VwGH Ra 2014/21/0053

VwGHRa 2014/21/005311.12.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision der Landespolizeidirektion Niederösterreich gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 4. September 2014, Zl. LVwG-SW-13-1134, betreffend Behebung eines in Angelegenheiten des Fremdenpolizeigesetzes 2005 ergangenen Straferkenntnisses und Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens (mitbeteiligte Partei:

I H in W, vertreten durch Dr. Robert Mahr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 19), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
B-VG Art133 Abs6 Z2;
FrPolG 2005 §112 Abs1 Z1;
VStG §51e Abs2 Z1;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §44 Abs2;
B-VG Art133 Abs4;
B-VG Art133 Abs6 Z2;
FrPolG 2005 §112 Abs1 Z1;
VStG §51e Abs2 Z1;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §44 Abs2;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte war Leiter der österreichischen Niederlassung der E Air. Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 17. Mai 2013 wurde ihm angelastet, er habe als Verantwortlicher der E Air am 28. Februar 2013 eine namentlich genannte Person, die sich mit einem gültigen ägyptischen Reisepass ausgewiesen habe, mit Flug XXXX von Kairo nach Wien befördert, (obwohl) ein für die Einreise nach Österreich erforderliches Visum nicht habe vorgewiesen werden können. Er habe (damit) als "bestellter Verantwortlicher" der E Air nicht dafür gesorgt, dass die Beförderung des Passagiers ohne gültiges Einreisedokument unterblieb und dadurch § 111 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm § 112 Abs. 1 Z 1 FPG iVm § 9 VStG verletzt. Gemäß § 112 Abs. 1 FPG werde daher eine Geldstrafe in Höhe von EUR 5.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe zwei Wochen) verhängt.

Der Mitbeteiligte erhob gegen dieses Straferkenntnis Berufung. In dieser führte er u.a. aus, dass es ihm in seiner Funktion als Leiter der Niederlassung Österreich mangels eines entsprechenden Einflusses im Unternehmen der E Air nicht möglich (gewesen) sei, ein effizientes und zulänglich organisiertes Netz von Aufsichtsorganen aufzubauen. Von Wien aus sei ihm jede Möglichkeit entzogen, irgendeinen Einfluss darauf zu nehmen, welche Personen die Einreisekontrollen durchführten. Eine derartige Einflussmöglichkeit sei bei einer Airline, die mehr als 80 Niederlassungen weltweit unterhalte, nicht gegeben. Er berufe sich daher darauf, dass ihm nicht einmal fahrlässiges Verhalten zur Last gelegt werden könne. Außerdem sei seine Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten im Sinn des § 9 VStG nicht wirksam erfolgt. Er erfülle zwar grundsätzlich die Voraussetzungen nach § 9 Abs. 4 VStG, da er einen Wohnsitz im Inland habe, strafrechtlich verfolgt werden könne und seiner Bestellung nachweislich zugestimmt habe. Allerdings dürften nur solche Personen (zum verantwortlichen Beauftragten) bestellt werden, die eine entsprechende Anordnungsbefugnis hätten. Dies sei ausschließlich bei jenen Organen der Fall, die nach dem Gesetz zur Vertretung nach außen hin berufen seien. Das seien etwa die Geschäftsführer einer GmbH, der Vorstand einer AG oder der Obmann eines Vereines. Die E Air in Wien sei eine nicht registrierte Zweigniederlassung und habe somit niemanden, der vom Gesetz zur Vertretung nach außen berufen sei. Weiters fehle ihm auch eine entsprechende Anordnungsbefugnis, die ihm eine Erfüllung der von ihm erwarteten Aufgaben ermöglichen würde.

Mit Erkenntnis vom 4. September 2014 gab das gemäß § 125 Abs. 22 FPG zuständig gewordene Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: VwG) der - nunmehr ab 1. Jänner 2014 als Beschwerde zu behandelnden - Berufung des Mitbeteiligten gemäß § 50 VwGVG statt, behob das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 17. Mai 2013 ersatzlos und stellte das gegen den Mitbeteiligten geführte Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein. Unter einem sprach das VwG aus, dass gegen dieses Erkenntnis gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Das VwG stellte insbesondere fest, dass der Mitbeteiligte zwar seiner Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten zugestimmt, jedoch keine "entsprechende Anordnungsbefugnis" hinsichtlich der Einhaltung der Bestimmungen des FPG in Bezug auf die Beförderung von Personen nach Österreich gehabt habe. Darüber hinaus sei auch seine Verantwortung im Unternehmen weder räumlich noch sachlich klar von anderen Bereichen abgegrenzt. Weder gegenüber der Verwaltungsbehörde noch gegenüber dem erkennenden Gericht sei eine Bestellungsurkunde vorgelegt worden.

Beweiswürdigend führte das VwG dazu aus, dass diese Feststellungen auf Grundlage der Angaben des Mitbeteiligten in seiner Beschwerde hätten getroffen werden können. Gegenteilige Anhaltspunkte fänden sich nicht im Verfahrensakt, zumal keine Bestellungsurkunde im Akt erliege, die Gegenteiliges unter Beweis stellen würde. Davon ausgehend - so das VwG letztlich in seiner rechtlichen Beurteilung - sei die Bestellung des Mitbeteiligten zum verantwortlichen Beauftragten nicht rechtswirksam erfolgt. Er sei damit für den fraglichen Vorfall (Einreise eines ägyptischen Staatsangehörigen am 28. Februar 2013 ohne Einreisetitel) nicht gemäß § 9 Abs. 4 VStG strafrechtlich verantwortlich, sodass das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Niederösterreich aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen gewesen sei.

Abschließend hielt das VwG noch fest, dass gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG die Durchführung einer Verhandlung habe unterbleiben können, da bereits auf Grund der Aktenlage festgestanden sei, dass das mit Beschwerde angefochtene Straferkenntnis aufgehoben werden müsse.

Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene (außerordentliche) Revision der Landespolizeidirektion Niederösterreich als belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht (Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG) hat der Verwaltungsgerichtshof - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

1. Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist der Verwaltungsgerichtshof zufolge § 34 Abs. 1a VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

Entgegen der Auffassung des VwG ist die Revision im vorliegenden Fall zulässig. Sie ist auch berechtigt.

2.1. Der Mitbeteiligte war von der Landespolizeidirektion Niederösterreich als "bestellter Verantwortlicher der E Air" nach § 9 VStG (gemeint: verantwortlicher Beauftragter nach § 9 Abs. 2 VStG) wegen eines Verstoßes gegen § 111 Abs. 1 FPG iVm § 112 Abs. 1 Z 1 FPG strafrechtlich in Anspruch genommen worden.

2.2. Gemäß § 9 Abs. 4 VStG kann verantwortlichter Beauftragter nur eine Person mit Hauptwohnsitz im Inland sein, die strafrechtlich verfolgt werden kann, ihrer Bestellung nachweislich zugestimmt hat und der für den ihrer Verantwortung unterliegenden klar abzugrenzenden Bereich eine entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen ist.

2.3. Das VwG ging zunächst davon aus, dass der Mitbeteiligte seiner "Bestellung" zum verantwortlich Beauftragten zugestimmt habe. Diese Bestellung sei jedoch nicht wirksam geworden, weil ihm keine Entscheidungs- und Anordnungsbefugnis eingeräumt und weil sein Verantwortungsbereich weder sachlich noch räumlich klar abgegrenzt worden sei. Das habe auf Grund der Angaben des Mitbeteiligten in seiner Beschwerde (der ehemaligen Berufung) festgestellt werden können, zumal sich dem Akt der Landespolizeidirektion Niederösterreich keine gegenteiligen Anhaltspunkte entnehmen ließen und insbesondere keine Bestellungsurkunde im Akt erliege.

2.4. Dass keine Bestellungsurkunde im Akt erliegt, ist richtig. Von einem - wenngleich nicht wirksamen - Bestellungsakt ging freilich auch das VwG aus, was überdies der Sichtweise des Mitbeteiligten selbst entspricht, der in seiner Berufung (nunmehr Beschwerde) ausgeführt hatte, seiner "Bestellung" nachweislich zugestimmt zu haben. Damit nahm er offenkundig auf eine in den Verwaltungsakten in Kopie erliegende Erklärung vom 22. Februar 2012 an die (damalige) Bundespolizeidirektion Schwechat, Fremdenpolizei Flughafen, Bezug, in der sich der Mitbeteiligte selbst - soweit ersichtlich mit eigenhändiger Unterschrift - unter dem Titel "Auskunft der Firma" als "Firmenverantwortlicher der Firma E Air" namhaft gemacht hatte.

Diese Erklärung rechtfertigt zwar isoliert betrachtet nicht die Annahme, der Mitbeteiligte sei wirksam zum verantwortlichen Beauftragten für die Airline E Air bestellt worden. Sie ist aber, worauf in der gegenständlichen Revision zutreffend hingewiesen wird, im Zusammenhang mit einem vorangegangenen Aufforderungsschreiben der Bundespolizeidirektion Schwechat an die "E Air" vom 20. Jänner 2012 zu lesen, in dem es unter dem Betreff "Beförderungsunternehmen; Information und Aufforderung gem. § 9 Abs. 2 Verwaltungsstrafgesetz sowie gem. § 10 Abs. 1 Zustellgesetz" u.a. (Fehler im Original) heißt:

"Sehr geehrte Damen und Herren!

Die Bundespolizeidirektion Schwechat möchte Sie zunächst über die nachstehend beschriebenen rechtlichen Gegebenheiten informieren:

Zufolge der letzten Novelle zum Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) begeht nunmehr ausdrücklich eine

Verwaltungsübertretung, wer als Beförderungsunternehmer entweder einen Fremden ohne Reisedokument und ohne erforderlichen Berechtigung zur Einreise nach Österreich gebracht hat (§ 111 Abs. 1) oder seinen Verpflichtungen gemäß § 111 Abs. 2 oder 3 nicht nachkommt (siehe § 112 Abs. 1 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011). Damit ist klargestellt, dass auf das Verfahren zur Verhängung einer Strafe iSd § 112 Abs. 1 FPG nunmehr das Verwaltungsstrafgesetz (VStG) anzuwenden ist.

Bei Beförderungsunternehmen (Fluggesellschaften) handelt es sich durchwegs um juristische Personen weshalb die Vorschriften des § 9 VStG zum Tragen kommen. Gemäß § 9 Abs. 1 VStG ist - sofern nicht verantwortliche Beauftragte bestellt sind - für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften auch 'juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften' strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist. Aus der Sicht der BPD. Schwechat gilt insbesondere auch ein Pilot als zur Vertretung der Fluggesellschaft nach außen berufene Person, da er im Namen der Fluggesellschaft eigenständig eine Reihe von Rechtsgeschäften abzuschließen berechtigt ist.

Soweit es sich zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als erforderlich erweist - dies ist im Falle von Verstößen gegen § 111 FPG zweifellos der Fall - sind die zur Vertretung nach außen Berufenen gemäß § 9 Abs. 2 VStG auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt.

Sie wurden daher aufgefordert, einen oder mehrere Verantwortliche für die Einhaltung der betreffenden Vorschriften des FPG zu benennen. Gemäß § 9 Abs. 4 VStG kann verantwortlicher Beauftragter jedoch nur eine Person mit 'Hauptwohnsitz' im Inland (oder im EWR wenn Zustellungen im Verwaltungsstrafverfahren durch Staatsverträge mit diesem Vertragsstaat oder auf andere Weise sichergestellt sind) sein, die strafrechtlich verfolgt werden kann, ihrer Bestellung nachweislich zugestimmt hat und der für den ihrer Verantwortung unterliegenden klar abzugrenzende Bereich eine entsprechende Anordnungsbefugnis zugewiesen ist.

..."

Auch das eben zitierte - und offenkundig Grundlage für die vorgenannte Firmenauskunft bildende - Aufforderungsschreiben erliegt in Kopie in den Verwaltungsakten. Vor diesem Hintergrund kann aber der Ansicht des VwG, bezüglich der Angaben des Mitbeteiligten, es sei ihm keine Entscheidungs- und Anordnungsbefugnis eingeräumt und sein Verantwortungsbereich sei weder sachlich noch räumlich abgegrenzt worden, fänden sich in den Akten keine gegenteiligen Anhaltspunkte, nicht beigetreten werden:

War die schon mehrfach erwähnte "Firmenauskunft" der E Air vom 22. Februar 2012 als - zustimmende - Antwort auf das teilweise wiedergegebene Aufforderungsschreiben vom 20. Jänner 2012 zu verstehen, so liegt die Annahme nahe, der in der "Firmenauskunft" namhaft gemachte Mitbeteiligte erfülle die im Aufforderungsschreiben vom 20. Jänner 2012 ausdrücklich angeführten Voraussetzungen des § 9 Abs. 4 VStG.

Jedenfalls bei dieser Ausgangslage hätte das VwG Ermittlungen durchführen müssen und sich nicht auf die ungeprüfte Übernahme der Behauptungen des Mitbeteiligten in seiner Berufung/Beschwerde beschränken dürfen. Insbesondere wäre es auch zur Durchführung einer Verhandlung verpflichtet gewesen, da nach dem Vorgesagten - anders als das VwG meint - nicht davon die Rede sein kann, es habe im Sinn des § 44 Abs. 2 VwGVG bereits auf Grund der Aktenlage festgestanden, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid (hier: der Strafbescheid der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 17. Mai 2013) aufzuheben sei (siehe zu einer ähnlichen Konstellation in Bezug auf § 51e Abs. 2 Z 1 VStG idF vor dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013, dem § 44 Abs. 2 VwGVG entspricht, das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 2012, Zl. 2012/09/0005; siehe auch das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2012, Zl. 2009/07/0039, Punkt 4. der Entscheidungsgründe).

Im Hinblick auf das Unterlassen der gebotenen Ermittlungstätigkeit (insbesondere einer Einvernahme des Mitbeteiligten zu den Umständen seiner "Bestellung" bzw. zum Zustandekommen der "Firmenauskunft" vom 22. Februar 2012 im Rahmen der gebotenen mündlichen Verhandlung) ist das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Wien, am 11. Dezember 2014

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