VwGH Ra 2017/19/0120

VwGHRa 2017/19/01208.8.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tanzer, in der Revisionssache des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16. Februar 2017, L525 1431907- 3/3E, betreffend Feststellung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: A T S in W), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §69 Abs1 Z2;
VwGVG 2014 §32 Abs1 Z2;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 30. November 2012 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte vor, er werde in seinem Herkunftsstaat als Mitglied einer oppositionellen politischen Partei von der Regierungspartei verfolgt. Er habe an Demonstrationen teilgenommen, bei denen es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen sei. Gegen ihn seien in der Folge bei Gericht ungerechtfertigte Anzeigen eingebracht und ein Haftbefehl erlassen worden.

2 Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 5. Dezember 2012 gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und den Mitbeteiligten gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nach Bangladesch aus.

3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 29. September 2015 in Bezug auf die Nichtzuerkennung von Asyl und subsidiärem Schutz als unbegründet ab und verwies im Übrigen das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurück. Es erachtete es als nicht glaubhaft, dass der Mitbeteiligte wegen seiner politischen Tätigkeit in seinem Herkunftsstaat von der Regierung verfolgt werde. Vom Mitbeteiligten zum Nachweis seines Vorbringens vorgelegte Kopien von Strafanzeigen erachtete es als Fälschung.

4 Mit Bescheid des BFA vom 13. Jänner 2016 wurde dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei. Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde des Mitbeteiligten wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. März 2016 als unbegründet abgewiesen.

5 Am 13. November 2016 stellte der Mitbeteiligte den nunmehr gegenständlichen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz und brachte vor, von seinen politischen Gegnern aus der Regierungspartei in Bangladesch sei nunmehr am 5. Mai 2016 eine unrichtige Anzeige gegen ihn eingebracht und dadurch seine Strafverfolgung bewirkt worden. Die Justiz seines Herkunftsstaates werde von der regierenden Partei instrumentalisiert, um auf diese Weise oppositionelle Politik zu verhindern. Da er im Fall einer Rückkehr kein faires Verfahren zu erwarten habe, drohe ihm aufgrund dieser Anzeige in Bangladesch zumindest eine mehrjährige Gefängnisstrafe. Er befürchte aber auch, gefoltert oder sogar umgebracht zu werden. Dazu legte der Mitbeteiligte mehrere Schriftstücke vor und gab dazu an, es handle sich um die genannte Anzeige.

6 Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 9. Februar 2017 hob das BFA den faktischen Abschiebeschutz des Mitbeteiligten gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf. Es führte begründend aus, das Vorbringen des Mitbeteiligten sei im Vorverfahren als unglaubwürdig erachtet worden. Die nunmehr vorgelegten behördlichen Schriftstücke aus seinem Herkunftsstaat seien nicht geeignet, einen neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt darzustellen, zumal der Mitbeteiligte bereits im Vorverfahren Beweismittel vorgelegt habe, die als gefälscht beurteilt worden seien. Das Vorbringen des Mitbeteiligten zu seinem neuen Antrag sei nicht glaubwürdig. Mangels Änderung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts werde der Folgeantrag des Mitbeteiligten im Sinn des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 voraussichtlich wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückzuweisen sein.

7 Das BFA übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG.

8 Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes des Mitbeteiligten gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 nicht rechtmäßig sei und der "zitierte" Bescheid des BFA (im Kopf unrichtig angegeben mit "08.11.2016") aufgehoben werde. Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, mit der Vorlage einer Strafanzeige sei durch den Mitbeteiligten eine neue "Bedrohungssituation" dargestellt worden. Entgegen den Annahmen des BFA könne nicht allein daraus, dass im ersten Verfahren vorgelegte Urkunden als gefälscht beurteilt worden seien, darauf geschlossen werden, dass auch die nunmehr vorgelegte Anzeige gefälscht sei. Das BFA habe auch keine Gründe dargestellt, warum das neue Vorbringen des Mitbeteiligten keinen glaubhaften Kern aufweise. Es könne daher im Rahmen der Grobprüfung, die nach § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 vorzunehmen sei, nicht zuverlässig davon ausgegangen werden, dass der Antrag des Mitbeteiligten wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein werde.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei zwischen Anträgen auf Wiederaufnahme des Verfahrens und Folgeanträgen zu unterscheiden. Bei Folgeanträgen liege keine entschiedene Sache im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG vor, wenn das neue Vorbringen sich auf einen "geänderten Sachverhalt" seit dem rechtskräftigen Abschluss des Vorverfahrens beziehe und einen glaubwürdigen Kern aufweise. Im vorliegenden Fall weiche das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insoweit ab, als es bei seiner Prognoseentscheidung nach § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 davon ausgehe, dass durch das neue Vorbringen bzw. die vom Mitbeteiligten vorgelegten Dokumente eine Änderung des Sachverhaltes dargetan worden wäre. Das Vorbringen des Mitbeteiligten beziehe sich aber lediglich auf einen "bereits bestandenen Sachverhalt", den der Mitbeteiligte lediglich neu darzulegen und zu stützen versuche, wobei dieses Vorbringen auch aus den bereits im Verfahren des BFA dargestellten Gründen unglaubwürdig sei. Es komme daher nur allenfalls eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG in Betracht. Indem das Bundesverwaltungsgericht "dennoch die Beweiswürdigung des BFA (...) für nicht hinreichend erachte" und trotz "massiver Hinweise auf die Unglaubwürdigkeit der mP und trotz des Fehlens eines glaubwürdigen Kerns des Vorbringens" davon ausgehe, dass die "Voraussetzung der voraussichtlichen Antragszurückweisung iSd § 12a Abs 2 Z 2 AsylG 2005" nicht erfüllt seien, weiche es von der "angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 68 Abs 1 AVG und zur Beweiswürdigung" ab. "Konkrete Rechtsprechung" des Verwaltungsgerichtshofes zum "Prüfungsmaßstab im Rahmen des § 12a Abs 2 Z 2 AsylG 2005" fehle jedoch.

13 Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen. Gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf "alte" - d.h. nicht ebenfalls erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen. Hingegen ist bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung eingetreten sind, kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag zu stellen, weil in diesem Fall einem auf der Basis des geänderten Sachverhaltes gestellten Antrag die Rechtskraft bereits erlassener Bescheide nicht entgegensteht (vgl. zum Ganzen den hg. Beschluss vom 8. September 2015, Ra 2014/18/0089, mwN; vgl. im Übrigen zur Zulässigkeit von Folgeanträgen etwa den hg. Beschluss vom 25. Februar 2016, Ra 2015/19/0267, mwN).

14 Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht - im Rahmen der hier gegenständlichen Beurteilung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 - von dieser Rechtsprechung abgewichen wäre. Der Mitbeteiligte hat sich in seinem Antrag auf internationalen Schutz auf eine am 5. Mai 2016 wegen seiner politischen Gesinnung erhobene unrichtige Strafanzeige gestützt, gegen die er sich aufgrund der Instrumentalisierung der Justiz durch die Regierungspartei bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht wehren könne. Damit hat der Mitbeteiligte eine Verfolgung aus einem Konventionsgrund behauptet, die sich nach Abschluss des Vorverfahrens mit Erkenntnis vom 29. September 2015 ereignet haben soll. Dem Bundesverwaltungsgericht ist daher - entgegen den Ausführungen in der Revision - zuzustimmen, dass der Mitbeteiligte ein Vorbringen zu einer Änderung des Sachverhaltes erstattet hat.

15 Im Übrigen wird vom revisionswerbenden BFA nicht konkret aufgezeigt, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof bei einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte. Mit dem bloßen Verweis auf fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer näher bezeichneten Verwaltungsvorschrift - hier zu § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 - wird nicht dargelegt, dass eine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der Entscheidung über die Revision zu lösen wäre (vgl. die hg. Beschlüsse vom 6. Juli 2016, Ra 2016/01/0090, und vom 9. November 2016, Ra 2016/19/0296, mwN).

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen. Wien, am 8. August 2017

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