Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die Mitbeteiligte ist eine der Gewerbeordnung unterliegende inländische Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft. Sie ist an drei ausländischen Gesellschaften, die einer inländischen Kapitalgesellschaft vergleichbar sind, zu mehr als einem Viertel unmittelbar beteiligt, und zwar an der E.-Ges.m.b.H. in der BRD, an der Pro.-S.A in Spanien und an der Pur. AG in der Schweiz.
In ihrer Erklärung zur Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens zum 1. Jänner 1980 wies die Mitbeteiligte darauf hin, dass der Wert der Beteiligung an der E.-Ges.m.b.H. (S 36,794.566,--) gemäß § 63 Abs. 3 BewG außer Ansatz zu lassen sei. Ein gleichartiger Hinweis erfolgte in der Erklärung zur Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens zum 1. Jänner 1981, wobei nunmehr auch die Beteiligung an der Pro.- S.A. (S 1,125.309,--) und an der Pur. AG (S 2,033.750,--) betroffen waren.
Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Bestimmung des § 63 Abs. 3 BewG, wonach Schachtelbeteiligungen an ausländischen Gesellschaften nicht zum gewerblichen Betrieb gehören, auf die Mitbeteiligte nicht anwendbar sei, weil die genannte Begünstigung nach der zu den Feststellungszeitpunkten 1. Jänner 1980 und 1. Jänner 1981 anzuwendenden Gesetzeslage nur von inländischen Kapitalgesellschaften in Anspruch genommen werden könne, und erließ entsprechende Einheitswertbescheide.
Die Mitbeteiligte erhob gegen beide Einheitswertbescheide und die gleichzeitig ergangenen Bescheide betreffend Vermögensteuer und das Erbschaftssteueräquivalent ab dem 1. Jänner 1980 bzw. ab dem 1. Jänner 1981 Berufung und führte aus, es sei auf ein Versehen des Gesetzgebers zurückzuführen, dass die Schachtelbegünstigung über die Grenze nach dem Wortlaut des § 63 Abs. 3 BewG in der Fassung vor dem Abgabenänderungsgesetz 1982 auf die Beteiligung von Kapitalgesellschaften beschränkt gewesen sei. Die Schachtelbegünstigung über die Grenze sei mit der Bewertungsgesetznovelle 1972 durch § 63 Abs. 3 BewG geschaffen und entsprechend der damaligen Rechtslage auf Beteiligungen von Kapitalgesellschaften beschränkt worden. Mit dem 2. Abgabenänderungsgesetz 1977 habe der Gesetzgeber die Schachtelbegünstigung auf andere Rechtsträger, zu denen auch die der Gewerbeordnung unterliegenden inländischen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften zählen, ausgedehnt. Dabei habe er übersehen, den Wortlaut des § 63 Abs. 3 BewG, der die Schachtelbegünstigung über die Grenze auf die Beteiligung inländischer Kapitalgesellschaften beschränkte, entsprechend anzupassen. Es gebe keine sachliche Rechtfertigung dafür, dass man bei Beziehungen über die Grenze das Schachtelprivileg nur einer österreichischen Kapitalgesellschaft, nicht aber auch einer österreichischen Genossenschaft gewähre, die in Bezug auf das inländische Schachtelprivileg den Kapitalgesellschaften gleichgestellt sei. Eine solche Differenzierung würde gegen das Gleichheitsgebot verstoßen. Um zu einer verfassungskonformen Rechtsanwendung zu gelangen, sei das Wort "Kapitalgesellschaft" im § 63 Abs. 3 BewG "so zu lesen, dass es auch die Genossenschaft umfasst".
