LVwG Tirol LVwG-2020/37/1936-2

LVwG TirolLVwG-2020/37/1936-223.10.2020

EpidemieG 1950 §7
AVG §57
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §31

European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGTI:2020:LVwG.2020.37.1936.2

 

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt/fasst durch seinen Richter Dr. Hirn über die Beschwerde der AA, Adresse 1, Z, gegen Spruchpunkt I. (Vorstellungsbescheid) der Bezirkshauptmannschaft Y vom 21.08.2020, Zl ***, sowie über die Beschwerde der AA, Adresse 1, Z, gegen den Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 08.08.2020, Zl ***, aufgrund des Vorlageantrages vom 29.08.2020 nach Erlassung der Beschwerdevorentscheidung der Bezirkshauptmannschaft Y mit Spruchpunkt II. des Bescheides vom 19.08.2020, Zl ***, betreffend Verfahren nach dem Epidemiegesetz 1950, (den)

 

I.

zu Recht:

 

1. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Y vom 19.08.2020, Zl *** (Vorstellungsbescheid), wird Folge gegeben und der angefochtene Spruchpunkt I. (= Vorstellungsbescheid) ersatzlos behoben.

 

2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

 

II.

Beschluss:

 

1. Die Beschwerde gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 08.08.2020, Zl ***, wird wegen sachlicher Unzuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts Tirol als unzulässig zurückgewiesen.

 

2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

 

I. Verfahrensgang und entscheidungsrelevanter Sachverhalt:

 

Mit (telefonisch) verkündetem Mandatsbescheid vom 30.07.2020 hat die Bezirkshauptmannschaft Y, gestützt auf § 46 Abs 1 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), die Absonderung der AA, geb am xx.xx.xxxx, Adresse 1, Z, als erkrankte Person verfügt. Gleichzeitig hat die belangte Behörde ausgesprochen, dass die Absonderung endet, wenn die Behörde nicht innerhalb von 48 Stunden einen Bescheid über die Absonderung gem § 7 EpiG wegen einer Infektion mit SARS-CoV-2 erlässt. Die Verkündung des telefonischen Bescheides hat die zuständige Sachbearbeiterin der Bezirkshauptmannschaft Y in einem Aktenvermerk beurkundet.

 

Mit Bescheid vom 30.07.2020, Zl ***, hat die Bezirkshauptmannschaft Y, gestützt auf die §§ 6 Abs 1 und 7 Abs 1 und 1a EpiG in Verbindung (iVm) mit den §§ 1, 2 und 4 der Verordnung des Ministers des Inneren im Einvernehmen mit dem Minister für Kultus und Unterricht vom 22.02.1915 betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger und die Bezeichnung von Häusern und Wohnungen iVm mit § 57 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) mit sofortiger Wirkung die Absonderung der AA, geb am xx.xx.xxxx, an ihrer Wohnadresse (Adresse 1, Z) bis einschließlich 09.08.2020 verfügt. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass AA an SARS-CoV-2 erkrankt sei.

 

Laut der Rechtsmittelbelehrung konnte gegen den zitierten Bescheid binnen zwei Wochen, gerechnet ab dem Tag der Zustellung, Vorstellung bei der Bezirkshauptmannschaft Y eingebracht werden. Gleichzeitig hat die belangte Behörde allerdings darauf hingewiesen, dass der Vorstellung gemäß § 57 Abs 2 AVG keine aufschiebende Wirkung zukommt.

 

Unter der Rubrik „Hinweise“ hat die belangte Behörde darauf aufmerksam gemacht, dass die „angehaltene Person“ beim Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung gemäß § 7 Abs 1a EpiG nach Maßgabe des 2. Abschnitts des Tuberkulosegesetzes beantragen kann.

 

Mit Bescheid vom 08.08.2020, Zl ***, hat die Bezirkshauptmannschaft Y ─ unter Hinweis auf die bereits im Bescheid vom 30.07.2020 zitierten Rechtsgrundlagen ─ die hinsichtlich der Beschwerdeführerin angeordnete Absonderung unter Einhaltung der im Bescheid vom 30.07.2020, Zl ***, vorgeschriebenen Auflagen um einen Tag, sohin bis zum 10.08.2020 verlängert. Die Rechtsmittelbelehrung stimmt mit jener des Bescheides vom 30.07.2020 überein. Dies gilt auch für den „Hinweis“, welche Stelle für die Überprüfung der Freiheitsbeschränkung zuständig ist.

