LVwG Tirol LVwG-2015/44/1078-12

LVwG TirolLVwG-2015/44/1078-1216.6.2016

NatSchG Tir 2005 §7
NatSchG Tir 2005 §8
NatSchG Tir 2005 §23
NatSchV Tir 2006 §2
NatSchV Tir 2006 §3
NatSchV Tir 2006 Anlage2
NatSchV Tir 2006 Anlage3
NatSchV Tir 2006 Anlage4
NatSchG Tir 2005 §7
NatSchG Tir 2005 §8
NatSchG Tir 2005 §23
NatSchV Tir 2006 §2
NatSchV Tir 2006 §3
NatSchV Tir 2006 Anlage2
NatSchV Tir 2006 Anlage3
NatSchV Tir 2006 Anlage4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGTI:2016:LVwG.2015.44.1078.12

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat durch seinen Richter Mag. Alexander Spielmann über die Beschwerde des Landesumweltanwaltes von Tirol gegen den Spruchpunkt B des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft R vom 08.04.2015, Zahl ****1, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung

zu Recht erkannt:

1. Gemäß § 28 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass im Spruchpunkt B des angefochtenen Bescheides

 die angeführten Bewilligungstatbestande um § 7 Abs 2 lit b Z 1 und 2 sowie § 8 lit a, b, c und d Tiroler Naturschutzgesetz 2005 (TNSchG 2005) ergänzt werden,

 nach der Wortfolge „zur Schaffung von Bauland“ die Wortfolge „durch die dauernde Beseitigung des Rotföhren-Trockenauwaldes und die Abtragung des Waldbodens“ eingefügt wird und

 anstelle der Gste Nr 1**, 2** und 3** die Gste Nr 3**/2, 3**/3, 3**/4, 3**/5, 3**/6, 3**/7, 3**/8, 3**/9, 3**/10, 3**/11 und 4**, alle KG X, anzuführen sind.

2. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen. Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Verfahren:

Mit Schreiben vom 20.08.2014 hat die Gemeinde X bei der Bezirkshauptmannschaft R als Forstrechtsbehörde ein Rodungsansuchen für Teilflächen der Grundstücke Nr 1**, 2** und 3**, alle KG X, zur Schaffung von Bauland und zur Errichtung von Wegen eingereicht. Als Beilage zum Antrag wurde der Vermessungsplan von DI A A vom 08.08.2014, Zl ****2, eingereicht.

Infolge dieses Rodungsansuchens holte die Forstrechtsbehörde das Gutachten des forstfachlichen Amtssachverständigen Ing. C C vom 02.09.2014, Zl ****3, ein. Demnach habe der vom Vorhaben betroffene Rotföhren-Trockenauwald eine hohe Bedeutung für die Erfüllung der Schutz-, Wohlfahrts- und Erholungswirkung des Waldes, weshalb ein hohes öffentliches Interesse an der Walderhaltung bestehe. Aufgrund der in den letzten drei Jahrzehnten stattgefundenen Rodungen im siedlungsnahen Bereich weise die Gemeinde X eine deutlich negative Waldflächenbilanz auf. Durch das beantragte Vorhaben würde sich dieser negative Trend weiter verstärken. Aufgrund der besonders nachteiligen Auswirkungen könne der beantragten dauerhaften Rodung aus forstfachlicher Sicht nicht zugestimmt werden. Schließlich hat der forstfachliche Amtssachverständigte auch darauf hingewiesen, dass von der Rodung geschützte Pflanzen nach der Tiroler Naturschutzverordnung 2006 (TNSchVO 2006) betroffen seien.

Mit Schreiben vom 08.10.2014 hat die Gemeinde X bei der Bezirkshauptmannschaft R als Naturschutzbehörde um die naturschutzrechtliche Bewilligung zur „Schaffung von Bauland auf der Gp. 3**“ und „Wegerrichtung auf den Gp. 2** und 1**“ angesucht. Diesem Antrag waren die Zustimmungserklärung der Agrargemeinschaft Y, O und K als betroffene Grundeigentümerin und die Bescheide der Tiroler Landesregierung vom 19.11.2013, Zl ****8 und ****9, mit denen aufgrund der Bestimmungen des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2011 (TROG 2011) die aufsichtsbehördliche Genehmigung zur Aufnahme der betroffenen Fläche in den baulichen Entwicklungsbereich für vorwiegende Wohnnutzung im örtlichen Raumordnungskonzeptes und zur Umwidmung von Freiland in Wohngebiet erteilt wurde, beigelegt. Weitere Angaben zum Vorhaben bzw weitere Antragsunterlagen wurden nicht eingereicht.

Die Naturschutzbehörde holte in ihrem Verfahren ein Gutachten des naturkundefachlichen Amtssachverständigen Mag. E E vom 15.12.2014, Zl ****6, ein. Zusammengefasst stelle demnach die Zerstörung des vom Vorhaben betroffenen Föhren-Trockenauwaldes einen irreversiblen und untragbaren Prozess dar, welcher stärkste Beeinträchtigungen und Störungen des Naturhaushaltes und der vorkommenden Lebensgemeinschaften bedinge. Die Naturschutzbehörde holte auch eine Stellungnahme der Abteilung Bau- und Raumordnungsrecht des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 17.02.2015, Zl ****7, ein, wonach sich im aufsichtsbehördlichen Genehmigungsverfahren des Jahres 2013 die raumordnungsfachliche Begründung für das öffentliche Interesse an der Baulandschaffung darauf gestützt habe, dass die neu errichtete Schule und der Kindergarten „auszusterben“ drohten, da im Ortsteil UnterX nicht ausreichend Bauland vorhanden sei. Die Baulandreserven der Gemeinde X würden sich überwiegend in der Ortschaft F befinden. Der Bedarf an Bauland in UnterX sei weiterhin gegeben und stelle ein öffentliches Interesse dar, welches die von den forst- und naturkundefachlichen Amtssachverständigen festgestellten negativen Auswirkungen überwiege.

Nachdem sich der Landesumweltanwalt im Rahmen des Parteiengehörs mit Schreiben vom 16.03.2015 gegen die Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung ausgesprochen hat, wurde mit dem bekämpften Bescheid in Spruchpunkt A die forstrechtliche Bewilligung und in Spruchpunkt B die naturschutzrechtliche Bewilligung für die Schaffung von Bauland und zur Errichtung von Wegen auf Teilflächen der Gste Nr 1**, 2** und 3** mit einer Gesamtflächeninanspruchnahme von 3.591 m² erteilt. Die naturschutzrechtliche Bewilligung wurde dabei auf die Tatbestände des § 23 Abs 1, Abs 3 lit a und Abs 5, § 29 Abs 3 lit b und Abs 9 TNSchG 2005 iVm § 2 Abs 2 und Abs 4 sowie § 3 iVm den Analgen 2, 3 und 4 TNSchVO 2006 gestützt. In ihrer Interessenabwägung kam die Naturschutzbehörde unter Verweis auf die Stellungnahme der Abteilung Bau- und Raumordnungsrecht zum Schluss, dass die naturschutzrechtliche Bewilligung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses zu erteilen sei. Eine – vom Landesumweltanwalt geforderte – Alternativenprüfung sei bei den anzuwendenden artenschutzrechtlichen Tatbeständen gesetzlich nicht vorgesehen.

Gegen Spruchpunkt B dieses Bescheides erhob der Landesumweltanwalt mit Schreiben vom 27.04.2015, Zl ****10, fristgerecht Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol und beantragte, die naturschutzrechtliche Bewilligung zu versagen. Zusammengefasst wurde die Beschwerde wie folgt begründet:

 Das beantragte Vorhaben löse nicht nur eine Bewilligungspflicht nach § 23 TNSchG 2005 (Geschützte Pflanzenarten und Pilze), sondern auch nach § 7 TNSchG 2005 (Schutz der Gewässer) und § 8 TNSchG 2005 (Schutz von Auwäldern) aus.

