Normen
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2013:2013050115.X00
Spruch:
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.
Begründung
I.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 20. Februar 2013 wurde den Bauwerbern W. für die Errichtung eines Wohnhauses die baubehördliche Bewilligung erteilt, wogegen die Wiedereinsetzungswerber (im Folgenden: Beschwerdeführer) die zur hg. Zl. 2013/05/0049 protokollierte Beschwerde erhoben.
Mit hg. Verfügung vom 15. April 2013 wurde der Beschwerdeschriftsatz den Beschwerdeführern mit dem Auftrag zur Mängelbehebung zurückgestellt, eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie des angefochtenen Bescheides anzuschließen und zwei weitere Ausfertigungen der Beschwerde beizubringen.
Da die Beschwerdeführer innerhalb der Mängelbehebungsfrist zwar zwei weitere Ausfertigungen der Beschwerde beibrachten, nicht jedoch auch eine vollständige Ausfertigung, Abschrift oder Kopie des angefochtenen Bescheides vorlegten (die Bescheidkopie enthielt nur die ungeraden Seiten), wurde mit hg. Beschluss vom 20. Mai 2013 das Beschwerdeverfahren eingestellt.
Gegen die Versäumung der genannten Mängelbehebungsfrist richtet sich der vorliegende Wiedereinsetzungsantrag, mit dem eine vollständige Ausfertigung des angefochtenen Bescheides vorgelegt worden ist.
Diesen Antrag begründen die Beschwerdeführer damit, dass normalerweise in der Kanzlei des Beschwerdevertreters (und Vertreters der Wiedereinsetzungswerber) Prozessunterlagen in dreifacher Ausfertigung kopiert würden. Auf Grund des Verbesserungsauftrages seien in der Kanzlei von der stets zuverlässigen Kanzleileiterin J., welche über eine 32-jährige Berufserfahrung verfüge, insgesamt zwei Kopien des Bescheides doppelseitig und versehentlich eine dritte Kopie einseitig angefertigt worden, welche auf Grund der genannten hg. Verfügung vom 15. April 2013 nicht notwendig gewesen sei. Zum Kopiergerät müsse ausgeführt werden, dass dieses nur dann von doppelseitig auf doppelseitig kopieren könne, wenn man zunächst eine einseitige Kopie anfertige und diese dann in den Kopierer einführe, der dann auf die Rückseite dieser zuerst angefertigten Kopie kopiere. Als die dritte Kopie einseitig fertiggestellt gewesen sei, habe die Kanzleileiterin erkannt, dass diese Ausfertigung überflüssig sei, und den halbfertig kopierten Bescheid nicht noch einmal in den Kopierer gesteckt (angemerkt werde, dass auf Grund des Vorfalles nun ein Kopierer angeschafft werde, der beidseitig kopieren könne, um diese Fehlerquelle zu eliminieren). Der Akt sei mit den beiden Bescheidbeschwerden und zwei richtig doppelseitig kopierten Bescheiden dem Beschwerdevertreter vorgelegt worden, der die Urkunden persönlich und sorgfältig, in genauer Kenntnis darüber, dass es sich um eine Verfügung gemäß § 34 Abs. 2 VwGG handle, kontrolliert habe. Im Zuge der Kontrolle habe der Beschwerdevertreter sowohl die Beschwerde als auch die beiden doppelseitig kopierten Bescheide überprüft. Nach der Kontrolle habe der Beschwerdevertreter den Akt in das Sekretariat zum Postausgang gebracht und angeordnet, die Urkunden durch die Kanzleileiterin zum Verwaltungsgerichtshof zu bringen. Als die Kanzleileiterin die Urkunden dorthin gebracht habe, habe sie den Akt in der Einlaufstelle aus der Handtasche genommen, wobei ihr irrtümlich die einseitig kopierte Ausfertigung hineingerutscht sei. Da bei oberflächlicher Kontrolle die erste Seite mangelfrei gewesen sei, habe sie die zwei Ausfertigungen der Bescheidbeschwerde und den durch ein Versehen hineingerutschten einseitigen Bescheid bei der Einlaufstelle eingebracht. Sie habe das Rubrum abstempeln lassen und den Akt in der Kanzlei abgelegt. Am nächsten Tag sei von ihr mitgeteilt worden, dass die Urkunden, wie beauftragt, zum Verwaltungsgerichtshof gebracht worden seien. Da die Kanzleileiterin den Beschwerdevertreter auch nicht davon in Kenntnis gesetzt habe, dass sie zwei doppelseitige und eine einseitige Kopie angefertigt habe, und ihr das Missgeschick nicht aufgefallen sei, sei der Beschwerdevertreter erst mit Einlangen des Einstellungsbeschlusses davon in Kenntnis gesetzt worden, dass der Bescheid fehlerhaft eingegangen sei. Nach der Einstellung des Beschwerdeverfahrens habe der Beschwerdevertreter mit Erstaunen festgestellt, dass sich zwei doppelseitige Kopien im Akt befänden, und nach Akteneinsicht beim Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass eine dritte, jedoch einseitige Kopie eingebracht worden sei. Angemerkt werde, dass es in der nunmehr 32-jährigen Berufslaufbahn von J. noch nie zu einem derartigen Missgeschick gekommen sei und es sich bei der Kanzleileiterin um eine sehr pflichtbewusste, überaus ordnungsgemäße Angestellte handle. Den Beschwerdeführer treffe daher gerade kein grobes Auswahl- oder Überwachungsverschulden. Die Kanzleiangestellte habe einen Fehler gemacht, der auf die falsche Abfertigung des Schriftstückes zurückzuführen sei, und eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführe, sei dem Rechtsanwalt nicht zuzumuten. Der Irrtum sei nach Abfassen der Beschwerde und vor allem nach genauer Korrektur der Beilagen durch den Rechtsvertreter geschehen, und dieser habe die Beilagen, gerade wegen des Verbesserungsauftrages, besonders genau kontrolliert und mehrmals auf die Wichtigkeit des Verbesserungsauftrages hingewiesen. Insbesondere habe er bei Unterfertigung des Verbesserungsauftrages die Vollständigkeit der Beilagen und die Anzahl der Ausfertigungen kontrolliert.
II.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Bei einem nach § 34 Abs. 2 VwGG erteilten Mängelbehebungsauftrag wird die Frist zur Verbesserung nicht nur dann versäumt, wenn dem Auftrag innerhalb der Frist überhaupt nicht, sondern auch dann, wenn ihm nur unvollständig entsprochen wurde. Eine solche Fristversäumnis ist einer Wiedereinsetzung zugänglich (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 25. Oktober 2012, Zl. 2012/07/0225, mwN).
Nach ständiger hg. Judikatur ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Das Versehen einer Kanzleiangestellten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes ist dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) dann als Verschulden anzulasten, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht gegenüber der Kanzleiangestellten verletzt hat. Ein berufsmäßiger Parteienvertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozesshandlungen, etwa die fristgerechte Einbringung von Rechtsmitteln oder von Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, gesichert erscheint. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Das, was der Wiedereinsetzungswerber in Erfüllung seiner nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht vorgenommen hat, hat er im Wiedereinsetzungsantrag substanziiert zu behaupten. Rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann ein Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer ansonsten verlässlichen Kanzleikraft überlassen. Solche Vorgänge sind etwa die Kuvertierung, die Beschriftung eines Kuverts oder die Postaufgabe, also manipulative Tätigkeiten. Eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Parteienvertreter nicht zuzumuten, will man seine Sorgfaltspflicht nicht überspannen (vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 29. März 2007, Zl. 2005/16/0258, und den Beschluss vom 24. Jänner 2008, Zl. 2007/19/1063, mwN).
Wenn allerdings - wie im gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrag - in keiner Weise dargelegt wird, ob irgendwelche Kontrolleinrichtungen vorgesehen sind oder ob jemals eine Kontrolle der manipulativen Vorgänge im Kanzleibetrieb oder der Kanzleiangestellten erfolgte, kann von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristgerechte Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sicherstellt, und von einer wirksamen Überwachung keine Rede sein. Ein Parteienvertreter hat nämlich, wie bereits erwähnt, durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Fehlt es an einem diesbezüglichen Vorbringen, liegt jedenfalls kein bloß minderer Grad des Versehens vor. Daher sind bereits mangels einer Darlegung eines wirksamen Kontrollsystems die Voraussetzungen für die Bewilligung des Wiedereinsetzungsantrages nicht erfüllt (vgl. zum Ganzen nochmals das zitierte Erkenntnis Zl. 2005/16/0258; ferner etwa den hg. Beschluss vom 22. Februar 2012, Zl. 2012/06/0001).
Abgesehen davon enthält der Wiedereinsetzungsantrag auch kein Vorbringen darüber, wie es kommen konnte, dass dem Beschwerdevertreter, der laut seinen Behauptungen die ihm mit dem Kanzleiakt vorgelegten Urkunden besonders genau kontrolliert und mehrmals auf die Wichtigkeit des Verbesserungsauftrages hingewiesen habe, die unvollständige Bescheidkopie in diesem Akt nicht aufgefallen ist, zumal es offensichtlich - mangels eines gegenteiligen Vorbringens - im Kanzleibetrieb des Beschwerdevertreters üblich ist, dass zu behördlichen Einlaufstellen nicht nur die zu überreichenden Schriftstücke, sondern auch jeweils der gesamte Kanzleiakt mitgenommen wird, sodass es passieren konnte, dass in der Einlaufstelle - wie vorgebracht - die einseitig kopierte, lediglich die ungeraden Seiten beinhaltende Ausfertigung "hineinrutschte". Wenn dem Anwalt nur der Schriftsatz mit den vollständigen Beilagen zur Kontrolle vorgelegt wird, dann aber zur Überreichung bei der Einlaufstelle "der Akt" mitgenommen wird, sodass auch nicht zur Vorlage geeignete Unterlagen vorgelegt werden können, liegt ein Organisationsversagen vor, welches derartige Fehlleistungen geradezu erwarten lässt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am 23. Juli 2013
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