VwGH Ra 2014/22/0103

VwGHRa 2014/22/010326.2.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag.a Lehner, über die Revision der Bundesministerin für Inneres in 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 24. Juni 2014, GZ LVwG 26.9-1963/2014-14, LVwG 26.9-1965/2014-10 und LVwG 26.9-1966/2014-10, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Parteien: 1. M, 2. F und 3. A, alle vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II; belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Steiermark), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
B-VG Art130 Abs4;
EMRK Art8;
NAG 2005 §46;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §29 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RA2014220103.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1. Die mitbeteiligten Parteien (alle sind türkische Staatsangehörige, die Erstmitbeteiligte ist die Mutter der beiden weiteren, noch minderjährigen Mitbeteiligten) beantragten am 3. Jänner 2013 im Hinblick auf ihren in Österreich aufenthaltsberechtigten Ehemann bzw. Vater jeweils die Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark (im Folgenden: belangte Behörde) vom 30. August 2013 wurden diese Anträge gestützt auf § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 NAG abgewiesen. Begründend hielt die belangte Behörde im Wesentlichen fest, dass auf Grund - näher dargelegter - erheblicher Zweifel an den vorgelegten Einkommensnachweisen des Zusammenführenden nicht von einem gesicherten Unterhalt auszugehen sei.

2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark (im Folgenden: Verwaltungsgericht) der dagegen erhobenen - als Beschwerde zu wertenden - Berufung der mitbeteiligten Parteien gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) iVm mit § 3 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz Folge und behob den bekämpften Bescheid der belangten Behörde (Spruchpunkt I.). Weiters wurden die Kosten des beigezogenen Dolmetschers den mitbeteiligten Parteien auferlegt (Spruchpunkt II.) und die ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt (Spruchpunkt III.).

Das Verwaltungsgericht wies zunächst darauf hin, dass die behördlichen Feststellungen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in näher dargestellter Weise ergänzt worden seien und dass "diese aktuellen Sachverhaltsänderungen (...) von der belangten Behörde in deren fortgesetzten Verfahren zu berücksichtigen sein" werden. In seinen rechtlichen Erwägungen führte das Verwaltungsgericht aus, dass sich als Ergebnis des durchgeführten Beweisverfahrens eine plausible und nachvollziehbare Einkommensentwicklung (des Zusammenführenden) ergeben habe, dass die von der belangten Behörde erhobenen Bedenken im Hinblick auf die nicht anzunehmende finanzielle Leistungsfähigkeit als ausgeräumt anzusehen seien und dass dies bei der vorliegenden "Antragserteilung" zu berücksichtigen sein werde.

3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der Bundesministerin für Inneres.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber erwogen:

4.1. § 28 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise wie folgt:

"Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

  1. 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
  2. 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts

    durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

..."

4.2. Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision unter anderem vor, das Verwaltungsgericht habe ein Erkenntnis erlassen, ohne eine meritorische Sachentscheidung (in Form einer Titelerteilung oder einer Antragsabweisung) zu treffen. Es liege somit letztlich eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor, die jedoch mittels Beschluss vorzunehmen gewesen wäre. Zudem wäre das Verwaltungsgericht vorliegend auf Grund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063) verpflichtet gewesen, in der Sache selbst zu entscheiden.

Die Revision erweist sich im Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und berechtigt.

4.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat im bereits zitierten, zu § 28 VwGVG ergangenen Erkenntnis Ro 2014/03/0063 festgehalten, dass dem Verwaltungsgericht sowohl in den in Art. 130 Abs. 4 B-VG vorgesehenen und in § 28 Abs. 2 VwGVG angeordneten, als auch in den von § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG erfassten Fällen (kein Widerspruch durch die Verwaltungsbehörde gegen eine Entscheidung in der Sache), in denen nicht § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingreift, eine kassatorische Entscheidung nicht offen steht. Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters ausgeführt, dass das Verwaltungsgericht nachvollziehbar zu begründen habe, weshalb es keine meritorische Entscheidungskompetenz annehme.

4.4. Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses der gegen den bekämpften Bescheid der belangten Behörde erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Parteien Folge gegeben und diesen Bescheid behoben. Ein inhaltlicher Abspruch über die Anträge der mitbeteiligten Parteien, die Gegenstand des Verfahrens vor der belangten Behörde waren, ist nicht erfolgt.

Vorauszuschicken ist, dass die erfolgte Behebung des bekämpften Bescheides nicht als ersatzlose Behebung im Sinn einer negativen Sachentscheidung anzusehen ist. Dies ließe sich nämlich weder mit dem ebenfalls erfolgten Ausspruch, dass der Beschwerde Folge gegeben wird, in Einklang bringen (beantragt wurde darin nämlich primär die Titelerteilung) noch mit der in der Begründung enthaltenen Aussage, wonach die vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhaltsänderungen von der belangten Behörde in deren fortgesetzten Verfahren (ein solches Verfahren gebe es gegenständlich bei einer ersatzlosen Behebung nicht) zu berücksichtigen sein werden.

Es liegt somit im gegenständlichen Fall - wie die Revisionswerberin zutreffend vorbringt - keine Sachentscheidung vor.

4.5. Das Verwaltungsgericht hat die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen (betreffend die Unterhaltsmittel des Zusammenführenden) ohnehin im Wege der Durchführung einer mündlichen Verhandlung samt Zeugeneinvernahmen selbst ergänzt und ist ausgehend davon zum Ergebnis gelangt, dass die Bedenken der belangten Behörde (hinsichtlich § 11 Abs. 2 Z 4 NAG) als ausgeräumt anzusehen seien und dies "bei der vorliegenden Antragserteilung" zu berücksichtigen sein werde. Es lässt sich dem angefochtenen Erkenntnis jedoch nicht entnehmen, inwieweit bei dieser Sachlage kein Fall des § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG anzunehmen wäre (soweit nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes überhaupt noch Feststellungen fehlen) oder aber, weshalb § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingreifen sollte, sodass das Verwaltungsgericht zu einer Aufhebung und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde berechtigt gewesen wäre (vgl. zu den engen Grenzen der Möglichkeit einer Zurückverweisung das bereits zitierte hg. Erkenntnis Ro 2014/03/0063).

Soweit das Verwaltungsgericht am Ende seiner rechtlichen Erwägungen - ungeachtet dessen, dass die Bedenken der belangten Behörde betreffend § 11 Abs. 2 Z 4 NAG als ausgeräumt angesehen werden und es daher unklar bleibt, in welcher Weise das Verwaltungsgericht eine Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK fallbezogen als von Bedeutung ansieht - auf die Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK zu sprechen kommt, genügt es darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht auch gehalten gewesen wäre, eine allenfalls erforderliche Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK selbst durchzuführen, zumal auch diesbezüglich nicht aufgezeigt wird, inwiefern ein ungeklärter Sachverhalt vorliegt (siehe das hg. Erkenntnis vom 30. September 2014, Ro 2014/22/0021).

5. Da das Verwaltungsgericht zu Unrecht von einer Sachentscheidung Abstand genommen hat, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 26. Februar 2015

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