VwGH Ro 2016/02/0007

VwGHRo 2016/02/000727.4.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Dr. Lehofer und Dr. N. Bachler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revision des J K in E, vertreten durch Mag. Günther Kiegerl, Rechtsanwalt in 8530 Deutschlandsberg, Hauptplatz 42/I, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 11. Mai 2016, Zl. LVwG 30.19-3250/2015-8, betreffend Übertretung kraftfahrrechtlicher Vorschriften (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung), zu Recht erkannt:

Normen

31985R3820 Harmonisierung best Sozialvorschriften Strassenverkehr Art13 Abs1 litg;
31985R3821 Kontrollgerät im Strassenverkehr Art2;
31985R3821 Kontrollgerät im Strassenverkehr;
32006R0561 Harmonisierung best Sozialvorschriften Strassenverkehr Art13 Abs1 litd;
32006R0561 Harmonisierung best Sozialvorschriften Strassenverkehr Art26 Z2;
32006R0561 Harmonisierung best Sozialvorschriften Strassenverkehr Art4 litc;
62004CJ0128 Raemdonck und Raemdonck-Janssens VORAB;
62009CJ0554 Seeger VORAB;
EURallg;
KFG 1967 §134 Abs1 idF 2013/I/043;
Lenker/innen-AusnahmeV 2010 §3 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung vom 9. Oktober 2015 wurde dem Revisionswerber vorgeworfen, als Fahrer des im Spruch näher angeführten Kraftfahrzeuges, welches zur Güterbeförderung im Straßenverkehr eingesetzt sei und dessen höchst zulässiges Gesamtgewicht einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 3.5 t übersteige, an einem näher bezeichneten Ort folgende Übertretung begangen zu haben:

"Es wurde festgestellt, dass Sie am 3.9.2014 um 10.50 Uhr die erforderlichen Unterlagen nicht vorgelegt haben, obwohl der Fahrer, wenn er ein Fahrzeug lenkt, das mit einem Kontrollgerät gemäß Anhang I B ausgerüstet ist, dem Kontrollbeamten auf Verlangen jederzeit Folgendes vorlegen können muss: alle während des laufenden Tages und der vorausgehenden 28 Tage erstellten handschriftlichen Aufzeichnungen und Ausdrucke, die gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 und der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 vorgeschrieben sind. Es fehlten folgende Unterlagen: es fehlte die Bescheinigung über lenkfreie Tage für 6.8.2014 bis 13.8.2014, 15.8.2014 bis 19.8.2014, 23.8.2014, 24.8.2014, weiters vom 26.8.2014 bis 31.8.2014.

Dies stellt anhand des Anhanges III der Richtlinie 2006/22/EG  i.d.g.F. einen sehr schwerwiegenden Verstoß dar."

Der Revisionswerber habe dadurch gegen § 134 Abs. 1 KFG i. V.m. Art 15 Abs. 7 EG-VO 3821/85 verstoßen. Über ihn wurde eine Geldstrafe von EUR 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage und 12 Stunden) verhängt.

2 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis dem Grunde nach ab. Hinsichtlich des Strafausmaßes gab es der Beschwerde dahingehend Folge, als es die Geldstrafe gemäß § 19 VStG i. V.m. § 38 VwGVG mit EUR 150,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag) neu festsetzte. Die ordentliche Revision erklärte es für zulässig.

3 Im angefochtenen Erkenntnis hielt das Verwaltungsgericht unter anderem fest, dass unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der mündlichen Verhandlung und jener Unterlagen und Dokumente, auf die in der Verhandlung Bezug genommen worden sei, sowie der auftragsgemäß nachgereichten Stellungnahme über die Lieferadresse am Tattag von folgenden Feststellungen auszugehen sei:

Der Revisionswerber sei gelernter Maurer und seit April 2001 Inhaber der Gewerbeberechtigung "gewerbsmäßige Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen im Fernverkehr (Güterfernverkehr), mit zwei LKW" und seit Februar 2002 Inhaber des Gewerbes "Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, wenn die Summe der höchstzulässigen Gesamtgewichte insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt (freies Güterbeförderungsgewerbe), eingeschränkt auf die Verwendung von sieben KFZ", dies jeweils mit einem näher bezeichneten Gewerbestandort. Der Revisionswerber betreibe das Güterbeförderungsgewerbe als Einzelunternehmer und beschäftige sechs Arbeitnehmer, davon zwei LKW-Fahrer und vier Personen mit B-Führerschein für die Fahrzeuge bis 3,5 t. Büroangelegenheiten, insbesondere das Verrechnen der einzelnen Transportscheine und das Disponieren, würden vom Revisionswerber selbst und dessen Gattin durchgeführt, wobei der Revisionswerber das Disponieren als Haupttätigkeit durchführe.

