VwGH 2013/11/0013

VwGH2013/11/001320.2.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des OR in B, vertreten durch Winkler - Heinzle - Nagel Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg vom 26. November 2012, Zl. UVS-34/11277/8-2012, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung eines anderen EWR-Staates (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Normen

32006L0126 Führerschein-RL Art11 Abs4;
62010CJ0419 Hofmann VORAB;
FSG 1997 §1 Abs4;
FSG 1997 §24 Abs3;
FSG 1997 §30 Abs3;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus dem angefochtenen Bescheid und der Beschwerde ergibt sich:

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Hallein (BH) vom 13. September 2012 wurde die "ungarische Lenkberechtigung" des Beschwerdeführers, beurkundet mit einem in Ungarn am 9. Jänner 2012 ausgestellten Führerschein, gemäß § 30 Abs. 3 FSG bis zum Ablauf der mit Bescheid der BH vom 18. April 2011 ausgesprochenen Entziehungsdauer, nämlich bis zur Absolvierung einer Nachschulung für alkoholauffällige Lenker und Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung gemäß § 8 FSG, entzogen. Einer allfälligen Berufung gegen diesen Bescheid wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt, der ungarische Führerschein sei unverzüglich bei der BH abzuliefern.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit dem beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen.

In der Begründung stellte die belangte Behörde als entscheidungsrelevanten Sachverhalt fest, der Beschwerdeführer sei österreichischer Staatsbürger und berufsmäßiger Kraftfahrer. Laut zentralem Melderegister habe er seit 1981 einen ununterbrochenen Hauptwohnsitz an seiner österreichischen Wohnadresse.

Mit rechtskräftigem Mandatsbescheid der BH vom 18. April 2011 sei dem Beschwerdeführer gemäß § 26 Abs. 2 Z. 1 FSG auf Grund eines erstmaligen Alkoholdeliktes (gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960) die österreichische Lenkberechtigung für die Mindestentziehungsdauer von sechs Monaten, gerechnet ab der vorläufigen Abnahme seines Führerscheines am 15. April 2011, entzogen worden. Gleichzeitig sei gemäß § 24 Abs. 3 FSG angeordnet worden, der Beschwerdeführer habe sich einer Nachschulung für alkoholauffällige Lenker zu unterziehen und ein amtsärztliches Gutachten über die gesundheitliche Eignung beizubringen. Dieser Anordnung sei der Beschwerdeführer "bis dato" nicht nachgekommen.

Vielmehr habe er am 9. November 2011 einen philippinischen Führerschein für die Klassen A, B, C, D und E erworben und diesen am 9. Jänner 2012 von der ungarischen Führerscheinbehörde in den gegenständlichen "ungarischen EU-Führerschein umgetauscht". Am 3. August 2012 habe der Beschwerdeführer im Zuge einer Kontrolle als Lenker eines Betonmischfahrzeuges diesen ungarischen Führerschein vorgewiesen.

In der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde aus, der festgestellte Sachverhalt stütze sich einerseits auf die unbestrittene Aktenlage, insbesondere auf den im Akt aufliegenden ungarischen Originalführerschein, aus dessen Zahlencode hervorgehe, dass er durch Umtausch eines am 9. November 2011 ausgestellten philippinischen Führerscheins erworben worden sei. In der Berufungsverhandlung sei der Beschwerdeführer nicht erschienen, sein Rechtsvertreter habe weder nähere Angaben zum Erwerb des philippinischen noch zum Umtausch in einen ungarischen Führerschein noch zu den dafür erforderlichen Wohnsitzen auf den Philippinen und in Ungarn gemacht. In der Verhandlung sei auch eine Internetwebseite verlesen worden, in der eine Agentur den Erwerb von Führerscheinen im EU-Ausland, u.a. den Erwerb eines philippinischen Führerscheines mit nachfolgender Umschreibung in einen ungarischen EU-Führerschein, beworben habe. Der Beschwerdeführervertreter habe dazu keine Stellungnahme abgegeben.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der maßgebenden Vorschriften des FSG sowie der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (in der Folge: Richtlinie) aus, der Beschwerdeführer vertrete in seiner Berufung die Rechtsansicht, die Lenkberechtigung sei ihm in Ungarn erst erteilt worden, nachdem die Entziehungsdauer seiner österreichischen Lenkberechtigung am 15. Oktober 2011 abgelaufen gewesen sei, sodass die in Ungarn erteilte Lenkberechtigung von den österreichischen Behörden auf Grund der Richtlinie und der Judikatur des EuGH zur gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine anerkannt werden müsse.

Gegen diese Rechtsansicht spräche nach Ansicht der belangten Behörde Folgendes:

Anders als in dem vom Beschwerdeführer zitierten Urteil des EuGH vom 26. April 2012 in der Rechtssache Hofmann, C-419/10 , habe der Beschwerdeführer die ungarische Lenkberechtigung durch Umtausch des zuvor erworbenen philippinischen Führerscheines erworben. Für einen solchen Umtausch sehe Art. 11 Abs. 6, Unterabsatz 2 zweiter Satz eine ausdrückliche Ausnahme vom Anerkennungsgrundsatz des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie vor. Schon deshalb verstoße die gegenständliche Entziehung der in Ungarn erteilten Lenkberechtigung nicht gegen den unionsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie.

Aber selbst wenn der Beschwerdeführer die Lenkberechtigung in Ungarn originär (und nicht durch Umtausch eines philippinischen Führerscheines) erworben hätte, läge in der gegenständlichen Entziehung der Lenkberechtigung zufolge Art. 11 Abs. 4 zweiter Unterabsatz der Richtlinie kein Verstoß gegen das Unionsrecht vor. Unter Bezugnahme auf Rn 90 des zitierten EuGH-Urteils C-419/10 führte die belangte Behörde aus, aus welchen Gründen sie im vorliegenden Fall davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer bei Ausstellung der ungarischen Lenkberechtigung keinen ordentlichen Wohnsitz in Ungarn gehabt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Im vorliegenden Fall sind folgende Bestimmungen des Führerscheingesetzes, BGBl. I Nr. 120/1997 (FSG) in der Fassung BGBl. I Nr. 61/2011, maßgebend (Hervorhebungen durch den Verwaltungsgerichtshof):

"§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für das Lenken von Kraftfahrzeugen und das Ziehen von Anhängern entsprechend den Begriffsbestimmungen des Kraftfahrgesetzes 1967, BGBl. Nr. 267, auf Straßen mit öffentlichem Verkehr.

...

(3) Das Lenken eines Kraftfahrzeuges und das Ziehen eines Anhängers ist, ausgenommen in den Fällen des Abs. 5, nur zulässig mit einer von der Behörde erteilten gültigen Lenkberechtigung für die Klasse (§ 2), in die das Kraftfahrzeug fällt. ...

(4) Eine von einer zuständigen Behörde eines EWR-Staates erteilte Lenkberechtigung ist einer Lenkberechtigung gemäß Abs. 3 gleichgestellt. ...

§ 24. ...

(3) ...

Die Behörde hat unbeschadet der Bestimmungen des Abs. 3a eine Nachschulung anzuordnen:

3. wegen einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 oder 1a StVO 1960. … Bei einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 ist

unbeschadet der Bestimmungen des Abs. 3a zusätzlich die Beibringung eines von einem Amtsarzt erstellten Gutachtens über die gesundheitliche Eignung gemäß § 8 sowie die Beibringung einer verkehrspsychologischen Stellungnahme anzuordnen. Wurde eine dieser Anordnungen innerhalb der festgesetzten Frist nicht befolgt oder wurden die zur Erstellung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde nicht beigebracht oder wurde die Mitarbeit bei Absolvierung der begleitenden Maßnahme unterlassen, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung. …

Folgen des Entziehungsverfahrens für Besitzer ausländischer Lenkberechtigungen

§ 30. (1) Besitzern von ausländischen Lenkberechtigungen kann das Recht, von ihrem Führerschein in Österreich Gebrauch zu machen, aberkannt werden, wenn Gründe für eine Entziehung der Lenkberechtigung vorliegen. Die Aberkennung des Rechts, vom Führerschein Gebrauch zu machen, ist durch ein Lenkverbot entsprechend § 32 auszusprechen. Für die Aberkennung ist die Behörde zuständig, in deren örtlichem Wirkungsbereich der Führerscheinbesitzer seinen Aufenthalt hat; sie hat den Führerschein abzunehmen und bis zum Ablauf der festgesetzten Frist oder bis zur Ausreise des Besitzers zurückzubehalten, falls nicht gemäß Abs. 2 vorzugehen ist. Hat der betroffene Lenker keinen Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) in Österreich, ist seiner Wohnsitzbehörde auf Anfrage von der Behörde, die das Verfahren durchgeführt hat, Auskunft über die Maßnahme der Aberkennung zu erteilen.

(2) Betrifft das Verfahren gemäß Abs. 1 den Besitzer eines Führerscheines, der in einem Staat ausgestellt wurde, der Vertragspartei eines Übereinkommens über die gegenseitige Anerkennung einer Maßnahme bei Verkehrsdelikten ist, so ist dessen Führerschein zusammen mit einer Sachverhaltsdarstellung an den Herkunftsstaat zu übermitteln, wenn die Aberkennung auf Grund eines in diesem Übereinkommen genannten Deliktes erfolgt ist.

(3) Betrifft das Verfahren gemäß Abs. 1 den Besitzer einer in einem EWR-Staat erteilten Lenkberechtigung, der seinen Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1) in Österreich hat, so hat die Behörde eine Entziehung auszusprechen und den Führerschein des Betroffenen einzuziehen und der Ausstellungsbehörde zurückzustellen. Die Behörde hat auch die Entziehung der Lenkberechtigung eines anderen EWR-Staates anzuordnen, wenn eine Person mit Wohnsitz in Österreich eine solche Lenkberechtigung zu einem Zeitpunkt erlangt hat, in dem in Österreich bereits die Lenkberechtigung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit entzogen war. In diesem Fall ist die Lenkberechtigung bis zu jenem Zeitpunkt zu entziehen, zu dem die bereits angeordnete Entziehungsdauer endet. Hat eine Person mit Wohnsitz in Österreich, der die Lenkberechtigung in Österreich wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung entzogen wurde, trotzdem in einem EWR-Staat eine Lenkberechtigung erworben, so ist diese anzuerkennen, es sei denn, ein gemäß § 24 Abs. 4 eingeholtes amtsärztliches Gutachten bestätigt, dass die gesundheitliche Nichteignung nach wie vor besteht.

(4) Nach Ablauf der Entziehungsdauer hat der Betroffene einen Antrag auf Ausstellung eines österreichischen Führerscheines gemäß § 15 Abs. 3 oder, falls die Entziehungsdauer länger als 18 Monate war, auf Erteilung einer österreichischen Lenkberechtigung zu stellen."

Die Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (im Folgenden kurz: Richtlinie) lautet:

"Artikel 2

Gegenseitige Anerkennung

1. Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.

...

Artikel 7

Ausstellung, Gültigkeit und Erneuerung

1. Ein Führerschein darf nur an Bewerber ausgestellt werden, die

e) im Hoheitsgebiet des den Führerschein ausstellenden Mitgliedstaats ihren ordentlichen Wohnsitz haben oder nachweisen können, dass sie während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten dort studiert haben.

Artikel 11

Bestimmungen über den Umtausch, den Entzug, die Ersetzung und

die Anerkennung der Führerscheine

1. Hat der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet, so kann er einen Antrag auf Umtausch seines Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein stellen. Es ist Sache des umtauschenden Mitgliedstaats, zu prüfen, für welche Fahrzeugklasse der vorgelegte Führerschein tatsächlich noch gültig ist.

2. Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsgrundsatzes kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.

3. Der umtauschende Mitgliedstaat leitet den abgegebenen Führerschein an die zuständige Stelle des Mitgliedstaats, der ihn ausgestellt hat, zurück und gibt die Gründe dafür an.

4. Ein Mitgliedstaat lehnt es ab, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen wurde, einen Führerschein auszustellen.

Ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist.

...

6. Tauscht ein Mitgliedstaat einen von einem Drittland ausgestellten Führerschein gegen einen EG-Muster-Führerschein um, so wird der Umtausch in dem EG-Muster-Führerschein vermerkt; dies gilt auch für jede spätere Erneuerung oder Ersetzung.

Der Umtausch darf nur dann vorgenommen werden, wenn der von einem Drittland ausgestellte Führerschein den zuständigen Behörden des umtauschenden Mitgliedstaats ausgehändigt worden ist. Verlegt der Inhaber dieses Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat, so braucht dieser Mitgliedstaat den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gemäß Artikel 2 nicht anzuwenden.

Artikel 18

Inkrafttreten

Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Artikel 2 Absatz 1, Artikel 5, Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b, Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a, Artikel 9, Artikel 11 Absätze 1, 3, 4, 5 und 6, Artikel 12 und die Anhänge I, II und III gelten ab dem 19. Januar 2009."

Der Beschwerdeführer vertritt in der Beschwerde zusammengefasst die Rechtsansicht, die Entziehung der ihm in Ungarn erteilten Lenkberechtigung verstoße sowohl gegen § 30 Abs. 3 FSG als auch gegen die Richtlinie.

1. Auslegung des § 30 Abs. 3 FSG:

Gemäß § 30 Abs. 3 zweiter und dritter Satz hat die Behörde die Entziehung der Lenkberechtigung eines anderen EWR-Staates anzuordnen, wenn eine Person mit Wohnsitz in Österreich eine solche Lenkberechtigung zu einem Zeitpunkt erlangt hat, in dem in Österreich bereits die Lenkberechtigung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit entzogen war, wobei die Lenkberechtigung bis zu jenem Zeitpunkt zu entziehen ist, zu dem die bereits angeordnete Entziehungsdauer endet.

Unstrittig wurde dem Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Mandatsbescheid vom 18. April 2011 die Lenkberechtigung für die Dauer von sechs Monaten, gerechnet vom Tag der vorläufigen Abnahme des Führerscheines am 15. April 2011, somit bis 15. Oktober 2011 entzogen. Da mit diesem Bescheid gleichzeitig gemäß § 24 Abs. 3 angeordnet wurde, dass der Beschwerdeführer u.a. auch eine Nachschulung für alkoholauffällige Lenker zu absolvieren habe und sich der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ("bis dato") dieser Nachschulung unstrittig noch nicht unterzogen hatte, war die durch den Mandatsbescheid vom 18. April 2011 gegenüber dem Beschwerdeführer ausgesprochene Entziehung der Lenkberechtigung zufolge § 24 Abs. 3 FSG auch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (und umso mehr im Zeitpunkt der Ausstellung der Führerscheines in Ungarn am 9. Jänner 2012) ex lege noch aufrecht (sogenannte Formalentziehung).

Der Beschwerdeführer vertritt in seiner Beschwerde die Auffassung, § 30 Abs. 3 zweiter Satz FSG lasse die Entziehung einer EWR-Lenkberechtigung nicht mehr zu, wenn die in Österreich erteilte Lenkberechtigung "bloß durch eine Formalentziehung" entzogen war. Diese Auffassung wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt, weil sie einerseits im Wortlaut des § 30 Abs. 3 FSG keine Stütze findet und weil sich andererseits aus den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung Gegenteiliges ergibt. Die Erläuterungen (RV BlgNR 230 XXIII. GP, S. 5) führen nämlich wie folgt aus:

"… Aus dem Sinn und Zweck der Bestimmung (Entziehung der Lenkberechtigung bei Verkehrsunzuverlässigkeit aller in Österreich wohnhafter Personen ohne Umgehungsmöglichkeit) sollte aber im Interpretationswege die Entziehung der Lenkberechtigung zulässig sein. Dies wird nun eindeutig geregelt. Diese Bestimmung ist umfassend zu verstehen, d.h. ist auch dann anzuwenden, wenn die eigentliche Entziehungsdauer zwar schon abgelaufen ist, aber die Entziehungsdauer wegen der Nichtbefolgung von Anordnungen noch andauert!

In diesem Zusammenhang wird auch ausdrücklich die nochmalige Entziehung der (in anderen EWR-Staaten erteilten) Lenkberechtigung für zulässig erklärt, wenn zum (ausländischen) Erteilungszeitpunkt die Lenkberechtigung in Österreich wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit entzogen war."

An diesem Ergebnis ändert auch der Hinweis der Beschwerde auf § 1 Abs. 4 FSG nichts. Nach dieser Bestimmung ist zwar eine von einer zuständigen Behörde eines EWR-Staates ausgestellte Lenkberechtigung inländischen Lenkberechtigungen "gleichgestellt". Diese Gleichstellung schließt es aber nicht aus, eine während aufrechter Entziehung von einem anderen EWR-Staat erteilte Lenkberechtigung zu entziehen. Vielmehr ist die Entziehung gerade durch die in Rede stehende Gleichstellung geboten, weil auch eine österreichische Behörde nicht befugt wäre, dem Beschwerdeführer eine Lenkberechtigung während der aufrechten rechtskräftigen (Formal‑)Entziehung zu erteilen.

2. Richtlinienkonformes Ergebnis:

Die Beschwerde rügt, die belangte Behörde habe sich zu Unrecht auf Art. 11 Abs. 6 letzter Satz der Richtlinie und die dort vorgesehene Ausnahme von der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine gestützt. Dieses Vorbringen ist zwar deshalb zutreffend, weil der Beschwerdeführer nach den unstrittigen Feststellungen der belangten Behörde seinen ordentlichen Wohnsitz seit Jahren in Österreich hat und diesen somit, anders als die Anwendung des Art. 11 Abs. 6 letzter Satz der Richtlinie verlangt, nicht in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hat.

Die Richtlinienkonformität der gegenständlichen Entziehung der ungarischen Lenkberechtigung ergibt sich aber, worauf die belangte Behörde im Ergebnis zu Recht hinweist, aus Art. 11 Abs. 4 zweiter Unterabsatz der Richtlinie und aus dem hiezu ergangenen Urteil des EuGH vom 26. April 2012 in der Rechtssache Hofmann, C- 419/10 :

Zunächst ist zum zeitlichen Geltungsbereich des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie festzuhalten, dass dieser gemäß Art. 18 der Richtlinie mit dem 19. Jänner 2009 begonnen hat. Daher ist, wie sich aus den Rn 33 ff des zitierten EuGH-Urteils in der Rechtssache Hofmann ergibt, Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie auch auf einen Fall wie den vorliegenden anwendbar, weil sowohl die Entziehung der österreichischen Lenkberechtigung als auch die Erteilung der ungarischen Lenkberechtigung nach dem 19. Jänner 2009 erfolgten.

Gemäß Art. 11 Abs. 4 zweiter Unterabsatz lehnt ein Mitglied die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheines ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaates eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist. Nach den Rn 53, 66 und 72 des zitierten EuGH-Urteils in der Rechtssache Hofmann besteht nach der genannten Richtlinie (im Unterschied zur früheren Richtlinie 91/439/EWG ) nunmehr sogar die Verpflichtung für einen Mitgliedstaat, der einen Führerschein (in der Terminologie des FSG: die Lenkberechtigung) einer Person eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen hat, den dieser Person von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein nicht anzuerkennen. Voraussetzung dafür ist, dass der Führerschein während der Sperrfrist (in der Terminologie des FSG: während der noch andauernden Entziehung oder Einschränkung) ausgestellt wurde (Rn 49 f. des zitierten EuGH-Urteils). Allerdings kann nach der Rn 90 dieses Urteils auch die Anerkennung eines nach Ablauf der Sperrfrist ausgestellten Führerscheines von einem anderen Mitgliedstaat abgelehnt werden, wenn der Erwerber zum Zeitpunkt des Erwerbs dieses Führerscheins keinen ordentlichen Wohnsitz in jenem Mitgliedstaat hatte, der den Führerschein ausgestellt hat.

Da der Führerschein des Beschwerdeführers, wie bereits dargestellt, in Ungarn "während der Sperrfrist" ausgestellt wurde, war die belangte Behörde aufgrund des zitierten Urteils des EuGH verpflichtet, die Anerkennung des dem Beschwerdeführer in Ungarn ausgestellten Führerscheines abzulehnen. Es ist daher aus unionsrechtlicher Sicht unbedenklich, dass die belangte Behörde die dem in Ungarn ausgestellten Führerschein zugrunde liegende Lenkberechtigung gemäß § 30 Abs. 3 FSG entzogen hat.

Da es sich gegenständlich um einen Fall der Ausstellung eines Führerscheines in einem EWR-Staat während der Sperrfrist handelt, und, wie ausgeführt, schon dieser Umstand gemäß Art. 11 Abs. 4 zweiter Unterabsatz der Richtlinie zur Verpflichtung führt, den gegenständlich in Ungarn ausgestellten Führerschein des Beschwerdeführers nicht anzuerkennen, kommt der (nach dem Gesagten nur für Fälle der Ausstellung eines Führerscheines nach Ablauf der Sperrfrist bedeutsamen) Frage, ob der Beschwerdeführer bei der Ausstellung dieses Führerscheines die weitere Voraussetzung (Art. 7 Abs. 1 lit.e der Richtlinie) des ordentlichen Wohnsitz in Ungarn erfüllte, gegenständlich keine Bedeutung zu. Daraus folgt, dass auf die den ordentlichen Wohnsitz des Beschwerdeführers betreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid und auf die darauf Bezug nehmenden Ausführungen in der Beschwerde nicht einzugehen war.

Da dem angefochtenen Bescheid somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 20. Februar 2013

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