 Die von der Naturschutzbehörde angenommenen zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses an der Baulandschaffung würden nicht vorliegen. Die Gemeinde verfüge nämlich mit ca 450 unbebauten Bauparzellen auf 23,23 ha unbebautem Wohngebiet und 15,23 ha unbebautem Mischgebiet (Stand 31.12.2011) bereits über ausreichende Baulandreserven. Ein weiterer Bedarf liege somit nicht vor. Es könne auch nicht nachvollzogen werden, inwieweit durch zehn neue Bauparzellen eine drohende Verweisung der Schule und des Kindergartens verhindert werden könne. Die Auslastung dieser Bildungseinrichtungen hänge auch mit der Bevölkerungsstruktur zusammen, welche durch eine weitere Baulandschaffung nicht zwingend verjüngt werde. Weiters stelle auch eine bereits vorliegende Flächenwidmung nach dem TROG 2011 per se kein öffentliches Interesse dar. Im Übrigen stehe das Vorhaben nicht im Einklang mit der örtlichen und überörtlichen Raumordnung.

 Die Naturschutzbehörde übersehe, dass § 23 TNSchG 2005 mit der Wortfolge „sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt“ ausdrücklich eine Alternativenprüfung vorsehe.

 Schließlich habe der Landesumweltanwalt anlässlich eines Lokalaugenscheins feststellen müssen, dass der betroffene Bestand des Rotföhren-Trockenauwaldes auf dem Gst Nr 3** bereits entfernt und dabei die Leitart Rotföhre irreversibel zerstört worden sei.

Mit Schreiben vom 05.06.2015, Zl LVwG-2015/44/1078-1, erteilte das Landesverwaltungsgericht der antragstellenden Gemeinde einen Verbesserungsauftrag gemäß § 13 Abs 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) zur Vorlage der gemäß § 43 Abs 2 TNSchG 2005 erforderlichen Beschreibung der Art, der Lage und des Umfangs des Vorhabens sowie der für die Beurteilung der naturschutzrechtlichen Zulässigkeit erforderlichen Unterlagen wie Pläne, Skizzen, Beschreibungen und pflanzen- und tierkundliche Zustandserhebungen.

Daraufhin hat die Gemeinde mit Schreiben vom 17.06.2015 ihre Antragsunterlagen verbessert und insbesondere klargestellt, dass mit der Baulandschaffung lediglich die Rodung und anschließende Abtragung des Waldbodens auf der im Vermessungsplan vom 08.08.2014 eingezeichneten Fläche begehrt wird. Weiters wurde die naturkundefachliche Grundlagenerhebung von Mag. G G vom Juni 2015 vorgelegt. Mit Schreiben vom 08.07.2015 reichte die Gemeinde gemäß § 43 Abs 3 TNSchG 2005 eine Glaubhaftmachung hinsichtlich der öffentlichen Interessen am Vorhaben nach.

Das Landesverwaltungsgericht holte die Gutachten der raumordnungsfachlichen Amtssachverständigen DI D D vom 23.07.2015, 27.07.2015 und 29.09.2015, jeweils Zl ****5, sowie das Gutachten des naturkundefachlichen Amtssachverständigen Mag. E E vom 28.09.2015, Zl *****4, ein.

Am 12.11.2015 führte das Landesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in deren Rahmen die Gutachten der Amtssachverständigen für Raumordnung und Naturkunde erörtert wurden. Im Rahmen dieser Verhandlung stellte die antragstellende Gemeinde klar, dass sich der naturschutzrechtliche Antrag lediglich auf die Baureifmachung von Bauparzellen durch Rodung und anschließende Abtragung des Waldbodens sowie die Errichtung von Wegen richtet. Eine Zufuhr von fremdem Bodenmaterial bzw die Errichtung von Hochbauten ist hingegen nicht Gegenstand des Antrages.

II. Sachverhalt:

II./1. Allgemeines:

Die Gemeinde X beabsichtigt die Baureifmachung von zehn Bauparzellen auf den Gste Nr 3**/2, 3**/3, 3**/4, 3**/5, 3**/6, 3**/7, 3**/8, 3**/9, 3**/10 und 3**/11 (vormals Teilflächen des Gst Nr 3**). Zudem sollen die Bauparzellen durch einen neu errichteten Weg auf dem Gst Nr 4** (vormals Teilflächen der Gste Nr 1** und 2**) erschlossen werden. Sämtliche betroffenen Parzellen weisen bereits eine Flächenwidmung als Wohngebiet gemäß § 38 Abs 1 TROG 2011 auf (Gemeinderatsbeschluss vom 13.07.2011, Aufsichtsbehördliche Genehmigung der Tiroler Landesregierung vom 19.11.2013, Zl ****9).

Abbildung

(Quelle TIRIS, Orthofoto: Stand 2009)

Das Projektgebiet schließt unmittelbar südlich an das bestehende Siedlungsgebiet der Ortschaft UnterX (Wohngebiet Z) an. Die Entfernung zum Ufer des Xer Badesees, einem stehenden Gewässer mit einer Wasserfläche von mehr als 2.000 m², beträgt ca 200 bis 300 m.

II./2. Zu den Naturschutzinteressen:

Zur Baureifmachung wird auf den betroffenen Parzellen der gesamte Bewuchs dauerhaft entfernt und der Waldboden abgetragen. Zudem wird ein Zufahrtsweg zu den Bauparzellen errichtet. Dadurch wird der Standort folgender geschützter Pflanzen bzw Pflanzengesellschaften nachhaltig zerstört:

 Rentierflechte (Cladonia), Anlage 2 Z 4 TNSchVO 2006,

 Stendelwurz (Epipactis atrorubens), Großes Zweiblatt (Listera ovata) und Zweiblättrige Waldhyazinthe (Platanthera bifolia), Anlage 2 Z 27 TNSchVO 2006,

 Katzenpfötchen (Antennaria) und Kugelblume (Globularia), Anlage 2 Z 34 TNSchVO 2006,

 Kartäusernelke (Dianthus carthusianorum), Anlage 3 Z 11 TNSchVO 2006,

 Rotföhren-Trockenauwald (Dorycnio-Pinetum sylvestris), Anlage 4 Z 19 TNSchVO 2006.

Der Rotföhren-Trockenauwald wird auf einer Fläche von ca 0,35 ha – das sind ca 15 % des gesamten Xer Bestandes an Rotföhren-Trockenauwald – dauerhaft entfernt. Diese betroffene Waldfläche wurde bereits zwischen Herbst 2014 und April 2015 konsenslos geschlägert. Sie hat jedoch bereits zuvor aufgrund der technischen Überprägung des Siedlungsrandes und des bestehenden Straßennetzes eine geringere naturkundefachliche Wertigkeit als der südlich anschließende Kernbereich des Auwaldes aufgewiesen. Zudem befindet sich der betroffene Auwald aufgrund der Verbauung der angrenzenden Bäche in einem Sukzessionsstadium hin zu einem – nicht geschützten – Schneeheide-Rotföhrenwald und weist somit einen ungünstig bis schlechten Erhaltungszustand auf. Überhaupt verweilt der gesamte Tiroler Bestand an Rotföhren-Trockenauwald in keinem günstigen Erhaltungszustand. Das gegenständliche Projekt hat aber keinen relevanten Einfluss auf diesen Erhaltungszustand und führt auch zu keiner nachhaltigen Gefährdung des Xer Bestandes. Zwar verliert der südlich anschließende Kernbereich des Auwaldes in UnterX mit der Rodungsfläche eine Pufferzone gegenüber dem Siedlungsgebiet, insgesamt wird der Rotföhren-Trockenauwaldbestand in UnterX aber nicht so behandelt, dass sein Verlust zu befürchten wäre. Eine Ersatzaufforstung der betroffenen Auwaldfläche in X ist mangels geeigneter Standorte nicht möglich.

Hinsichtlich der übrigen geschützten Pflanzen hat das Ermittlungsverfahren ergeben, dass die betroffenen Populationen in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet auch bei Realisierung des beantragten Vorhabens in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen.

Im Unterschied zu geschützten Pflanzen bzw Pflanzengesellschaften konnte im durchgeführten Ermittlungsverfahren auf der unmittelbaren Projektsfläche kein Vorkommen geschützter Tierarten (Anlagen 5 und 6 der TNSchVO 2006) oder geschützter Vogelarten (§ 25 Abs 1 TNSchG 2005) festgestellt werden.

Hinsichtlich des Landschaftsbildes und des Erholungswertes sind nur geringe nachteilige Auswirkungen zu erwarten, zumal lediglich ein bestehendes Siedlungsgebiet randlich geringfügig erweitert wird.

