VwGH Ra 2017/21/0125

VwGHRa 2017/21/012521.12.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des S B in I, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Mai 2017, Zl. I413 1261061- 2/21E, betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

FrPolG 2005 §52 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z5;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber stellte am 2. Juni 2004 einen Asylantrag, wobei er angab, in "Gaza Israel" geboren zu sein. In der Einvernahme vom 4. April 2005 wurde er damit konfrontiert, dass er nicht aus dem Gazastreifen und nicht aus Palästina stammen könne, weil er nichts über sein angebliches Herkunftsland wisse und offensichtlich aus einem nordafrikanischen Staat stamme. Daraufhin gab der Revisionswerber an, er sei algerischer Staatsangehöriger. Mit Bescheid vom 13. Mai 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab, sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers nach Algerien gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 zulässig sei, und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus. Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Berufung, wobei er in der Berufungsergänzung vom 14. Juni 2005 vorbrachte, aus Marokko zu stammen. Mit Bescheid vom 16. Juni 2005 wies der unabhängige Bundesasylsenat die Berufung ab. Bereits mit Bescheid vom 10. Mai 2005 hatte die Bundespolizeidirektion Innsbruck gegen den Revisionswerber, nachdem er nach dem SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten verurteilt worden war, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

2 Mit Bescheid vom 17. Jänner 2017 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem in Österreich verbliebenen Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig sei, erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab. Seiner Entscheidung legte das BFA zugrunde, dass der Revisionswerber mittlerweile viermal wegen Vergehen und Verbrechen nach dem SMG verurteilt worden war.

3 Der dagegen erhobenen Beschwerde erkannte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zunächst mit Beschluss vom 6. Februar 2017 die aufschiebende Wirkung zu. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 11. Mai 2017 wies es schließlich - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der der Revisionswerber wiederum angab, aus Palästina zu stammen - die Beschwerde als unbegründet ab.

4 Das BVwG führte im Wesentlichen aus, die Identität des Revisionswerbers stehe nicht zweifelsfrei fest, weil er keine identitätsbezeugenden Dokumente vorgelegt habe. Laut Schreiben der tunesischen Botschaft sei er den tunesischen Behörden unbekannt. Die palästinensische Botschaft sei einem Telefoninterview zur Abklärung der Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers nicht nachgekommen. Die israelische Botschaft habe bestätigt, dass es sich beim Revisionswerber um keinen israelischen Staatsangehörigen handle. Auch der österreichische Verbindungsbeamte in Rabat habe bestätigt, dass der Revisionswerber den marokkanischen Behörden unter der genannten Identität unbekannt sei. Von Seite der algerischen Botschaft sei keine Auskunft hinsichtlich der Staatsangehörigkeit eingegangen. Aufgrund der Einvernahme des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG bestünden für das BVwG keine Zweifel, dass er nicht aus Palästina, sondern aus Marokko stamme. Der Revisionswerber habe keinerlei Angaben zu seinem behaupteten Herkunftsland Palästina machen können, obwohl er nach seinem eigenen Vorbringen zum Zeitpunkt seiner Flucht von dort elf Jahre alt gewesen sei. Der Revisionswerber habe in der mündlichen Verhandlung behauptet, er sei einfach in Spanien aufgewacht, was angesichts der geographischen Gegebenheiten unwahrscheinlich sei, zumal Palästina am östlichen und Spanien am westlichen Teil des Mittelmeers liege. Über Nachfrage, ob Palästina neben Spanien liege, habe er sich daran nicht erinnern können. Zudem habe der Revisionswerber den Akzent des Arabischen, das der beigezogene Dolmetscher, ein gebürtiger Palästinenser, gesprochen habe, nicht erkannt. Dies sei ein klares Indiz dafür, dass er nicht in Palästina gelebt habe. Es sei unglaubwürdig, dass ein Elfjähriger keine Erinnerung an seinen Herkunftsstaat und die dort gesprochene Sprachfärbung des Arabischen mehr habe und auch keinerlei Angaben zur Fluchtroute, die im gegebenen Fall nach Spanien geführt habe und daher jedenfalls eine längerdauernde Reise sein hätte müssen, haben solle. Der Dolmetscher habe die Frage des erkennenden Richters in der Beschwerdeverhandlung überzeugend beantwortet, dass der Revisionswerber keinen in Palästina üblichen Akzent, sondern die in Marokko übliche Dialektfärbung des Arabischen spreche. Daher bestünden für das BVwG nicht die geringsten Zweifel, dass der Revisionswerber nicht aus Palästina, sondern aus Marokko stamme.

5 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG schließlich noch aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

8 Der Revisionswerber bringt unter diesem Gesichtspunkt vor, dass die Beweiswürdigung, die der Feststellung der marokkanischen Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers zugrunde gelegt wurde, unschlüssig sei. Er sei dadurch in seinem Recht auf Aufenthalt in Österreich und in seinem Recht, nicht mit einer mit der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Marokko verbundenen Rückkehrentscheidung und einem Einreiseverbot belegt zu werden, verletzt worden.

9 Es trifft zwar zu, dass sich das BVwG bei der Feststellung der marokkanischen Staatsangehörigkeit nur darauf gestützt hat, dass der Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, der Revisionswerber spreche die in Marokko übliche Dialektfärbung des Arabischen. Dieses Ermittlungsergebnis wäre für sich genommen nicht ausreichend, um die Feststellung der Staatsangehörigkeit zu tragen, zumal nicht dargelegt wurde, inwieweit der (aus Palästina stammende) Dolmetscher das für diese Beurteilung notwendige Fachwissen hatte. Auf die Richtigkeit der Feststellung der Staatsangehörigkeit ist es im vorliegenden Fall für die Beurteilung der vom Revisionswerber behaupteten Rechtsverletzung aber nicht angekommen:

10 Der Revisionswerber hatte im Asylverfahren letztendlich - nach seinen ursprünglichen, auf Palästina und Algerien bezogenen Angaben - selbst erklärt, aus Marokko zu stammen. Darauf beruhte auch die Festlegung des "Zielstaates" im Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG durch das BFA mit Bescheid vom 17. Jänner 2017. In der Verhandlung vor dem BVwG gab der Revisionswerber dann an, in Wahrheit aus Palästina zu stammen und in Bezug auf Algerien und Marokko gelogen zu haben. Die Herkunft aus Palästina verneinte das BVwG jedoch auf Grund einer - auch vor dem Hintergrund der Minderjährigkeit des Revisionswerbers beim Verlassen seiner Heimat (vgl. dazu VwGH 24.9.2014, Ra 2014/19/0020) - nicht als unschlüssig zu erkennenden Beweiswürdigung. Es liegt daher insgesamt eine Situation vor, in welcher der Revisionswerber selbst zu vertreten hatte, dass keine ausreichenden Grundlagen für die Feststellung des richtigen "Zielstaates" für den Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG vorhanden waren. In einem solchen Fall dürfte ausnahmsweise eine Rückkehrentscheidung ohne gleichzeitige Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG ergehen (vgl. VwGH 5.10.2017, Ra 2017/21/0157, Rn. 9, mwN). Wird bei dieser Ausgangslage hingegen dennoch eine Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG getroffen und stellt sich im Nachhinein heraus, dass sie sich auf einen für eine Abschiebung doch nicht in Betracht kommenden Staat bezieht und daher ins Leere geht, dann ist dieser Fall jenem gleichzuhalten, in dem ein Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG zulässigerweise von vornherein unterblieben ist, und die Rückkehrentscheidung kann auch ohne entsprechenden Ausspruch als Titel für die Abschiebung in den Herkunftsstaat herangezogen werden (vgl. idS VwGH 26.1.2017, Ra 2016/21/0348, Rn. 15).

11 Im vorliegenden Fall war daher die allenfalls unrichtige Festlegung des "Zielstaates" im Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG - weil sie vom Revisionswerber letztlich selbst zu vertreten war - ohne Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Rückkehrentscheidung und des darauf aufbauenden Einreiseverbotes. Allein dadurch, dass der Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG möglicherweise ins Leere geht, weil eine Abschiebung in den betreffenden Staat doch nicht in Frage kommt, konnte der Revisionswerber aber nicht in Rechten verletzt werden.

12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 21. Dezember 2017

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