VwGH Ra 2016/21/0068

VwGHRa 2016/21/006817.11.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. Jänner 2016, Zl. W117 2117174- 1/7E, betreffend Festnahme und Anhaltung nach dem BFA-VG sowie Schubhaft (mitbeteiligte Partei: Z P in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11),

Normen

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13;
BFA-VG 2014 §40 Abs1 Z3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13;
BFA-VG 2014 §40 Abs1 Z3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses richtet.

Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. zu Recht erkannt:

Im übrigen Umfang der Anfechtung (Spruchpunkte II. bis IV.) wird das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein ukrainischer Staatsangehöriger, wurde am 5. November 2015 um 16:50 Uhr gemäß § 40 Abs. 1 Z 3 BFA-VG festgenommen, weil er sich unrechtmäßig in Österreich aufgehalten habe. Um 19:20 Uhr erfolgte seine Einlieferung in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) Rossauer Lände, am nächsten Tag wurde er in das PAZ Hernalser Gürtel überstellt, wo er um 10:20 Uhr einlangte und um 17:00 Uhr unter Beiziehung eines Dolmetschers einvernommen wurde. Mit um 19:50 Uhr zugestelltem Bescheid ordnete das BFA - die revisionswerbende Behörde - schließlich gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung des Mitbeteiligten an, nachdem unmittelbar davor gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG eine - infolge Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde - durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen worden war. Am 10. November 2015 wurde der Mitbeteiligte um 13:25 Uhr aus der Schubhaft entlassen, nachdem er einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte.

2 Mit Schriftsatz vom 16. November 2015 erhob er gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG Beschwerde gegen die Festnahme, die Anhaltung auf Grund dieser Festnahme, den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, es werde der "Beschwerde hinsichtlich der (Festnahme)Anhaltung ... gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG idgF iVm § 40 BFA-VG idgF stattgegeben und die Anhaltung von 06.11.2015, 00.00 Uhr bis 06.11.2015, 17.00 Uhr für rechtswidrig erklärt" (Spruchpunkt I.). Mit Spruchpunkt II. gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde "gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG idgF und § 76 Abs. 3 Z 1 und 9 FPG idgF" statt, behob den Schubhaftbescheid vom 6. November 2015 und erklärte die Anhaltung in Schubhaft vom 6. November 2015, 19:50 Uhr, bis zum 10. November 2015, 13:25 Uhr, für rechtswidrig. Mit Spruchpunkt III. verpflichtete es den Bund gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG zum Kostenersatz gegenüber dem Mitbeteiligten, mit Spruchpunkt IV. wies es den Kostenersatzantrag des BFA ab. Mit dem (nicht angefochtenen) Spruchpunkt V. wies es den Antrag des Mitbeteiligten auf Kostenersatz im Umfang der Eingabegebühr zurück, mit Spruchpunkt VI. sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht zu Spruchpunt I. im Wesentlichen aus, dass die Festnahme des Mitbeteiligten auf Grund seines unrechtmäßigen Aufenthalts und des Umstandes, dass er zunächst eine falsche Identität angegeben habe, rechtmäßig erfolgt sei. Allerdings sei die Anhaltedauer unverhältnismäßig gewesen: Die Hinauszögerung der Einvernahme bis zum nächsten Tag um 17:00 Uhr sei nach der Aktenlage in keiner Weise begründet, und auch in der Stellungnahme des BFA zur gegenständlichen Beschwerde sei den diesbezüglichen Beschwerdeausführungen nichts - etwa Probleme bei der Bestellung eines geeigneten Dolmetschers - entgegen gehalten worden. Somit sei kein Grund ersichtlich, warum die Einvernahme nicht bereits am 5. November 2015 hätte stattfinden können; es sei weder ein objektiver Grund für die Verzögerung erkennbar, noch ein Bemühen des BFA um eine raschestmögliche Einvernahme durch unverzügliche Veranlassung der Bestellung eines Dolmetschers. Somit habe sich die Anhaltung auf Grund der Festnahme ab dem 6. November 2015, 0:00 Uhr, bis 6. November 2015, 17:00 Uhr, als unverhältnismäßig erwiesen und sei "dem Beschwerdevorbringen spruchgemäß stattzugeben" gewesen.

