European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018200224.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 7. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund brachte er im Wesentlichen vor, dass er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara Probleme mit den Taliban gehabt hätte.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Antrag mit Bescheid vom 7. März 2017 hinsichtlich des Status sowohl des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber und stellte unter einem fest, dass dessen Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
3 Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 28. Dezember 2017 als unbegründet ab. Weiters sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
4 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 23. März 2018, E 215/2018-7, ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5 Zur Zulässigkeit der gegenständlichen außerordentlichen Revision bringt der Revisionswerber im Wesentlichen vor, die vom BVwG bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz angenommene innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul komme für den Revisionswerber nicht in Frage, weil er bisher noch nie dort gelebt habe und darüber hinaus über keine familiären Anknüpfungspunkte bzw. kein soziales Netz verfüge. Der Revisionswerber habe zu seiner Familie keinen Kontakt mehr, nachdem sie erfahren habe, dass er sich für das Christentum interessiere. Das BVwG nehme zwar an, dass eine Unterstützung des Revisionswerbers durch seine Familie möglich sei, habe sich allerdings mit dieser Vermutung nicht inhaltlich auseinandergesetzt. Weiters gehe das BVwG davon aus, dass der bisherige Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich zu kurz sei, um ein schützenswertes Privatleben im Sinn des Art. 8 EMRK zu begründen und es sei die Annahme eines Automatismus, wonach ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer Aufenthaltsdauer von nur drei Jahren jedenfalls abzuweisen sei, verfehlt. Das BVwG missachte, dass sich der Revisionswerber in Österreich bestens integriert habe. Darüber hinaus sei vom Verwaltungsgerichtshof noch nicht entschieden worden, welches Gewicht einer angefangenen Lehre in Österreich im Hinblick auf die Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK zukomme.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK seitens des Betroffenen notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 30.1.2018, Ra 2017/20/0406, mwN)
10 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. Mit Bezug auf die Verhältnisse in Afghanistan wurde ausgeführt, es könne zutreffen, dass ein alleinstehender Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und ohne finanzielle Unterstützung in der afghanischen Hauptstadt Kabul (anfangs) mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sei. Soweit es sich aber um einen jungen und gesunden Mann, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, handle, sei - auf der Grundlage der allgemeinen Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat - nicht zu erkennen, dass eine Neuansiedlung in Kabul nicht zugemutet werden könne (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).
11 Im vorliegenden Fall hat das BVwG gemäß der angeführten Rechtsprechung geprüft, ob im Fall der Rückkehr des Revisionswerbers - eines arbeitsfähigen, jungen Mannes mit fünfjähriger Schulbildung und beruflicher Erfahrung in der Landwirtschaft - nach Afghanistan eine reale Gefahr ("real risk") einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK besteht und es begegnet die Einschätzung des BVwG, der Revisionswerber finde aufgrund der aufgezeigten Umstände in Kabul eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vor, im Ergebnis keinen Bedenken. Der Verfassungsgerichtshof hat im Übrigen im vorliegenden Fall auch keine Verletzung der nach Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte angenommen (vgl. den angeführten Ablehnungsbeschluss vom 23. März 2018).
12 Soweit der Revisionswerber sich gegen die Rückkehrentscheidung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474, mwN).
13 Entgegen dem Revisionsvorbringen stützte sich das BVwG nicht bloß auf die etwas mehr als zweijährige Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers in Österreich, sondern berücksichtigte in seiner Interessenabwägung auch die Integrationsbemühungen des Revisionswerbers, etwa seine Deutschkenntnisse und sozialen Kontakte, und stellte fest, dass der Revisionswerber seit 1. Jänner 2017 mit einer Lehrausbildung begonnen habe. Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass die im vorliegenden Einzelfall vorgenommene Abwägung des BVwG unvertretbar erfolgt wäre. Ausgehend davon kommt auch der von der Revision aufgeworfenen Frage nach dem "Gewicht einer angefangenen Lehre in Österreich" keine grundsätzliche Bedeutung zu.
14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 29. Mai 2018
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