VwGH Ra 2015/15/0062

VwGHRa 2015/15/006227.4.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bamminger, über die Revision des Finanzamtes Graz-Stadt in 8010 Graz, Conrad von Hötzendorfstraße 14-18, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 23. Juni 2015, Zl. RV/2100388/2013, betreffend Feststellung Gruppenmitglied für die Jahre 2006 bis 2008 (mitbeteiligte Partei: E GmbH in G, vertreten durch die ARTG - Allgemeine Revisions- und Treuhandgesellschaft mbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 8011 Graz, CITY TOWER, Brückenkopfgasse 1/2.OG), zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1988 §4 Abs2 Z2;
EStG 1988 §7 Abs1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte betreibt ein Gasnetz. Große Teile ihres Anlagevermögens bestehen aus Erdgashaupt- und Erdgasstichleitungen sowie Ortsgasnetzen. Bis einschließlich 2005 schrieb sie die Gasleitungen über einen Zeitraum von 20 Jahren ab.

2 Die für die Mitbeteiligte zuständige Regulierungsbehörde stellte im Jahr 2006 fest, dass von den Unternehmen bisher sehr unterschiedliche Abschreibungsdauern für Rohrleitungen von 20 bis 50 Jahren angesetzt worden seien. Unter Bedachtnahme auf verschiedene im Verfahren hervorgekommene Aspekte bei Bestimmung des Netznutzungsentgelts (u. a. Einholung eines technischen Gutachtens des Technischen Überwachungsvereins, im Folgenden: TÜV) sei eine Abschreibungsdauer von 40 Jahren anzusetzen (vgl. Erläuterungen zu § 5 der VO der Energie-Control Kommission, mit der die Gas-Systemnutzungstarife-Verordnung geändert wird,

2. GSNT-VO-Novelle 2006, kundgemacht im Amtsblatt der Wiener Zeitung Nr. 250 vom 28. Dezember 2006).

3 In der Folge ging die Mitbeteiligte für alle Neuzugänge der Jahre ab 2006 von einer Nutzungsdauer der Leitungen von 40 Jahren aus. Für alle anderen bis 2005 in Betrieb genommenen Gasleitungen zog die Mitbeteiligte unternehmensrechtlich den Restbuchwert zum 31. Dezember 2005 heran, den sie auf die längere Restnutzungszeit verteilte. Steuerrechtlich wurde hingegen die bisherige Abschreibungsdauer für die bis einschließlich 2005 angeschafften Gasleitungen beibehalten.

4 Im Bericht über das Ergebnis einer Außenprüfung vom 18. Oktober 2011 stellte der Prüfer fest, dass die Mitbeteiligte die Nutzungsdauer der Leitungen auf Grund der amtlichen deutschen AfA-Tabelle in Verbindung mit der Verwaltungspraxis geschätzt habe. Der ursprüngliche Ansatz einer Nutzungsdauer der Gasleitungen von 20 Jahren sei - weil mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns erstellt - subjektiv richtig gewesen. Die Mitbeteiligte habe erst durch das von der Aufsichtsbehörde beauftragte Gutachten des TÜV erfahren, dass die Nutzungsdauer objektiv unrichtig angesetzt worden sei. An der subjektiven Richtigkeit des bis dahin gewählten Bilanzansatzes ändere dies nichts. Es seien somit keine rückwirkenden Bilanzberichtigungen vorzunehmen. Das Gutachten könne erst ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung berücksichtigt werden. Die steuerliche AfA sei daher in gleicher Weise wie in der Unternehmensbilanz zu berechnen (Restbuchwert geteilt durch die neue Restnutzungsdauer), woraus sich in den Jahren 2006 bis 2008 näher dargestellte Gewinnerhöhungen ergäben.

5 Das Finanzamt erließ - nach Wiederaufnahme der Verfahren - entsprechend geänderte Feststellungbescheide Gruppenmitglied für die Jahre 2006 bis 2008.