 

Die Amtsärztin BB hat mit E-Mail vom 10.08.2020 der Bezirkshauptmannschaft Y mitgeteilt, dass aufgrund der Befundlage eine weitere Verlängerung der Absonderung der Beschwerdeführerin nicht notwendig ist. Die Absonderung der Beschwerdeführerin hat daher mit Ablauf des 10.08.2020 geendet.

 

Gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 08.08.2020, Zl ***, brachte AA, Adresse 1, Z, in ihrer Eingabe vom 12.08.2020 fristgerecht vor, dass die Absonderung generell sowie die Dauer nicht gerechtfertigt gewesen seien. Sie sei am 23.07.2020 zur Kontrolle bei ihrem Lungenfacharzt gewesen, eine Erkrankung und Symptome seien nicht vorgelegen. Entsprechend dem Wunsch des Lungenfacharztes habe sie am 27.07.2020 ein Lungen-CT erstellen lassen. Der Radiologe habe in weiterer Folge eine Lungenentzündung festgestellt und den Verdacht auf COVID-19 notiert. Sie sei dann in weiterer Folge am 28.07.2020 getestet worden und habe am 30.07.2020 den Anruf der Bezirkshauptmannschaft Y mit der Nachricht eines positiven Corona-Tests erhalten. Auf ihre telefonische Anfrage hätten jedoch der sie behandelnde Lungenfacharzt und der sie behandelnde Hausarzt mitgeteilt, dass nicht auf einen Corona-Virus zu schließen sei. Trotz ihres Ersuchens sei ein weiterer Test nicht vorgenommen worden. Es bestehe daher der Verdacht, dass ein positiver Corona-Test nur aufgrund eines unklaren Lungen-CT ausgegeben worden sei.

 

Mit Spruchpunkt I. des Bescheides vom 19.08.2020, Zl ***, hat die Bezirkshauptmannschaft Y die Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den Absonderungsbescheid vom 30.07.2020, Zl ***, „in Anwendung des § 57 Abs 3 AVG“ als unbegründet abgewiesen. Mit Spruchpunkt II. wies die belangte Behörde mittels Beschwerdevorentscheidung die von ihr als Beschwerde qualifizierte Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 08.08.2020, Zl ***, als unbegründet ab.

 

Zu Spruchpunkt I. hielt die belangte Behörde fest, dass das Testergebnis der Beschwerdeführerin eindeutig positiv auf SARS-CoV-2 gewesen sei. Deren Absonderung sei daher rechtlich geboten gewesen. Die Entscheidung gemäß Spruchpunkt II. begründete die belangte Behörde damit, dass bis zum Ablauf der ursprünglich festgelegten Quarantäne keine Nachweise vorhanden gewesen seien, dass die in der Lunge festgestellten Auffälligkeiten nicht mehr vorgelegen seien.

 

Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Y vom 17.08.2020, Zl ***, hat AA, Adresse 1, Z, mit Schriftsatz vom 29.08.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben. Hinsichtlich des Spruchpunktes II. der Bezirkshauptmannschaft Y vom 19.08.2020, Zl ***, hat AA, Adresse 1, Z, fristgerecht den Vorlageantrag an das Landesverwaltungsgericht Tirol gestellt.

 

Mit Schriftsatz vom 02.09.2020, Zl ***, hat die Bezirkshauptmannschaft Y die Beschwerde und den Vorlageantrag samt dem behördlichen Verwaltungsakt dem Landesverwaltungsgericht Tirol vorgelegt. Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat die belangte Behörde ausdrücklich verzichtet.

 

 

II. Beweiswürdigung:

 

Der maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem behördlichen Akt und ist nicht weiter strittig.

 

 

III. Rechtslage:

 

1. Epidemiegesetz 1950:

 

Die entscheidungswesentliche Bestimmung des § 7 des Epidemiegesetzes 1950 (EpiG), BGBl Nr 186/1950 in der Fassung (idF) BGBl I Nr 63/2016, lautet (auszugsweise) wie folgt:

 

„Absonderung Kranker.

 

§ 7. (1) Durch Verordnung werden jene anzeigepflichtigen Krankheiten bezeichnet, bei denen für kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen Absonderungs-maßnahmen verfügt werden können.

