VwGH 2012/03/0041

VwGH2012/03/004124.5.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Handstanger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über den Antrag des N G in H, vertreten durch MS Dr. Markus Singer, Rechtsanwälte GmbH in 1040 Wien, Gußhausstraße 6/4, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur vollständigen Mängelbehebung in dem die Entziehung der NÖ Jagdkarte betreffenden Beschwerdeverfahren Zl 2011/03/0238, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

1. Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2011 erhob der Beschwerdeführer beim Verwaltungsgerichtshof gemäß Art 131 Abs 1 Z 1 B-VG Beschwerde gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 27. Oktober 2011, Zl GDL2-J-0714/008.

2. Mit Beschluss vom 29. Februar 2012, Zl 2011/03/0238- 5, wurde das Beschwerdeverfahren gemäß §§ 34 Abs 2 und 33 Abs 1 VwGG eingestellt, weil die beschwerdeführende Partei der an sie gerichteten Aufforderung, die Mängel der eingebrachten Beschwerde zu beheben, insoweit nicht fristgerecht nachkam, als die abgeforderte Ausfertigung, Abschrift oder Kopie des angefochtenen Bescheids nicht vorgelegt wurde.

3. Der vorliegende Wiedereinsetzungsantrag wird (zusammengefasst) damit begründet, dass in der Kanzlei des Rechtsvertreters die mit der Bearbeitung und der Kontrolle der Eingangs- und Ausgangspost befasste Rechtsanwältin den Verbesserungsschriftsatz bearbeitet habe. Dabei seien der (namentlich genannten) erfahrenen und zuverlässigen Kanzleikraft (welche (früher) mehrere Jahre als Kanzleileiterin in der Kanzlei des Beschwerdevertreters tätig gewesen und - seit etwa einem Jahr geringfügig erwerbstätig - im vorliegenden Fall vertretungsweise als Kanzleileiterin fungiert habe) von der Rechtsanwältin die von dieser zusammengestellten Unterlagen zur Mängelbehebung mit folgendem Auftrag übergeben worden (sinngemäß): "Bitte so wie es ist, das zurückgestellte Original und den Bescheid zweifach einbringen, ich habe es schon zusammen gestellt. Nur noch den Bescheid kopieren und wegschicken." Grundsätzlich fände die Postabfertigung so statt, dass die abzufertigenden Poststücke von den Juristen kontrolliert, unterfertigt und mit Büroklammern auf den betreffenden Akt gesteckt würden. Die Beilagen ergäben sich in der Regel aus dem Poststück selbst und würden daher in der Regel von der Mitarbeiterin selbst zusammengestellt. Nur in besonderen Fällen - etwa bei ungewöhnlichen oder seltenen Poststücken - erhielten sie dazu noch spezielle Anweisungen. In dieser Form werde der Akt auf den Postabfertigungstisch gelegt. Im Falle der Briefpost würden Aktenkopien von den abzusendenden Schriftstücken angefertigt (die Mitarbeiter hätten ausdrücklich Auftrag, jedenfalls eine Kopie des abgefertigten Schriftstückes samt Beilagen anzufertigen, auch wenn dann vielleicht Schriftstücke im Original und in Kopie im Akt vorhanden seien (da es immer wieder vorgekommen sei, dass Schriftstücke ohne Aktenkopien versandt worden seien, und außerdem, weil nur so kontrollierbar sei, was versandt worden sei). Dann würden die Schriftstücke kuvertiert und maschinell mit dem Porto versehen. Anschließend würden die Aktenkopien der versendeten Schriftstücke (mit einer Heftklammer zusammengehalten) zuoberst in den Akt gelegt, ein Abfertigungsvermerk auf dem obersten Stück angebracht, die betreffende Frist - wenn es ein fristgebundenes Poststück gewesen sei - im Journal gestrichen, daraufhin würden die fertigen Poststücke von einem Mitarbeiter zur Post gebracht. Die Akten verblieben auf dem Postabfertigungstisch, damit die Rechtsanwältin noch einmal die Abfertigungsvermerke überprüfen, die Erledigung aller Fristen an Hand derselben kontrollieren und den Akt zwecks Evidenz kalendieren könne. Danach würden die Akten abgelegt. Dies sei der Normalfall. Da Verbesserungsaufträge in einem Verfahren vor einem Höchstgericht selten seien und die Mitarbeiter damit weniger Erfahrung hätten, habe die Rechtsanwältin im konkreten Fall sogar selbst die Zusammenstellung der Urkunden vorgenommen und noch dazu gesagt, dass das Päckchen Unterlagen "So wie es ist, das zurückgestellte Original und der Bescheid mit einer Kopie" zu schicken sei, weil sie gefürchtet habe, dass sonst das zurückgestellte Original nicht übermittelt würde (die Mitarbeiter hätten nämlich auch die Anweisung, dass Originale nur über speziellen Auftrag verschickt werden dürften). Auch nach der Abfertigung sei nichts aufgefallen. Ordnungsgemäß seien zuoberst im Akt die abgefertigten Stücke in Kopie gelegen; diese würden von den sachbearbeitenden Juristen erst in die Unterordner eingeordnet, wenn das nächste Stück in den Akt komme, sodass immer zu ersehen sei, was die letzte Aktion gewesen sei. Der Abfertigungsvermerk sei auf einer Kopie der zurückgestellten Originalbeschwerde angebracht gewesen, eine Kopie des angefochtenen Bescheides der Niederösterreichischen Landesregierung sei mit einer Büroklammer angeheftet gewesen. Die Frist im Kalender sei korrekt gestrichen gewesen, der Lehrling sei auf der Post gewesen, und der Aufgabeschein sei für Einschreibsendungen ordnungsgemäß ausgefüllt und auf dem Schriftstück angebracht gewesen. Die Rechtsanwältin habe daher eine Evidenz gesetzt und den Akt zur Ablage freigegeben. Es stehe nun allerdings fest, dass der angefochtene Bescheid dem Mängelbehebungsschriftsatz nicht beigeschlossen gewesen sei. Im Wege einer Rücksprache der Rechtsanwältin mit der angesprochenen Kanzleikraft sei erhoben worden, dass sich letztere noch an die Übergabe und die Anweisung erinnert habe, aber beim besten Willen nicht mehr nachvollziehen könne, wieso die Bescheidausfertigung letztlich nicht kuvertiert worden sei. Möglicherweise sei sie beim Kuvertieren kurz (etwa durch ein Telefonat oder einen eintreffenden Mandanten) unterbrochen oder abgelenkt worden. Auch eine Komplettdurchsuchung des Aktes habe keinen Hinweis erbracht, zumal die im Akt neben dem Originalbescheid verbliebene (eigentlich überflüssige) Bescheidkopie aufgrund der Anweisung, das gesamte abzufertigende Paket immer in Kopie zuoberst im Akt zu lassen, nicht augenfällig gewesen sei; zudem würden ohnehin meist zusätzliche Kopien für die Mandanten im Akt belassen. Das Versehen wäre nur dadurch rechtzeitig aufzudecken gewesen, wenn die Rechtsanwältin das Kopieren und Kuvertieren selbst vorgenommen oder persönlich überwacht hätte. Es hieße aber die Sorgfalt überspannen, wenn man von Rechtsanwälten auch noch dies verlangen würde. Der Beschwerdeführer sei daher durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, nämlich einen geringfügigen Konzentrationsfehler der besagten Kanzleikraft, der trotz der korrekten Anweisungen der zuständigen Rechtsanwältin und des bestehenden Kontrollsystems nicht vermeidbar oder rechtzeitig aufdeckbar gewesen sei, an der rechtszeitigen Verbesserung der Beschwerde gehindert gewesen.