6 In ihrer dagegen erhobenen Berufung beantragte die Mitbeteiligte hinsichtlich der "Altanlagen" entweder die bisher angesetzte Nutzungsdauer von 20 Jahren beizubehalten oder aber für alle "Altanlagen" periodengerechte Abschreibungsbeträge von 40 Jahren anzusetzen. Ausschlaggebend für die Änderung der Nutzungsdauer für die Gasrohrleitungen sei die Erlassung der 2. Gas-Systemnutzungstarife-Verordnung-Novelle 2006 gewesen, die am 28. Dezember 2006 im Amtsblatt der Wiener Zeitung veröffentlicht worden und mit 1. Jänner 2007 in Kraft getreten sei. Die in den Erläuterungen definierte Vorgangsweise hätte grundsätzlich nur für die Kalkulation des Netznutzungsentgelts eine Auswirkung. Hätte die Mitbeteiligte diese eigentlich nur für die Tarifierung maßgebliche Nutzungsdauer nicht auch in ihre unternehmensrechtlichen Bücher übernommen, hätten die buchmäßigen Abschreibungen nicht mit den vorgegebenen kalkulierten Netzerlösen korreliert. Daher habe die Mitbeteiligte ab Kenntnis dieser Tatsache im Herbst 2006 die Nutzungsdauer ihrer Gasleitungen aus betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit an diese Vorgabe angepasst. Eine Anpassung der steuerlichen Nutzungsdauer im Jahr 2006 widerspreche dem Grundsatz der Bewertungsstetigkeit. Dieser Grundsatz dürfe nur durchbrochen werden, wenn sich die maßgebenden Verhältnisse geändert hätten, was gegenständlich nicht der Fall wäre. Es hätten sich auch keine steuerrechtlichen oder unternehmensrechtlichen Bestimmungen geändert. Auch die Unternehmensstrukturen seien unverändert. Des Weiteren verletze die von der Behörde vorgenommene "Berichtigung" den Grundsatz von Treu und Glauben. Steuerliche Außenprüfungen für die Jahre bis 2004 hätten zu keinem Feststellungen hinsichtlich zu kurz angesetzter Nutzungsdauer bei den streitgegenständlichen Anlagen geführt. Selbst der nun vorliegende Betriebsprüfungsbericht bestätige, dass die Mitbeteiligte mit der "Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes gehandelt" habe. Die Maßgeblichkeit der unternehmensrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung für die Steuerbilanz werde überschätzt. Uneingeschränkte Maßgeblichkeit sei nur für jene Bereiche zu bejahen, in denen das EStG spezielle Verweise auf das Unternehmensrecht vornehme. Die §§ 7 und 8 EStG 1988 enthielten umfassende Regelungen für den Bereich der steuerlichen Abschreibungen. Auch sei die unternehmensrechtliche Fehlerberichtigung eine andere. Fehler seien nicht in dem Jahresabschluss zu korrigieren, in dem sie zum ersten Mal aufgetreten seien, sondern erst im laufenden Jahresabschluss.

7 Sollte die Behörde die Beibehaltung der Nutzungsdauer von 20 Jahren für die Altanlagen nicht anerkennen, werde beantragt, dass den Anlagen Abschreibungen zu Grunde gelegt werden, welche einer periodengerechten Gewinnermittlung entsprechen. Die Bilanzberichtigung habe in diesem Fall an der Wurzel zu erfolgen. Eine objektiv unrichtige Vorgangsweise dürfe nicht deswegen zu einem objektiv falschen steuerlichen Ergebnis führen, weil diese Vorgangsweise subjektiv zu einem bestimmten Zeitpunkt richtig gewesen sei. Dies widerspreche dem Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung bzw. Art. 7 B-VG (Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz). Es würde derjenige, der die objektiv richtige Nutzungsdauer ansetze, anders besteuert werden, als derjenige, der zwar subjektiv aus seinem Wissensstand heraus eine richtige, aber objektiv falsche Nutzungsdauer ansetze.

8 Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom 9. April 2013 ab, woraufhin die Mitbeteiligte deren Vorlage an die Abgabenbehörde zweiter Instanz beantragte.

9 Das gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG mit 1. Jänner 2014 an die Stelle des unabhängigen Finanzsenats getretene Bundesfinanzgericht änderte "die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes" in der Weise ab, dass die Eröffnungsbilanz zum 1. Jänner 2006 berichtigt und auch für die Altanlagen eine Nutzungsdauer von 40 Jahren angesetzt wurde.