(1a) Zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach Abs. 1 angeführten anzeigepflichtigen Krankheit können kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen angehalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann. Die angehaltene Person kann bei dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung nach Maßgabe des 2. Abschnitts des Tuberkulosegesetzes beantragen. Jede Anhaltung ist dem Bezirksgericht von der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen, die sie verfügt hat. Das Bezirksgericht hat von Amts wegen in längstens dreimonatigen Abständen ab der Anhaltung oder der letzten Überprüfung die Zulässigkeit der Anhaltung in sinngemäßer Anwendung des § 17 des Tuberkulosegesetzes zu überprüfen, sofern die Anhaltung nicht vorher aufgehoben wurde.

[…]“

 

2. Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz:

 

Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 in den Fassungen BGBl I Nr 138/2017 (§§ 24 und 28) sowie BGBl I Nr 57/2018 (§ 31), lauten samt Überschriften auszugweise wie folgt:

 

„Verhandlung

 

§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist oder

[…]

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.“

 

„Erkenntnisse

 

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

[…]“

 

„Beschlüsse

 

§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.

[…]“

 

 

IV. Erwägungen:

 

1. In der Sache:

 

1.1. Zu Spruchpunkt I. (Erkenntnis):

 

Der Bescheid vom 30.07.2020, Zl ***, mit dem die Bezirkshauptmannschaft Y die Absonderung der Beschwerdeführerin bis zum 09.08.2020 verfügt hat, ist als Mandatsbescheid nach § 57 Abs 1 AVG zu qualifizieren.

Die gegen den Mandatsbescheid vom 30.07.2020, Zl ***, eingebrachte Vorstellung hat die Bezirkshauptmannschaft Y mit Spruchpunkt I. des Bescheides vom 19.08.2020 als unbegründet abgewiesen.

 

Ausgehend vom Wortlaut des § 7 Abs 1a EpiG ist allerdings zu klären, ob die Bezirkshauptmannschaft Y zur Erlassung dieser Entscheidung zuständig war. Das Landesverwaltungsgericht Tirol hält dazu Folgendes fest:

 

Gemäß § 7 Abs 1a zweiter Satz EpidemieG kann die von einer Absonderung betroffene Person „bei dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung nach Maßgabe des 2. Abschnitts des Tuberkulosegesetzes beantragen“.

 

Laut den § 7 Abs 1 und 1a EpiG betreffenden erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (EBRV 1187 BlgNR 25.GP , 16) wurde das Rechtsschutzinstrumentarium gleich dem Tuberkulosegesetz für freiheitsbeschränkende Maßnahmen den menschen-rechtlichen Standards entsprechend ausgestaltet. Kranken, krankheitsverdächtigen oder ansteckungsverdächtigen Personen, denen gegenüber eine freiheitsbeschränkende Maßnahme (Absonderung in der Wohnung oder eine entsprechende Krankenanstalt) verfügt wurde, steht daher die Möglichkeit einer Überprüfung dieser Maßnahme durch das Gericht zu. Die freiheitsbeschränkende Maßnahme kann dabei je nach Sachlage, insbesondere der Dringlichkeit der Maßnahme, entweder durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (auch unter Assistenz der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes) oder durch Bescheid erfolgen. Hinsichtlich des vorgesehenen gerichtlichen Überprüfungsverfahrens ist sinngemäß der zweite Abschnitt des Tuberkulosegesetzes anwendbar.

 

Folglich obliegt dem nach dem Anhalteort örtlich zuständigen Bezirksgericht die Entscheidung betreffend die Überprüfung der Zulässigkeit der Absonderung an sich, aber auch über die Dauer der Absonderungsmaßnahme. Dem Landesverwaltungsgericht Tirol kommt diesbezüglich keine Entscheidungskompetenz zu. Eine Zuständigkeitsverteilung zwischen den örtlichen Gerichten und den Verwaltungsgerichten hat der Gesetzgeber nicht intendiert. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 7 Abs 1a EpiG, wonach die angehaltene Person „bei dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung nach Maßgabe des 2. Abschnittes des Tuberkulose-gesetztes beantragen“ kann (vgl LVwG Niederösterreich vom 29.05.2020, Zl LVwG-AV453/001-2020; ebenso LVwG Niederösterreich vom 06.07.2020, Zl LVwG-AV664/001-2020, vgl auch LVwG Vorarlberg vom 23.04.2020, Zl LVwG-408/2-2020-R16). Zudem ist § 7 Abs 1a EpiG verfassungskonform zu interpretieren, um Doppelgleisigkeiten bei den Zuständigkeiten zwischen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit hintanzuhalten. Eine solche verfassungskonforme Interpretation verbietet somit die Möglichkeit, gegen die Anordnung einer Absonderung sowohl ein Rechtsmittel an das örtlich zuständige Bezirksgericht als auch an das örtlich zuständige Landesverwaltungsgericht zu erheben.

 

Folglich ist gegen Mandatsbescheide gemäß § 57 AVG iVm § 7 Abs 1a EpiG ein Instanzenzug von der Verwaltungsbehörde an die ordentlichen Gerichte vorgesehen. Dies betrifft sowohl die Überprüfung der grundsätzlichen Rechtmäßigkeit der freiheitsbeschränkenden Maßnahme als auch die Rechtsmäßigkeit der angeordneten Dauer. Die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts ist ausgeschlossen. Die verfahrensrechtliche Grundlage für den Instanzenzug von der Verwaltungsbehörde an die ordentlichen Gerichte bildet Art 94 Abs 2 B-VG. Diese Bestimmung räumt dem einfachen Gesetzgeber ausdrücklich die Möglichkeit ein, anstelle einer Beschwerde an die Verwaltungsgerichte einen Instanzenzug von den Verwaltungsbehörden an die „ordentlichen Gerichte“ (= Gerichte der Justiz) vorzusehen.

 

Dementsprechend war die Bezirkshauptmannschaft Y nicht zuständig zur Entscheidung über die Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen den Mandatsbescheid vom 30.07.2020, Zl ***. Gemäß § 6 Abs 1 AVG wäre die Bezirkshauptmannschaft Y verpflichtet gewesen, die „Vorstellung“ an das sachlich wie örtlich zuständige Bezirksgericht weiterzuleiten und die Beschwerdeführerin an das zuständige Bezirksgericht zu verweisen.

 

Hat eine unzuständige Behörde entschieden, so hat das mit Beschwerde angerufene Verwaltungsgericht diese Unzuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen und die betreffende Entscheidung zu beheben (vgl VwGH 28.01.2016, Ra 2015/07/0140). Folglich war Spruchpunkt I. des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Y vom 19.08.2020, Zl ***, ersatzlos aufzuheben.

 

In diesem Zusammenhang hält das Landesverwaltungsgericht Tirol fest, dass die Rechtsmittelbelehrung in den Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Y vom 30.07.2020, vom 08.08.2020 und 19.08.2020 nicht gesetzeskonform ist. Da eine Überprüfung der Rechtsmäßigkeit freiheitsbeschränkender Maßnahmen im Sinne des § 7 Abs 1a EpiG durch die ordentliche Gerichtsbarkeit zu erfolgen hat, ist bei der Rechtsmittelbelehrung in solchen Absonderungsbescheiden einzig und allein auf die eben zitierte Bestimmung abzustellen.

 

1.2. Zu Spruchpunkt II. (Beschluss):

 

Mit Schreiben vom 02.09.2020 hat die Bezirkshauptmannschaft Y das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 08.08.2020, Zl ***, dem Landesverwaltungsgericht Tirol zur Entscheidung vorgelegt. Dem Vorlageschreiben vorausgegangen ist zunächst die Beschwerdevorentscheidung der Bezirkshauptmannschaft Y vom 21.08.2020, Zl *** (Spruchpunkt II.), sowie der Vorlageantrag der Beschwerdeführerin vom 29.08.2020.

 

In Anlehnung an die Darlegungen in Kapitel IV/1.1. der gegenständlichen Entscheidung hält das Landesverwaltungsgericht Tirol zu Spruchpunkt II. des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Y vom 19.08.2020, Zl ***, fest:

 

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 7 Abs 1a EpiG kann die angehaltene Person „bei dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung nach Maßgabe des 2. Abschnitts des Tuberkulosegesetzes beantragen“. Die Überprüfung der Zulässigkeit als auch die Aufhebung der freiheitsbeschränkenden Maßnahmen obliegt damit ausschließlich dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt. Eine Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts Tirol ist somit nicht gegeben.