5 Zu Spruchpunkt II. betreffend den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte habe in der Einvernahme am 6. November 2015 Folgendes angegeben: (auf die Frage, warum er nach Österreich gekommen sei:) "Aufgrund eigener Probleme. Ich möchte in Österreich arbeiten. In der Ukraine werde ich nichts verdienen. Ich fürchte die Einberufung in die Armee zum Kampf."; (auf die Frage, was er zur in Aussicht genommenen Rückkehrentscheidung und zur Zulässigkeit seiner Abschiebung in die Ukraine sage:) "Wenn ich zurückkehre, werden sie mich in den Krieg schicken. In Österreich kann ich arbeiten."; (auf die Frage, ob er in der Ukraine verfolgt werde:) "Ich bin nach Österreich eingereist, um zu arbeiten, alle haben gesehen, dass ich dort arbeite. In meiner Heimat sehe ich keine Chance.". Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei bei der Beurteilung, ob ein in irgendeiner Form geäußerter Wunsch eines Fremden einen Asylantrag darstelle, ein großzügiger Maßstab anzulegen. Selbst wenn das BFA im Gesamtkontext der Äußerung des Mitbeteiligten von einer nicht hinreichenden Deutlichkeit des niederschriftlichen Vorbringens ausgegangen sei - der Wortlaut erscheine eigentlich deutlich genug -, so hätte es durch weitere Fragestellung eine Klärung herbeiführen müssen, ob mit diesen Aussagen nicht das Stellen eines Antrages auf internationalen Schutz gemeint gewesen sei. Ausgehend davon, dass der Mitbeteiligte unmittelbar nach Einbringung seines Antrages auf internationalen Schutz aus der Schubhaft entlassen worden sei, stelle die Unterlassung einer entsprechenden Abklärung einen wesentlichen Mangel dar, welcher den Schubhaftbescheid mit Rechtswidrigkeit belaste. Den Beschwerdeausführungen, wonach das BFA "als spezialerfahrene

Behörde ... aus ihrem Amtswissen heraus den Asylgrund erkennen und

(den Mitbeteiligten) bereits anlässlich der Einvernahme anleiten (hätte) müssen, einen Asylantrag zu stellen", könne insofern nicht entgegen getreten werden. Im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung sei dem "vordergründig nicht als gänzlich unbegründet erscheinenden Interesse des Beschwerdeführers an der Suche nach (internationalem) Schutz der Vorrang gegenüber dem Interesse des Staates an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und letztlich Sicherung der Rückführung (durch Schubhaft) in den Herkunftsstaat einzuräumen". Die Schubhaftanordnung und die darauf aufbauende Anhaltung erwiesen sich daher im Ergebnis als rechtswidrig.

6 Die Kostenentscheidung in den Spruchpunkten III. und IV. begründete das Bundesverwaltungsgericht mit dem vollständigen Obsiegen des Mitbeteiligten.

7 Gegen die Spruchpunkte I. bis IV. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des BFA.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dem vom Mitbeteiligten eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:

8 1. In Bezug auf Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses macht die Revision unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zunächst geltend, dass der Spruch undeutlich sei, womit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen werde. Es sei nämlich nicht klar, ob mit diesem Spruchpunkt auch die Festnahme am 5. November 2015 für rechtswidrig erklärt werden sollte und ob die Anhaltung bis 6. November 2015, 0:00 Uhr, rechtmäßig oder rechtswidrig gewesen sei.

9 Das Bundesverwaltungsgericht hat nach dem Wortlaut des genannten Spruchpunktes zwar der "Beschwerde hinsichtlich der (Festnahme)Anhaltung" insgesamt - ohne weitere Differenzierung - stattgegeben. In der Begründung wird aber ausdrücklich erklärt, dass die Festnahme gemäß § 40 Abs. 1 Z 3 BFA-VG und die Anhaltung bis Mitternacht im Hinblick auf den unrechtmäßigen Aufenthalt des Mitbeteiligten und seine unklare Identität rechtmäßig gewesen seien. Es kann daher entgegen dem Revisionsvorbringen nicht zweifelhaft sein, dass die Beschwerde hinsichtlich der Festnahme und der ersten Stunden der Anhaltung abgewiesen werden sollte, zumal sich die spruchgemäße Rechtswidrigerklärung darauf nicht bezieht.