4.1. Der Verwaltungsgerichtshof geht von dem im Wiedereinsetzungsantrag an sich widerspruchsfrei dargestellten Sachverhalt aus.

4.2. Gemäß § 46 Abs 1 VwGG ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich um einen minderen Grad des Versehens handelt.

4.3. Die Zusammenstellung des Schriftsatzes samt Beilagen an den Verwaltungsgerichtshof zur aufgetragenen Behebung von Beschwerdemängeln obliegt der Partei, an die sich dieser Auftrag richtet. Wird sie (wie vorliegend) von einem Rechtsanwalt vertreten, zählt diese Zusammenstellung zu den Aufgaben dieses Rechtsanwalts (vgl den hg Beschluss vom 23. Oktober 2008, Zl 2005/03/0234).

4.4. Die Wiedereinsetzung ist nach der ständigen hg Rechtsprechung (vgl etwa den hg Beschluss vom 3. September 2003, Zl 2003/03/0164, mwH) auch zu bewilligen, wenn eine Frist durch ein Verhalten von Angestellten des bevollmächtigten Rechtsanwalts der Partei versäumt wurde, es sei denn, es läge ein Verschulden der Partei vor. Dem Verschulden der Partei selbst ist das Verschulden ihres Vertreters gleichzustellen. Ein Versehen einer Kanzleibediensteten stellt für einen Rechtsanwalt und damit für die von diesem vertretene Partei nur dann ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten hinreichend nachgekommen ist. Ein bevollmächtigter Vertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass auch die richtige Vormerkung und Wahrnehmung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen, etwa die fristgerechte Einbringung von Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, nach menschlichem Ermessen gesichert ist. So gehört es etwa zu den Organisationserfordernissen, dass in der Kanzlei des Parteienvertreters eine Kontrolle der Terminwahrnehmung stattfindet, die gewährleistet, dass fristgebundene Schriftsätze tatsächlich erstattet und abgefertigt werden. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist letzterem (und damit auch der Partei) nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle über den Angestellten unterlassen hat (vgl etwa den hg Beschluss vom 17. Dezember 2008, Zl 2008/03/0164, mwH). Zu prüfen ist also, ob ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden des einschreitenden Rechtsanwaltes im Hinblick auf seine Aufsichts- und Kontrollpflichten vorliegt.

In seiner Rechtsprechung hat es der Verwaltungsgerichtshof nicht als zweckmäßige und zumutbare Kontrollmaßnahme angesehen, dass sich der Rechtsanwalt nach Übergabe sämtlicher Schriftstücke an die bisher bewährte Kanzleikraft in jedem Fall noch von der tatsächlichen Durchführung der Expedierung der Sendung überzeugt. Die Überwachungspflicht des Parteienvertreters geht also nicht so weit, jede einzelne einfache Arbeitsverrichtung wie die Kuvertierung und Aufgabe von Postsendungen zu kontrollieren (vgl wiederum den zitierten hg Beschluss Zl 2003/03/0164). Unterläuft einem sonst immer zuverlässig arbeitenden Angestellten erst im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Die Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Ein Rechtsanwalt kann vielmehr rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen (vgl nochmals den hg Beschluss Zl 2008/03/0164, mwH). Unterläuft im Zug eines solchen manipulativen Vorganges ein Fehler, liegt dem Rechtsanwalt - unter dem Gesichtspunkt einer rationellen und arbeitsteiligen, die Besorgung abgegrenzter Aufgabenbereiche delegierende Betriebsführung - eine Verletzung der Sorgfaltspflicht nicht dadurch zur Last, dass er sich nach Zusammenstellung und Kontrolle des Mängelerhebungsschriftsatzes nicht von der richtigen Kuvertierung der Mängelbehebungspostendung überzeugte.

Allerdings ist nach der hg Rechtsprechung ein Parteienvertreter, der einen Beschwerdeergänzungsschriftsatz zur Mängelbehebung unterfertigt, verpflichtet, zu überprüfen, ob mit der beabsichtigten Prozesshandlung dem gerichtlichen Auftrag fristgerecht entsprochen wird. In Anbetracht der Bedeutung, die der Vollständigkeit der Erfüllung eines Ergänzungsauftrages zukommt, ist der Parteienvertreter verhalten, auch die Vollständigkeit der Erfüllung der Aufträge zu überprüfen. Dazu gehört, dass er anlässlich der Unterfertigung des Ergänzungsschriftsatzes sein Augenmerk auch darauf richtet, ob am Ergänzungsschriftsatz die erforderliche Anzahl der Ausfertigungen und Beilagen vermerkt ist und diese dem Schriftsatz auch angeschlossen sind. Eine bloß mündlich erteilte Anordnung bei Fehlen eines schriftlichen Vermerkes auf dem Ergänzungsschriftsatz oder zur Änderung oder Ergänzung eines unzureichenden schriftlichen Vermerks reicht aus dem Grunde der späteren verlässlichen Überprüfbarkeit nicht aus (vgl etwa den hg Beschluss vom 9. November 2011, Zl 2011/16/0222, ferner den schon zitierten hg Beschluss Zl 2005/03/0234, und die hg Beschlüsse vom 30. November 2004, Zl 2004/18/0333, vom 29. Juni 2005, Zl 2005/08/0116, vom 29. April 2011, Zl 2008/02/0172).

4.5. Dass die Unterlassung der Beifügung der abgeforderten Ausfertigung, Abschrift oder Kopie des angefochtenen Bescheids erst im Zug der Kuvertierung oder bei der Postaufgabe - nachdem der Mängelbehebungsschriftsatz vom Rechtsvertreter bzw unter seiner entsprechenden Kontrolle zuvor, dem Mängelbehebungsauftrag Genüge leistend, zusammengestellt worden war - erfolgt wäre, lässt sich dem vorliegenden Antrag aber nicht entnehmen. Vielmehr ergibt sich aus dem oben wiedergegebenen Vorbringen, dass die mit der Erstellung des Schriftsatzes betraute Rechtsanwältin zwar die Erstellung der Kopie mündlich in Auftrag gab, sich aber nicht davon vergewisserte, dass diese Kopie dem Mängelbehebungsschriftsatz - vor der Kuvertierung - angeschlossen wurde.

5. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war somit kein Erfolg beschieden.

Wien, am 24. Mai 2012

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