II./3. Zu den öffentlichen Interessen:

Auf der anderen Seite besteht in der Ortschaft UnterX ein konkreter Bedarf an Bauland. Seitens der öffentlichen Hand kann aber aufgrund fehlender rechtlicher Zugriffsmöglichkeiten nur beschränkt auf die bestehenden privaten Baulandreserven zugegriffen werden, sodass diese nicht zu sozialverträglichen Preisen mobilisiert werden können. Eine adäquate Deckung des Bedarfes ist daher nur durch die Erweiterung des bestehenden Siedlungsgebietes möglich. Dafür stellt die eingereichte Variante die beste Lösung zur Erreichung der Ziele der Örtlichen Raumordnung dar. In UnterX ist eine Siedlungserweiterung mit einem im Verhältnis zum erzielbaren Erfolg vertretbaren Aufwand auf anderen Flächen nicht möglich.

III. Beweiswürdigung:

III./1. Zu den allgemeinen Feststellungen:

Die allgemeinen Feststellungen zum Projekt ergeben sich aus den Antragsunterlagen, dem Tiroler Raumordnungs-Informationssystem TIRIS (www.tirol.gv.at/tiris ) und dem Vorbringen der Gemeinde in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht. Diese Feststellungen blieben unbestritten.

III./2. Zu den Naturschutzinteressen:

Die Feststellungen zu den Beeinträchtigungen der Naturschutzinteressen ergeben sich aus der von der Gemeinde eingereichten naturkundefachlichen Grundlagenerhebung von Mag. G G vom Juni 2015 sowie dem darauf aufbauenden Gutachten des naturkundefachlichen Amtssachverständigen Mag. E E vom 28.09.2015 sowie der Gutachtenserörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht am 12.11.2015. Diese gutachterlichen Äußerungen waren schlüssig und nachvollziehbar und wurden von den Parteien des Verfahrens nicht in Zweifel gezogen.

Demnach ist vom Vorhaben ein Rotföhren-Trockenauwald gemäß Anlage 4 Z 19 TNSchVO 2006 betroffen. Auch unmittelbar südlich der Projektfläche grenzt ein geschlossener Rotföhren-Trockenauwald an, der sich zwischen dem Bach H im Westen und dem Bach I im Osten erstreckt. Diese Waldgesellschaft kommt in Tirol nur noch auf einer Gesamtfläche von ca 449 ha vor und wird mit einem Flächenanteil von ca 0,04 % der Landesfläche bzw 0,09 % des Tiroler Waldes als sehr selten und gefährdet eingestuft. Der überwiegende Teil der Tiroler Bestände kommt mit ca 90 % im Tal J vor, weshalb den restlichen Standorten – also auch dem Standort in X – überregionale Bedeutung zukommt.

Der vom Vorhaben betroffene Rotföhren-Trockenauwald wurde bereits in der Zeit zwischen der Antragstellung im Herbst 2014 und der Beschwerdeerhebung im April 2015 gefällt. Bereits zuvor hat die betroffene Waldfläche einen ruderalen Charakter aufgewiesen, der durch die technische Überprägung des Siedlungsrandes und das Straßennetz hervorgerufen wurde. Insbesondere war dieser Bereich bereits vormals durch einen Weg vom angrenzenden Kernbereich des Rotföhren-Trockenauwaldes getrennt und wurde bereits in der Biotopkartierung des Landes Tirol aus dem Jahr 2010 als Ruderalfläche ausgewiesen.

Die beantragte Rodung hat mit einer Fläche von rund 0,35 ha in Bezug auf die Tiroler Bestände des Rotföhren-Trockenauwaldes keinen relevanten Einfluss auf den natürlichen Erhaltungszustand. In Bezug auf den Xer Rotföhren-Trockenauwald stellt die Rodungsfläche mit ca 15 % des Gesamtbestandes einen relevanten Anteil dar, der jedoch infolge seines ruderalen Charakters eine geringere naturkundefachliche Wertigkeit als der südlich anschließende Kernbereich des Auwaldes aufweist. Durch den Wegfall der Ruderalfläche und das weitere Heranrücken des Siedlungsgebietes wird der Kernbereich des Auwaldes jedoch eine Pufferzone verlieren und dadurch eine geringe Beeinträchtigung erfahren.

Der Erhaltungszustand des betroffenen Rotföhren-Trockenauwaldes in UnterX weist unabhängig vom verfahrensgegenständlichen Vorhaben eine ungünstige Perspektive auf, da bereits durch die Verbauung der angrenzenden Bäche keine Überflutungen und Schotterablagerungen mehr stattfinden. Eine derartige Flussmorphodynamik ist aber eine grundsätzliche Voraussetzung für die Entstehung und den Fortbestand von Auwäldern. Trockenauwälder stocken auf besonders durchlässigem Material und setzten regelmäßige, in großen Abständen wiederkehrende Überflutungsereignisse voraus. Durch das Fehlen dieses wichtigen formenden Prozesses wird sich der vorhandene Bestand langfristig – innerhalb mehrerer Jahrzehnte – zu einem Schneeheide-Rotföhrenwald entwickeln, der keine geschützte Pflanzengesellschaft der TNSchVO 2006 bildet. Der derzeitige Auwaldbestand befindet sich somit in einem Sukzessionsstadium und weist – auch ohne die beantragte Baulandschaffung – einen ungünstig bis schlechten Erhaltungszustand auf.

Eine Ersatzaufforstung des betroffenen Rotföhren-Trockenauwaldes ist nicht möglich, da dafür ein geeigneter Standort mit entsprechender Bodenbeschaffenheit und Gewässerüberflutung zur Verfügung stehen müsste. Derartige Standorte sind jedoch sehr selten, was auch der Grund für die Gefährdung dieser Pflanzengesellschaft ist.

Neben der geschützten Pflanzengesellschaft des Rotföhren-Trockenauwaldes sind vom Vorhaben auch die Standorte weiterer gänzlich geschützter Pflanzenarten betroffen. So wurden bei der Vegetationskartierung die Stendelwurz (Epipactis atrorubens), das Große Zweiblatt (Listera ovata) und die Zweiblättrige Waldhyazinthe (Platanthera bifolia) festgestellt, die zu den gemäß Anlage 2 Z 27 TNSchVO 2006 geschützten Orchideen zählen. Von den nach Anlage 2 Z 34 TNSchVO 2006 geschützten Rosetten- und Polsterpflanzen sind das Katzenpfötchen (Antennaria) und die Kugelblume (Globularia) betroffen. Auch die gemäß Anlage 2 Z 4 TNSchVO 2006 geschützte Rentierflechte (Cladonia) konnte festgestellt werden. Als gemäß Anlage 3 Z 11 TNSchVO 2006 teilweise geschützte Art kommt die Kartäusernelke (Dianthus carthusianorum) vor. Die Standorte dieser geschützten Pflanzen auf dem Projektareal werden durch die beantragte Schaffung von Bauland dauerhaft zerstört, jedoch verweilen die betroffenen Populationen in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet unabhängig vom Vorhaben in einem günstigen Erhaltungszustand.

Was die Fauna betrifft, fand zwar keine systematische Kartierung statt, jedoch ist nach Einschätzung der befassten Biologen ein Vorkommen von Berg- und Zauneidechsen (Lacertidae / Anlage 5 TNSchVO 2006) sowie Schmetterlingen wie dem Thymian-Widderchen (Zygaena purpuralis / Anlage 6 TNSchVO 2006) möglich. Ein Nachweis, dass vom Vorhaben konkret geschützte Tierarten der Anlagen 5 und 6 der TNSchVO 2006 oder Vogelarten gemäß § 25 Abs 1 TNSchG 2005 betroffen sein könnten, liegt aber nicht vor. Ein diesbezügliches Vorbringen wurde vom Landesumweltanwalt auch nicht konkret erhoben.

Zum Landschaftsbild ist festzuhalten, dass zwar grundsätzlich mit jedem Verlust natürlicher Waldflächen ein gewisser Nachteil verbunden ist, dass allerdings im gegenständlichen Fall die neuen Bauparzellen unmittelbar an ein bestehendes Siedlungsgebiet anschließen und somit keinen eigenständigen Körper in der Landschaft bilden. Die anthropogen geprägte Landschaft wird sich nur geringfügig zu Lasten des natürlichen Auwaldes ausdehnen. Auch hinsichtlich des Xer Badesees und dessen Uferschutzbereich sind keine größeren Auswirkungen auf das Landschaftsbild zu erwarten. Zum einen handelt es sich „nur“ um einen künstlichen Badesee, zum anderen befindet sich zwischen dem Badesee und der Projektfläche eine weitere Waldfläche, sodass keine direkte Sichtlinie besteht. Da also ein bestehendes Siedlungsgebiet nur randlich geringfügig erweitert wird, sind die zu erwartenden Auswirkungen auf das Landschaftsbild nicht von relevanter Bedeutung.

