand des § 54 Abs. 5 Z 1 NAG mangels Erfüllung der zeitlichen Voraussetzung des dreijährigen Bestehens seiner Ehe nicht verwirklicht sei, sodass das Aufenthaltsrecht des Mitbeteiligten auf dieser Grundlage nicht weiter erhalten bleiben könne. Die "lex specialis" für die Erlassung einer Ausweisung (unter anderem) gegen begünstigte Drittstaatsangehörige enthalte § 66 FPG, dessen Inhalt vom BVwG bei Darstellung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen zuvor wörtlich wiedergegeben worden war. Nach dem ersten Halbsatz von dessen Abs. 1 können (unter anderem) begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Offenbar an die zuletzt genannte Einschränkung anknüpfend meinte das BVwG dann, der Beschwerde sei insofern beizupflichten, als das BFA Ermittlungen dazu unterlassen habe, ob der Mitbeteiligte zur Arbeitssuche eingereist sei und nachweisen könne, dass er weiterhin Arbeit suche und begründete Aussicht habe, eingestellt zu werden. Es seien daher bereits hinsichtlich dieser in § 66 Abs. 1 FPG normierten Voraussetzung für eine allenfalls vorzunehmende Ausweisung des Mitbeteiligten die notwendigen Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen worden. Im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer in der Einvernahme am 26. Mai 2015 vorgebrachte Erwerbstätigkeit wären aber entsprechende Sachverhaltsermittlungen geboten gewesen, die das BFA nicht vorgenommen habe. Im fortgesetzten Verfahren werde somit "auch anhand des Beschwerdevorbringens ebenjener, einer allfälligen Ausweisung vorgelagerter Sachverhalt zu ermitteln sein".

6 Dieser Beschluss des BVwG vom 1. August 2016 blieb unbekämpft. 7 Nach Durchführung ergänzender Ermittlungen wies das BFA den Mitbeteiligten mit Bescheid vom 28. Juni 2017 neuerlich gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

8 In der dagegen erhobenen Beschwerde bemängelte der Mitbeteiligte (unter anderem) wiederum mehrfach, vom BFA sei nicht berücksichtigt worden, dass er zur Arbeitssuche eingereist sei und nachweisen könne, dass er weiterhin Arbeit suche, wobei in diesem Zusammenhang auf eine aktuelle "Arbeitsbestätigung" vom 1. März 2017 verwiesen wurde. Aus dem Vorliegen dieser Umstände sei (rechtlich) zu folgern, dass die Ausweisung des Mitbeteiligten gemäß § 66 FPG unzulässig sei. Darauf sei vom BFA auch im fortgesetzten Verfahren nicht Bedacht genommen worden, obwohl das BVwG im Beschluss vom 1. August 2016 die Unterlassung diesbezüglicher Ermittlungen bemängelt habe.

9 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des BVwG vom 16. November 2017 wurde dieser Beschwerde stattgegeben und der bekämpfte Bescheid des BFA gemäß § 28 Abs. 2 iVm § 27 VwGVG aufgehoben.

10 In der rechtlichen Beurteilung dieser Entscheidung ging das BVwG - wie das BFA - neuerlich davon aus, dass "in Ermangelung einer mindestens drei Jahre andauernden Ehe sowie (mangels) Bestehens eines Härtefalls" die Ausnahmetatbestände im Sinne des § 54 Abs. 5 (Z 1 und 4) NAG nicht vorlägen, weshalb dem Mitbeteiligten gemäß § 55 (Abs. 3) NAG kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht mehr zukomme. Bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht könne "der Betroffene" (gemeint: ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger) gemäß § 66 Abs. 1 FPG ausgewiesen werden, es sei denn, dieser sei zur Arbeitssuche eingereist und könne nachweisen, dass er weiterhin Arbeit suche und begründete Aussicht habe, eingestellt zu werden. Aus § 55 Abs. 4 NAG gehe klar hervor, dass in den davon erfassten Konstellationen die Frage der Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung anhand des § 66 FPG zu prüfen sei, ohne dass es auf das Vorliegen der "Eigenschaft" des Fremden als begünstigter Drittstaatsangehöriger ankomme (Hinweis auf VwGH 18.6.2013, 2012/18/0005). Trotz Auflösung der Ehe mit einer EWR-Bürgerin und somit Nichtvorliegens der formalen Voraussetzungen für die Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger sei daher zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme in Bezug auf den Mitbeteiligten § 66 FPG anzuwenden.

