VwGH 85/05/0007

VwGH85/05/000730.4.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Straßmann und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Würth, Dr. Degischer und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schemel, über die Beschwerde des FK in F, vertreten durch Dr. Herwig Hammerer, Rechtsanwalt in Krems, Südtirolerplatz 4/16, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 20. November 1984, Zl. II/2‑V‑84137, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. HS in F, vertreten durch Dr. Kurt Strizik, Rechtsanwalt in Krems, Ringstraße 19; 2. Marktgemeinde F, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §73 Abs2
BauO NÖ 1976 §113 Abs2
BauO NÖ 1976 §2 Z5
BauO NÖ 1976 §92
BauO NÖ 1976 §92 Abs1 Z2
BauRallg implizit

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1985:1985050007.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit der am 12. September 1983 bei der mitbeteiligten Gemeinde eingelangten Eingabe vom 7. September 1983 ersuchte der Beschwerdeführer als Anrainer, der erstmitbeteiligten Partei dieses verwaltungsgerichtlichen Verfahrens „bescheidmäßig die Errichtung einer Reitsportanlage auf der Parzelle 99/15 Kat. Gem. F zu untersagen und die Schleifung der vorhandenen Reitsportanlagen zu verfügen“.

Da über diesen Antrag in der Folge nicht bescheidmäßig entschieden worden ist, stellte der Beschwerdeführer am 11. Mai 1984 an den Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde einen Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht gemäß § 73 AVG 1950, worauf mit dem auf dem Beschluß des erwähnten Gemeinderates vom 16. Juni 1984 beruhenden Bescheid vom 16. Juli 1984 festgestellt worden ist, daß „die Anlage eines Reitparcours auf Parz. 99/15 KG. F, der durch Aufstellung von Hindernissen entstanden ist, nicht der Bewilligungspflicht nach der NÖ Bauordnung 1976 unterliegt“.

Die Baubehörde zweiter Instanz vertrat entsprechend der Begründung ihres Bescheides die Auffassung, Voraussetzung für das Vorliegen einer nach § 92 Abs. 1 Z. 2 der NÖ Bauordnung 1976 bewilligungspflichtigen baulichen Anlage sei nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, daß zu ihrer Herstellung ein wesentliches (gewisses) Maß an bautechnischen Kenntnissen erforderlich sei, und eine derartige Anlage in eine gewisse Verbindung mit dem Boden gebracht werden müsse. Diese Voraussetzungen würden auf die im Rahmen eines Reitparcours aufzustellenden Hindernisse keinesfalls zutreffen, weshalb nicht von einer baulichen Anlage gesprochen werden könne und eine Bewilligungspflicht nach der NÖ Bauordnung 1976 nicht gegeben sei. Es ergebe sich daher keine Möglichkeit für ein Einschreiten der Baubehörde.

In der gegen diesen Bescheid rechtzeitig eingebrachten Vorstellung bekämpfte der Beschwerdeführer die Rechtsauffassung der Baubehörde mit der Begründung, daß im vorliegenden Fall zweifellos eine Sportanlage im Sinne des § 16 Abs. 1 Z. 6 des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976 gegeben sei, welche mit den im § 92 Abs. 1 Z. 2 der NÖ Bauordnung 1976 als bewilligungspflichtig bezeichneten „Anlagen“ identisch sei. Die Baubewilligungspflicht der vorgenommenen Maßnahmen (Einebnung und Anschüttung des Geländes, Einfriedung des Grundstückes bzw. Aufstellung von Hindernissen) sei gegeben. Eine Bewilligung sei nach § 100 Abs. 4 der NÖ Bauordnung 1976 zu versagen, wenn durch die Ausführung des Vorhabens die Bestimmungen über die Zulässigkeit von Bauführungen auf Flächen mit bestimmten Widmungs- und Nutzungsarten verletzt werden. Der Verwaltungsgerichtshof habe in einigen Erkenntnissen aus jüngerer Zeit ausgesprochen, daß Sportanlagen im Bauland-Wohngebiet unzulässig seien und deren Errichtung das im § 16 Abs. 1 Z. 1 des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976 begründete subjektiv-öffentliche Anrainerrecht verletze.

Diese Vorstellung wurde mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 20. November 1984 gemäß § 61 Abs. 4 der NÖ Gemeindeordnung 1976 als unbegründet abgewiesen.

Dem zitierten Vorbringen des Beschwerdeführers hielt die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides entgegen, daß der erstmitbeteiligten Partei mit rechtskräftigem Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 17. Mai 1983 gemäß § 92 Abs. 1 Z. 3 und § 93 Z. 1 der NÖ Bauordnung 1976 die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung einer Einfriedung und Änderung des bestehenden Niveaus auf dem Grundstück Nr. 99/15 der Kat. Gem. F erteilt worden sei. Die Aufstellung von Hindernissen zur Ausübung des Reitsportes auf diesem Grundstück könne nach Ansicht der Aufsichtsbehörde keinesfalls als eine nach § 92 Abs. 1 Z. 1 der Nö Bauordnung 1976 bewilligungspflichtige bauliche Anlage angesehen werden, da keine nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes angeführten Voraussetzungen für eine Bewilligungspflicht gegeben seien. Demnach werde unter einer baulichen Anlage jede Anlage verstanden, zu deren Herstellung ein wesentliches (gewisses) Maß an bautechnischen Kenntnissen erforderlich sei, die mit dem Boden in eine gewisse Verbindung gebracht und wegen ihrer Beschaffenheit geeignet sei, die öffentlichen Interessen zu berühren. Sei jedoch - wie im vorliegenden Fall auf Grund der angeführten Erwägungen - eine Bewilligungspflicht nach der Nö Bauordnung nicht gegeben, so sei durch die Baubehörde die Frage, ob die Reitsportanlage im Rahmen der Widmungs- und Nutzungsart „Bauland-Betriebsgebiet“ (richtig wohl: Bauland‑Wohngebiet) zulässig sei, einer Überprüfung nicht zu unterziehen, da die Bestimmungen des NÖ Raumordnungsgesetzes an eine allenfalls widmungswidrige Verwendung des Grundstückes, welche bewilligungspflichtige Vorhaben nicht einschließe, keine Sanktionen knüpften. Eine gegenteilige Rechtsansicht sei entgegen der Meinung des Beschwerdeführers auch im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Mai 1983, Zlen. 83/05/0013, 0014, nicht enthalten. In dem diesem Erkenntnis zugrunde liegenden Beschwerdefall sei vielmehr nur über die Frage entschieden worden, ob eine eindeutig nach den Bestimmungen der NÖ Bauordnung bewilligungspflichtige Sportanlage im Bauland-Wohngebiet zulässig sei. Dies habe der Verwaltungsgerichtshof verneint. Die Aufsichtsbehörde sei auf Grund dieser Erwägungen daher der Auffassung, daß die bescheidmäßig getroffene Feststellung der Baubehörde durchaus gesetzeskonform erfolgt und dadurch eine Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers nicht eingetreten sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und die erstmitbeteiligte Partei erwogen hat:

Wie der vorstehenden Sachverhaltsdarstellung zu entnehmen ist, hat der Beschwerdeführer bei. der Baubehörde erster Instanz den Antrag gestellt, „bescheidmäßig die Errichtung einer Reitsportanlage auf der Parzelle 99/15 Kat.Gem. F zu untersagen und die Schleifung der vorhandenen Reitsportanlagen zu verfügen“. Auf Grund dieses Antrages hat der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde als die im Wege des Überganges der Entscheidungspflicht gemäß § 73 AVG 1950 zuständig gewordene Behörde die spruchmäßige Feststellung getroffen, daß „die Anlage eines Reitparcours auf Parz. 99/15 KG. F, der durch Aufstellung von Hindernissen entstanden ist, nicht der Bewilligungspflicht nach der NÖ Bauordnung 1976 unterliegt“.

Die Baubehörde hat also weder die Errichtung der in Rede stehenden Reitsportanlage untersagt und die Schleifung der Reitsportanlagen verfügt, noch das Ansuchen des Beschwerdeführers abgewiesen, weshalb davon ausgegangen werden muß, daß mit dem dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Bescheid des Gemeinderates über den geschilderten Antrag des Beschwerdeführers nicht abgesprochen worden ist. Im übrigen läßt sich dem zitierten Spruch des gemeindebehördlichen Bescheides auch nicht entnehmen, für welche konkret bestimmten Reithindernisse auf der genannten Liegenschaft des Erstmitbeteiligten keine baubehördliche Bewilligung erforderlich sei, da lediglich ganz allgemein festgestellt worden ist, daß die Anlage eines Reitparcours, „der durch die Aufstellung von Hindernissen entstanden ist“, nicht der baubehördlichen Bewilligungspflicht unterliege.

Die belangte Aufsichtsbehörde hätte daher den Bescheid des Gemeinderates schon aus diesen Gründen wegen Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers aufheben müssen, weshalb sich bereits daraus eine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG führende inhaltliche Rechtswidrigkeit ergibt.

Ungeachtet dessen sieht sich der Gerichtshof aus prozeßökonomischen Gründen zu nachstehenden Bemerkungen veranlaßt:

Durch die im Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde getroffene Feststellung wird in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers insoweit eingegriffen, als damit implicite zum Ausdruck kommt, daß unter diesen Umständen die Voraussetzungen für die Erteilung eines baupolizeilichen Auftrages im Sinne des § 113 Abs. 2 Z. 3 der Nö Bauordnung 1976 hinsichtlich der in Rede stehenden Hindernisse nicht vorliegen können, wenn man dabei unterstellt, daß Nachbarrechte des Beschwerdeführers dadurch beeinträchtigt werden könnten, daß die Aufstellung von Reithindernissen einer mit der Widmung Bauland-Wohngebiet unvereinbaren Verwendung der Liegenschaft der erstmitbeteiligten Partei dient (vgl. dazu das die unterirdische Reithalle mit Stallgebäude des Erstmitbeteiligten betreffende hg. Erkenntnis vom 20. März 1984, Zl. 83/05/0202). Die Errichtung einer Einfriedung und die Änderung des bestehenden Niveaus auf diesem Grundstück des Erstmitbeteiligten muß in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben, weil diese Maßnahmen, wie schon ausgeführt worden ist, mit Bescheid der Baubehörde erster Instanz vom 17. Mai 1983 rechtskräftig bewilligt worden sind.

Unter dieser Voraussetzung hatten sich daher die Baubehörde sowie die belangte Behörde aus der Sicht des Beschwerdeführers mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die in Rede stehenden Reithindernisse einer Bewilligung nach den Bestimmungen der NÖ Bauordnung 1976 bedürfen.

Zufolge § 2 Z. 5 leg. cit. gilt als Baulichkeit ein durch bauliche Vorhaben hergestelltes Objekt, welches nach seiner Funktion und äußeren Erscheinungsform ein Gebäude (z. B. Haus, Stall, Hütte, Scheune, Mobilheim, Traglufthalle) oder ein anderes Bauwerk (z. B. Stütz- und Einfriedungsmauer, Tiefgarage, Keller) oder eine sonstige bauliche Anlage (z. B. Kanalstrang, Brunnen, Schächte, Senkgrube, Blitzableiter) sein kann.

Die in Rede stehenden Reithindernisse können daher nur dann als bewilligungspflichtiges Vorhaben angesehen werden, wenn sie als “sonstige bauliche Anlage“ zu qualifizieren sind, wobei gemäß § 92 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. nur Anlagen einer Bewilligung der Baubehörde bedürfen, durch welche Gefahren für Personen und Sachen entstehen oder das Orts- und Landschaftsbild beeinträchtigt oder Rechte der Nachbarn verletzt werden können.

Geht man unter Bedachtnahme auf die vorstehenden Ausführungen über die Möglichkeit der Beeinträchtigung von Nachbarrechten von einer Erfüllung dieser Voraussetzung der zuletzt zitierten Bestimmung aus, so bleibt zu untersuchen, ob die erwähnten Reithindernisse als sonstige bauliche Anlagen im Sinne der wiedergegebenen Legaldefinition anzusehen sind.

In der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofes wurde die Auffassung vertreten, daß der hier verwendete Begriff Anlage jedenfalls nicht die Auslegung zuläßt, daß alles, was von Menschenhand angelegt wurde, bewilligungspflichtig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1982, Zlen. 81/05/0148, 0149). Diese Ansicht entspricht auch jener Judikatur des Gerichtshofes, derzufolge nur jene Anlage als bewilligungspflichtig zu beurteilen ist, zu deren Herstellung ein wesentliches Maß bautechnischer Kenntnisse erforderlich ist, die mit dem Boden in eine gewisse Verbindung gebracht und wegen ihrer Beschaffenheit die öffentlichen Interessen zu berühren geeignet ist (vgl. etwa das zur Kärntner Bauordnung ergangene hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1978, Slg. N. F. Nr. 9657/A). So hat auch der Verwaltungsgerichtshof in seinem zur Bauordnung für Niederösterreich ergangene Erkenntnis vom 3. November 1978, Slg. N. F. Nr. 9676/A, geführt, daß etwa nicht fundierte Natursteinterrassen und einfache Holzstege jedenfalls nicht ohne nähere Begründung als baubehördlich bewilligungspflichtig zu beurteilen sind.

Angesichts der zitierten Legaldefinition der im Beschwerdefall anzuwendenden NÖ Bauordnung 1976 und des Umstandes, daß die Bewilligungspflicht für bauliche Anlagen zufolge § 92 Abs. 2 leg. cit. ohne Rücksicht darauf besteht, ob sie mit dem Boden fest verbunden werden, kann der Gerichtshof - entgegen der in der Begründung des angefochtenen Bescheides vertretenen Auffassung - nicht von vornherein als gesichert ansehen, daß die auf einem Parcour aufgestellten Reithindernisse in keinem Fall als bewilligungspflichtige bauliche Anlagen angesehen werden können, weil zu berücksichtigen ist, daß sie eine Gefahr für Personen und Sachen darstellen können, wenn sie im Hinblick auf ihre Höhe und Breite nicht gewissen statischen Mindesterfordernissen entsprechen und nicht fest im Boden verankert oder kippsicher sind.

Da nun weder die Baubehörde noch die belangte Aufsichtsbehörde irgendwelche diesbezüglichen Feststellungen getroffen hat (im Schreiben des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 28. September 1983 ist lediglich davon die Rede, daß der Erstmitbeteiligte auf dem als Reitplatz verwendeten Grundstück „bewegliche Hindernisse“ aufgestellt habe), kann nicht beurteilt werden, ob die vom Erstmitbeteiligten aufgestellten Reithindernisse den Kriterien einer Bewilligungspflicht im Sinne der zitierten Bestimmungen der NÖ Bauordnung 1976 entsprechen, weshalb der Beschwerdeführer mit seiner diesbezüglichen Rüge im Recht ist.

Von der Abhaltung der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte zufolge § 39 Abs. 2 Z. 4 leg. cit. abgesehen werden, zumal die Frage der Abbruchverpflichtung keiner abschließenden Entscheidung zugeführt wird.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 leg. cit. in Verbindung mit Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981.

Wien, am 30. April 1985

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