European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016050109.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seines Spruchpunktes I. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Stadtgemeinde Ansfelden hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde A. (im Folgenden: Bürgermeister) vom 3. September 2015 wurde dem Revisionswerber und der L. GmbH (u.a.) der Auftrag erteilt, die konsenslos errichtete Lärmschutzwand auf einem näher bezeichneten Grundstück binnen zwei Monaten ab Zustellung des Bescheides zu beseitigen und den rechtmäßigen Zustand wiederherzustellen.
2 Der vom Revisionswerber und der L. GmbH dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde A. (im Folgenden: Gemeinderat) vom 11. Dezember 2015 (u.a.) gemäß den §§ 25 und 49 Abs. 1 und 6 Oö. Bauordnung 1994 - Oö. BauO 1994 keine Folge gegeben und der Bescheid des Bürgermeisters vollinhaltlich bestätigt.
3 Der Revisionswerber und die L. GmbH erhoben dagegen Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) und beantragten darin, (u.a.) eine mündlichen Verhandlung durchzuführen. Der Revisionswerber brachte (u.a.) darin vor, dass er als Grundstückseigentümer durch den gegenständlichen Auftrag in Anspruch genommen werde, obwohl ein diesbezüglicher Beseitigungsauftrag nicht an den Grundeigentümer, sondern an den "Objekteigentümer der Lärmschutzwand" zu richten wäre.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde - ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung - unter Spruchpunkt I. die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet abgewiesen und diesem gemäß § 40 Abs. 8 Oö. Raumordnungsgesetz 1994 - Oö. ROG 1994 die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes durch Beseitigung der in der Natur vorgefundenen, auf dem oben genannten Grundstück errichteten bzw. ein anderes Grundstück umzäunenden Lärmschutzwand (entlang der weiteren näher bezeichneten Grundstücke) binnen zwei Monaten ab Zustellung dieser Entscheidung aufgetragen. Unter Spruchpunkt II. wurde der Beschwerde der L. GmbH stattgegeben und der sie betreffende Beseitigungsauftrag ersatzlos behoben. Unter Spruchpunkt III. wurde eine ordentliche Revision für unzulässig erklärt.
5 Dazu führte das Verwaltungsgericht (u.a.) aus, dass in Ausführung der gegenständlichen Lärmschutzwand auf zwei näher bezeichneten Grundstücken jedenfalls vor dem 1. September 2006 zunächst Metallsteher (I-Profile samt Fundament) aufgestellt und mit einem 0,5 m hohen Betonsockel verfüllt worden seien. Die restliche Verfüllung mit Holzelementen sei dann im Jahr 2015 erfolgt. Beide Grundstücke befänden sich im Alleineigentum des Revisionswerbers, und der maßgebliche Sachverhalt sei auch nicht strittig. Vor diesem Hintergrund habe von einer weiteren Beweisaufnahme bzw. einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden können, zumal sich keine Widersprüchlichkeiten ergeben hätten, eine weitere Klärung des Sachverhaltes nicht zu erwarten gewesen sei und die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes lediglich von der Klärung von Rechtsfragen abhänge.
6 Wenn sich die beschwerdeführenden Parteien hinsichtlich des Bestehens eines Konsenses für diese Lärmschutzwand auf den gewerbebehördlichen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 22. Dezember 2003 beriefen, so dürften sie auf dessen Bescheid vom 9. Dezember 2002 abstellen, welcher "das hier gegenständliche Grundstück" und die Lärmschutzwand behandle. Im Zeitpunkt der Erlassung dieses gewerbebehördlichen Bescheides habe die Oö. BauO 1994 nicht für "Lärm- und Schallschutzwände, die nach anderen Rechtsvorschriften vorgesehen sind oder errichtet werden", gegolten. Ein Konsens nach der Oö. BauO 1994 habe daher zu diesem Zeitpunkt für die Lärmschutzwand, deren Metallsteher (I-Profile samt Fundament) in der Zeitspanne zwischen Erlassung dieses gewerbebehördlichen Bescheides und dem Stichtag 1. September 2006 (Inkrafttreten der Oö. Bauordnungs-Novelle 2006, mit der Lärmschutzwände wieder in das Regelungsregime der Oö. BauO 1994 aufgenommen worden seien) aufgestellt und mit einem 0,5 m hohen Betonsockel verfüllt worden seien, nicht erwirkt werden müssen. Allerdings widerspreche die Lärmschutzwand dem Regelungsinhalt des hier anzuwendenden, seit 30. Juni 2000 geltenden Bebauungsplanes, der als Lärmschutz explizit und ausschließlich einen mit standortgerechten Sträuchern bzw. Bodendeckern gepflanzten Lärmschutzwall vorsehe. Im Ergebnis sei daher vom Gemeinderat zu Recht dem Revisionswerber der Auftrag, die widmungswidrig errichtete bauliche Anlage zu beseitigen, erteilt worden. Dass dieser auf § 25a Abs. 5 Z 2 und § 49 Oö. BauO 1994 gestützt worden sei und nunmehr auf § 40 Abs. 8 Oö. ROG 1994 gestützt werde, schade nicht, weil die Rechtslage dieselbe sei.
7 Adressat des Beseitigungsauftrages sei der Eigentümer der fraglichen baulichen Anlage. Wenn nicht der Grundeigentümer, sondern jemand anderer (z.B. bei einem Superädifikat) Eigentümer des Objektes sei, dann sei der Beseitigungsauftrag nicht an den Grundeigentümer, sondern an Letzteren zu richten. Im gegenständlichen Fall gebe es, abgesehen vom im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstmals ohne Beibringung irgendwelcher Bescheinigungen gemachten Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien, keine Anzeichen oder sonstigen Hinweise dafür, dass die errichtete Mauer der L. GmbH gehöre. Das Grundstück, auf dem sich die Mauer befinde, stehe laut Grundbuchsauszug im Eigentum des Revisionswerbers, und es seien eben keine Unterlagen (z.B. taugliche Urkunden) vorgelegt worden, die ein Abweichen der Eigentumsverhältnisse an der Mauer von jenen am Grundstück belegten. Nach dem zivilrechtlichen Grundsatz "superficies solo cedit" und dem grundbuchsrechtlichen Eintragungsgrundsatz sei davon auszugehen, dass der Revisionswerber tatsächlicher Eigentümer der Mauer sei. Vor diesem Hintergrund könne nur diesem, nicht jedoch der L. GmbH die Beseitigung aufgetragen werden.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit der Erklärung, dieses in Ansehung seiner Spruchpunkte I. und III. anzufechten.
9 Der Gemeinderat erstattete eine Revisionsbeantwortung.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Die Revision ist in Anbetracht der in den Ausführungen gemäß § 28 Abs. 3 VwGG aufgeworfenen Frage der Zulässigkeit des Absehens von einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zulässig. Ihr kommt auch Berechtigung zu.
11 Die Revision bringt (u.a.) vor, dass, obwohl bereits im oben genannten Berufungsbescheid die L. GmbH als Adressatin des gewerbebehördlichen Genehmigungsbescheides auch "als Eigentümerin der Lärmschutzwand" festgestellt und deshalb in der dagegen erhobenen Beschwerde zutreffend gerügt worden sei, dass der Revisionswerber als Eigentümer des näher bezeichneten Grundstückes weiterhin als Bescheidadressat aufscheine, obwohl ein diesbezüglicher Beseitigungsauftrag nicht an den Grundeigentümer, sondern den Objekteigentümer der Lärmschutzwand zu richten wäre, dieses Verfahrensergebnis vom Verwaltungsgericht gänzlich unberücksichtigt geblieben sei. Dieses wäre zumindest gehalten gewesen, den wesentlich erscheinenden Sachverhalt im Rahmen seines Ermittlungsverfahrens zu erörtern. Jedenfalls sei es ihm verwehrt gewesen, lediglich aufgrund der "Nichtbeibringung irgendwelcher Bescheinigungen" zu von den Ergebnissen der Baubehörde abweichenden Feststellungen zu gelangen. Vielmehr hätte es im Sinne des soweit konkreten sachverhaltsbezogenen Beschwerdevorbringens zur Klärung der strittigen Eigentumsverhältnisse an der Lärmschutzwand die - im Übrigen ausdrücklich beantragte - mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG durchführen müssen, wobei diese Unterlassung als Verletzung der Verhandlungspflicht bzw. des Unmittelbarkeitsgrundsatzes schon per se eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstelle. Bei Vermeidung dieser Mängel hätte sich bestätigt, dass die L. GmbH Eigentümerin der Lärmschutzwand sei und somit allein sie und nicht der Revisionswerber als Liegenschaftseigentümer richtiger Adressat des Beseitigungsauftrages gewesen wäre.