10 Soweit das Bundesverwaltungsgericht die Anhaltung ab dem 6. September 2015, 0:00 Uhr, für rechtswidrig erklärt hat, ist es entgegen der Amtsrevision nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Nach dieser Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 12. September 2013, Zl. 2012/21/0204) gilt grundsätzlich die Regel, dass die Einvernahme eines vor 22:00 Uhr Festgenommenen im großstädtischen Bereich regelmäßig bis spätestens Mitternacht zu erfolgen hat. Das mag zwar in Fällen, in denen die notwendige Beiziehung eines Dolmetschers auf Schwierigkeiten stößt, anders zu beurteilen sein; solche Schwierigkeiten oder andere, ausnahmsweise eine längere Anhaltung auf Grund der Festnahme rechtfertigende Umstände hat das BFA aber im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht behauptet (und im Übrigen auch in der Revision nicht konkret geltend gemacht).

11 Die Revision erweist sich daher, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung als unzulässig und war gemäß § 34 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.

12 Der - schon auf Grund der teilweisen Zurückweisung der Revision gebotene - Zuspruch von Aufwandersatz an den Mitbeteiligten gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 51, VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

13 2. In Bezug auf die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Erkenntnisses ist die Revision - wie sich aus dem Weiteren ergibt - zulässig.

14 Das Bundesverwaltungsgericht hat den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft ausschließlich deswegen als rechtswidrig erachtet, weil vom Mitbeteiligten vor Erlassung des Schubhaftbescheides ein Vorbringen erstattet worden sei, das als Antrag auf internationalen Schutz zu werten gewesen wäre oder vor dem Hintergrund des "Amtswissens" des BFA zumindest zu entsprechenden Nachfragen hätte Anlass geben müssen. Ein Antrag auf internationalen Schutz ist nach § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 "das - auf welche Weise auch immer artikulierte - Ersuchen eines Fremden in Österreich, sich dem Schutz Österreichs unterstellen zu dürfen". Das bedeutet, dass der Antrag an keine bestimmte Form gebunden ist; er muss aber das Begehren enthalten, sich dem Schutz Österreichs zu unterstellen.

15 Von einem solchen Begehren (von dem dann gemäß § 17 Abs. 5 AsylG 2005 die örtlich zuständige Sicherheitsbehörde oder das nächste Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu verständigen gewesen wäre) war im niederschriftlichen Vorbringen des Mitbeteiligten auch bei großzügiger Interpretation keine Rede; vielmehr hat er als Motiv für seine Einreise nach Österreich und seinen Wunsch, hier bleiben zu dürfen, wiederholt angegeben, in Österreich arbeiten zu wollen, und abschließend Folgendes zu Protokoll gegeben: "Ich bitte Sie geben mir ein Papier, dass ich hier arbeiten kann. Ich mache nichts Schlechtes.". Er hat zwar auch die Befürchtung geäußert, in der Ukraine zum Wehrdienst eingezogen zu werden; dieses Vorbringen konnte aber für sich genommen ebenfalls nicht als Antrag auf internationalen Schutz gedeutet werden und war - mangels eines Hinweises auf allenfalls für die Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz relevante Umstände einer solchen Einberufung - so allgemein gehalten, dass auch die Unterlassung einer weiteren Klärung durch das BFA jedenfalls nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft führte. Dass der Revisionswerber dann nach tatsächlich erfolgter Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz aus der Schubhaft entlassen wurde, beruhte offenbar darauf, dass angesichts des eingeleiteten (und zufolge den Angaben des BFA in der Revision bereits zugelassenen) Asylverfahrens nicht mehr mit einer baldigen Abschiebung gerechnet werden konnte; das lässt aber nicht den Schluss zu, dass auch die Anhaltung in Schubhaft bis zu diesem Zeitpunkt rechtswidrig war, weil die Antragstellung gleichsam antizipiert werden hätte müssen.

16 Das Bundesverwaltungsgericht hat daher Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses infolge dieser nicht tragfähigen Begründung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

17 Diese Rechtswidrigkeit schlägt auch auf die in den Spruchpunkten III. und IV. enthaltene, mit dem vollständigen Obsiegen des Mitbeteiligten begründete Kostenentscheidung durch.

18 Das angefochtene Erkenntnis war somit im Umfang der Spruchpunkte II. bis IV. gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 17. November 2016

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