Die belangte Behörde schloss sich der Rechtsauffassung der Mitbeteiligten an und gab der Berufung statt.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Einen Verfahrensmangel erblickt der beschwerdeführende Präsident darin, dass mit dem angefochtenen Bescheid auch der Berufung gegen die Bescheide betreffend Vermögensteuer und Erbschaftssteueräquivalent stattgegeben wurde, obwohl es sich bei diesen Bescheiden um abgeleitete Bescheide handle, die gemäß § 252 BAO nicht mit der Begründung angefochten werden können, dass die im zugrundeliegenden Feststellungsbescheid getroffenen Entscheidungen unzutreffend sind.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Anwendbarkeit der Schachtelbegünstigung über die Grenze:
Ist eine inländische Kapitalgesellschaft an einer anderen inländischen Kapitalgesellschaft mindestens zu einem Viertel beteiligt, so gehört die Beteiligung unter bestimmten weiteren Voraussetzungen, die nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sind, gemäß § 63 Abs. 1 und Abs. 2 BewG nicht zum gewerblichen Betrieb der beteiligten Kapitalgesellschaft (so genannte Schachtelbegünstigung). Mit der Bewertungsgesetz-Novelle 1972, BGBl. Nr. 447, wurde diese Begünstigung auch auf die Beteiligung an ausländischen Kapitalgesellschaften ausgedehnt. Die diesbezügliche Regelung des § 63 Abs. 3 BewG lautete:
"(3) Die Abs. 1 und 2 sind sinngemäß anzuwenden, wenn eine inländische Kapitalgesellschaft an einer ausländischen Gesellschaft, welche einer Kapitalgesellschaft vergleichbar ist, beteiligt ist."
Während die Schachtelbegünstigung mit dem 2. Abgabenänderungsgesetz 1977, BGBl. Nr. 645, durch eine Änderung des § 63 Abs. 1 und Abs. 2 BewG unter anderem auf die der Gewerbeordnung unterliegenden Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften ausgedehnt wurde, blieb § 63 Abs. 3 leg. cit. unverändert. Erst mit Abschnitt XI, Art. 1 Z. 4 des Abgabenänderungsgesetzes 1982, BGBl. Nr. 570, wurde § 63 Abs. 3 BewG neu gefasst und lautet nunmehr:
"(3) Die Abs. 1 und 2 gelten sinngemäß für die Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften, die einer Kapitalgesellschaft vergleichbar sind."
Gemäß Abschnitt XI, Art. II ist die geänderte Fassung erstmals auf Feststellungszeitpunkte anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1982 liegen.
Die belangte Behörde und die Mitbeteiligte vertreten die Ansicht, dass der eben zitierten Bestimmung nur klarstellender Charakter beizumessen ist, weil der Gesetzgeber mit der durch das 2. Abgabenänderungsgesetz 1977 erfolgten Ausdehnung der Schachtelbegünstigung auf die der Gewerbeordnung unterliegenden Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften zweifellos eine Gleichstellung dieser Körperschaften mit den Kapitalgesellschaften herstellen wollte und zwar "in jeder Beziehung; also auch hinsichtlich ihrer ausländischen Beteiligungen".
Der Verwaltungsgerichtshof teilt diese Rechtsansicht nicht. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die Vorstellung bestand, bereits mit dem 2. Abgabenänderungsgesetz 1977 alle in § 63 Abs. 1 BewG genannten Rechtsträger hinsichtlich der Schachtelbegünstigung vollständig, also auch in Bezug auf ihre Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften, gleichzustellen, so vermag eine solche Vorstellung, deren Verwirklichung eine Änderung des § 63 Abs. 3 BewG erforderlich gemacht hätte, die dennoch unterlassene Gesetzesänderung nicht zu ersetzen. Ebenso wie die grundsätzliche Ausdehnung der Schachtelbegünstigung durch das 2. Abgabenänderungsgesetz 1977 auf die der Gewerbeordnung unterliegenden Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften nur durch Gesetzesänderung erfolgen konnte, so bedurfte auch die Ausdehnung der Schachtelbegünstigung über die Grenze einer entsprechenden gesetzlichen Regelung. Da der Gesetzgeber eine derartige Regelung erst mit dem durch das Abgabenänderungsgesetz 1982 neu gefassten § 63 Abs. 3 BewG getroffen hat und für das erstmalige Inkrafttreten der neu gefassten Bestimmung ausdrücklich jene Feststellungszeitpunkte normiert hat, die nach dem 31. Dezember 1982 liegen, kommt eine Anwendung der geänderten Bestimmung auf Feststellungszeitpunkte, die vor diesem Stichtag liegen, nicht in Betracht.
Abgesehen von dieser klaren Gesetzeslage bieten aber auch die Gesetzesmaterialien zum Abgabenänderungsgesetz 1982 keinerlei Stütze für die Rechtsauffassung der belangten Behörde. Im Gegenteil: Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1213 BlgNR XV. GP.) verweisen bezüglich der "Ausdehnung des Personenkreises" unter Abschnitt XI Art. I Z. 4 (§ 63 Abs. 3) auf die Erläuterungen zu Abschnitt Il. Diese lauten:
"Durch die Novellierung des § 10 Abs. 2 KStG soll das so genannte 'Internationale Schachtelprivileg' auf jenen Personenkreis ausgedehnt werden, der die Schachtelbefreiung seit dem 2. Abgabenänderungsgesetz 1977 in Anspruch nehmen kann. Damit erlangen auch Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, die im Abs. 1 genannten Genossenschaften, Sparkassen, Landes-Hypothekenbanken, die Pfandbriefstelle der österreichischen Landes-Hypothekenbanken und die österreichische Postsparkasse die Möglichkeit, Gewinnanteile aus der Beteiligung an ausländischen Kapitalgesellschaften unter den Voraussetzungen des Abs. 1 steuerfrei zu erhalten."
Auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage bringen sohin klar und deutlich zum Ausdruck, dass mit der Neufassung des § 63 Abs. 3 BewG eine Änderung der Rechtslage und zwar eine Erweiterung des "internationalen Schachtelprivilegs" beabsichtigt war.
Was die vom Mitbeteiligten vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken betrifft, so ist auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 6. Juni 1972, B 86/72, Slg. Nr. 6709, zu verweisen, in dem der seinerzeitige Ausschluss der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften von der Schachtelbegünstigung nicht als sachfremd, sondern als verfassungskonforme Differenzierung bezeichnet wurde, die im anders gearteten Wesen der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften sowie in der historischen Genossenschaftsidee begründet sei. Wenn der Gesetzgeber in Bezug auf die Schachtelbegünstigung dennoch eine Gleichstellung der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften mit den Kapitalgesellschaften herbeigeführt hat, so kann der Verwaltungsgerichtshof darin, dass diese Maßnahme in zwei Etappen, nämlich zunächst nur für inländische Beteiligungen und erst im Wege einer weiteren Gesetzesänderung auch für ausländische Beteiligungen gesetzt wurde, keine Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes erblicken.
2. Berufung gegen die Bescheide betreffend Vermögensteuer und Erbschaftssteueräquivalent:
Der beschwerdeführende Präsident ist im Recht, wenn er darauf hinweist, dass Bescheide betreffend Vermögensteuer und Erbschaftssteueräquivalent gemäß § 252 Abs. 1 BAO nicht mit der Begründung angefochten werden können, dass die im zugrundeliegenden Bescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens getroffenen Entscheidungen unzutreffend sind. Vielmehr sieht § 295 BAO vor, dass ein von einem Feststellungsbescheid abgeleiteter Bescheid von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen ist, wenn der Feststellungsbescheid abgeändert wird. Der Verwaltungsgerichtshof kann jedoch nicht finden, dass die Vorgangsweise der belangten Behörde, die der Anordnung des § 295 BAO vom Ergebnis her gesehen dadurch entsprochen hat, dass sie die gleichzeitig mit dem Einheitswertbescheid angefochtenen, von diesem abgeleiteten Bescheide betreffend Vermögensteuer und Erbschaftssteueräquivalent bereits im Zuge des Berufungsverfahrens entsprechend angepasst hat, rechtswidrig war. § 289 Abs. 2 BAO berechtigt die Abgabenbehörde zweiter Instanz, den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Dieses Recht geht über den Rahmen des jeweiligen Berufungsbegehrens hinaus und kann sogar zu einer Verböserung des angefochtenen Bescheides führen. Die Berufungsbehörde ist in ihrer Entscheidung nicht an das Berufungsbegehren gebunden. Das bedeutet: Auch ein Berufungsbegehren, das für sich allein zur Abweisung der Berufung führen müsste, kann eine Änderung des angefochtenen Bescheides im Rechtsmittelweg zur Folge haben.
Ausgehend von diesen Überlegungen erscheint es dem Verwaltungsgerichtshof durchaus vertretbar, im Rahmen von Rechtsmittelentscheidungen auch solche Bescheidänderungen vorzunehmen, die sich als Folgeänderungen gemäß §§ 295 und 296 BAO darstellen.
Da sich der angefochtene Bescheid aber aus den unter Punkt 1. angeführten Gründen als inhaltlich rechtswidrig erweist, war er gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben.
Wien, am 9. November 1983
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