Am Tattag habe der Revisionswerber den gegenständlichen Lastkraftwagen mit einem Gesamtgewicht von 5.000 kg, welcher zugelassen sei für die gewerbsmäßige Beförderung von Gütern, gelenkt, weil sein Arbeitnehmer H., der für die konkrete Fahrt eingeteilt gewesen sei, aufgrund eines nicht geplanten Auftrages einer Sonderfahrt die Fahrt nicht habe übernehmen können. Der Revisionswerber habe das Fahrzeug vom Firmensitz zur M. GmbH gelenkt, wo er CNC-Fertigprodukte übernommen habe und diese zur K. GmbH transportiert habe, wo die CNC-Fertigprodukte entladen worden seien und Rohmaterial geladen worden sei, das wiederum zur M. GmbH zu transportieren gewesen sei. Auf der Rückfahrt sei der Revisionswerber angehalten worden und es sei eine Lenker- und Fahrzeugkontrolle durchgeführt worden. Die Fahrerkarte sei ausgewertet und der Zeitstrahl erstellt worden. Der Revisionswerber habe nicht für alle dem Kontrolltag unmittelbar vorausgehenden 28 Tage handschriftliche Aufzeichnungen und Ausdrucke vorweisen können. Es hätten die Bescheinigungen über die lenkfreien Tage, die im Spruch des Straferkenntnisses näher angeführt worden seien, gefehlt.

Die Entfernung des Betriebsstandortes von der K. GmbH in G. betrage in Luftlinie 47,80 km. Die Entfernung des Betriebsstandortes von der M. GmbH in H. betrage in Luftlinie 1,96 km.

Der festgestellte Sachverhalt sei im Wesentlichen unstrittig, insbesondere werde die im Spruch vorgehaltene Tathandlung nicht bestritten.

Nach Zitierung der relevanten Normen führte das Verwaltungsgericht zum gegenständlichen Fall rechtlich aus, dass der Revisionswerber Unternehmer sei und seine Haupttätigkeit das Disponieren sei. Das Fahrzeug, das er tatzeitlich gelenkt habe, weise eine zulässige Höchstmasse von nicht mehr als 7,5 t auf und sei von ihm innerhalb eines Umkreises von 50 km Luftlinie vom Standort des Unternehmens benutzt worden. Dennoch komme die eingeschränkte Freistellung nach § 3 L-AVO, in der tatzeitlich anzuwendenden Fassung, nicht zur Anwendung, weil der Revisionswerber die konkret transportierte Ware nicht zur Ausübung seines Berufes des Güterbeförderungsunternehmens benötige. Es sei zwar unzweifelhaft nachvollziehbar, dass ohne zu transportierende Ware bzw. Material ein Güterbeförderungsgewerbe auf Dauer nicht erfolgreich bestehen könne, dennoch seien weder die CNC-Produkte noch das Rohmaterial erforderlich, damit der Revisionswerber sein Unternehmen führen könne; dies unterscheide sich wesentlich von den Anwendungsfällen des § 3 L-AVO, wie etwa einem Kran- oder Baggerfahrer, der eben zur Ausübung seines Berufes als Kran- oder Baggerfahrer auf den konkret mit LKW transportierten Kran oder Bagger angewiesen sei. Die Tatbestandvoraussetzungen für die angelastete Verwaltungsübertretung lägen folglich vor; in subjektiver Hinsicht sei vom Vorliegen des Verschuldens zumindest in Form der Fahrlässigkeit auszugehen. Bei der angelasteten Verwaltungsübertretung handle es sich um ein Ungehorsamsdelikt im Sinne des § 5 VStG. Der Revisionswerber habe auch nicht glaubhaft dartun können, dass ihn an der Übertretung kein Verschulden treffe. Zur Strafbemessung führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Mindeststrafe für die gegenständliche Verwaltungsübertretung EUR 300,-- betrage. Unter Anwendung des § 20 VStG sei die Mindeststrafe auf EUR 150,-- herabzusetzen gewesen, weil der Milderungsgrund unter Bedachtnahme darauf, dass der Revisionswerber schon seit 17 Jahren, ohne Verwaltungsübertretungen begangen zu haben, das Güterbeförderungsgewerbe ausübe, ein schwerwiegender sei, dem keinerlei Erschwerungsgründe gegenüberstünden.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen gewesen sei, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukomme. Es gebe keine Rechtsprechung, die über die Anwendung des § 3 L-AVO in der Fassung BGBl. II Nr. 10/2010 auf den Unternehmer eines Güterbeförderungsgewerbes als ausnahmsweisen Lenker abspreche.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit den Anträgen, der Verwaltungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGG aufheben oder das angefochtene Erkenntnis abändern und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG endgültig einstellen, sowie jedenfalls dem Revisionswerber Kostenersatz zuerkennen. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 Art. 15 Abs. 7 lit b der VO (EWG) Nr. 3821/85 des Rates vom 20. Dezember 1985 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr, ABl. L 370 vom 31. Dezember 1985, S. 8, in der hier anzuwendenden Fassung (geändert durch Art. 26 Z 4 der VO (EG) Nr. 561/2006) legt Folgendes fest:

"Lenkt der Fahrer ein Fahrzeug, das mit einem Kontrollgerät gemäß Anhang I B ausgerüstet ist, so muss er den Kontrollbeamten auf Verlangen jederzeit Folgendes vorlegen können:

i) Die Fahrerkarte, falls er Inhaber einer solchen Karte ist,

ii) alle während der laufenden Woche und der vorausgehenden

15 Tage erstellten handschriftlichen Aufzeichnungen und Ausdrucke,

die gemäß der vorliegenden Verordnung und der

Verordnung (EG) Nr. 561/2006 vorgeschrieben sind, und

iii) die Schaublätter für den Zeitraum gemäß dem vorigen

Unterabsatz, falls er in dieser Zeit ein Fahrzeug gelenkt hat, das mit einem Kontrollgerät gemäß Anhang I ausgerüstet ist.

Nach dem 1. Januar 2008 umfasst der in Ziffer ii genannte Zeitraum jedoch den laufenden Tag und die vorausgehenden 28 Tage".

6 Gemäß Art. 3 Abs. 2 der VO (EWG) Nr. 3821/85 in der Fassung der VO (EG) Nr. 561/2006 können die Mitgliedstaaten die in Art. 13 Abs. 1 und 3 der VO (EG) Nr. 561/2006 genannten Fahrzeug von der Anwendung der VO (EWG) Nr. 3821/85 freistellen.

7 § 134 Abs. 1 KFG, BGBl. Nr. 267/1967

i. d.F. BGBl. I Nr. 43/2013, bestimmt wie folgt:

"Wer diesem Bundesgesetz, den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen, Bescheiden oder sonstigen Anordnungen, den Artikeln 5 bis 9 und 10 Abs. 4 und 5 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006, der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 oder den Artikeln 5 bis 8 und 10 des Europäischen Übereinkommens über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR), BGBl. Nr. 518/1975 in der Fassung BGBl. Nr. 203/1993, zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 5 000 Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen (...)".

8 § 3 Z 1 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, mit der für Lenkerinnen und Lenker bestimmter Kraftfahrzeuge Abweichungen von den Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 561/2006 sowie vom Arbeitszeitgesetz festgelegt werden (Lenker/innen-Ausnahmeverordnung - L-AVO), BGBl. II Nr. 10/2010, lautet:

"Eingeschränkte Freistellung

§ 3. Die Lenkerinnen und Lenker folgender Fahrzeuge werden von der Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 gemäß Artikel 3 Abs. 2 sowie von der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 gemäß Artikel 13 Abs. 1 zur Gänze freigestellt, wenn das Lenken des Fahrzeuges für die Lenkerin oder den Lenker nicht die Haupttätigkeit darstellt:

1. Fahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen mit einer

zulässigen Höchstmasse von nicht mehr als 7,5 t, die in einem Umkreis von 50 km vom Standort des Unternehmens zur Beförderung von Material, Ausrüstungen oder Maschinen benutzt werden, die der Lenker oder die Lenkerin zur Ausübung seines Berufes benötigt;"

9 Bis zur Aufhebung durch die VO (EG) Nr. 561/2006 regelte Art 13 Abs. 1 lit g VO (EWG) Nr. 3820/85 des Rates vom 20. Dezember 1985 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr, ABl. L 370, vom 31. Dezember 1985, S. 1, die hier in Rede stehende Ausnahmebestimmung wie folgt:

"(1) Ein Mitgliedstaat kann für sein Hoheitsgebiet oder mit Zustimmung des betreffenden Mitgliedstaates für das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates Abweichungen von jeder Bestimmung dieser Verordnung zulassen, die Beförderungen mit Fahrzeugen einer oder mehrerer der folgenden Arten betreffen:

...

g) Fahrzeuge, die in einem Umkreis von 50 km vom Standort des Fahrzeugs zur Beförderung von Material oder Ausrüstungen verwendet werden, die der Fahrer in Ausübung seines Berufes benötigt; Voraussetzung ist, daß das Führen des Fahrzeugs für den Fahrer nicht die Haupttätigkeit darstellt und die mit dieser Verordnung verfolgten Ziele durch die Abweichung nicht ernsthaft beeinträchtigt werden. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß diese Abweichung nur im Rahmen von Einzelgenehmigungen gewährt wird;"

10 Art 13 Abs. 1 lit d der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates, ABl. L 102 vom 11. April 2006, S. 1, lautet wie folgt:

"(1) Sofern die Verwirklichung der in Artikel 1 genannten Ziele nicht beeinträchtigt wird, kann jeder Mitgliedstaat für sein Hoheitsgebiet oder mit Zustimmung der betreffenden Mitgliedstaaten für das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates Abweichungen von den Artikeln 5 bis 9 zulassen und solche Abweichungen für die Beförderung mit folgenden Fahrzeugen an individuelle Bedingungen knüpfen:

d) Fahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen mit einer

zulässigen Höchstmasse von nicht mehr als 7,5 t,

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte