VwGH Ra 2017/19/0443

VwGHRa 2017/19/044331.1.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision von 1. A G N (alias A R), 2. M

M M, 3. R G N, alle in I, alle vertreten durch Mag. Alfred Witzlsteiner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 21/IV, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 16. August 2017, 1) Zl. L524 2153676-1/11E,

2) Zl. L524 2153682-1/11E und 3) Zl. L524 2153679-1/10E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
MRK Art6;
VwGG §42 Abs2 Z3;
VwGVG 2014 §24;

 

Spruch:

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet. Die Drittrevisionswerberin ist deren gemeinsames Kind. Alle sind irakische Staatsangehörige.

2 Die von den revisionswerbenden Parteien nach dem AsylG 2005 gestellten Anträge auf internationalen Schutz wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl abgewiesen. Unter einem wurde ihnen kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie Rückkehrentscheidungen erlassen, festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei, und eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen gesetzt.

3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ging in seiner Begründung - soweit hier wesentlich - davon aus, der geltend gemachte Fluchtgrund sei nicht glaubhaft gemacht worden.

4 Das Bundesverwaltungsgericht gab den gegen die Bescheide erhobenen Beschwerden keine Folge und sprach hinsichtlich aller revisionswerbenden Parteien aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Wie zuvor die Behörde schenkte das Verwaltungsgericht dem Vorbringen zum Fluchtgrund keinen Glauben. Davon ausgehend habe die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht zu erfolgen. Die von den revisionswerbenden Parteien beantragte Verhandlung führte das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) nicht durch.

 

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen gerichtete Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit - mit näherer Begründung - geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe in rechtswidriger Weise von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen.

7 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. 8 Seit seinem Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017

und 0018, judiziert der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. dazu etwa VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0412; 22.11.2017, Ra 2017/19/0275, jeweils mwN), dass für die Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung daher unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich sind:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht muss die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

9 Im Hinblick auf die von den revisionswerbenden Parteien eingebrachte Beschwerdeergänzung, mit der sie zur Stützung ihres Vorbringens auch aus dem Heimatland beschaffte Unterlagen vorgelegt haben, hat das Bundesverwaltungsgericht die tragenden beweiswürdigenden Überlegungen, warum dem Vorbringen kein Glauben zu schenken sei, mit ausführlicher Begründung, insbesondere warum die mit der Beschwerdeergänzung vorlegten Urkunden lediglich als Gefälligkeitsschreiben anzusehen seien, nicht bloß unwesentlich ergänzt. Schon deshalb hätte von der beantragten Verhandlung kein Abstand genommen werden dürfen (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0412; 22.11.2017, Ra 2017/19/0275, 22.11.2017, Ra 2017/19/0177, jeweils mwN).

10 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des - wie hier gegeben - Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. nochmals VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0412, mwN).

11 Somit waren aus diesem Grund die angefochtenen Erkenntnisse - zur Gänze, weil die übrigen von der Versagung des Status des Asylberechtigten abhängenden Aussprüche ihre rechtliche Grundlage verlieren - gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

12 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und Z 5 VwGG abgesehen werden.

13 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 31. Jänner 2018

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte