Normen
MSG NÖ 2010 §11 Abs1;
MSV NÖ 2010 §1 Abs1 Z2 lita;
MSV NÖ 2010 §1 Abs1;
MSV NÖ 2010 §1 Abs2 Z2 lita;
MSV NÖ 2010 §1 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
I.
1 1. Mit Bescheid vom 30. März 2016 wies die belangte Behörde einen Antrag des Mitbeteiligten vom 26. Februar 2016 auf Zuerkennung von Leistungen nach dem Niederösterreichischen Mindestsicherungsgesetz - NÖ MSG (zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes und Wohnbedarfes) ab.
2 Dem legte die belangte Behörde im Wesentlichen zugrunde, dass der Mitbeteiligte über ein monatliches Einkommen von EUR 636,30 (aus einer täglichen AMS-Leistung von EUR 21,21) verfüge, welches über dem für den Mitbeteiligten "geltenden Gesamtrichtsatz für eine volljährige Person in einer Haushaltsgemeinschaft inklusive Zuschuss zum Wohnaufwand in der Höhe von EUR 628,32 (EUR 471,24 + EUR 157,08) monatlich" liege. Daher liege keine Hilfsbedürftigkeit im Sinn des NÖ MSG vor, weshalb der Antrag abzuweisen sei.
3 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 6. Juli 2016 gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich einer Beschwerde des Mitbeteiligten gegen diesen Bescheid statt und erkannte dem Mitbeteiligten für den Zeitraum vom 26. Februar bis 13. Juni 2016 Geldleistungen nach dem NÖ MSG in bestimmter Höhe zu, wobei das Verwaltungsgericht die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zuließ.
4 Das Verwaltungsgericht legte dieser Entscheidung die wesentlichen Feststellungen zugrunde, der Mitbeteiligte habe zum Zeitpunkt der Antragstellung Arbeitslosengeld in der Höhe von EUR 21,21 pro Tag bezogen. Seit 13. Juni 2016 sei er wiederum - und zwar als Lagerlogistiker - beschäftigt und beziehe daraus ein monatliches Nettoeinkommen von ca. EUR 1.100,--.
5 Der Mitbeteiligte bewohne ein Zimmer in einem bestimmten Jugendwohnheim und zahle dafür eine monatliche Miete in der Höhe von EUR 367,--, in der ein Frühstück inkludiert sei, welches von den Bewohnern im Gemeinschaftsraum der hauseigenen Betriebsküche eingenommen werde. Einen Wohnzuschuss beziehe der Mitbeteiligte nicht. Das vom Mitbeteiligten bewohnte Einzelzimmer im Jugendheim bestehe neben dem Wohnraum aus einem Badezimmer und einem WC und sei vom Mitbeteiligten selbst eingerichtet worden, der sich auch - auf eigene Kosten - einen Kühlschrank angeschafft habe.
6 In jedem Stockwerk des Heimes befinde sich eine Stockwerksküche, die den (etwa 20) im Stockwerk lebenden Personen zur Verfügung stehe. In dieser Küche sei die "Infrastruktur" von allen Bewohnern nutzbar; Geschirr und sonstige Kochutensilien seien von den Bewohnern selbst zu stellen. In der Küche bestehe die Möglichkeit, dass einzelne Bewohner ein versperrbares Kästchen nutzen könnten. Sämtliche für Wohnzwecke erforderliche Gegenstände, wie etwa Polster, Decken, Bettwäsche, Handtücher, Geschirr und sonstige Accessoires des persönlichen Bedarfs hätten die einzelnen Bewohner selbst zu organisieren.
7 In dem Wohnhaus des Jugendheims, das der Mitbeteiligte bewohne, stehe den Bewohnern auch eine Waschküche zur Verfügung, in der eine Waschmaschine und ein Trockner zur Benutzung bereit stünden. Zu deren Nutzung müssten die Bewohner Waschmünzen im Wert von EUR 2,-- beim Heimleiter erwerben; benötigte Waschmittel würden vom Jugendwohnheim nicht zur Verfügung gestellt.
8 Von den Bewohnern des Jugendheims würde ausschließlich die "zur Verfügung gestellte Infrastruktur" gemeinsam genutzt; Nahrungsmittel und sonstige persönliche Gegenstände würden nicht unter den Bewohnern geteilt. Die Reinigung der einzelnen Zimmer sowie der von den Bewohnern gemeinsam genutzten Räumlichkeiten würde "von einem Team des Jugendwohnheims absolviert".
9 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht - nach Wiedergabe maßgeblicher Rechtsvorschriften - im Wesentlichen aus, es teile die Rechtsansicht der belangten Behörde, dass die dem Mitbeteiligten zur Verfügung gestellte Wohngelegenheit als "Haushaltsgemeinschaft" anzusehen sei, nicht.
10 Zwar möge man mit Blick auf die Ausführungen des hg. Erkenntnisses vom 23. Oktober 2012, Zl. 2012/10/0020 zum Begriff des gemeinsamen Haushaltes "erkennen können, dass die Wohnsituation des (Mitbeteiligten) der Definition eines ‚gemeinsamen Haushaltes' entsprechen kann". Vor diesem Hintergrund sei allerdings der festgestellte Sachverhalt einer Einzelfallbetrachtung zu unterziehen.
11 Dabei sei ersichtlich, dass sich die Bewohner des Jugendwohnheims die Anschaffung einer Küche bzw. einer Waschmaschine ersparten. Was die Benutzung der Waschküche anlange, für die der Mitbeteiligte Entgelt leisten müsse, bestehe kein Unterschied zu einer - in österreichischen Städten des Öfteren üblichen - Reinigung der Wäsche in einem externen "Waschsalon". Der einzige Unterschied zu einem Mehrparteienwohnhaus liege somit im vorliegenden Fall im Vorhandensein einer Stockwerksküche, was allerdings die Subsumierung des festgestellten Sachverhaltes unter die Definition der gemeinsamen Haushaltsführung nicht rechtfertige.
12 Dazu komme, dass vorliegend die notwendigen Gebrauchsgegenstände, wie zum Beispiel Gläser, Geschirr, Reinigungsmittel, Waschmittel, Decken und Polster, nicht von den Bewohnern untereinander geteilt würden, weshalb "auch keine deutliche Kostenersparnis eintreten" könne.
13 Mangels gemeinsamen Haushaltes (im Sinn des § 1 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 2 Z. 2 Niederösterreichische Mindeststandardverordnung) sei für den Mitbeteiligten der Mindeststandard für Alleinstehende heranzuziehen, sodass sich ein Anspruch des Mitbeteiligten auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in bestimmter Höhe vom Zeitpunkt der Antragstellung bis zum Wiedereintritt des Mitbeteiligten in das Arbeitsleben ergebe.
14 Die Nichtzulassung der Revision begründete das Verwaltungsgericht bloß formelhaft unter Hinweis auf die verba legalia des Art. 133 Abs. 4 B-VG.
15 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision der Niederösterreichischen Landesregierung gemäß Art. 133 Abs. 8 B-VG iVm § 34 NÖ MSG.
16 Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
17 1. Die hier in den Blick zu nehmenden Bestimmungen lauten:
Niederösterreichisches Mindestsicherungsgesetz - NÖ MSG (LGBl. 9205-0 idF LGBl. Nr. 24/2016):
"§ 11
Mindeststandards
(1) Die Landesregierung hat nach Maßgabe des Art. 10 Abs. 2 und 3 der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung, LGBl. 9204-0, durch Verordnung die Höhe der Mindeststandards zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes insbesondere für folgende hilfsbedürftige Personen zu regeln:
- 1. für alleinstehende und alleinerziehende Personen,
- 2. für volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen in Haushalts- oder Wohngemeinschaft leben,
(...)
(3) Mindeststandards zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes nach Abs. 1 beinhalten grundsätzlich einen Geldbetrag zur Deckung des Wohnbedarfes im Ausmaß von 25% bzw. bei hilfsbedürftigen Personen, die eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim bewohnen, einen Geldbetrag im Ausmaß von 12,5%. (...)"
Niederösterreichische Mindeststandardverordnung - NÖ MSV (LGBl. 9205/1-0 idF LGBl. Nr. 120/2015):
"§ 1
Geldleistungen zur Deckung des Lebensunterhaltes und Wohnbedarfes
(1) Der Mindeststandard an monatlichen Geldleistungen zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes beträgt für:
1. Alleinstehende oder Alleinerziehende:
....................................................................
...........................628,32 Euro;
2. volljährige Personen, die mit anderen volljährigen
Personen im gemeinsamen Haushalt leben:
a) je Person
....................................................................
.......471,24 Euro;
(...)
(2) Der Mindeststandard an monatlichen Geldleistungen
zur Deckung des Wohnbedarfes beträgt für Personen, mit
Ausnahme solcher, die eine Eigentumswohnung oder ein Eigenheim
bewohnen:
1. Alleinstehende oder Alleinerziehende:
....................................................................
................bis zu 209,43 Euro;
2. volljährige Personen, die mit anderen volljährigen
Personen im gemeinsamen Haushalt leben:
a) je
Person..............................................................
...bis zu 157,08 Euro;
(...)"
18 2. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
19 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
20 3. Zur Zulässigkeit der Revision führt die Revisionswerberin gesondert im Sinn des § 28 Abs. 3 VwGG aus, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweise auf die Erkenntnisse vom 23. Oktober 2012, Zl. 2012/10/0020, sowie vom 22. Oktober 2013, Zl. 2013/10/0180) ab, indem es die Mitbenützung von durch alle Bewohner des Jugendwohnheims gemeinsam genutzten Bereichen nicht als ausreichend erachte, um das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft zu begründen.
21 4. Die Revision ist zulässig und auch begründet. 22 4.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu dem Begriff des
"gemeinsamen Haushaltes" gemäß § 1 Abs. 1 und Abs. 2 NÖ MSV in dem erwähnten Erkenntnis zur Zl. 2012/10/0020 ausgesprochen, dass für einen solchen gemeinsamen Haushalt entscheidend ist, dass das Zusammenleben von Personen zu einer deutlichen Kostenersparnis gegenüber getrennten Haushalten führt und dass es in diesem Zusammenhang darauf ankommt, ob - zumindest in Teilbereichen - eine gemeinsame Wirtschaftsführung besteht. Eine solche gemeinsame Wirtschaftsführung in Teilbereichen hat der Gerichtshof in dem angeführten Erkenntnis fallbezogen dann angenommen, wenn der Untermieter eines Zimmers in einem Wohnhaus auch Einrichtungen, die für die Haushaltsführung notwendig seien (wie etwa Küche, Badezimmer oder Waschmaschine), mitbenütze. Diese Rechtsprechung hat der Gerichtshof in dem ebenfalls bereits angeführten Erkenntnis zur Zl. 2013/10/0180 fortgeführt.
23 4.2. Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Sachverhalt zu übertragen, ist dieser doch insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass der Mitbeteiligte über den von ihm zu seiner ausschließlichen Verwendung angemieteten Wohnraum (samt Badezimmer und WC) hinaus gemeinsam mit den im selben Stockwerk lebenden, etwa 20 Personen eine Küche und deren "Infrastruktur" (gemeint offenbar: in einer Küche übliche elektrische Geräte) benützen kann. Schon mit Blick darauf ist eine erhebliche Kostenersparnis gegenüber völlig getrennten Haushalten anzunehmen, sodass die belangte Behörde in dem vor dem Verwaltungsgericht bekämpften Bescheid zu Recht einen "gemeinsamen Haushalt" im Sinn der Mindeststandards nach § 1 Abs. 1 Z. 2 lit. a und Abs. 2 Z. 2 lit. a NÖ MSVG angenommen hat.
24 5. Indem das Verwaltungsgericht demgegenüber seiner Entscheidung die entsprechenden Mindeststandards für Alleinstehende (§ 1 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 1 NÖ MSV) zugrunde gelegt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet; dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 11. August 2017
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