Normen
AVG §71 Abs1
AVG §71 Abs1 lita
AVG §71 Abs1 Z1 implizit
AVG §71 Abs2
LAO Wr 1962 §240 Abs1
LAO Wr 1962 §240 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1986:1984170136.X00
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Kostenausspruch wird einer gesonderten Beschlußfassung vorbehalten.
Begründung
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 9. September 1983 wurde der Beschwerdeführerin für die Wasserabgabestelle in Wien 21, G‑gasse 19‑31/Stiege 2‑5, für den Zeitraum vom 8. Juni 1982 bis 12. Juli 1983 Wasser-, Abwasser- und Wasserzählergebühr abzüglich geleisteter Teilzahlungsbeiträge in Höhe eines Abrechnungsbetrages von S 1,972.504,‑ ‑ sowie ein neuer Teilzahlungsbetrag von S 508.358,‑ ‑ vorgeschrieben. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin unbestrittenermaßen am 13. September 1983 zugestellt.
Mit ihrem am 6. Dezember 1983 überreichten Schriftsatz vom 2. Dezember 1983 beantragte die Beschwerdeführerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand „gegen“ den obgenannten Bescheid und brachte hiezu vor, auf Grund dieses Bescheides hätte sie feststellen müssen, daß die Wassergebühren sprunghaft gestiegen seien. Die Beschwerdeführerin habe sofort eine „Installationsfirma“ mit der Überprüfung der Wasserleitungen beauftragt, wobei kein Wasseraustritt habe festgestellt werden können. Es bestehe die Möglichkeit, daß bei dem Wasserzähler für die Stiegen 2‑5 „der ‚1‘ von dem Hunderttausenderzähler umgesprungen“ sei. Sofort nach Einlangen des Bescheides habe die Beschwerdeführerin mit den Wasserwerken, Herrn E, Kontakt aufgenommen. Herr E habe der Beschwerdeführerin mitgeteilt, daß auch er sich so einen hohen Verbrauch nicht erklären könne.
Herr E habe bei der Stadtkasse veranlaßt, daß der Betrag laut Bescheid in Höhe von S 2,480.862,‑ ‑ nicht zum Fälligkeitstag 15. Oktober 1983 eingezogen worden sei. Der Wasserzähler sei von den Wasserwerken überprüft worden. Laut telefonischer Auskunft der Wasserwerke habe „nichts festgestellt“ werden können. Seitdem sei nun laufend dieser Zähler überprüft worden. Es habe sich ein „täglicher Schnitt“ von ca. 108 m3 ergeben. Lege man diesen „Schnitt“ zu Grunde, so komme man „wieder“ zu dem Schluß, daß der Zähler bei „100.000“ gesprungen sein müsse. Auf Grund dieses Sachverhaltes ersuche die Beschwerdeführerin um Pauschalierung der Wasser- und Abwassergebühr für die Stiegen 2‑5 nach dem Verbrauch der Stiegen 7‑10 und um Herabsetzung der Teilbeträge ebenfalls nach dem zweiten Wasserzähler.
Mit Bescheid vom 23. Dezember 1983 wies der Magistrat der Stadt Wien den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab, setzte jedoch mit weiterem Bescheid vom 28. Dezember 1983 den mit „vorläufigem Bescheid“ vom 9. September 1983 festgesetzten vierteljährlichen Teilbetrag von S 508.358,‑ ‑ auf S 155.852,‑ ‑ herab.
Gegen den Bescheid vom 23. Dezember 1983 erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Darin brachte sie im wesentlichen vor, angesichts der offenbar unrichtigen Vorschreibung mit Bescheid vom 9. September 1983 habe der zuständige Mitarbeiter der Hausverwaltung der Beschwerdeführerin, KW, zunächst eine Überprüfung der Wasseranlage durch eine „Installationsfirma“ veranlaßt, die ihm bestätigt habe, daß es keinerlei Gebrechen gegeben habe und es sich nur um eine Fehlanzeige des Wasserzählers handeln könne. Daraufhin habe sich KW umgehend mit den Wasserwerken (NE) in Verbindung gesetzt. Letzterer habe ihm bestätigt, daß es sich auch seiner Meinung nach nur um einen Meßfehler handeln könne; er habe erklärt, er werde die Sache aufklären, den Zähler ausbauen und durch einen neuen ersetzen lassen und darüber hinaus die „Einhebung der Vorschreibung“ bei der MA 6 (Stadtkassa) „stoppen“, was auch geschehen sei. KW, ein Techniker, sei daraufhin der Meinung gewesen, er habe seine Pflicht getan, nämlich den offensichtlich unberechtigten Wassergebührenbescheid umgehend bei der zuständigen Stelle (Wasserwerke) „beeinsprucht“. Er sei davon überzeugt gewesen, daß sich die Angelegenheit aufklären werde und der Bescheid behoben bzw. berichtigt würde. Deshalb habe er eine weitere Meldung an die Geschäftsleitung unterlassen, wodurch eine formelle, schriftliche Berufung unterblieben sei. Hiezu sei noch festzuhalten, daß die den Bescheid vom 9. September 1983 beigegebene Rechtsmittelbelehrung keinen Hinweis auf die erforderliche Schriftlichkeit enthalten habe. Nur deshalb habe der rechtsunkundige KW eine schriftliche Berufung unterlassen. Ende November habe KW die Nachricht erhalten, daß der Wasserzähler sich als in Ordnung erwiesen habe und die Gebührenvorschreibung daher aufrecht bleiben müsse, worauf er erstmals die Geschäftsleitung informiert habe und daraufhin umgehend der gegenständliche Wiedereinsetzungsantrag gestellt worden sei.
Weiters führte die Beschwerdeführerin in demselben Schriftsatz ihre Berufung gegen den Bescheid vom 9. September 1983 näher aus.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die Abgabenberufungskommission die Berufung gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages ‑ unter sprachlicher Präzisierung des Spruches ‑ ab und wies die Berufung gegen den Bescheid vom 9. September 1983 als verspätet zurück. Sie begründete dies im wesentlichen damit, die Beschwerdeführerin gebe zu, daß sie von allem Anfang an die Auffassung vertreten habe, die Vorschreibung müsse unrichtig sein. Unter Zugrundelegung dieses Vorbringens habe für die Beschwerdeführerin unverschuldeterweise kein Grund vorliegen können, die Vorschreibung nicht sofort zu bekämpfen. Überdies hätte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsfrist stellen können. Mangels Neuerungsverbotes sei auch die Vorlage weiterer Beweismittel im Rechtsmittelverfahren möglich gewesen. Diese Unterlassungen seien der Beschwerdeführerin als Verschulden zuzurechnen, was eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließe, wobei ein Verschulden des Vertreters einem Verschulden des Vertretenen gleichgesetzt werde. Bemerkt werde, daß die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 9. September 1983 dem Gesetz entsprochen habe und bei Kenntnis der Bestimmungen der Wiener Abgabenordnung der Dienstnehmer nicht der Auffassung habe sein können, telefonisch eine Berufung erheben zu können. Aug dem Vorbringen im Antrag vom 2. Dezember 1983 sei auch zu ersehen, daß die „Kontaktnahme“ mit dem Sachbearbeiter E der Klärung der Ursachen für die hohe Verbrauchsanzeige gedient habe. Unter Bedachtnahme auf die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages sei auch die Berufung als verspätet zurückzuweisen. Informativ werde darauf hingewiesen, daß bei Untersuchung des Wasserzählers keine Mängel hätten festgestellt werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Nach dem gesamten Inhalt ihres Vorbringens erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und auf meritorische Erledigung ihrer Berufung gegen den Bescheid vom 9. September 1983 verletzt. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 240 WAO ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Nach Abs. 3 dieser Gesetzesstelle muß der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen Monatsfrist nach Aufhören des Hindernisses bei der Abgabenbehörde eingebracht werden, bei der die Frist wahrzunehmen war. Gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag hat der Antragsteller die versäumte Handlung nachzuholen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof zur rechtsähnlichen Vorschrift des § 46 Abs. 3 VwGG in ständiger Rechtsprechung dargetan hat, muß der Wiedereinsetzungswerber schon im Antrag jene Angaben machen, aus denen sich der Beginn des Laufes der Frist zur Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages ergibt. Einer Eingabe, die keine Angaben über ihre Rechtzeitigkeit enthält, fehlt der Charakter eines dem Gesetz entsprechenden Wiedereinsetzungsantrages im Sinne des § 46 VwGG (vgl. unter anderem die hg. Beschlüsse vom 28. Juni 1982, Slg. Nr. 10.771/A, vom 25. April 1984, Zl. 84/11/0082, 0083, und vom 19. März 1985, Zl. 84/14/0190, sowie die dort jeweils angeführte weitere Rechtsprechung). In seinem Erkenntnis vom 14. März 1986, Zl. 82/17/0117, hat der Verwaltungsgerichtshof diese Rechtsprechung auch für den Bereich des § 71 AVG 1950 als anwendbar erkannt. Nichts anderes kann sohin auch für den Fall des § 240 WAO gelten.
Im vorliegenden Fall läßt der Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 2. Dezember 1983 konkrete Behauptungen darüber vermissen, wann das der rechtzeitigen Einbringung der Berufung entgegenstehende Hindernis weggefallen sei. Erst in der Berufung wird ausgeführt, Ende November 1983 habe KW die Nachricht erhalten, daß der Wasserzähler in Ordnung sei, und die Geschäftsleitung informiert.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist gesteckt ist (vgl. hiezu die Erkenntnisse vom 11. April 1984, Zl. 81/11/0027, 81/11/0028, und vom 16. Mai 1984, Zl. 83/11/0143, sowie die dort angeführte weitere Rechtsprechung). Der innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vorgebrachte Wiedereinsetzungsgrund darf später nicht mehr gegen einen anderen ausgetauscht oder sonst verändert werden (Erkenntnisse vom 7. Juli 1960, Slg. Nr. 5346/A, und vom 13. April 1984, Zl. 83/02/0391). Dies muß auch für das Inhaltserfordernis konkreter Angaben über die Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrages gelten. Schon aus diesem Grunde wäre der vorliegende Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen gewesen, wobei durch die meritorische Erledigung des Antrages die Beschwerdeführerin in ihren Rechten nicht verletzt wurde (vgl. das bereits erwähnte Erkenntnis vom 7. Juli 1960, Slg. Nr. 5346/A, sowie die Erkenntnisse vom 17. April 1964, Zl. 829/63, und vom 8. Juni 1982, Zl. 82/11/0080).
Dazu kommt, daß das ‑ wie bereits erwähnt, allein maßgebliche ‑ Vorbringen im Antrag vom 2. Dezember 1983 nicht erkennen läßt, wodurch die Beschwerdeführerin an der rechtzeitigen Erhebung einer Berufung tatsächlich gehindert worden wäre. Insbesondere ist diesem Vorbringen nicht zu entnehmen, auch auf seiten des Magistrates der Stadt Wien sei ‑ wie nunmehr in der Beschwerde behauptet wird ‑ die Überzeugung „beherrschend“ gewesen, daß es „nicht mit richtigen Dingen zugegangen“ sein konnte und die „Gültigkeit“ des Gebührenbescheides von Anfang an „kategorisch ausgeschlossen“ worden sei, oder daß der Sachbearbeiter E etwa irgendwelche Zusagen in der zuletzt genannten Richtung gemacht hätte. Vielmehr geht aus dem Vorbringen im Schriftsatz vom 2. Dezember 1983 nur hervor, daß der Sachbearbeiter E eine Überprüfung des Zählers und eine Stundung des vorgeschriebenen Gebührenbetrages zugesagt hat. Aber selbst dann, wenn diesem Vorbringen ‑ in Übereinstimmung mit den nunmehrigen Beschwerdebehauptungen ‑ die weitere Behauptung zu unterstellen wäre, der Mitarbeiter KW sei der Überzeugung gewesen, es sei „offensichtlich alles nötige veranlaßt worden, um den ergangenen Gebührenbescheid als angefochten betrachten zu können“, worin ein Rechtsirrtum des Genannten gelegen sei, ist darauf zu verweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum nicht als ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 bzw. des § 46 Abs. 1 VwGG (und damit auch nicht im Sinne des § 240 Abs. 1 WAO) zu werten sind (vgl. unter anderem den Beschluß vom 26. November 1980, Slg. Nr. 10.309/A, sowie die Erkenntnisse vom 26. Juni 1985, Zlen. 84/11/0284, 85/11/0103, 85/11/0104, und vom 13. Februar 1986, Zl. 85/06/0171, alle mit weiteren Nachweisen). Anders könnte es sich nur dann verhalten, wenn der Irrtum unverschuldet, etwa durch Behördenverhalten veranlaßt wäre, was hier aber nicht zutrifft.
Auch aus diesen Gründen hätte sohin dem vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag ein Erfolg nicht beschieden sein können.
Was schließlich die in der Berufung gegen den Bescheid vom 23. Dezember 1983 erstmals ‑ und in gewissem Widerspruch zum zuletzt erwähnten Vorbringen ‑ aufgestellte Behauptung anlangt, „nur“ wegen des fehlenden Hinweises auf die Schriftlichkeit einer Berufung in der Rechtsmittelbelehrung zum Bescheid vom 9. September 1983 habe KW die Einbringung einer schriftlichen Berufung unterlassen, ist abermals darauf zu verweisen, daß auch dieses Vorbringen sich im Antrag vom 2. Dezember 1983 nicht findet. Im übrigen entspricht die dem Bescheid vom 9. September 1983 beigefügte Rechtsmittelbelehrung der ihren Inhalt abschließend regelnden Vorschrift des § 67 Abs. 3 lit. b WAO. Eine Rechtsmittelbelehrung dieses Inhalts kann demnach keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellen.
Die behauptete Rechtswidrigkeit des Inhalts haftet dem angefochtenen Bescheid daher nicht an. Deshalb unterlief der belangten Behörde auch kein Verfahrensmangel, wenn sie die Behauptungen der Beschwerdeführerin ungeprüft ließ. Aus der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages folgte schließlich auch zwingend die Zurückweisung der Berufung gegen den Bescheid vom 9. September 1983 als verspätet.
Die Beschwerde mußte daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen werden. Die im Zusammenhang mit der Kostenentscheidung aufgetauchten Normbedenken standen gemäß § 62 Abs. 3 VfGG der Entscheidung in der Hauptsache nicht entgegen, weil der Inhalt des als Gegenschrift erstatteten Schriftsatzes im Beschwerdefall ohne Einfluß auf das Ergebnis der Entscheidung in der Hauptsache war.
Hinsichtlich der oben erwähnten, nicht in der Amtlichen Sammlung seiner Erkenntnisse und Beschlüsse veröffentlichten Erkenntnisse und Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes sei an Art. 14 Abs. 4 und 7 seiner Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.
Wien, am 20. Juni 1986
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)