VwGH Ra 2017/19/0308

VwGHRa 2017/19/030818.10.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel, den Hofrat Mag. Stickler und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, in der Revisionssache des H A C in W, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juni 2017, W175 2121638-2/4E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 und Anordnung der Außerlandesbringung nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

VwGG §26 Abs1;
VwGG §26 Abs3;
VwGG §61;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der aus Somalia stammende Revisionswerber stellte in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005, der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückgewiesen wurde, weil ihm bereits in Italien der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Unter einem erteilte ihm die Behörde keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und ordnete seine Außerlandesbringung nach Italien an.

2 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof bekämpften Erkenntnis als unbegründet ab. Die Revision erklärte es nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

3 Die vorliegende (außerordentliche) Revision wurde in der Folge von der (damaligen) rechtsfreundlichen Vertreterin des Revisionswerbers dem Bundesverwaltungsgericht im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) - ausgehend von den im ERV protokollierten Übermittlungsdaten - am 8. August 2017 (9.25 Uhr) übersendet. Nach den in der Revision enthaltenen Angaben sei dem Revisionswerber die angefochtene Entscheidung am 28. Juni 2017 zugestellt worden.

4 Aus den vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Zustellnachweisen ergibt sich demgegenüber, dass die angefochtene Entscheidung dem im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht einschreitenden rechtsfreundlichen Vertreter des Revisionswerbers, Rechtsanwalt Dr. Lennart Binder, am 22. Juni 2017 im Weg des ERV übermittelt wurde. Eine weitere Ausfertigung dieser Entscheidung wurde dem Rechtsberater des Revisionswerbers, dem ebenfalls vom Revisionswerber Vollmacht erteilt worden war, durch Hinterlegung zugestellt, wobei als Beginn der Abholfrist der 28. Juni 2017 festgelegt wurde.

5 Gemäß § 21 Abs. 8 BVwGG gilt als Zustellungszeitpunkt elektronisch übermittelter Ausfertigungen von Erledigungen des Bundesverwaltungsgerichtes und Eingaben (im Sinn des § 21 Abs. 1 BVwGG) jeweils der auf das Einlangen des Empfängers folgende Werktag, wobei Samstage nicht als Werktage gelten. Demnach galt als Zustellzeitpunkt des angefochtenen Erkenntnisses an Rechtsanwalt Dr. Lennart Binder - wie erwähnt, gelangte die ihm vom Bundesverwaltungsgericht im Weg des ERV übermittelte Ausfertigung dieses Erkenntnisses am 22. Juni 2017 in seinen elektronischen Verfügungsbereich - der 23. Juni 2017 (Freitag).

6 Hat eine Partei oder hat ein Beteiligter mehrere Zustellungsbevollmächtigte, so gilt die Zustellung nach § 9 Abs. 4 zweiter Satz ZustG als bewirkt, sobald sie an einen von ihnen vorgenommen worden ist. Ausgehend davon war für die Berechnung der Revisionsfrist die zeitlich erste an einen der Vertreter erfolgte Zustellung - hier: an Rechtsanwalt Dr. Lennart Binder - heranzuziehen. Somit begann im vorliegenden Fall die sechswöchige Revisionsfrist des § 26 Abs. 1 VwGG am 23. Juni 2017 zu laufen. Der letzte Tag dieser Frist war demnach der 4. August 2017.

7 Dem ist der Revisionswerber, dem vom Verwaltungsgerichtshof die Möglichkeit eingeräumt wurde, zum erhobenen Sachverhalt sowie der Frage der Rechtzeitigkeit der Revision Stellung zu nehmen, und dessen (nunmehriger) rechtsfreundlicher Vertreter in der Äußerung vom 20. September 2017 lediglich darauf hinwies, dass die "Annahme der erstmaligen Zustellung am 28.06.2017 auf einem Irrtum im Rahmen der Informationsaufnahme" beruht habe, nicht entgegengetreten.