11 Der Mitbeteiligte sei - so führte das BVwG dann in Anknüpfung an entsprechende, bereits an anderer Stelle seiner Entscheidung getroffene Sachverhaltsfeststellungen aus - seit 26. April 2012 in Österreich gemeldet und vom 6. Juni 2012 bis 31. Mai 2015 durchgehend in Österreich erwerbstätig gewesen. Die Einreise nach Österreich im Jahr 2012 sei daher offenbar (auch) zur Arbeitssuche erfolgt. Die Erwerbstätigkeit des Mitbeteiligten sei am 31. Mai 2015 aufgrund des Ausweisungsbescheides vom 26. Mai 2015 beendet worden. Der Mitbeteiligte sei seit 1. Juni 2015 "selbstversichert" und verfüge über eine Einstellungszusage. Aufgrund der Tatsachen, dass der Mitbeteiligte kurz nach seiner Einreise nach Österreich eine Erwerbstätigkeit aufgenommen, diese offenbar aufgrund des genannten Bescheides des BFA beendet habe und nach Erhalt einer "Aufenthaltsbewilligung" seine Erwerbstätigkeit wieder aufnehmen werde, stehe für das BVwG fest, dass der Mitbeteiligte zur Arbeitssuche eingereist sei, weiterhin Arbeit suche (bzw. bereit sei, wieder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen) und begründete Aussicht habe, eingestellt zu werden.

12 Aus diesem Grund - so resümierte das BVwG - erweise sich der Bescheid des BFA vom 28. Juni 2017 als rechtswidrig, weshalb er gemäß § 28 Abs. 2 iVm § 27 VwGVG (gemeint: ersatzlos) aufzuheben sei. Außerdem sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, über deren Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

14 In der Amtsrevision wird der wiedergegebenen rechtlichen Beurteilung des BVwG entgegengetreten und zunächst die Frage gestellt, ob im vorliegenden Fall gegen den Mitbeteiligten nach dem Wegfall seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts und des damit bewirkten Verlusts der Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger statt einer Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 Z 1a FPG bzw. nach Ablauf der Gültigkeit der Aufenthaltskarte eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG zu erlassen gewesen wäre. Im Übrigen wird in der Amtsrevision der Standpunkt vertreten, dass das vom BVwG herangezogene Tatbestandsmerkmal im § 66 Abs. 1 FPG ("es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden") im vorliegenden Fall, in dem dem Mitbeteiligten die Eigenschaft als begünstigter Drittstaatsangehöriger nicht mehr zukomme, nicht anwendbar sei.

15 Dabei wird vom revisionswerbenden BFA allerdings außer Acht gelassen, dass der im ersten Rechtsgang von der gegenteiligen Ansicht ausgehende Beschluss des BVwG vom 1. August 2016 unbekämpft blieb und unverändert dem Rechtsbestand angehört. Das BFA war daher im zweiten Rechtsgang gemäß § 28 Abs. 3 letzter Satz VwGVG an die diesem Beschluss zugrunde liegende (tragende) rechtliche Beurteilung gebunden, gegen den Mitbeteiligten, dem unbestritten ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht als begünstigter Drittstaatsangehöriger (Ehemann einer EWR-Bürgerin, die ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat) nicht mehr zukommt, könne (nur) eine Ausweisung erlassen werden, deren Zulässigkeit am Maßstab des § 66 FPG - unter Einbeziehung der sich aus dem ersten Halbsatz des Abs. 1 ergebenden Einschränkung ("es sei denn, ...") - zu prüfen sei. An diese Rechtsauffassung war auch das BVwG bei Erlassung des bekämpften Erkenntnisses und ist nunmehr auch der Verwaltungsgerichtshof gebunden, selbst wenn sie allenfalls rechtswidrig gewesen sein sollte. Damit stellen sich die in der Amtsrevision aufgeworfenen Fragen im vorliegenden Fall nicht (siehe zum Ganzen VwGH 29.6.2017, Ra 2016/04/0118, Rn. 13, unter anderem mit dem Hinweis auf VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0166, und auf VwGH 29.7.2015, Ra 2015/07/0034, Punkt II.2.3.). Soweit dort im Übrigen auf den mittlerweile eingetretenen Ablauf der bis 23. Mai 2017 bestehenden Gültigkeit der Aufenthaltskarte hingewiesen wird, genügt es zu erwidern, dass dieser Umstand keine maßgebliche, die Bindungswirkung durchbrechende Sachverhaltsänderung darstellt.

16 In der gegenständlichen Amtsrevision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im vorliegenden Fall konkrete und im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 dritter Fall VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 15. März 2018

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