VwGH Ro 2016/13/0020

VwGHRo 2016/13/002021.11.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und den Hofrat Dr. Nowakowski sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision des Finanzamts Hollabrunn Korneuburg Tulln in 2100 Korneuburg, Laaerstraße 13, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 6. Mai 2016, Zl. RV/7104806/2015, betreffend Umsatzsteuer 2009 (mitbeteiligte Partei: T in E), den Beschluss gefasst:

Normen

32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art226 Z6;
62014CJ0516 Barlis 06 VORAB;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RO2016130020.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gewährte das Bundesfinanzgericht dem Mitbeteiligten den Vorsteuerabzug aus dem zu Vermietungszwecken erfolgten Ankauf einer Eigentumswohnung.

2 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht aus, der Mitbeteiligte habe mit Kaufvertrag vom 13. März 2009 vom Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des F eine (vermietete) Eigentumswohnung um EUR 45.000,-- zuzüglich EUR 9.000,-- Umsatzsteuer erworben. Der Mitbeteiligte habe den gesamten Kaufpreis inklusive Umsatzsteuer entrichtet. Die Umsatzsteuer sei an das zuständige Finanzamt abgeführt worden. Dem Kaufvertrag, dem auch Abrechnungscharakter zukomme, seien der Name und die Anschrift des liefernden Unternehmers und des Empfängers, der Kaufgegenstand, der Tag der Lieferung, das Entgelt, der anzuwendende Steuersatz und das Ausstellungsdatum zu entnehmen. Der Mitbeteiligte verfüge über eine UID-Nummer und habe am 19. Oktober 2006 auf die Steuerbefreiung für Kleinunternehmer gemäß § 6 Abs. 3 UStG 1994 verzichtet. Aus der vorgelegten Prognoserechnung für die Jahre 2009 bis 2029 ergebe sich bereits ab 2018 ein Gesamtgewinn aus der Vermietungstätigkeit. Nach der Judikatur des EuGH erfordere der Grundsatz der steuerlichen Neutralität der Mehrwertsteuer, dass der Vorsteuerabzug gewährt werde, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt seien, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genüge. Verfüge die Steuerverwaltung über alle Angaben, die für die Feststellung erforderlich seien, dass die materiellen Voraussetzungen vorlägen, dürfe sie hinsichtlich des Rechts des Steuerpflichtigen auf Abzug dieser Steuer keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die die Ausübung dieses Rechts vereiteln könnten. Dem Kaufvertrag fehlten für eine gültige Rechnung im Sinne des § 11 Abs. 1 UStG 1994 die UID-Nummer des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers sowie eine fortlaufende Nummer. Der Kaufvertrag sei unter der Bedingung der Genehmigung durch das Insolvenzgericht geschlossen worden. Im Hinblick auf den Verweis auf das Insolvenzverfahren reiche es daher auch, wenn sich die fehlenden Angaben im Insolvenzakt befänden. Die UID-Nummer des leistenden Unternehmers sowie dessen Steuernummer ergäben sich aus dem Insolvenzakt. Die Unverwechselbarkeit des als Rechnung zu qualifizierenden Kaufvertrags werde durch die im Insolvenzakt vergebene Ordnungsnummer gewährleistet, sodass nur die Angabe der UID-Nummer des Leistungsempfängers in der Rechnung fehle. Nach der Judikatur des EuGH beeinträchtige das Fehlen der UID-Nummer des Leistungsempfängers den Vorsteuerabzug nicht, wenn feststehe, dass die Lieferung tatsächlich an ihn ausgeführt worden sei. Da im Hinblick auf den Kaufvertrag und die Eintragung im Grundbuch keine Zweifel an den Modalitäten der Übertragung der Eigentumswohnung von einem Unternehmer an den Mitbeteiligten bestünden und das Finanzamt über sämtliche Angaben verfüge, die für die Feststellung erforderlich seien, dass die materiellen Anforderungen für die Gewährung des Vorsteuerabzugs vorlägen, dürfe dem Mitbeteiligten der Vorsteuerabzug aus dem Ankauf der Eigentumswohnung nicht verwehrt werden.

3 Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig. Es liege noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage vor, ob das Fehlen eines Rechnungsmerkmals im Sinne des § 11 Abs. 1 UStG 1994 die Versagung des Vorsteuerabzugs auch dann rechtfertige, wenn die Abgabenbehörde über alle Angaben verfüge, die für die Feststellung des Vorliegens der materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erforderlich seien.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die ordentliche Revision des Finanzamts, die zur Zulässigkeitsfrage kein gesondertes Vorbringen enthält.

5 Der Mitbeteiligte hat - unvertreten - eine Revisionsbeantwortung eingebracht.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

9 Die Frage, ob die Voraussetzung des Art. 133 Abs. 4 B-VG, also eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen. Wurde die zu beantwortende Rechtsfrage daher vom Verwaltungsgerichtshof - auch nach Einbringung der Revision - bereits geklärt, liegt keine Rechtsfrage (mehr) vor, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme (vgl. etwa VwGH 25.7.2018, Ro 2016/13/0032, mwN).

10 Aus Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG (im Folgenden: MwStSystRL) geht zu den materiellen Voraussetzungen für die Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts hervor, dass die zur Begründung dieses Rechts angeführten Gegenstände und Dienstleistungen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden müssen und diese Gegenstände und Dienstleistungen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden müssen (vgl. VwGH 29.5.2018, Ra 2016/15/0068, unter Verweis auf EuGH 22.10.2015, C-277/14 , PPUH Stehcemp, Rn. 28).

11 Im Revisionsfall ist unstrittig, dass die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug durch den Mitbeteiligten vorlagen. In der Amtsrevision wird auch nicht bestritten, dass das Finanzamt über sämtliche Angaben verfügte, die für die Feststellung des Vorliegens der materiellen Voraussetzungen für das Vorsteuerabzugsrecht erforderlich waren.

12 Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 29. Mai 2018, Ra 2016/15/0068, unter Bezugnahme insbesondere auf das Urteil des EuGH vom 15. September 2016, C-516/14 , Barlis 06, Rn. 42 bis 44, zum Ausdruck gebracht hat, folgt aus dem Grundprinzip der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Voraussetzungen dafür erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt. Daher darf die Steuerverwaltung das Recht auf Vorsteuerabzug in einem solchen Fall nicht verweigern, wenn sie über sämtliche Daten verfügt, um zu prüfen, ob die für das Vorsteuerabzugsrecht geltenden materiellen Voraussetzungen vorliegen. Dabei darf sich die Steuerverwaltung nicht auf die Prüfung der Rechnung selbst beschränken. Sie hat auch die vom Steuerpflichtigen beigebrachten zusätzlichen Informationen zu berücksichtigen.

13 Damit ist die in der Revisionszulassung durch das Bundesfinanzgericht aufgeworfene Rechtsfrage aber bereits durch die - vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH ergangene - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im Sinne der dem angefochtenen Erkenntnis zu Grunde liegenden Rechtsansicht des Bundesfinanzgerichts geklärt.

14 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 21. November 2018

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