12 Weiters brachte der Revisionswerber (u.a.) vor, dass der oben genannte, am 30. Juni 2000 erlassene, ausschließlich einen Lärmschutzerdwall verordnende Bebauungsplan mit dem am 29. September 2005 rechtswirksam gewordenen - sowohl eine Lärmschutzwand als auch einen Erdwall festlegenden - Flächenwidmungsplan Nr. 4 insofern in Widerspruch stehe, als Letzterer dem Ersteren in Bezug auf den explizit vorgeschriebenen Lärmschutzerdwall partiell materiell derogiere, und dies dahin gedeutet werden könne, dass der jüngere Flächenwidmungsplan als Ausnahme vom älteren Bebauungsplan nicht ausschließlich einen Erdwall, sondern alternativ auch eine Schallschutzwand als geeignete Lärmschutzmaßnahme als zulässig freistelle. Die gesetzeskonforme Auslegung der in Rede stehenden Bestimmungen des Bebauungsplanes erlaube daher auch die Errichtung einer - wie in den Verwaltungsakten beschriebenen - Lärmschutzwand als wirksame und effektive lärmschutztechnische Maßnahme. Weiters existiere auch noch ein rechtskräftiger gewerbebehördlicher Genehmigungsbescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 10. September 2002, wonach entlang der (näher bezeichneten) Grundstücke ebenfalls die hier gegenständliche Lärmschutzwand konsentiert worden sei. Bei gesetzesgemäßer Durchführung einer mündlichen Verhandlung wäre es dem Revisionswerber möglich gewesen, diesen Sachverhalt bereits im Beschwerdeverfahren aufzuzeigen.
13 Dazu ist Folgendes auszuführen:
14 § 24 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, in der für die
vorliegende Beurteilung maßgeblichen Stammfassung lautet
auszugsweise wie folgt:
"Verhandlung
§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
...
(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.
...
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.
..."
15 Nach der vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis als für die Erteilung des vorliegenden Beseitigungsauftrages maßgeblich herangezogenen Bestimmung des § 40 Abs. 8 Oö. ROG 1994 ist ein nach dieser Bestimmung erteilter Auftrag dem Eigentümer der baulichen Anlage zu erteilen.
16 Ein baupolizeilicher Beseitigungsauftrag betrifft "civil rights" im Sinne des Art. 6 EMRK. Wird gegen eine aus Art. 6 EMRK abgeleitete Verhandlungspflicht verstoßen, ist eine nähere Prüfung der Relevanz dieses Mangels nicht erforderlich (vgl. etwa VwGH 29.3.2017, Ra 2016/05/0103, 0104, mwN).
17 In Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festgehalten, dass der Gesetzgeber als Zweck der mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen gehabt hat. Ferner kommt eine ergänzende Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung in Frage. Bei maßgeblichem sachverhaltsbezogenen Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien ist ebenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dies sogar dann, wenn kein Antrag auf eine solche gestellt worden ist (vgl. etwa VwGH 29.3.2017, Ra 2015/05/0059, mwN).
18 Im oben genannten Berufungsbescheid (vgl. darin Seite 4) wurde vom Gemeinderat (u.a.) im Rahmen der Darstellung des Verfahrensganges ausgeführt, dass mit dem erstinstanzlichen Bescheid dem Revisionswerber als Grundstückseigentümer und der L. GmbH "als Eigentümerin der Lärmschutzwand" die Beseitigung dieser Wand aufgetragen worden sei, und im Rahmen der rechtlichen Beurteilung darauf hingewiesen, dass der Beseitigungsauftrag nicht an den Grundeigentümer, sondern an den Eigentümer des konsenslosen Baues zu richten sei. Der Revisionswerber hat in der gegen den Berufungsbescheid erhobenen Beschwerde (u.a.) gerügt, dass er als Grundstückseigentümer durch den gegenständlichen Auftrag in Anspruch genommen werde, obwohl ein diesbezüglicher Beseitigungsauftrag nicht an den Grundeigentümer, sondern an den "Objekteigentümer der Lärmschutzwand" zu richten wäre. Damit hat er die Behauptung aufgestellt, dass er nicht Eigentümer der zu entfernenden Anlage sei. Ferner hat er in der Beschwerde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
19 Schon in Anbetracht dieses Beschwerdevorbringens wäre vom Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG die vom Revisionswerber beantragte mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen. Ist eine Verhandlung nach Art. 6 EMRK geboten, so ist - wie bereits erwähnt - eine Prüfung der Relevanz der Unterlassung einer solchen Verhandlung nicht durchzuführen (vgl. dazu auch VwGH 29.3.2017, Ra 2015/05/0059, mwN).
20 Im Hinblick darauf war das angefochtene Erkenntnis im Umfang seines Spruchpunktes I. gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, wobei es sich angesichts des damit gegebenen Verfahrensstandes erübrigt, auf das weitere Revisionsvorbringen näher einzugehen.
21 Von der beantragten mündlichen Verhandlung im Revisionsverfahren konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG Abstand genommen werden.
22 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff iVm der Verordnung, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am 20. März 2018
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