VwGH Ra 2017/10/0095

VwGHRa 2017/10/009528.2.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kacic-Löffler, LL.M., über die Revision der Steiermärkischen Landesregierung gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 23. März 2017, Zl. LVwG 41.36-2643/2016-6, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Graz; mitbeteiligte Partei: I T in G), zu Recht erkannt:

Normen

MSG Stmk 2011 §1;
MSG Stmk 2011 §10 ;
MSG Stmk 2011 §12;
MSG Stmk 2011 §2 Abs1;
MSG Stmk 2011 §3 Abs3;
SHG Stmk 1998 §15 Abs2 litd;
SHG Stmk 1998 §15 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017100095.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 8. September 2016 wurde dem Mitbeteiligten Bedarfsorientierte Mindestsicherung für den Zeitraum vom 1. September 2016 bis zum 30. September 2016 in der Höhe von EUR 628,32 zuerkannt.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 23. März 2017 wurde einer dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid dahin abgeändert, dass dem Mitbeteiligten für September 2016 Mindestsicherung in der Höhe von EUR 837,76 zuerkannt wurde. Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 25a VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

3 Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges und der maßgeblichen Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, es sei unstrittig, dass "die grundlegenden Voraussetzungen" des Steiermärkischen Mindestsicherungsgesetzes (Stmk. MSG) gegeben seien und "das Gesamteinkommen unter den Mindeststandards" liege. Für das Wohnen seien vom Mitbeteiligten im September 2016 keine Zahlungen getätigt worden, da er obdachlos gewesen sei. Eine Übernachtung habe in der "Arche 38" nicht stattgefunden, diese sei nur als Adresse genutzt worden. Der Mitbeteiligte strebe "die Wiedererlangung eines festen Wohnsitzes" an.

4 Gemäß § 10 Abs. 1 Stmk. MSG würden monatliche pauschalierte Geldleistungen gewährt, die im Verhältnis 75:25 auf den Lebensunterhalt und den Wohnbedarf aufgeteilt seien. Dem Mitbeteiligten seien von der belangten Behörde 75 % von EUR 837,76 gewährt worden; für den Wohnbedarf sei ihm nichts gewährt worden, da "dieser mit dem Aufwand für den Wohnbedarf gedeckelt" worden sei. Da der Mitbeteiligte für das Wohnen keine Zahlungen getätigt habe, sei der Wohnbedarf mit "Null" festgesetzt worden.

5 Anders als § 3 Abs. 2 Stmk. MSG, der als einen Bedarfsbereich den Lebensunterhalt mit dem regelmäßig wiederkehrenden Aufwand umschreibe, regle § 3 Abs. 3 Stmk. MSG den Wohnbedarf als den für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Miete, Strom, Heizung, allgemeine Betriebskosten und Abgaben. Gemäß § 2 Abs. 1 Stmk. MSG sei bei der Erbringung von Leistungen auf die Eigenart und Ursache der drohenden, bestehenden oder noch nicht dauerhaft überwundenen sozialen Notlage Bedacht zu nehmen.

6 Der 25%ige Wohnbedarf diene "somit nicht nur der Abgeltung bereits bestehender Ausgaben für das Wohnen, sondern auch der Überwindung der wohnungslosen Notlage". Werde vom Betreffenden ein dauerhafter Wohnsitz angestrebt, so sei der 25%ige Wohnbedarf - allenfalls unter der Bedingung der ernsthaften Wohnungssuche - zuzuerkennen. Da der Mitbeteiligte "einen dauerhaften Wohnplatz" anstrebe, stehe diesem der gesamte Mindeststandard in Höhe von EUR 837,76 im September 2016 zu. Da es nur um die Mindestsicherung für einen Monat gehe, könne die Gewährung ohne Bedingung erfolgen. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

7 Den Ausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen mit einem Verweis auf den Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Steiermärkischen Landeregierung.

9 Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor. 10 Die belangte Behörde schloss sich den Ausführungen der Amtsrevision an und sah von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung ab.

11 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Das Steiermärkische Mindestsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 14/2011 in der Fassung LGBl. Nr. 106/2016 (Stmk. MSG), lautet auszugsweise:

"Allgemeine Bestimmungen

§ 1

Ziele

Zur verstärkten Bekämpfung und Vermeidung von Armut und sozialer Ausschließung wird eine Bedarfsorientierte Mindestsicherung (im Folgenden "Mindestsicherung") geschaffen. Die Mindestsicherung soll eine dauerhafte (Wieder‑)Eingliederung ihrer Bezieherinnen/Bezieher in das Erwerbsleben weitestmöglich fördern.

§ 2

Grundsätze für die Leistung

(1) Bei der Erbringung von Leistungen der Mindestsicherung ist auf die Eigenart und Ursache der drohenden, bestehenden oder noch nicht dauerhaft überwundenen sozialen Notlage sowie auf die persönlichen Verhältnisse, insbesondere auf den körperlichen, geistigen und psychischen Zustand, sowie die Fähigkeiten, Beeinträchtigungen und das Ausmaß der sozialen Integration der Hilfe suchenden Person durch die jeweils erforderliche Beratung und Betreuung Bedacht zu nehmen.

...

§ 3

Erfasste Bedarfsbereiche

(1) Die Mindestsicherung wird durch pauschalierte Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes, jeweils außerhalb von stationären Einrichtungen gemäß dem Stmk. Pflegeheimgesetz 2003 sowie § 18 Steiermärkisches Behindertengesetz sowie durch die bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung erforderlichen Leistungen erbracht.

(2) Der Lebensunterhalt umfasst den regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat sowie andere persönliche Bedürfnisse wie die angemessene soziale und kulturelle Teilhabe.

(3) Der Wohnbedarf umfasst den für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Miete, Strom, Heizung, allgemeine Betriebskosten und Abgaben.

...

Leistungen

§ 9

Allgemeine Bestimmungen

(1) Leistungen der Mindestsicherung zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes werden vorbehaltlich des Abs. 2 als pauschalierte Geldleistungen erbracht.

...

§ 10

Mindeststandards

(1) Es werden folgende monatliche pauschalierte Geldleistungen (Mindeststandards) gewährt, die im Verhältnis 75:25 auf den Lebensunterhalt und den Wohnbedarf aufgeteilt sind:

 

1. für alleinstehende volljährige Personen, alleinstehende minderjährige Personen bei besonderen sozialen Härten sowie Alleinerzieherinnen/Alleinerzieher

773,26 Euro;

  

 

...

(3) Der Mindeststandard nach Abs. 1 Z 1 ist zu Beginn eines jeden Kalenderjahres unter Bedachtnahme auf den Ausgleichszulagenrichtsatz gemäß § 293 Abs. 1 lit. a bb) ASVG anzupassen. Die Beträge der Mindeststandards sind durch Verordnung der Landesregierung kundzumachen.

...

§ 12

Beratungs- und Betreuungsleistungen

Leistungen der Mindestsicherung beinhalten als Aufgabe des Landes auch die Beratungs- und Betreuungsleistungen, die zur Vermeidung und Überwindung von sozialen Notlagen, zur nachhaltigen sozialen Stabilisierung, zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit oder Vermittelbarkeit der Hilfe suchenden Person erforderlich sind. Die Hilfe suchende Person ist verpflichtet, die angebotenen Beratungs- und Betreuungsleistungen in Anspruch zu nehmen."

13 Die Steiermärkische Mindestsicherungsgesetz-Durchführungsverordnung 2016, LGBl. Nr. 109/2016, lautet auszugsweise:

"§ 3

Mindeststandard

Zur Deckung des Lebensunterhaltes werden gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 StMSG monatliche pauschalierte Geldleistungen in Höhe von 837,76 Euro gewährt."

14 Das Steiermärkische Sozialhilfegesetz, LGBl. Nr. 29/1998 in der Fassung LGBl. Nr. 7/2015 (Stmk. SHG), lautet auszugsweise:

"B. Hilfe in besonderen Lebenslagen

§ 15

Art, Umfang und Voraussetzungen

(1) Hilfe in besonderen Lebenslagen kann Personen gewährt werden, die auf Grund ihrer besonderen persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse oder infolge außergewöhnlicher Ereignisse sozialer Gefährdung ausgesetzt sind und zur Eingliederung in die Gemeinschaft und das Erwerbsleben oder zur Festigung der Stellung in der Gemeinschaft und im Erwerbsleben der Hilfe bedürfen.

(2) Die Hilfe in besonderen Lebenslagen besteht in:

...

d) Hilfe zur Beschaffung oder Erhaltung von Wohnraum.

(3) Die Hilfe in besonderen Lebenslagen kann unabhängig von einem Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes gewährt werden.

(4) Ziel der Hilfe in besonderen Lebenslagen ist es, dem Hilfeempfänger eine Lebensgrundlage zu schaffen, durch die voraussichtlich weitere Leistungen der Sozialhilfe in absehbarer Zeit nicht erforderlich sind.

..."

15 Die Revision zeigt im Ergebnis insofern eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, als Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehlt, ob nach dem Stmk. MSG im Falle der Obdachlosigkeit die Zuerkennung einer Leistung aus dem Titel des Wohnbedarfs im Sinne des § 3 Abs. 3 Stmk. MSG zu erfolgen hat.

16 Die Revision ist daher zulässig. Sie ist - im Ergebnis - auch begründet.

17 Das Verwaltungsgericht leitet seine Ansicht, dem Mitbeteiligten sei eine Leistung aus dem Titel des Wohnbedarfs im Sinne des § 3 Abs. 3 Stmk. MSG zuzuerkennen, aus der im Vergleich zu § 3 Abs. 2 leg. cit. unterschiedlichen Textierung des § 3 Abs. 3 Stmk. MSG und aus § 2 Abs. 1 Stmk. MSG ab.

18 Dem vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu folgen:

19 Nach § 3 Abs. 1 Stmk. MSG wird die Mindestsicherung (u.a.) durch pauschalierte Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes erbracht. Gemäß § 3 Abs. 2 und 3 leg. cit. umfasst der Lebensunterhalt den regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat sowie andere persönliche Bedürfnisse wie die angemessene soziale und kulturelle Teilhabe und der Wohnbedarf den für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Miete, Strom, Heizung, allgemeine Betriebskosten und Abgaben.

20 Entgegen der vom Verwaltungsgericht offenbar vertretenen Ansicht lässt sich aus dem in § 3 Abs. 3 Stmk. MSG enthaltenen Verweis auf den "für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen" regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Miete, Strom, Heizung, allgemeine Betriebskosten und Abgaben nicht ableiten, dass der Gesetzgeber insofern einen aktuell nicht vorhandenen Aufwand für Miete, Strom, Heizung, allgemeine Betriebskosten und Abgaben berücksichtigt wissen wollte, wenn eine angemessene Wohnsituation nicht gegeben ist. Derartiges lässt sich auch aus § 2 Abs. 1 Stmk. MSG nicht ableiten, sieht diese Bestimmung doch eine Bedachtnahme u.a. auf die Eigenart und Ursache der bestehenden oder noch nicht dauerhaft überwundenen sozialen Notlage bei der Erbringung von Leistungen der Mindestsicherung "durch die jeweils erforderliche Beratung und Betreuung", nicht aber durch die Gewährung von Geldleistungen, denen kein aktueller Aufwand für Miete, Strom, Heizung, allgemeine Betriebskosten und Abgaben gegenübersteht, vor.

21 Nun trifft es zu, dass die Überwindung von Obdachlosigkeit ohne Zweifel dem in § 1 Stmk. MSG genannten Ziel einer verstärkten Bekämpfung und Vermeidung von Armut und sozialer Ausschließung zu unterstellen ist. Für die Annahme, dieses Ziel sei im Falle der Obdachlosigkeit - im Rahmen des Stmk. MSG - nicht nur durch die in § 12 Stmk. MSG normierten Beratungs- und Betreuungsleistungen zur "Überwindung von sozialen Notlagen" anzustreben, sondern auch durch Gewährung eines 25%igen Anteils am Mindeststandard nach § 10 leg. cit. zur (allfälligen) Bildung von Ersparnissen, die in Zukunft zur Überwindung der sozialen Notlage beitragen könnten, fehlt es aber an einer gesetzlichen Grundlage. Zu Recht weist die Amtsrevisionswerberin in diesem Zusammenhang auch auf § 15 Abs. 2 lit. d Stmk. SHG hin, der als Hilfe in besonderen Lebenslagen ausdrücklich "die Hilfe zur Beschaffung oder Erhaltung von Wohnraum" nennt, die nach § 15 Abs. 3 leg. cit. "unabhängig von einem Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes" gewährt werden kann. Dass der Gesetzgeber im Stmk. MSG die Zuerkennung einer Hilfe zur (allfälligen) Beschaffung von Wohnraum im Falle der Obdachlosigkeit durch Gewährung eines 25%igen Anteils am Mindeststandard nach § 10 Stmk. MSG ohne jegliche konkrete Bezugnahme darauf im Gesetz vorsehen wollte, kann hingegen nicht unterstellt werden.

22 Da das Verwaltungsgericht demnach die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 28. Februar 2018

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