 

Aufgrund der Unzuständigkeit des Landesverwaltungsgericht Tirol ist die Beschwerde gegen den Bescheid vom 08.08.2020, Zl ***, als unzulässig zurückzuweisen. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtes tritt an die Stelle der Beschwerdevorentscheidung. Eine Aufhebung der Beschwerdevorentscheidung ist nicht erforderlich (vgl VwGH 17.12.2015, Ro 2015/08/0026).

 

2. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

 

Ausgehend vom Wortlaut des § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte im gegenständlichen Fall bezogen auf die Spruchpunkte I. (Erkenntnis) und II. (Beschluss) der gegenständlichen Entscheidung die mündliche Verhandlung entfallen.

 

Unabhängig davon hat der Verwaltungsgerichtshof zur Bestimmung des § 24 Abs 4 VwGVG wiederholt festgestellt, dass der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen hatte. Zweck einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist grundsätzlich nicht nur die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör zu diesem, sondern auch das Rechtgespräch und die Erörterung der Rechtsfragen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auf das Urteil vom 19.02.1998 im Fall Jacobsson gegen Schweden (Nr. 2), 8/1997/792/993, par. 49, (ÖJZ 1998, 4), hingewiesen, in welchem der Entfall einer mündlichen Verhandlung als gerechtfertigt angesehen wurde, weil angesichts der Beweislage vor dem Gerichtshof und angesichts der Beschränkung der zu entscheidenden Fragen „das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte“. Der Verwaltungsgerichtshof hat in solchen Fällen eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich erachtet, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt ist und die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung beantwortet sind und in der Beschwerde keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen werden, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, dass gemäß § 24 Abs 1 VwGVG auf Antrag eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist, die der Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie der Erhebung der Beweise dient. Als Ausnahme von dieser Regel kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Antrages gemäß § 24 Abs 4 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Bei keinem konkreten sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Rechtsmittelwerbers ist eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl VwGH 16.12.2019, Ra 2018/03/0066 bis 0068, mit zahlreichen Hinweisen auf die Judikatur).

 

Ausgehend von der eindeutigen Bestimmung des § 7 Abs 1a EpiG ist eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Erörterung nicht zu erwarten. Auch unter Berücksichtigung des § 24 Abs 4 VwGVG kann im gegenständlichen Fall die mündliche Verhandlung entfallen. Zudem hat die Beschwerdeführerin eine mündliche Verhandlung nicht beantragt und die belangte Behörde auf die Durchführung einer solchen Verhandlung ausdrücklich verzichtet.

 

3. Ergebnis:

 

Die Bezirkshauptmannschaft Y war zur Erlassung des Vorstellungsbescheides in dem in Spruchpunkt I. des Bescheides vom 21.08.2020, Zl ***, umschriebenen Umfang sachlich nicht zuständig. Das Landesverwaltungsgericht Tirol hatte daher diese Entscheidung ersatzlos zu beheben. Dementsprechend lautet Spruchpunkt I./1. der gegenständlichen Entscheidung.

 

Die Überprüfung der Zulässigkeit und die Aufhebung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen nach dem EpiG fällt in die Zuständigkeit jenes Bezirksgerichtes, in dessen Sprengel der Anhaltungsort der betroffenen Person liegt. Die gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 08.08.2020, Zl ***, gerichtete Beschwerde der AA war daher als unzulässig zurückzuweisen. Der dementsprechend formulierte Spruch in Spruchpunkt II./1. der gegenständlichen Entscheidung tritt an die Stelle der Beschwerdevorentscheidung gemäß Spruchpunkt II. des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Y vom 19.08.2020, Zl ***.

 

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß den Darlegungen in Kapitel IV./2. der gegenständlichen Entscheidung entfallen.

 

 

V. Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Zur Frage der sachlichen Zuständigkeit im Zusammenhang mit der Überprüfung der Zulässigkeit und der Aufhebung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen nach dem EpiG liegt keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vor. Da zudem dieser Rechtsfrage eine weit über den gegenständlichen Fall hinausgehende Bedeutung zukommt, ist von einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auszugehen. Dementsprechend erklärt das Landesverwaltungs-gericht Tirol die ordentliche Revision für zulässig (vgl Spruchpunkte I./2. und II./2. der gegenständlichen Entscheidung).

 

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

 

 

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

 

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

 

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

 

 

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr. Hirn

(Richter)

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte