VwGH Ra 2018/01/0415

VwGHRa 2018/01/041514.12.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des A B in S (USA), vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 13. Februar 2018, Zl. VGW- 152/065/13454/2017-10, betreffend Beibehaltung der Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

StbG 1985 §28 Abs2;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018010415.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Angefochtenes Erkenntnis

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Sache nach der Antrag des Revisionswerbers auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 28 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) abgewiesen (I.). Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt (II.).

2 Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, der Revisionswerber sei seit Geburt österreichischer Staatsbürger. Im Jahr 1989 sei der Revisionswerber zu Studienzwecken in die USA gegangen und nach abgeschlossenem Studium und einem kurzen Aufenthalt in Österreich 1995 wiederum in die USA gezogen, wo er seine jetzige Ehefrau geheiratet habe. Seit 1995 halte sich der Revisionswerber durchgehend - abgesehen von zwischenzeitlichen Besuchen seiner Mutter in Österreich - in den USA auf. Er sei im Besitz einer "Green Card".

3 Zuletzt sei der Revisionswerber 2007 nach Österreich gereist, um seine mittlerweile 72-jährige Mutter zu besuchen. Diese leide an einer rezidivierenden depressiven Störung, wobei sich ihr Zustand in den letzten Jahren verschlechtert habe. Ihr Sohn und ihre Schwiegertochter seien ihre einzigen Verwandten.

4 Der Revisionswerber selbst leide an einer seltenen genetischen neuromuskulären Erkrankung, weshalb regelmäßige Untersuchungen erforderlich seien, die jedoch auf Grund der Seltenheit nur in den USA möglich seien. Auf Grund der hohen Kosten könne er diese jedoch nur dann durchführen lassen, wenn er weiterhin in den USA krankenversichert sei. Durch seine neuromuskuläre Erkrankung sei der Revisionswerber auf die Pflege durch seine Ehefrau im Alltag angewiesen, insbesondere für den Transport zu Arztterminen sowie bei bestimmten hygienischen Pflegebedürfnissen.

5 Seine Ehegattin plane in naher Zukunft eine zwei- bis dreijährige Beschäftigung in Europa aufzunehmen. Das Unternehmen sei in Irland, der Arbeitgeber der Ehegattin erlaube dieser jedoch auch, von Österreich aus zu arbeiten. In der dazu vom Arbeitgeber ausgestellten Bestätigung werde jedoch weder der für die Ehegattin angestrebte Aufenthaltstitel noch der konkret geplante Arbeitsbeginn noch der exakte Arbeitsort in Europa angegeben.

6 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht sodann aus, der Revisionswerber habe folgende Beeinträchtigungen aus dem Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft zu erwarten:

Zuletzt sei der Revisionswerber vor zehn Jahren, im Jahr 2007, zu Besuchszwecken nach Österreich gereist. Trotz der seit Jahren bestehenden psychischen Krankheit der Mutter komme der Revisionswerber dennoch nicht öfter zu Besuch, weshalb ausgehend vom bisherigen Verhalten des Revisionswerbers auch in Zukunft Besuche innerhalb visumfreier Zeiten als ausreichend erschienen und deshalb durch den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft in dieser Hinsicht keine extreme Beeinträchtigung des Familienlebens erfolge. Zudem sei eine konkrete Pflegebedürftigkeit der Mutter gegenwärtig noch nicht gegeben und auch für die Zukunft nicht absehbar.

Die Ehegattin des Revisionswerbers plane ohne bereits konkretisierten Arbeitsbeginn, zwei bis drei Jahre in Europa zu arbeiten, wobei unklar sei, ob sie sich in Irland oder in Österreich aufhalten müsse. Die Ehegattin benötige für diesen Aufenthalt einen entsprechenden Aufenthaltstitel. Der Revisionswerber sei von der Pflege seiner Ehegattin abhängig, weshalb er gemeinsam mit ihr nach Europa zu gehen beabsichtige. Für den Fall des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft würde der Revisionswerber in diesem Fall einen Aufenthaltstitel für Österreich bzw. Irland benötigen. Die Formalitäten für die Beantragung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke eines regelmäßigen Aufenthalts stellten jedoch keine berücksichtigungswürdigenden Gründe im Sinne des § 28 Abs. 2 StbG dar. Eine Krankenbehandlung in den USA und somit eine mögliche Ausreise für die Dauer der Krankenbehandlung wäre für einen amerikanischen Staatsbürger möglich und würde nicht den Verlust eines europäischen Aufenthaltstitels zur Folge haben.

7 Weiters würden sich folgende Beeinträchtigungen aus der Nichtannahme der US-amerikanischen Staatsbürgerschaft ergeben:

Der Revisionswerber habe vorgebracht, durch längere Auslandsaufenthalte möglicherweise die "Green Card" und damit einhergehend die notwendige Krankenversicherung zu verlieren, welche eine weitere Behandlung seiner seltenen Krankheit auf Grund der hohen Kosten erst ermögliche. Der Revisionswerber sei auf die Pflege seiner Ehegattin angewiesen, weshalb er - falls diese nach Europa gehe - diese begleiten müsse. Dies sei wiederum ohne den mit einem länger andauernden Aufenthalt in Europa einhergehenden Verlust der "Green Card" nicht möglich.

Verliere der Revisionswerber die "Green Card", sei ihm auch eine entsprechende Behandlung seiner Krankheit nicht mehr möglich. Eine neuerliche Krankenversicherung in Amerika - ohne Inhaber einer "Green Card" zu sein - sei auf Grund der nunmehr als "Vorerkrankung" zu qualifizierenden genetischen neuromuskulären Erkrankung schwierig. Der Revisionswerber habe jedoch zusätzlich vorgebracht, nicht jedes Jahr für fachärztliche Untersuchungen in die USA zu reisen, sondern nur, falls sich neue Behandlungsmethoden ergeben würden. Ob solche neuen Behandlungsmethoden vorliegen würden, sei nicht absehbar.

Die Dauer des Auslandsaufenthalts der Ehegattin sei zeitlich nicht konkretisierbar, werde jedoch vom Arbeitgeber auf zwei bis drei Jahre geschätzt. Im Falle des Verlustes der "Green Card" stünden dem Revisionswerber als Ehegatten einer US-Bürgerin die Möglichkeit offen, diese neuerlich zeitgerecht zu beantragen und dadurch in die USA zurückzukehren. Eine im Verfahren zur Erteilung der "Green Card" möglicherweise lange Bearbeitungsdauer bewirke keine extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens. Für den Fall der neuerlichen Erteilung der "Green Card" stünden dem Revisionswerber zudem auch der Abschluss einer Krankenversicherung und dementsprechend notwendige medizinische Behandlungen offen.

Somit liege ein für die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft besonders berücksichtigungswürdigender Grund im Privat- und Familienleben des Revisionswerbers nicht vor. Die Voraussetzungen für die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft gemäß § 28 Abs. 2 StbG seien sohin nicht erfüllt.

8 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH), welche deren Behandlung mit Beschluss vom 12. Juni 2018, E 1057/2018-5, ablehnte, weil spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die Regelung des § 28 StbG im Hinblick auf die konkrete Situation des Revisionswerbers in jeder Hinsicht rechtsrichtig angewendet worden sei, nicht anzustellen seien. Mit Beschluss vom 10. Juli 2018, E 1057/2018-7, wurde die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

9 Nunmehr richtet sich gegen dieses Erkenntnis die vorliegende außerordentliche Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 7 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.

10 Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht verzichtete auf die Erstattung einer Revisionsbeantwortung. Zulässigkeit

11 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, die familiäre Situation des Revisionswerbers sei außergewöhnlich, zumal er unter einer extrem seltenen, genetisch bedingten Erkrankung leide, die chronisch sei und derzeit Behandlungen nur in den USA durchgeführt werden könnten. Der Revisionswerber sei durch seine Erkrankung auf fremde Hilfe im alltäglichen Leben angewiesen, die von seiner Ehefrau geleistet werde. Eine Trennung von seiner Ehefrau, sei es nur für wenige Wochen, sei daher weder möglich noch zumutbar.

12 Hinzu komme, dass die im Bundesgebiet lebende österreichische Mutter des Revisionswerbers alleinstehend sei und außer dem Revisionswerber keine weiteren Verwandten mehr habe. Ihr Gesundheitszustand werde auf Grund des fortgeschrittenen Alters zunehmend schlechter. Eine lange Flugreise zu ihrem Sohn sei nicht mehr möglich. Ein kurzfristiger Besuch der Mutter im Bundesgebiet sei für den Revisionswerber auf Grund seines schlechten Gesundheitszustandes unmöglich.

13 Daher plane der Revisionswerber, seinen Lebensmittelpunkt für längere Zeit wieder in das Bundesgebiet zu verlegen, zumal seine Ehefrau das aufrechte Angebot ihres Arbeitgebers habe, über ein "home office" im Bundesgebiet erwerbstätig zu sein. Im Falle einer längeren Rückkehr in das Bundesgebiet würde der Revisionswerber jedoch nicht nur die "Green Card", sondern auch die uneingeschränkte Krankenversicherung verlieren und hätte dann nicht mehr die Möglichkeit, jederzeit in die USA zurückzukehren, um dort behandelt zu werden. Eine Rückkehr wäre - wenn überhaupt - nur nach einem langwierigen, möglicherweise jahrelangen Verfahren zur Erteilung einer "Green Card" wieder möglich.

14 Wenn selbst in einem derart gelagerten Fall durch den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft keine extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens vorliege, dann sei keine Konstellation denkmöglich, welche die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft rechtfertigen würde.

15 Auch weiche das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach der Verlust der "Green Card" eine extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens darstellen könne. Mit der Auffassung, dass der Verlust der "Green Card" keine extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens darstelle, da ein Wiedererwerb der "Green Card" mit einer möglicherweise langen Bearbeitungsdauer zumutbar sei, widerspreche das Verwaltungsgericht der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

16 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt. Rechtslage

17 Gemäß § 28 Abs. 2 StbG (in der hier noch maßgeblichen Fassung BGBl I Nr. 56/2013) ist Staatsbürgern für den Fall des Erwerbes einer fremden Staatsangehörigkeit (§ 27) die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft zu bewilligen, wenn sie die Staatsbürgerschaft durch Abstammung erworben haben und in ihrem Privat- und Familienleben ein für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliegt.

Besonders berücksichtigungswürdiger Grund

18 Nach den Erläuterungen soll mit dem Tatbestand des § 28 Abs. 2 StbG Staatsbürgern die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft trotz Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit ermöglicht werden, wenn ein für die Beibehaltung besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliegt. Damit wird es möglich, extreme Beeinträchtigungen des Privat- oder Familienlebens des Staatsbürgers zu vermeiden, die sich aus der Nichtannahme der Staatsangehörigkeit oder dem Verlust der Staatsbürgerschaft ergeben. Die zu erwartenden Beeinträchtigungen müssen konkret sein. Dabei muss es sich um konkret zu erwartende Beeinträchtigungen handeln und nicht um solche, die von ungewissen, in der Zukunft vom Beibehaltungswerber selbst zu setzenden Handlungen abhängen. Die zu erwartenden Beeinträchtigungen sind daher am bisherigen Gesamtverhalten des Beibehaltungswerbers zu messen, aus dem eine Zukunftsprognose zu erstellen ist (vgl. zu allem VwGH 24.5.2016, Ra 2016/01/0058, mwN).

19 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch festgehalten, dass eine extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens im Falle des konkret zu befürchtenden Verlustes der "Green Card" und der damit verbundenen Beeinträchtigung des Einreisebzw. Aufenthaltsrechts in die bzw. in den USA in Betracht käme. Eine extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens liegt jedoch fallbezogen nicht vor, wenn dem Betroffenen der Wiedererwerb der "Green Card" mit einer Bearbeitungsdauer von mehreren Monaten bzw. damit verbundenen geringen Kosten (EUR 210,--

und $ 325,--) möglich ist (vgl. zu allem  VwGH 24.5.2016, Ra 2016/01/0058, mwN).

Fallbezogene Beurteilung

20 In der vorliegenden Rechtssache hat das Verwaltungsgericht festgehalten, dass für den Revisionswerber konkret der Verlust der "Green Card" zu befürchten sei, jedoch eine im Verfahren zur Erteilung einer neuerlichen "Green Card" möglicherweise lange Bearbeitungsdauer keine extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens bewirke.

21 Diese Auffassung berücksichtigt nicht die - auch von der Revision vorgebrachte - außergewöhnliche Situation des Revisionswerbers, insbesondere die vom Verwaltungsgericht festgestellte seltene genetische neuromuskuläre Erkrankung des Revisionswerbers sowie die daraus resultierende Angewiesenheit des Revisionswerbers auf die Pflege durch seine Ehefrau im Alltag.

22 Ausgehend von dieser außergewöhnlichen Situation des Revisionswerbers stellt der konkret zu befürchtende Verlust der "Green Card" eine extreme Beeinträchtigung des Privat- und Familienlebens des Revisionswerbers dar, welche fallbezogen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 StbG erfüllt.

Ergebnis

23 Aus diesem Grund hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 14. Dezember 2018

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