8 Die am 8. August 2017 eingebrachte Revision stellt sich nach dem Gesagten als verspätet dar.

9 Daran ändert auch der vom Revisionswerber eingebrachte Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe nichts.

Hat die Partei innerhalb der Revisionsfrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt (§ 61 VwGG), so beginnt gemäß § 26 Abs. 3 VwGG für sie die Revisionsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen, so beginnt die Revisionsfrist mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an die Partei.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zu den vor dem 1. Jänner 2014 geltenden Bestimmungen des § 26 Abs. 3 VwGG (alt) festgehalten, dass sich aus der im ersten Satz des § 26 Abs. 3 VwGG (alt) stehenden Anordnung, dass die Frist zur Erhebung der Beschwerde mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen beginne, klar abzuleiten sei, dass diese Bestimmung (nur) den Fall regle, dass jedenfalls auch die Beigebung eines Rechtsanwaltes zur Einbringung der Beschwerde begehrt werde. Im letzten Satz der zitierten Bestimmung sei zwar von der Abweisung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ohne weitere Voraussetzung oder Einschränkung die Rede. Diese Anordnung sei aber als Ergänzung dahin zu verstehen, dass einem - nach Abweisung des Antrages auf Beigebung eines Verfahrenshelfers - frei gewählten Rechtsanwalt die volle Beschwerdefrist zur Verfügung stehen solle. § 61 VwGG (alt) spreche in Abs. 1 zweiter Satz aus, dass für die Beigebung eines Verfahrenshelfers kein "weiteres Begehren" erforderlich sei. Diese Anordnung verbiete aber nicht, entweder nur die Befreiung von Kosten bzw. Gebühren (etwa der des § 24 Abs. 3 VwGG (alt); vgl. nunmehr § 24a VwGG) oder nur die Beigebung eines Verfahrenshelfers zu beantragen. Wird auf die Beigebung eines Rechtsanwaltes verzichtet, entfaltet der Verfahrenshilfeantrag mangels Anwendbarkeit des § 26 Abs. 3 VwGG (alt) keinen Einfluss auf den durch die Zustellung des Bescheides in Gang gesetzten Lauf der Beschwerdefrist (vgl. den hg. Beschluss vom 15. März 2005, 2005/21/0029, mwN).

In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof auch in seinem Beschluss vom 24. Mai 2005, 2005/18/0048, ausgeführt, dass sich aus dem Wortlaut des § 26 Abs. 3 erster Satz VwGG (alt), wonach die Beschwerdefrist mit Zustellung des Bestellungsbescheides an den Rechtsanwalt neu zu laufen beginne, ergebe, dass diese Bestimmung nur den Fall der Bewilligung der Verfahrenshilfe (auch) im Umfang der Bestellung eines Rechtsanwalts regle. Damit wird dem Rechtsanwalt, der in der Regel erst durch die Bestellung von der Sache erfahre, die vom VwGG (alt) für die Ausarbeitung und Einbringung der Beschwerde vorgesehene Zeit eingeräumt. Wird die Verfahrenshilfe bloß im Umfang der Befreiung von Gebühren und Kosten, nicht aber die Beigebung eines Rechtsanwalts für die Ausarbeitung und Einbringung der Beschwerde beantragt und demgemäß auch dafür nicht bewilligt, sei ein Grund dafür, § 26 Abs. 3 erster Satz VwGG (alt) analog auch in solchen Fällen anzuwenden, nicht ersichtlich.

Zudem wurde in der bisherigen Judikatur betont, die Bestimmung des § 26 Abs. 3 VwGG (alt) stelle ausdrücklich auf eine meritorische Erledigung (Stattgebung oder Abweisung) des Verfahrenshilfeantrages ab. Wird der - fristgerecht eingebrachte - Verfahrenshilfeantrag vom Beschwerdeführer nach Ablauf der im § 26 Abs. 1 VwGG (alt) genannten Beschwerdefrist von sechs Wochen zurückgezogen, so wird die Beschwerdefrist nicht neuerlich in Gang gesetzt (vgl. den hg. Beschluss vom 21. April 1994, 93/09/0268, mwN).

11 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof - was hier der Vollständigkeit halber zu erwähnen ist - in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass § 26 Abs. 3 erster Satz VwGG (alt), wonach die Frist zur Erhebung der Beschwerde mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Verfahrenshelfers an diesen neu zu laufen beginne, dann nicht zum Tragen komme, wenn bereits rechtzeitig innerhalb der Beschwerdefrist des § 26 Abs. 1 VwGG (alt) eine Beschwerde erhoben worden ist (vgl. den hg. Beschluss vom 11. Dezember 1997, 97/20/0641).

12 Der nunmehr geltende § 26 Abs. 3 VwGG hat in seinem diesbezüglichen Inhalt durch die mit Wirkung vom 1. Jänner 2014 erfolgte Novellierung durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (BGBl I Nr. 33/2013) keine Änderung erfahren. Es wurden in § 26 Abs. 3 VwGG nur sprachliche Anpassungen an das nunmehr geltende Revisionssystem vorgenommen. Die einzige inhaltliche - hier aber nicht weiter relevante - Änderung bezog sich darauf, dass jener Satz, der zuvor festgelegt hatte, dass der (vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer zu erlassende) Bescheid über die Bestellung zum Verfahrenshelfer durch den Verwaltungsgerichtshof zuzustellen sei, entfallen ist.

13 Die oben wiedergegebene, zu § 26 Abs. 3 VwGG (alt) in der bis 31. Dezember 2013 geltenden Fassung ergangene Rechtsprechung ist vor diesem Hintergrund auf die seit 1. Jänner 2014 geltende Rechtslage des § 26 Abs. 3 VwGG übertragbar, zumal insoweit auch aufgrund der (seit 1. Jänner 2014 neuen) Systematik im Rahmen des Revisionsmodells keine andere Sichtweise geboten erscheint.

