VwGH 2002/12/0056

VwGH2002/12/005624.4.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Julcher, über die Beschwerde des am 16. Februar 1968 geborenen A, vertreten durch Dr. Werner Zach, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 19, gegen den Bundesminister für Inneres wegen Verletzung der Entscheidungspflicht i.A. des Aufenthaltsgesetzes, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §6 Abs1;
AVG §73 Abs1;
AVG §6 Abs1;
AVG §73 Abs1;

 

Spruch:

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 635,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Der Beschwerdeführer verfügte über Wiedereinreisesichtvermerke für folgende Zeiträume: vom 14. August 1987 bis 28. Februar 1988, vom 2. März 1988 bis 1. Juli 1988, vom 22. Juli 1988 bis 10. Jänner 1990, vom 22. März 1990 bis 30. Jänner 1991 und vom 21. Juni 1991 bis 21. September 1991. Er beantragte am 7. Dezember 1992 (Einlangen beim Fremdenpolizeilichen Büro der Bundespolizeidirektion Wien) die Erteilung eines Sichtvermerkes. Dieser offenbar gemäß § 7 Abs. 7 FrG 1992 als solcher auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gerichtete Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. März 1995 gemäß § 5 Abs. 1 AufG abgewiesen. Der dagegen erhobenen und zur hg. Zl. 95/19/0869 protokollierten Beschwerde wurde Folge gegeben und der angefochtene Bescheid mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. März 1997 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Am 1. Februar 1996 stellte der Beschwerdeführer einen als "Erstantrag" bezeichneten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit und zum Zweck der Familiengemeinschaft mit seiner Tochter, nach den Antragsangaben einer österreichischen Staatsangehörigen. Diesem Antrag war u. a. ein am 15. Jänner 1993 ausgestellter, für den Zeitraum vom 11. Jänner 1993 bis 10. Jänner 1998 ausgestellter Befreiungsschein angeschlossen. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 7. Oktober 1997 gemäß § 6 Abs. 2 AufG abgewiesen und erwuchs in Rechtskraft.

Am 4. November 1997 brachte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter Säumnisbeschwerde gemäß Art. 132 B-VG und § 27 VwGG ein, weil der Bundesminister für Inneres nach Zustellung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. März 1997, Zl. 95/19/0869, den Ersatzbescheid weder erlassen noch zugestellt habe.

Über diese Beschwerde wurde mit hg. Verfügung vom 19. November 1997 das Vorverfahren eingeleitet und die belangte Behörde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG aufgefordert, binnen drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege, und dazu gemäß § 36 Abs. 1 VwGG die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen (die Zustellung dieser Verfügung erfolgte am 24. November 1997).

Mit Note vom 14. Mai 1998 teilte die belangte Behörde mit, dass sie mit gleichem Datum den Verwaltungsakt an die Bundespolizeidirektion Wien als nunmehr zuständige Behörde übermittelt habe (§ 6 AVG). Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers und der Landeshauptmann von Wien seien über die Abtretung informiert worden.

(Aus den über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes von der Bundespolizeidirektion Wien vorgelegten Verwaltungsakten geht hervor, dass dem Beschwerdeführer in weiterer Folge auf Grund des Antrages vom 7. Dezember 1992 eine Niederlassungsbewilligung zum Zweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" mit Gültigkeit vom 20. November 1998 bis 8. August 1999 erteilt wurde.)

2. Zur Zulässigkeit der Beschwerde:

Der ab dem 1. Juli 1993, dem Tag des Inkrafttretens des Aufenthaltsgesetzes, als solcher auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zu wertende Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Sichtvermerkes war am Tag des Inkrafttretens des FrG 1997, dem 1. Jänner 1998, bei den Verwaltungsbehörden anhängig.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23. März 1999, Zl. 98/19/0195, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausführlich dargelegt hat, ist § 112 FrG 1997 entsprechend der dem § 23 Abs. 1 FrG 1997 zu Grunde liegenden Kriterien dahingehend zu interpretieren, dass ein anhängiges Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung dann als Verfahren zur Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung fortzuführen ist, wenn der antragstellende Fremde bereits über den Aufenthaltstitel verfügte, der ihm nach den damals geltenden Bestimmungen gestattete, sich im Bundesgebiet auf Dauer niederzulassen, also gemäß der Definition des § 7 Abs. 3 FrG 1997 in Österreich einen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen zu begründen oder sich zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit an einem inländischen Wohnsitz niederzulassen, und der nach Ablauf der Gültigkeitsdauer desselben im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen blieb. Als Aufenthaltstitel in diesem Verständnis kann auch ein gewöhnlicher Sichtvermerk gemäß § 24 Abs. 1 lit. a des Passgesetzes (1969) gelten, wenn er für einen sechs Wochen übersteigenden Zeitraum ausgestellt wurde und keine Einschränkungen betreffend Grenzübergänge, Reisewege oder Reiseziele enthielt.

Auf Grund der im Akt dokumentierten Wiedereinreisesichtvermerke war der Beschwerdeführer zur dauernden Niederlassung (ohne Einschränkung auf einen bestimmten Aufenthaltszweck) berechtigt. Das Verfahren über den Antrag des Beschwerdeführers vom 7. Dezember 1992 war somit als solches zur Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung fortzuführen. Auf die Frage des Zeitpunktes der Erschöpfung allfälliger Quoten (während der Zeiten geschlossener Quoten wäre § 73 AVG nicht anzuwenden - vgl. den hg. Beschluss vom 13. Juni 1997, Zl. 96/19/2208), war daher im vorliegenden Fall nicht einzugehen. Im Hinblick darauf war die belangte Behörde ab Zustellung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes am 21. April 1997 nicht gehindert, über die Berufung des Beschwerdeführers neuerlich zu entscheiden. Da sie eine diesbezügliche Entscheidung innerhalb der ihr offen stehenden Frist von sechs Monaten (§ 27 Abs. 1 VwGG) nicht getroffen hat, erweist sich die unbestritten erst nach Ablauf einer sechsmonatigen Frist eingebrachte Säumnisbeschwerde als zulässig.

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 6 Abs. 1 AVG ausgesprochen, dass das Weiterleiten eines Anbringens nach dieser Gesetzesbestimmung das Erlöschen der Entscheidungspflicht der abtretenden Behörde bewirkt, hat sie doch durch diesen Verwaltungsakt - wenn auch nicht bindend - eine im Gesetz vorgesehene Verfügung über den Antrag getroffen, die ihrem Wesen nach notwendig die Annahme des Weiterbestehens ihrer Entscheidungspflicht ausschließt und weiters zur Folge hat, dass mit dem Einlangen des abgetretenen Antrages bei der "zuständigen" Behörde diese die Entscheidungspflicht nach § 73 Abs. 1 AVG trifft. Diese Rechtswirkungen treten unabhängig davon ein, ob die Weiterleitung rechtens erfolgt ist (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 , E. 69 zu § 6 AVG wiedergegebene Rechtsprechung).

Daraus folgt, dass die von der belangten Behörde vorgenommene Weiterleitung an die für zuständig erachtete Bundespolizeirektion Wien (unabhängig von der Richtigkeit dieser Vorgangsweise) einer (nicht fristgerechten) Nachholung des versäumten Bescheides gemäß § 36 Abs. 2 VwGG gleich zu halten war. Das Verfahren über die vorliegende Säumnisbeschwerde war daher in sinngemäßer Anwendung dieser Bestimmung einzustellen.

4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf § 55 Abs. 1 weiter Satz VwGG. Ersatz für S 2.500,-- Stempelgebühren war mit EUR 181,68 zuzusprechen.

Wien, am 24. April 2002

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