10 Begründend führte das Bundesfinanzgericht aus, grundsätzlich sei festzustellen, dass die Nutzungsdauer von Gasleitungen in der Vergangenheit in der Branche mit zwanzig Jahren festgelegt worden sei. Demgegenüber sei der TÜV als Überprüfungsstelle zum Schluss gekommen, dass bei entsprechend sachgemäßer Herstellung, ordnungsgemäßem Betrieb und entsprechender Instandhaltung eine technische Nutzungsdauer von 50 Jahren "gängige Praxis" sei. Die Energie-Control-Kommission halte eine Abschreibungsdauer von 40 Jahren auch betriebswirtschaftlich für vertretbar. Die deutsche AfA-Tabelle sehe für Stahlrohre eine Nutzungsdauer von 30 Jahren vor. Ein Rechtsanspruch auf Beibehaltung einer nunmehr als unrichtig erkannten Abschreibungsdauer von 20 Jahren bestehe nicht. Auch wenn die Abgabenbehörde die gewählte Abschreibungsdauer in der Vergangenheit nicht beanstandet habe, verstoße die nunmehrige Abweichung nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, weil die Abgabenbehörde die später als unrichtig erkannte AfA-Berechnung nicht veranlasst habe. Die Bilanzberichtigung müsse auch nach rechtskräftigem Abschluss der Steuerveranlagung für das Berichtigungsjahr bis zur Wurzel zurück vorgenommen werden. Die durch § 4 Abs. 2 EStG 1988 normierte Pflicht zur Berichtigung der fehlerhaften Bilanz betreffe die Steuerbilanz. Das UGB kenne für die UGB-Bilanz andere Berichtigungsregeln; unternehmensrechtlich erfolge die Berichtigung in der Regel nicht im Jahresabschluss, in welchem der Fehler unterlaufen sei, sondern - soweit nachfolgende weitere Jahresabschlüsse erstellt worden seien - im laufenden Jahresabschluss. Da die Unternehmensbilanz zu anderen Zwecken erstellt werde (insbesondere Informationszweck), teile das Bundesfinanzgericht die Überlegungen nicht, die eine Übertragung unternehmensrechtlicher Berichtigungsregeln auf die Steuerbilanz befürworteten.

11 Die Neufassung des § 4 Abs. 2 EStG 1988 durch das AbgÄG 2012 kenne für den Fall der notwendigen Bilanzberichtigung außerbücherliche steuerliche Zu- und Abschläge. Da es sich bei § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 um eine Norm des materiellen Einkommensteuerrechts handle, also um eine Bestimmung, die Einfluss auf die Höhe des Gewinnes/Verlustes aus der betrieblichen Einkunftsquelle nehme, sei die (unklare) Inkrafttretensbestimmung des § 124b Z 225 EStG 1988 so auszulegen, dass sie erst Tatbestände erfasse, die sich ab deren Inkrafttreten verwirklicht hätten. Daher könnten erstmals, wenn das Veranlagungsjahr 2013 das älteste, nicht verjährte Jahr sei, Zuschläge nach § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 vorgenommen werden, wobei diese Zuschläge Fehler ab dem Jahr 2003 betreffen könnten (Hinweis auf Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, Kommentar zum EStG, § 4 Tz 167). Die Frage, wie die Fehlerberichtigung durch Zu- und Abschläge ab 2003 vorzunehmen sei, stelle sich daher im Streitzeitraum nicht; die Beantwortung bleibe künftigen Abgabenverfahren vorbehalten, wobei davon auszugehen sei, dass Fehler, die bis 31. Dezember 2002 geschehen seien, letztendlich als "zuschlagsfrei" saniert (zu Gunsten oder zu Ungunsten des Abgabenpflichtigen) betrachtet werden können.

12 Da die Berichtigung der AfA bis zur Wurzel zurück erfolgen müsse, könnten die in der Vergangenheit zu hohen Absetzungen nicht durch Minderung oder Aussetzung der Abschreibung in der Zukunft ausgeglichen werden. Dass dadurch ein negativer Buchwert entstehe, sei nach der jüngeren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes irrelevant (Hinweis auf VwGH vom 31. Mai 2011, 2007/15/0015, und vom 30. März 2011, 2008/13/0024).

13 Die ausgesprochene Unzulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Bundesfinanzgericht damit, dass keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliege, die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche, noch es an einer solchen Rechtsprechung fehle oder die bisherige Rechtsprechung uneinheitlich sei.

14 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision des Finanzamts.

 

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

16 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden und hat er die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

18 Die Revision des Finanzamts macht zu ihrer Zulässigkeit u. a. geltend, das Bundesfinanzgericht habe die Feststellung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes als Rechtsfrage beurteilt und aus diesem Grund der subjektiven Richtigkeit der Bilanz keine Bedeutung beigemessen.

19 In ihrer Revisionsbeantwortung verneint die Mitbeteiligte das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Die vom Finanzamt aufgeworfene Rechtsfrage sei schon nicht präjudiziell, weil im Zeitpunkt der Außenprüfung für die Jahre 2006 bis 2008 die subjektive Bilanzrichtigkeit schon per se nicht habe vorliegen können, weil das Gutachten des TÜV aus 2005 stamme.

20 Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet. 21 Bei Wirtschaftsgütern, deren Verwendung oder Nutzung sich

erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, sind die Anschaffungs- oder Herstellungskosten gemäß § 7 Abs. 1 EStG 1988 gleichmäßig verteilt auf die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer abzusetzen.

22 Die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer kann nicht mathematisch genau ermittelt werden; es ist eine Schätzung vorzunehmen, bei der sowohl Umstände zu berücksichtigen sind, die durch die Art des Wirtschaftsgutes bedingt sind, als auch solche, die sich aus der besonderen Nutzungs-(Verwendungs-)form im Betrieb ergeben. Maßgebend ist somit die objektive betriebsindividuelle Nutzungsdauer; das ist jene Zeitspanne, innerhalb derer das Wirtschaftsgut einen wirtschaftlichen Nutzen abwerfen und im Betrieb nutzbringend einsetzbar sein wird (vgl. Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuer-Handbuch, § 7 Tz. 38, und VwGH vom 28. Mai 2002, 98/14/0169).

23 Die Schätzung obliegt grundsätzlich dem Steuerpflichtigen, der in der Regel über einen besseren Einblick als die Abgabenbehörde darüber verfügt, wie lange sich das von ihm angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgut nach seinen Verhältnissen nutzen lässt (vgl. VwGH vom 27. Jänner 1994, 92/15/0127). Die Behörde darf davon abweichen, wenn sich die Schätzung als unzutreffend erweist. Eine Berichtigung ist vorzunehmen, wenn die Abweichung erheblich ist, d. h. die Schätzung der Nutzungsdauer durch den Steuerpflichtigen außerhalb jener Bandbreite liegt, die jeder Schätzung immanent ist (vgl. Doralt, EStG13, § 7 Tz. 49 und 54, sowie die dort angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

24 Wurde die AfA in der Vergangenheit - wie im Revisionsfall vom Bundesfinanzgericht festgestellt - zu hoch angesetzt, stellt sich die Frage, ob die AfA für die Restnutzungsdauer durch eine entsprechende Minderung auszugleichen ist oder ob eine Berichtigung der AfA zurückgehend bis zum Zeitpunkt der erstmaligen betrieblichen Verwendung oder Nutzung des Wirtschaftsgutes zu erfolgen hat.

25 In dem vom Bundesfinanzgericht angeführten Erkenntnis vom 31. Mai 2011, 2007/15/0015, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass Unrichtigkeiten der Bilanz bis zur Wurzel zurück zu berichtigen sind, und zwar auch dann, wenn die Berichtigung für abgelaufene Jahre etwa wegen der Rechtskraft der Veranlagungsbescheide oder wegen eingetretener Bemessungsverjährung keine Änderung der Abschreibung bewirkt.

26 Eine Bilanzberichtigung (bis zur Wurzel) hat zwingend zu erfolgen, wenn der Abgabepflichtige (oder die Finanzbehörde) den Fehler, somit den Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung oder zwingende Vorschriften des EStG, entdeckt. Da eine Bilanzberichtigung das Vorliegen eines Verstoßes gegen die allgemeinen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung oder zwingende Vorschriften des EStG voraussetzt, ist nicht jede sich nachträglich als inhaltlich unrichtig herausstellende Bilanz zu berichtigen. Eine Bilanz gilt als im Sinne der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung richtig, wenn sie mit der Sorgfalt eines ordentlichen Unternehmers aufgestellt worden ist. Ein dem Abgabepflichtigen nicht vorwerfbarer Informationsmangel führt zu keiner fehlerhaften Bilanz im Sinne des § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 (vgl. Hirschler, Die Bilanzberichtigung nach dem Abgabenänderungsgesetz 2012, SWK 27/2015, 1187).

27 Richtig ist die Bilanz, wenn die am Bilanzstichtag bestehenden Verhältnisse nach der bei Bilanzerstellung bestehenden Kenntnis des Steuerpflichtigen (bzw. nach der Kenntnis, die der Steuerpflichtige unter Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt bei Bilanzerstellung hätte haben können) in der Bilanz ihren Niederschlag gefunden haben (vgl. VwGH vom 25. April 2013, 2010/15/0157, und vom 20. Dezember 2016, Ro 2014/15/0012). Auch wenn sich nachträglich die objektive Unrichtigkeit herausstellt, führt dies nicht zu einer Bilanzberichtigung.

28 Stellt sich nachträglich heraus, dass ein Bilanzansatz nach den Verhältnissen des Bilanzstichtages objektiv unrichtig ist und dem Steuerpflichtigen die Umstände bei der Bilanzerstellung bekannt waren (oder bekannt sein mussten), ist die Bilanz jedoch zwingend zu berichtigen (vgl. VwGH vom 29. Oktober 2003, 2000/13/0090).

29 Die Frage der subjektiven Richtigkeit der Bilanz kann nur in jenen Fällen Bedeutung haben, in denen es um "Umstände" oder "Verhältnisse" geht, welche am Bilanzstichtag schon vorlagen, dem Steuerpflichtigen aber bis zur Bilanzerstellung noch nicht bekannt waren, und welche ein gewissenhafter Abgabenpflichtiger bei Anwendung der nötigen Sorgfalt auch nicht kennen musste. Angesprochen sind in diesem Zusammenhang ausschließlich Sachverhaltselemente (vgl. nochmals VwGH vom 29. Oktober 2003, 2000/13/0090).

30 Die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer richtet sich nach der objektiven Möglichkeit einer Nutzung des Wirtschaftsgutes. Dazu bedarf es - wie schon ausgeführt - einer Schätzung, bei der sowohl Umstände zu berücksichtigen sind, die durch die Art des Wirtschaftsgutes bedingt sind, als auch solche, die sich aus der besonderen Nutzungs-(Verwendungs-)form im Betrieb ergeben. (vgl. nochmals VwGH vom 28. Mai 2002, 98/14/0169). Die Schätzung der Nutzungsdauer von Wirtschaftsgütern beruht somit auf Umständen, die den Sachverhaltsbereich betreffen.

31 Anders als im Fall, der dem Erkenntnis vom 31. Mai 2011, 2007/15/0015, zu Grunde lag, hat das Finanzamt im Revisionsfall die ausdrückliche Feststellung getroffen, dass die Mitbeteiligte die Nutzungsdauer der Leitungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes geschätzt hat. Gegenteiliges wurde auch vom Bundesfinanzgericht nicht festgestellt. Erst durch das Bekanntwerden des Gutachtens des TÜV im Jahr 2006 sei die objektive Unrichtigkeit der angesetzten Nutzungsdauer hervorgekommen. Nach dem im Revisionsfall festgestellten Sachverhalt lagen bis zum Bekanntwerden der neuen Erkenntnisse über die technische Beschaffenheit der Leitungen keine unrichtigen, "bis zur Wurzel" zu korrigierenden (weil fehlerhaften) Bilanzen vor. Insoweit hat das Bundesfinanzgericht die Rechtslage verkannt.

32 Im fortzusetzenden Verfahren werden nach dem Gesagten auch Feststellungen zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung zu treffen sein. Ob das Jahr 2006 (das erste Streitjahr) - wie der unternehmensrechtlichen Gewinnermittlung zu Grunde gelegt - das erste Jahr ist, in dem die neu gewonnenen Erkenntnisse in Bezug auf die Nutzungsdauer der Leitungen zu veränderten Abschreibungen führen müssen, hängt nämlich davon ab, ob es sich bei der Bilanz zum 31. Dezember 2006 um die erste nach dem Bekanntwerden des Gutachtens des TÜV erstellte Bilanz handelt. Sollte dies der Fall sein, so bestimmte sich die Höhe der Abschreibung durch Verteilung des (Rest)Buchwertes zum 1. Jänner 2006 auf die verbleibende (korrigierte) Restnutzungsdauer.

33 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 27. April 2017

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