14 Dies bedeutet, dass nach § 26 Abs. 3 VwGG in Bezug auf eine zu erhebende Revision ein Verfahrenshilfeantrag den Neubeginn der sechswöchigen Frist des § 26 Abs. 1 VwGG nicht auszulösen vermag, wenn eine Entscheidung über die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Verfahrenshelfer - etwa weil die Verfahrenshilfe nur in einem eingeschränkten Umfang beantragt oder der Verfahrenshilfeantrag (wenn auch nur hinsichtlich der Beigebung eines Rechtsanwalts) zurückgezogen wird - nicht zu fällen ist. Diesfalls käme es nämlich selbst im Fall der Bewilligung nicht zur Erlassung eines Bestellungsbescheides im Sinn des § 26 Abs. 3 VwGG, sodass sich § 26 Abs. 3 erster Satz VwGG nicht auf eine solche Konstellation beziehen kann. Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung ist aber auf einen solchen Antrag auch § 26 Abs. 3 zweiter Satz VwGG nicht anwendbar. Stellt dieser doch das Pendant zum ersten Satz des § 26 Abs. 3 VwGG dar, sodass auch dieser von vornherein nur dann Maßgeblichkeit erlangen kann, wenn die Abweisung des Verfahrenshilfeantrages auch das Begehren auf Beigebung eines Rechtsanwalts erfasst.

15 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber innerhalb der nach § 26 Abs. 1 VwGG festgelegten Frist die Gewährung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer Revision - ursprünglich auch gerichtet auf die Beigebung eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer - beantragt. Über diesen Antrag war vom Berichter vor der (sechs Tage später erfolgten) Revisionserhebung noch nicht entschieden worden. Im Rahmen der Revisionserhebung schränkte der Revisionswerber - im Hinblick auf die durch eine von ihm bevollmächtigte und frei gewillkürte Rechtsanwältin erfolgte Einbringung der Revision - sein Begehren ausdrücklich auf die Gewährung der Verfahrenshilfe "im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Pauschalgebühr zur Einbringung einer außerordentlichen Revision" ein. Infolge dessen hatte der Verwaltungsgerichtshof nur noch über dieses Begehren abzusprechen. Eine Entscheidung darüber, ob (auch) die Beigebung eines Verfahrenshelfers stattzufinden hätte, war somit nicht mehr zu treffen. Sohin kommt ein Neubeginn der Revisionsfrist nach § 26 Abs. 3 VwGG auch nach der vom Berichter (vgl. zu dessen Zuständigkeit § 14 Abs. 2 VwGG) zu treffenden Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag keinesfalls (mehr) in Betracht. Schon deshalb konnte der im Zeitpunkt der Revisionseinbringung noch nicht erledigte Verfahrenshilfeantrag keine Auswirkungen auf die Revisionsfrist haben.

16 An diesem Ergebnis hätte allerdings auch nichts geändert, wenn der Revisionswerber den Umfang seines Begehrens auf Verfahrenshilfe nicht eingeschränkt hätte. Dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes, mit dem über den Antrag auf Verfahrenshilfe abgesprochen wird, kommt nämlich rückwirkende Kraft nicht zu. Hat ein Antragsteller bereits Revision erhoben, wird dieser Verfahrensschritt weder durch die Bewilligung noch die Versagung des Verfahrenshilfeantrages beseitigt. Selbst im Fall der Bewilligung der Beigabe eines Rechtsanwalts kann sich eine solche daher nur auf die nach dieser Bewilligung zu setzenden Verfahrensschritte beziehen.

Ein anderes Verständnis des § 26 Abs. 3 VwGG verbietet sich schon deshalb, weil nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einer weiteren Revisionserhebung - unabhängig von der Bewilligung der Beigabe eines Rechtsanwalts oder der Abweisung des Verfahrenshilfeantrages - das Prozesshindernis des Verbrauchs des Revisionsrechts entgegenstünde. Das Argument, nur eine zulässige Revision konsumiere das Revisionsrecht und dürfe zu einer Zurückweisung der Revision führen, wurde vom Verwaltungsgerichtshof bereits verworfen. Insbesondere wurde in der bisherigen Rechtsprechung bereits darauf hingewiesen, dass auch durch eine verspätete oder in der Folge zurückgezogene Revision das Revisionsrecht verbraucht wird (vgl. den hg. Beschluss vom 26. April 2017, Ra 2016/19/0370, mwN; vgl. ferner zu einem Fall, in dem das Schicksal der zeitlich ersten Revision im Zeitpunkt der auf den Verbrauch des Revisionsrechts gestützten Zurückweisung der in dieser Angelegenheit eingebrachten zweiten Revision noch gar nicht feststand, den hg. Beschluss vom 15. September 2015, Ra 2015/18/0207, mwN).

17 Die Revision war sohin wegen Versäumung der Revisionsfrist gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen.

Wien, am 18. Oktober 2017

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte