VwGH Ra 2017/18/0063

VwGHRa 2017/18/006312.5.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wech, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Jänner 2017, Zl. W233 2142445- 1/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: E A C, dzt. unbekannten Aufenthalts), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z3;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte brachte am 30. Juli 2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich ein. Laut einem im Verwaltungsakt einliegenden "Ergebnisbericht zum EURODAC-Abgleich" wurde er zuvor am 3. September 2008 und am 23. August 2008 in Italien und am 21. Juni 2010 in der Schweiz erkennungsdienstlich behandelt.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete unter Hinweis auf die EURODAC-Treffer am 13. August 2016 ein auf Art. 18 Abs. l lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Italien.

3 Mit Schreiben vom 14. September 2016 teilte das BFA der italienischen Dublin-Behörde mit, dass aufgrund des Unterbleibens der Beantwortung des Aufnahmeersuchens gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO die Zuständigkeit zur Überprüfung des vorliegenden Antrages auf internationalen Schutz auf Italien übergegangen sei. Die Überstellungsfrist habe am 29. August 2016 zu laufen begonnen.

4 Mit Bescheid des BFA vom 30. November 2016 wurde der Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. l Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b iVm Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den Mitbeteiligten gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

5 Begründend führte das BFA unter anderem aus, die Zuständigkeit Italiens ergebe sich aufgrund des Schreibens vom 14. September 2016 und des Vorliegens von Verfristung gemäß Art. 18 lit. b iVm Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO mit 29. August 2016.

6 Mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2016 informierte das BFA die italienische Dublin-Behörde darüber, dass der Mitbeteiligte flüchtig sei und sich somit die Frist für seine Überstellung nach Italien auf 18 Monate verlängere.

7 Mit Erkenntnis vom 19. Jänner 2017 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) statt und behob den bekämpften Bescheid. Das BVwG erachtete die außerordentliche Revision für nicht zulässig.

8 Begründend führte das BVwG unter dem Punkt "Feststellungen" unter anderem wörtlich aus:

"Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang. Obwohl die Zuständigkeit Italiens zur Führung des Asylverfahrens des Beschwerdeführers unzweifelhaft vorlag, erfolgte die Überstellung des Beschwerdeführers nicht binnen der in Art. 29 Abs. l Dublin-III-Verordnung festgelegten Frist, konkret bis Ablauf des 26.12.2016. Daran vermag auch der Umstand, dass die belangte Behörde der italienischen Dublin Behörde mit Schriftsatz vom 28.12.2016 mitteilte, dass der BF flüchtig ist und sich daher die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO auf 18 Monate verlängert, nichts zu ändern, da diese Mitteilung der Fristverlängerung erst nach Ablauf der 6-Monatsfrist ergangen ist. Den Mitgliedsstaat, der die Fristverlängerung für sich in Anspruch nehmen will, trifft die Verpflichtung den anderen beteiligten Mitgliedsstaaten davon vor Ablauf der 6-Monatsfrist (....) zu informieren (Informationspflicht), andernfalls er sich auf die Fristverlängerung nicht berufen kann (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Das Europäische Asylzuständigkeitssystem, Stand: 1.2.2014, Art. 29, K13)."

9 In seiner rechtlichen Beurteilung führt das BVwG nach Wiedergabe der einschlägigen Rechtsvorschriften unter anderem wörtlich aus:

"Die Zuständigkeit Italiens zur Aufnahme des Beschwerdeführers ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO mit Wirksamkeit vom 26.06.2016 eingetreten. Dem BF wurde der angefochtene Bescheid nachweislich am 02.12.2016, durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes persönlich zugestellt. Mit Schriftsatz vom 15.12.2016 hat der BF fristgerecht Beschwerde gegen den im Spruch angeführten Bescheid eingebracht. Diese Beschwerde ist der zuständigen Gerichtsabteilung W233 am BVwG am 19.12.2016 zugeteilt worden. Somit war zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes die sechsmonatige Überstellungsfrist gem. Art. 29 Abs. 1 Dublin III - VO (mit Ablauf des 26.12.2016) bereits abgelaufen.

Ein Übergang der Zuständigkeit gem. Art. 29 Abs. 2 Dublin III - VO hat im gegenständlichen Verfahren somit stattgefunden und ist Österreich demnach nunmehr für die Führung des materiellen Verfahrens des Beschwerdeführers zuständig. Dementsprechend war gegenständlicher, die Zuständigkeit Österreichs zurückweisender, Bescheid zu beheben und das Verfahren zuzulassen."

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des BFA.

11 Zur Zulässigkeit bringt diese im Wesentlichen vor, die Überstellungsfrist beginne gemäß Art. 25 Abs. 1 zweiter Satz und Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO zwei Wochen, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat mit dem Wiederaufnahmegesuch befasst worden sei, zu laufen, wenn - wie im vorliegenden Fall - EURODAC-Treffer vorlägen und der ersuchte Mitgliedstaat das Gesuch nicht beantworte. Das Wiederaufnahmegesuch sei am 13. August 2016 gestellt worden, weshalb die Antwortfrist zumindest bis zum 27. August 2016 gelaufen sei. Die zunächst sechs-monatige Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. l Dublin III-VO laufe demnach, je nach Berechnungsmethode zumindest noch bis zum Ablauf des 27. Februar 2017 oder 1. März 2017, weshalb auch das Informationsschreiben über die Verlängerung der Frist auf 18 Monate am 28. Dezember 2016 rechtzeitig übermittelt worden sei. Das BVwG gehe hingegen aktenwidrig davon aus, dass die Zuständigkeit Italiens mit 26. Juni 2016 eingetreten sei und die Überstellungsfrist daher bereits mit Ablauf des 26. Dezember 2016 geendet habe. Das BVwG habe in seiner Begründung ein völlig falsches Datum für den Eintritt der stillschweigenden Zustimmung Italiens bzw. den Beginn der Überstellungsfrist herangezogen, wodurch es zu einem Fehler bei der Fristenberechnung gekommen sei. Die Entscheidung des BVwG stütze sich ausschließlich auf die aktenwidrige Feststellung, dass die Überstellungsfrist bereits abgelaufen sei. Da das BVwG also in unvertretbarer Weise unter Außerachtlassung tragender Verfahrensgrundsätze von einem Sachverhalt ausgehe, der sich nicht mit dem Akteninhalt decke, weiche es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab und es liege eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor. Die Entscheidung bedürfe im Sinne der Rechtssicherheit einer Korrektur durch den Verwaltungsgerichtshof.

12 Die mitbeteiligte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

 

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

14 Die für den Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO lauten (auszugsweise):

"Artikel 25

Antwort auf ein Wiederaufnahmegesuch

(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Wiederaufnahme der betreffenden Person so rasch wie möglich, in jedem Fall aber nicht später als einen Monat, nachdem er mit dem Gesuch befasst wurde. Stützt sich der Antrag auf Angaben aus dem Eurodac-System, verkürzt sich diese Frist auf zwei Wochen.

(2) Wird innerhalb der Frist von einem Monat oder der Frist von zwei Wochen gemäß Absatz 1 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen."

"Artikel 29

Modalitäten und Fristen

(1) Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.

(...)

(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist."

15 Die Revision ist zulässig und begründet.

16 Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wird dann aufgeworfen, wenn eine Annahme des Verwaltungsgerichtes in unvertretbarer Weise unter Außerachtlassung tragender Verfahrensgrundsätze nicht mit den vorgelegten Akten übereinstimmt (vgl. VwGH vom 17. November 2015, Ra 2015/22/0021).

17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Aktenwidrigkeit nur dann vor, wenn sich die Behörde bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hat, wenn also die Feststellung jener tatsächlichen Umstände unrichtig ist, die für den Spruch der Entscheidung ausschlaggebend sind (vgl. VwGH vom 24. Oktober 2016, Ra 2016/02/0189).

18 Gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO erfolgt die Überstellung eines Antragstellers spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat. Wird im Falle des Vorliegens von Angaben aus dem EURODAC-System innerhalb einer Frist von zwei Wochen keine Antwort auf ein Wiederaufnahmegesuch erteilt, ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

19 Fallbezogen ist entscheidungswesentlich, wann die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. l Dublin III-VO zu laufen begonnen hat.

20 Das BVwG stellte dazu fest, dass die Zuständigkeit Italiens zur Aufnahme des Mitbeteiligten gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO "mit Wirksamkeit vom 26.06.2016 eingetreten" sei. Dabei übersah es aber, dass das BFA nach der Aktenlage tatsächlich erst am 13. August 2016 ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO richtete, welches unbeantwortet blieb.

21 Unabhängig von der Frage, mit welchem Tag genau die sechsmonatige Überstellungsfrist zu laufen begonnen hat, wurde der Fristenlauf des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO frühestens zwei Wochen ab Unterfertigung des österreichischen Wiederaufnahmegesuchs am 13. August 2016 ausgelöst, sodass die Frist im Entscheidungszeitpunkt - das angefochtene Erkenntnis vom 19. Jänner 2017 ist dem revisionswerbenden BFA am 23. Jänner 2017 zugegangen - unabhängig von einer allfälligen zusätzlichen Verlängerung nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO jedenfalls noch offen war.

22 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG aufzuheben.

Wien, am 12. Mai 2017

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