Auch was den Erholungswert betrifft, sind keine gravierenden Auswirkungen zu erwarten. Zwar wird das Gebiet um den Badesee intensiv von Erholungssuchenden genutzt, jedoch stellt die gegenständliche Fläche nur einen kleinen Teil des bestehenden Rotföhren-Trockenauwaldes dar und grenzt unmittelbar an den Siedlungsbereich an, sodass die dem Badesee zugewandten Waldflächen unberührt bleiben.

III./3. Zu den öffentlichen Interessen:

Zur Ermittlung der öffentlichen Interessen ist eingangs festzuhalten, dass gemäß § 43 Abs 3 TNSchG 2005 der Antragsteller das Vorliegen jener (langfristigen) öffentlichen Interessen an der Erteilung der Bewilligung, die die Interessen des Naturschutzes überwiegen, glaubhaft zu machen, und auf Verlangen die entsprechenden Unterlagen vorzulegen hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu erkannt, dass den Antragsteller eine Mitwirkungspflicht trifft; er hat das öffentliche Interesse an der Verwirklichung des Projektes ausreichend konkret und präzise darzustellen (VwGH 08.10.2014, 2012/10/0208).

Im Sinne des § 43 Abs 3 TNSchG 2005 wurde von der Gemeinde im Wesentlichen vorgebracht, dass in der Ortschaft UnterX ein dringender Wohnbedarf bestehe. Die zehn Bauparzellen seien bereits vergeben, es handele sich mit einer Ausnahme um Jungfamilien. Alternative Flächen zur Baulandschaffung stünden für die Gemeinde in UnterX nicht zur Verfügung. Die Weiterentwicklung des Siedlungsgebietes sei auch notwendig, um die bereits geschaffene Infrastruktur, wie insbesondere die Volksschule, den Kindergarten und die Anbindung an den öffentlichen Verkehr weiterhin aufrechterhalten zu können.

Zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts hat das Landesverwaltungsgericht das Gutachten der raumordnungsfachlichen Amtssachverständigen DI D D vom 29.09.2015 eingeholt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht am 12.11.2015 erörtert. Demnach ergibt sich folgendes:

a) Zum Baulandbedarf:

Die Bevölkerungsentwicklung der vergangenen Jahre ist in Tirol uneingeschränkt positiv. Neben der wachsenden Bevölkerungszahl ist aufgrund der demografischen und sozialen Entwicklung eine stetige Verkleinerung der Haushaltsgrößen zu verzeichnen, sodass selbst bei gleichbleibendem Bevölkerungsstand ein wachsender Wohnungsbedarf besteht. Der Bezirk L weist neben dem Bezirk V im Vergleich zu den anderen Bezirken Tirols in der letzten Dekade (Volkszählung 2011 – 2001) die größte Bevölkerungszunahme auf. In diesem Zeitraum war im Bezirk L ein Bevölkerungszuwachs von 7,6 % zu verzeichnen (zum Vergleich: P 5,4%, R 7,4 %, W, 4,3%, V 7,8%, U 1,9%, T -2,1%, Q 0,1%, S 5,7%).

Abbildung

(Quelle Abt Landesentwicklung und Zukunftsstrategie, Prognose Bevölkerungsentwicklung 2024 X – Erläuterungsbericht zur Fortschreibung ÖRK X)

Die statistischen Erhebungen zeigen, dass der Trend des Bevölkerungswachstums fortschreitet und die Raumordnung insbesondere durch Ausweisung ausreichender Flächen zur Befriedigung des Wohnbedarfes (auch unter Bedachtnahme auf soziale Aspekte) und Ausbau der technischen und sozialen Infrastruktur reagieren muss. Aufgrund der beschränkten Verfügbarkeit geeigneter Flächen (Dauersiedlungsraum 12% der Gesamtfläche Tirol) und der natürlichen Gegebenheiten führt das Wachstum aber unweigerlich zu Nutzungskonflikten und Abwägungen der verschiedenen Interessen.

Der Baulandbedarf in Tirol kann durch Wachstum nach außen, durch Nutzung vorhandener Baulandreserven und durch Verdichtung der bestehenden Baulandflächen gedeckt werden. Die Raumordnung im nachhaltigen Sinne ist nicht so zu verstehen, dass ein Außenwachstum per se zu unterbinden sei, sondern dass im konkreten Bedarfsfall eine fachliche Betrachtung und Bewertung zu erfolgen hat. Die Raumordnung ist dabei ein stetig in Umformung befindlicher Prozess und unterliegt insbesondere den raumordnungspolitischen Zielsetzungen des Landes bzw der jeweiligen Gemeinde unter Bedachtnahme der jeweiligen wirtschaftlichen, sozialen und demografischen Entwicklung einer Region und der bestehenden natürlichen Gegebenheiten.

Zusammenfassend ist aufgrund der demografischen Entwicklung in Tirol weiterhin ein ungebremster Wohnbedarf gegeben. Dabei ist auch die Region um X als Wachstumsregion anzusehen, sodass aus raumordnungsfachlicher Sicht grundsätzlich ein Bedarf zur Schaffung von neuem Bauland gegeben ist. Seitens der Verwaltung bestehen derzeit jedoch nur eingeschränkte Instrumentarien, um auf bestehende private Baulandreserven zuzugreifen und diese zu mobilisieren. Auch bei einer ambitionierten Raumplanung mit besonderer Bedachtnahme auf die Erhaltung der landwirtschaftlichen Flächen und Bewahrung natürlicher Landschaftsteile wird der Baulandbedarf für die zu erwartende Bevölkerungsentwicklung aufgrund der fehlenden rechtlichen Zugriffsmöglichkeiten auf die bestehenden Baulandreserven daher nicht ohne Erweiterung des bestehenden Siedlungsgebietes möglich sein.

b) Zu möglichen Alternativflächen:

Im gegenständlichen Fall dient die Baulandschaffung der Erweiterung des bestehenden Gemeindesiedlungsgebietes in UnterX. Bei der Beurteilung von Alternativflächen sind folgende Aspekte von maßgebender Bedeutung:

 Verfügbarkeit der Fläche,

 sozialverträgliche Preisgestaltung,

 Vergabe durch die Gemeinde,

 zusammenhängende Fläche in ausreichender Größe,

 Erschließung ohne erheblichen Aufwand,

 bestehende soziale Infrastruktur,

 gute Einbindung in die bestehende Siedlungsstruktur,

 Orts- und Landschaftsbild.

Die Gemeinde X weist insgesamt einen sehr hohen Anteil an Baulandreserven auf. Laut Erhebung zur Fortschreibung des Örtlichen Raumordnungskonzeptes (Stichtag 26.03.2013) bestehen ca 29 ha Baulandreserven innerhalb des Wohn-, Tourismus- und Landwirtschaftlichen Mischgebietes. Dieser Baulandüberhang ist raumordnungsfachlich sehr kritisch, sodass zukünftige Baulanderweiterungen in der Gemeinde X darüber hinaus unter diesem Gesichtspunkt eingehend zu hinterfragen und kritisch zu bewerten sind. Die Mobilisierung und bedarfsgerechte Nutzung dieser Baulandreserven ist aber aufgrund der Eigentümerstruktur und fehlender rechtlicher Zugriffsmöglichkeiten nur sehr eingeschränkt möglich, sodass eine Lösung (zB Rückkauf von Grundstücken der Agrargemeinschaft F) von grundlegender Bedeutung für die zukünftige Siedlungsentwicklung der Gemeinde – insbesondere für das Siedlungsgebiet F – ist. Der Baulandüberhang in der Gemeinde X konzentriert sich nämlich überwiegend auf das nördliche Gemeindegebiet (F). Innerhalb von UnterX bestehen dagegen nur ca 4,4 ha Baulandreserven innerhalb des Baulandes (Wohn- und Landwirtschaftliches Mischgebiet), das entspricht ca 15% der Baulandreserven der Gemeinde X (inklusive des bereits gewidmeten verfahrensgegenständlichen Bereiches).

Da die Erweiterung des Siedlungsgebietes anhand der raumordnungspolitischen Zielsetzungen der Gemeinde X insbesondere mit der Sicherstellung und Aufrechterhaltung der sozialen Infrastruktur (zB Erhaltung des Kindergarten- und Volksschulstandortes UnterX) begründet wird, ist eine Betrachtung allfälliger Alternativflächen nur für diesen Bereich notwendig. Dazu ist nämlich festzuhalten, dass eine Gefährdung dieser Infrastruktur nicht im Einklang mit den Zielsetzungen der Tiroler Raumordnung steht (Stärkung des ländlichen Raums, Sicherung der Grundversorgung, Vermeidung von Verkehr), sodass Alternativflächen in anderen Ortsteilen keine raumordnungsfachliche Alternative darstellen.

Baulandreserven in UnterX:

Abbildung

Baulandreserven UnterX inklusive der beantragten Fläche (die größte rote Fläche)(Quelle TIRIS, Stand DKM 2014, Rot: Wohngebiet, Braun: Landwirt. Mischgebiet, Violett: Gewerbegebiet)

Im Bereich UnterX (Siedlungsgebiet Z) bestehen neben der gegenständlichen Fläche nur mehr vereinzelte Baulandreserven innerhalb des Wohngebietes im Privateigentum. Die gegenständliche Fläche umfasst ca 35 % der gesamten Baulandreserven innerhalb des Wohngebietes und hat eine hohe Bedeutung für eine bedarfsgerechte und sozialverträgliche Siedlungsentwicklung mit besonderer Steuermöglichkeit durch die Gemeinde (Vergabe der Bauplätze entsprechend eines Kriterienkataloges). Aufgrund der Eigentumsverhältnisse und der fehlenden rechtlichen Zugriffsmöglichkeiten ist eine Mobilisierung der übrigen Baulandreserven kaum möglich. Das Wohngebiet Z ist nach Norden und Westen räumlich klar abgegrenzt, eine Überschreitung dieser Siedlungsgrenzen ist stark raumrelevant und würde eine erhebliche Einflussnahme auf das Orts- und Landschaftsbild darstellen und ist daher raumordnungsfachlich nicht zu befürworten.

Der Ostteil von UnterX (Landwirtschaftliches Mischgebiet) ist von einer Vielzahl landwirtschaftlicher Betriebe geprägt. Eine intensive Wohnentwicklung ist hier fallbezogen hinsichtlich allfälliger Nutzungskonflikte zu prüfen. Anhand der Eigentümerstruktur (Einzelflächen in Privateigentum, keine großflächig zusammenhängenden Baulandreserven) ist die Schaffung eines adäquaten Gemeindesiedlungsgebietes innerhalb der Baulandreserven nicht möglich. Eine intensive Außenentwicklung in diesem landwirtschaftlich geprägten Bereich ist im Sinne des Orts- und Landschaftsbildes und zum Schutz der landwirtschaftlichen Flächen raumordnungsfachlich nicht vertretbar.

Alternativflächen der Agrargemeinschaft:

Die Projektsfläche befindet sich im Eigentum der Gemeindegutsagrargemeinschaft Y, O und K. Die Vergabe der Bauparzellen an die ansässige Bevölkerung erfolgt anhand eines Kriterienkataloges durch die Gemeinde. Die Substanzerlöse fallen der Gemeinde zu, sodass von einem Gemeindesiedlungsgebiet zur Schaffung leistbaren Baulandes für die ortsansässige Bevölkerung auszugehen ist.

Abbildung

Flächen im Eigentum der Agrargemeinschaft Y, O und K / Widmungsbestand (Quelle TIRIS)

Die Agrargemeinschaft verfügt im Bereich UnterX und der angrenzenden Weiler über weitere Flächen. Anhand der obigen Plandarstellung ist jedoch ersichtlich, dass diese großteils unbebaute Waldflächen darstellen und eine allfällige Siedlungserweiterung in allen Bereichen einen unmittelbaren Eingriff in Waldflächen darstellen. Eine alternative Erweiterung außerhalb von Waldflächen ist auf Grundstücken der Agrargemeinschaft nicht möglich.

Abbildung

Flächen im Eigentum der Agrargemeinschaft Y, O und K / Biotopkartierung (Quelle TIRIS)

Anhand der Biotopkartierung wird die verfahrensgegenständliche Projektsfläche sowie die unbebaute Fläche im westlichen Anschluss als Ruderalfläche ausgewiesen (graue), während die restlichen Flächen im Eigentum der Agrargemeinschaft fast gänzlich als Biotopflächen (überwiegend nadelholzdominierter Wald) ausgewiesen sind. Alternativflächen ohne naturkundefachliche Relevanz für die Schaffung eines Gemeindesiedlungsgebietes auf Flächen der Agrargemeinschaft liegen nicht vor.

Unter Berücksichtigung der raumordnungsfachlichen Erfordernisse stellt die verfahrensgegenständliche Erweiterung die Variante mit der besten Eignung für die Erweiterung des Siedlungsgebietes im Sinne der Ziele der Örtlichen Raumordnung dar.

Alternativflächen der Gemeinde X:

Abbildung

Flächen der Gemeinde im unmittelbaren Anschluss an den Volksschul- und Kindergartenstandort (Quelle TIRIS)

Die Gemeinde ist im zentralörtlichen Bereich im unmittelbaren Anschluss an den Schul- und Kindergartenstandort und in Nähe zum Kulturstadl Eigentümerin einer Reservefläche von ca 0,5 ha. Laut Festlegung im Örtlichen Raumordnungskonzept ist dieser Bereich für öffentliche Nutzungen (S6 - Einrichtungen und Anlagen der Volksschule, Kindergarten - Freispielfläche) vorbehalten. Eine flächenintensive Baulandnutzung für Wohnzwecke stellt einen Widerspruch zur angestrebten Nutzung (öffentliche Einrichtungen, Freispielfläche) dar. Entgegen der Festlegungen im Örtlichen Raumordnungskonzept ist eine kleinräumige Wohnentwicklung in verdichteter Form (zB verdichteter Flachbau) raumordnungsfachlich vorstellbar und aufgrund der zentralörtlichen Lage raumordnungsfachlich zu befürworten. Eine Siedlungsentwicklung in der geplanten Form (Schaffung von Bauparzellen für den privaten Hausbau) entspricht auf dieser zentralörtlichen Fläche aber nicht den Zielen der Örtlichen Raumordnung.

Abbildung

Flächen im Eigentum der Gemeinde (Festlegung ÖRK, Quelle TIRIS)

Die innenliegenden Freiflächen des Siedlungsbereiches – grüne Bereiche im nördlichen Anschluss an S 06 bzw südlicher Bereich im Anschluss an L 10 auf der obigen Plandarstellung - befinden sich im Privateigentum; ein Zugriff der Gemeinde auf diese Flächen ist ohne Verkaufsbereitschaft der jeweiligen Eigentümer nicht möglich.

Zusammenfassung:

Von grundlegender Bedeutung bei der Schaffung eines Gemeindesiedlungsgebietes ist die Verfügbarkeit der Flächen zu sozialverträglichen Preisen und die raumordnungsfachliche Eignung der Flächen. Die beantragte Fläche stellt die Variante mit der besten Eignung für die Erweiterung des Siedlungsgebietes im Sinne der Örtlichen Raumordnung dar. Ein Zugriff seitens der Gemeinde auf anderweitige in privatem Eigentum befindliche Flächen ist im Rahmen der bestehenden rechtlichen Möglichkeiten ohne Zustimmung und Verkaufsbereitschaft der jeweiligen Eigentümer nicht möglich. Entsprechend der raumordnungspolitischen Zielsetzung der Gemeinde, den Siedlungsbereich UnterX zu stärken und auszubauen, leistbaren Wohnraum für Familien zu schaffen, die bestehenden sozialen Infrastruktureinrichtungen zu erhalten und in ihrem Weiterbestand abzusichern, können somit aus raumordnungsfachlicher Sicht keine alternativen Flächen mit einem im Verhältnis zum erzielbaren Erfolg vertretbaren Aufwand mobilisiert werden.

IV. Rechtslage:

Die relevanten Bestimmungen des Tiroler Naturschutzgesetzes 2005 (TNSchG 2005) lauten auszugsweise wie folgt:

„§ 3

Begriffsbestimmungen

(…)

(6) Auwald ist eine mit Holzgewächsen bestockte Fläche entlang einem fließenden natürlichen Gewässer, die in ihrer ökologischen Charakteristik durch den schwankenden Wasser- und/oder Grundwasserstand eines Fließgewässers geprägt ist oder in ihrer Entstehung geprägt wurde. Dazu gehören insbesondere auch Grauerlen-, Eschen-Hartholz-, Eichen-, Ulmen-Hartholz-, Weiden-Weichholzauen und Augebüsche sowie Kiefern- und Rotföhren-Trockenauwälder.

(…)“

„§ 7

Schutz der Gewässer

(…)

(2) Außerhalb geschlossener Ortschaften bedürfen im Bereich

(…)

b) eines 500 Meter breiten, vom Ufer stehender Gewässer mit einer Wasserfläche von mehr als 2.000 m² landeinwärts zu messenden Geländestreifens

1. die Errichtung, Aufstellung und Anbringung von Anlagen sowie die Änderung von Anlagen, sofern die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 berührt werden, und

2. Geländeabtragungen und Geländeaufschüttungen außerhalb eingefriedeter bebauter Grundstücke

einer naturschutzrechtlichen Bewilligung.

(…)“

„§ 8

Schutz von Auwäldern

In Auwäldern außerhalb geschlossener Ortschaften bedürfen folgende Vorhaben einer naturschutzrechtlichen Bewilligung:

a) die Errichtung, Aufstellung und Anbringung von Anlagen sowie die Änderung von Anlagen, sofern die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 berührt werden;

b) Geländeabtragungen und Geländeaufschüttungen außerhalb eingefriedeter bebauter Grundstücke;

c) die dauernde Beseitigung von Bäumen und Sträuchern außerhalb eingefriedeter bebauter Grundstücke;

d) jede über die bisher übliche Art und den bisher üblichen Umfang hinausgehende Nutzung.“

„§ 23

Geschützte Pflanzenarten und Pilze

(1) Die Landesregierung hat durch Verordnung

(…)

b) andere wild wachsende Pflanzenarten und Pilze, die in ihrem Bestand allgemein oder in bestimmten Gebieten gefährdet sind, deren Erhaltung aber zur Wahrung der Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 geboten ist, zu geschützten Arten zu erklären.

(…)

(3) Die Landesregierung kann durch Verordnung für Pflanzenarten nach Abs. 1 lit. b, soweit dies zur Sicherung des Bestandes bestimmter Pflanzenarten, insbesondere zur Aufrechterhaltung eines günstigen Erhaltungszustandes der wild wachsenden Pflanzenarten des Anhanges V lit. b der Habitat-Richtlinie, erforderlich ist,

a) verbieten,

1. Pflanzen solcher Arten sowie deren Teile (Wurzeln, Zwiebeln, Knollen, Blüten, Blätter, Zweige, Früchte und dergleichen) und Entwicklungsformen von ihrem Standort zu entfernen, zu beschädigen oder zu vernichten, im frischen oder getrockneten Zustand zu befördern, feilzubieten, zu veräußern oder zu erwerben;

2. den Standort von Pflanzen solcher Arten so zu behandeln, dass ihr weiterer Bestand an diesem Standort unmöglich wird;

3. Pflanzen auf eine bestimmte Art zu entnehmen.

(…)

(5) Sofern es keine andere zufrieden stellende Lösung gibt und die Populationen der betroffenen Pflanzenart in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, können Ausnahmen von den Verboten nach den Abs. 2 und 3 lit. a bewilligt oder hinsichtlich der im Abs. 1 lit. b genannten Pflanzenarten auch durch Verordnung der Landesregierung festgelegt werden

(…)

c) im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art oder positiver Folgen für die Umwelt,

(…)“

„§ 29

Naturschutzrechtliche Bewilligungen, aufsichtsbehördliche Genehmigungen

(…)

(2) Eine naturschutzrechtliche Bewilligung

a) (…) für Vorhaben nach den §§ 7 Abs. 1 und 2, 8, 9 Abs. 1 und 2, 27 Abs. 3 und 28 Abs. 3,

(…)

darf nur erteilt werden,

1. wenn das Vorhaben, für das die Bewilligung beantragt wird, die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 nicht beeinträchtigt oder

2. wenn andere langfristige öffentliche Interessen an der Erteilung der Bewilligung die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 überwiegen. In Naturschutzgebieten darf außerdem ein erheblicher, unwiederbringlicher Verlust der betreffenden Schutzgüter nicht zu erwarten sein.

(…)

(4) Trotz Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 lit. b, Abs. 2 Z 2, Abs. 3 lit. a oder § 14 Abs. 4 ist die Bewilligung zu versagen, wenn der angestrebte Zweck mit einem im Verhältnis zum erzielbaren Erfolg vertretbaren Aufwand auf eine andere Weise erreicht werden kann, durch die die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 nicht oder nur in einem geringeren Ausmaß beeinträchtigt werden.

(…)“

Die relevanten Bestimmungen der Tiroler Naturschutzverordnung 2006 (TNSchVO 2006) lauten auszugsweise wie folgt:

„§ 2

Schutz von anderen wild wachsenden Pflanzenarten

(1) Die in der Anlage 2 angeführten wild wachsenden Pflanzenarten, unbeschadet der Arten nach § 1, werden zu gänzlich geschützten Pflanzenarten erklärt.

(2) Hinsichtlich der gänzlich geschützten Pflanzenarten der Anlage 2 ist es verboten:

a) absichtlich Pflanzen solcher Arten sowie deren Teile (Wurzeln, Zwiebeln, Knollen, Blüten, Blätter, Zweige, Früchte und dergleichen) und Entwicklungsformen von ihrem Standort zu entfernen, zu beschädigen oder zu vernichten, im frischen oder getrockneten Zustand zu befördern, feilzubieten, zu veräußern oder zu erwerben,

b) den Standort von Pflanzen solcher Arten so zu behandeln, dass ihr weiterer Bestand an diesem Standort unmöglich wird.

(3) Die in der Anlage 3 angeführten wild wachsenden Pflanzenarten, unbeschadet der Arten nach den §§ 1 und 2 Abs. 1, werden zu teilweise geschützten Pflanzenarten erklärt.

(4) Hinsichtlich der teilweise geschützten Pflanzenarten der Anlage 3 ist es verboten:

a) die oberirdisch wachsenden Teile solcher Arten absichtlich in einer über einen Handstrauß hinausgehenden Menge zu entnehmen und zu befördern,

b) die unterirdisch wachsenden Teile (Wurzeln, Zwiebeln, Knollen) solcher Arten absichtlich von ihrem Standort zu entfernen, zu beschädigen oder zu vernichten, zu befördern, feilzubieten, zu veräußern oder zu erwerben,

c) den Standort von Pflanzen solcher Arten so zu behandeln, dass ihr weiterer Bestand an diesem Standort unmöglich wird.

(…)“

„§ 3

Schutz von Arten gefährdeter besonderer Pflanzengesellschaften

Unbeschadet der Bestimmungen der §§ 1 und 2 sind die in der Anlage 4 angeführten gefährdeten besonderen Pflanzengesellschaften dahingehend geschützt, als es verboten ist, ihre Standorte so zu behandeln, dass ihr Fortbestand erheblich beeinträchtigt oder unmöglich wird, insbesondere die natürliche Artenzusammensetzung der Pflanzengesellschaft verändert wird.“

„§ 7

Ausnahmen von den Verboten und Zuwiderhandlungen

(1) Von den Verboten nach den §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 2 und 4, 3, 4 Abs. 2, 5 Abs. 2 und 6 Abs. 3 können Ausnahmen nach den §§ 23 Abs. 5, 24 Abs. 5 und 25 Abs. 3 des Tiroler Naturschutzgesetzes 2005, LGBl. Nr. 26, in der jeweils geltenden Fassung, bewilligt werden.

(…)“

„Anlage 2

a) Flechten:

(…)

4. Rentierflechten, alle – Cladonia sect. Cladina

(…)

d) Blütenpflanzen:

(…)

27. Orchideen, alle – Orchidaceae

(…)

34. Rosetten- und Polsterpflanzen, alle, wie Steinbrech-Arten (Saxifraga spp.) und Mannsschildarten (Androsace spp.)

(…)“

„Anlage 3

(…)

b) Blütenpflanzen:

(…)

11. Kartäusernelke – Dianthus carthusianorum L.

(…)“

„Anlage 4

(…)

19. Rotföhren-Trockenauwald (Dorycnio-Pinetum sylvestris Oberd. 1957);

(…)“

V. Erwägungen:

V./1. Zu den artenschutzrechtlichen Bestimmungen:

a) Verbotstatbestände:

Bei Umsetzung des Vorhabens sind folgende geschützte Pflanzen bzw Pflanzengesellschaften unmittelbar betroffen, zumal sie auf dem geplanten Bauland wachsen und bei Umsetzung des Vorhabens an diesem Ort jedenfalls zerstört bzw entfernt werden und dadurch unwiederbringlich verloren gehen:

 Rentierflechte (Cladonia), Anlage 2 Z 4 TNSchVO 2006,

 Stendelwurz (Epipactis atrorubens), Großes Zweiblatt (Listera ovata) und Zweiblättrige Waldhyazinthe (Platanthera bifolia), Anlage 2 Z 27 TNSchVO 2006,

 Katzenpfötchen (Antennaria) und Kugelblume (Globularia), Anlage 2 Z 34 TNSchVO 2006,

 Kartäusernelke (Dianthus carthusianorum), Anlage 3 Z 11 TNSchVO 2006,

 Rotföhren-Trockenauwald (Dorycnio-Pinetum sylvestris), Anlage 4 Z 19 TNSchVO 2006.

Dadurch werden hinsichtlich der gänzlich geschützten Pflanzen der Anlage 2 die Verbotstatbestände gemäß § 2 Abs 2 lit a TNSchVO 2006 (absichtliches Entfernen, Beschädigen oder Vernichten solcher Pflanzen und deren Teile) und lit b (Behandeln des Standortes solcher Pflanzen, sodass ihr weiterer Bestand an diesem Standort unmöglich wird) verwirklicht. Hinsichtlich der teilweise geschützten Pflanzenart der Anlage 3 werden die Verbotstatbestände gemäß § 2 Abs 4 lit a TNSchVO 2006 (Absichtliches Entnehmen oberirdisch wachsender Teile solcher Pflanzen in einer über einen Handstrauß hinausgehenden Menge), lit b (absichtliches Beschädigen oder Vernichten unterirdisch wachsender Teile solcher Pflanzen) und lit c (Behandeln des Standortes solcher Pflanzen, sodass ihr weiterer Bestand an diesem Standort unmöglich wird) verwirklicht. Und was die geschützte Pflanzengesellschaft der Anlage 4 betrifft, wird auch ihr Standort entgegen § 3 TNSchVO 2006 so behandelt, dass ihr Fortbestand unmöglich wird.

Dazu ist anzumerken, dass die Verbotstatbestände des § 23 TNSchG 2005 iVm §§ 2 und 3 TNSchVO 2006 zum Schutz des Standortes geschützter Pflanzen bzw Pflanzengesellschaften bereits dann verwirklicht sind, wenn der Standort einzelner Exemplare der geschützten Art betroffen ist. Die Verbote bestehen also unabhängig davon, ob im Nahebereich des Vorhabens weitere Exemplare der geschützten Art wachsen (vgl LVwG 04.08.2014, LVwG-2014/15/0120-8).

Und ein absichtliches Handeln iSd der Verbotstatbestände des § 23 TNSchG 2005 iVm § 2 TNSchVO 2006 liegt anders als bei der strafrechtlichen Absichtlichkeit bereits dann vor, wenn die Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes billigend in Kauf genommen wird (vgl Umweltsenat 26.08.2013, US 3A/2012/19-51). Das Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit ist gegenständlich erfüllt, da feststeht, dass das beantragte Vorhaben zur Entnahme, Entfernung, Beschädigung bzw Vernichtung der betroffenen Pflanzen bzw deren Teile führt.

Abschließend ist zu den artenschutzrechtlichen Verboten festzuhalten, dass auf der unmittelbaren Projektsfläche kein Vorkommen geschützter Tierarten (Anlagen 5 und 6 der TNSchVO 2006) oder geschützter Vogelarten (§ 25 Abs 1 TNSchG 2005) festgestellt werden konnte. Ein weiteres Eingehen auf die diesbezüglichen Verbotstatbestände erübrigt sich somit.

b) Voraussetzungen zur Erteilung einer Ausnahmebewilligung:

Eine Ausnahmebewilligung von den betroffenen artenschutzrechtlichen Verboten kann nur unter den Voraussetzungen des § 23 Abs 5 TNSchG 2005 erteilt werden. Als Ausnahmetatbestand kommt dabei nur das Vorliegen von "zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art" (lit c) in Betracht.

Die Verwendung der Wortfolge "zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses" stellt eine wörtliche Übernahme aus der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) dar. Wie der Umweltsenat in seiner Entscheidung vom 26.08.2013, Zl US 3A/2012/19-51, ausgeführt hat, stellt diese Wendung in der FFH-RL wiederum eine Übernahme einer vom EuGH im Zusammenhang mit den sogenannten immanenten Schranken der Warenverkehrsfreiheit entwickelten Formulierung dar. Mit dem Attribut "zwingend" wird dabei nicht eine besondere Qualifikation zum Ausdruck gebracht; in seiner neueren Judikatur spricht der EuGH vom "Allgemeininteresse". Dies ergibt sich nach dem zitierten Erkenntnis des Umweltsenates aus der Judikatur zur gleichartigen Formulierung in Art 6 Abs 4 der FFH-RL. Der EuGH hat demnach in einem solchen Fall entschieden, dass der Zweck, der "die Verwirklichung eines Plans oder Projekts rechtfertigen kann, zugleich 'öffentlich' und 'überwiegend' sein muss, dh, es muss so wichtig sein, dass es gegen das mit der Habitatrichtlinie verfolgte Ziel der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen abgewogen werden kann. Es ist nicht auszuschließen, dass dies der Fall ist, wenn ein Projekt, obwohl es privater Natur ist, sowohl seinem Wesen nach als auch aufgrund seines wirtschaftlichen und sozialen Kontextes tatsächlich von überwiegendem öffentlichen Interesse ist und nachgewiesen wird, dass eine Alternativlösung nicht vorhanden ist" (EuGH 16.2.2012, C-182/10, Rz 76 f).

Beispielsweise hat der EuGH im erwähnten Fall entschieden, dass Bauarbeiten im Hinblick auf die Ansiedlung oder Erweiterung eines Unternehmens diese Voraussetzungen grundsätzlich nur in Ausnahmefällen erfüllen und die bloße Errichtung einer Infrastruktur zur Unterbringung eines Verwaltungszentrums grundsätzlich keinen zwingenden Grund des überwiegenden öffentlichen Interesses im Sinne von Art 6 Abs 4 FFH-RL darstellen kann (EuGH 16.02.2012, C-182/10). Andererseits hat der EuGH bejaht, dass Bergbautätigkeiten, die für die ortsansässige Wirtschaft von Bedeutung sind, einen zwingenden Grund des überwiegenden öffentlichen Interesses im Sinne von Art 6 Abs 4 FFH-RL darstellen können (EuGH 24.11.2011, C-404/09). Auch können mit der Bewässerung und der Trinkwasserversorgung zusammenhängende Gründe, aus denen ein Projekt für die Umleitung von Wasser betrieben wird, zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses begründen, mit denen die Verwirklichung eines Vorhabens gerechtfertigt werden kann, das die betreffenden Gebiete als solche beeinträchtigt (EuGH 11.09.2012, C-43/10).

Das deutsche Bundesverwaltungsgericht hat zum Begriff "zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ festgestellt, dass damit nicht das Vorliegen von Sachzwängen gemeint ist, denen niemand ausweichen kann, sondern dass Art 6 Abs 4 Satz 1 und 3 FFH-RL vielmehr ein durch Vernunft und Verantwortungsbewusstsein geleitetes staatliches Handeln meint (BVerwG 27.01.2000, 4 C 2.99).

Nach der – nicht verbindlichen – Meinung der Europäischen Kommission ist es "angemessen, davon auszugehen, dass sich die 'zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art' auf solche Situationen beziehen, in denen sich in Aussicht genommene Pläne bzw Projekte als unerlässlich erweisen:

 im Rahmen von Handlungen bzw Politiken, die auf den Schutz von Grundwerten für das Leben der Bürger (Gesundheit, Sicherheit, Umwelt) abzielen;

 im Rahmen grundlegender Politiken für Staat und Gesellschaft;

 im Rahmen der Durchführung von Tätigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art zur Erbringung bestimmter gemeinwirtschaftlicher Leistungen"

(Auslegungsleitfaden zu Artikel 6 Abs 4 der 'Habitat-Richtlinie' 92/43/EWG, Jänner 2007, Nr 1.3.2).

Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts ist daher auch mit den "zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses" gemäß § 23 Abs 5 lit c TNSchG 2005 nicht das Vorliegen von Sachzwängen gemeint, denen niemand ausweichen kann, sondern ein besonders qualifiziertes öffentliches Interesse. In diesem Sinne ist auch die von der Naturschutzbehörde vorgenommene Interessenabwägung zugunsten des beantragten Vorhabens im Ergebnis nicht zu beanstanden. Wie das durchgeführte Ermittlungsverfahren ergeben hat, ist das beantragte Vorhaben nämlich erforderlich, um den konkret gegebenen Baulandbedarf in UnterX zu sozialverträglichen Preisen zu decken. In diesem Sinne erweist sich das Projekt zur Erreichung der Ziele der örtlichen Raumordnung als unerlässlich.

Auf der anderen Seite ist insbesondere die Pflanzengesellschaft des Rotföhren-Trockenauwaldes in Tirol zwar grundsätzlich sehr selten und gefährdet, jedoch ist das konkret betroffene Areal bereits derzeit durch bestehende Verkehrsflächen vom Kernbestand des restlichen Rotföhren-Trockenauwaldes in UnterX abgetrennt und weist infolge anthropogener Einflüsse eine geringere naturkundefachliche Wertigkeit als der Kernbestand auf. Zudem befindet sich der betroffene Auwald aufgrund der Verbauung der angrenzenden Bäche in einem Sukzessionsstadium, weshalb unabhängig vom beantragten Vorhaben von einem ungünstigen bis schlechten Erhaltungszustand auszugehen ist. Die gegenständliche Baulandschaffung stellt somit zwar zweifellos eine Beeinträchtigung der betroffenen geschützten Pflanzen bzw Pflanzengesellschaft dar, jedoch führt das Vorhaben selbst nicht zu einer Gefährdung des Gesamtbestandes in UnterX.

In weiterer Folge ist in Anwendung des Einleitungssatzes des § 23 Abs 5 TNSchG 2005 zu prüfen, ob es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt und die Populationen der betroffenen Pflanzenart in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen. Dazu ist vorweg festzuhalten, dass der Landesumweltanwalt zutreffend eingewandt hat, dass die Naturschutzbehörde aufgrund dieser Bestimmung eine Alternativenprüfung durchzuführen gehabt hätte.

Die Formulierung, "sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt", knüpft an die "zwingenden Gründe" an. Es geht also nicht um irgendeine andere Lösung, sondern um eine Alternative, die im Wesentlichen eine vergleichbare Verwirklichung der mit dem Projekt angestrebten Ziele gewährleistet (vgl VwGH 23.06.2009, 2007/06/0257). Der vom Landesumweltanwalt in der mündlichen Verhandlung präferierte Schul- bzw Kindergartenbus nach F mag zwar eine adäquate Lösung im Fall einer möglichen Schul- bzw Kindergartenschließung sein, er stellt aber keine Alternative zur Baulandschaffung dar. Die Erhaltung des Schul- bzw Kindergartenstandortes ist nämlich nicht das primär verfolgte Ziel der Baulandschaffung, sondern stellt lediglich einen Teilaspekt dar. Der festgestellte Baulandbedarf kann mit der Busverbindung jedenfalls nicht gedeckt werden.

Im Übrigen hat das durchgeführte Ermittlungsverfahren ergeben, dass die eingereichte Variante aus Sicht der Raumordnung die beste Lösung zur Baulandschaffung in UnterX darstellt und, dass eine Siedlungserweiterung mit einem im Verhältnis zum erzielbaren Erfolg vertretbaren Aufwand auf anderen Flächen in UnterX nicht möglich ist. Zwar könnten auch bestehende private Baulandreserven herangezogen werden, jedoch wäre diese Variante aufgrund fehlender rechtlicher Zugriffsmöglichkeiten nicht zu sozialverträglichen Preisen möglich, sodass damit die Zielerreichung – Baulandschaffung für Jungfamilien – nicht in gleicher zufriedenstellender Weise erreicht werden kann.

Dies führt zur weiteren Frage, ob die Populationen der betroffenen Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen. Dazu ist klarzustellen, dass die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nicht von vornherein ausgeschlossen ist, wenn sich eine Population in einem ungünstigen Erhaltungszustand befindet. Die Struktur der Prüfung in den Fällen, in denen eine Art nicht in einem günstigen Erhaltungszustand verweilt, ist keine andere als in den Fällen, in denen eine Art im günstigen Erhaltungszustand verweilt. Eine Ausnahmegenehmigung ist auch dann zulässig, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass sie den ungünstigen Erhaltungszustand der Population nicht verschlechtert und die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes nicht behindern kann (vgl VwGH 24.07.2014, 2013/07/0215, zur vergleichbaren Regelung des steiermärkischen Naturschutzgesetzes).

Das Landesverwaltungsgericht sieht auch diese Bewilligungsvoraussetzung als erfüllt an. Die Populationen der betroffenen geschützten Pflanzenarten verweilen mit Ausnahme des Rotföhren-Trockenauwaldes in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand. Und der Rotföhren-Trockenauwald befindet sich zwar in einem ungünstigen Erhaltungszustand, jedoch ist dafür hinsichtlich der konkreten Projektsfläche die bereits bestehende anthropogene Überformung und hinsichtlich des Gesamtstandortes in UnterX die fehlende Flussmorphodynamik infolge der Bachverbauung verantwortlich. Eine weitere relevante Verschlechterung des Erhaltungszustandes aufgrund des beantragten Vorhabens ist nicht zu befürchten, zumal das Vorhaben zu keiner Gefährdung des Gesamtstandortes in UnterX führt. Zu bedenken ist auch, dass eine Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustandes die Belebung der natürlichen Flussdynamik durch Rückbau der Bachverbauung voraussetzen würde. Dies ist zumindest auf der Projektsfläche nicht möglich, solange das unmittelbar angrenzende Siedlungsgebiet besteht. Die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes wird somit durch das bereits bestehende Siedlungsgebiet und nicht durch dessen geringfügige Erweiterung behindert.

Insgesamt liegen somit die Voraussetzungen für die Erteilung der Ausnahmebewilligung vor, wobei jedoch entscheidend ist, dass nur ein naturkundefachlich wenig wertvoller Randbereich des Auwaldes betroffen ist, während der höherwertige Kernbereich des Auwaldes unberührt bleibt.

V./2. Zum Gewässer- und Auwaldschutz:

Die Naturschutzbehörde hat die naturschutzrechtliche Bewilligung ausschließlich aufgrund der Artenschutzbestimmungen des § 23 TNSchG 2005 erteilt. Wie der Landesumweltanwalt in seiner Beschwerde jedoch richtig vorbringt, löst das beantragte Vorhaben auch Bewilligungspflichten nach §§ 7 und 8 TNSchG 2005 aus. Zum einen beträgt nämlich die Entfernung zum Ufer des Xer Badesees, eines stehenden Gewässers mit einer Wasserfläche von mehr als 2.000 m², lediglich ca 200 bis 300 m und liegt somit im 500 m breiten Uferschutzbereich des § 7 Abs 2 lit b TNSchG 2005, zum anderen fallen Rotföhren-Trockenauwälder gemäß der Begriffsdefinition des § 3 Abs 6 TNSchG 2005 expressis verbis unter das Schutzregime des 8 TNSchG 2005. Gemäß § 7 Abs 2 lit b Z 1 und 2 sowie § 8 lit a, b, c und d TNSchG 2005 bedürfen somit auch die Errichtung von Anlagen (die beantragten Wege), die Geländeabtragungen (die Abtragung des Waldbodens), die dauernde Beseitigung von Bäumen und Sträuchern und jede über die bisher übliche Art und den bisher üblichen Umfang hinausgehende Nutzung des Auwaldes einer naturschutzrechtlichen Bewilligung.

Was die Schutzgüter der zu prüfenden Bewilligungstatbestände betrifft, ist festzuhalten, dass sich das Schutzgut des § 8 TNSchG 2005 (Auwaldschutz) weitgehend mit jenem der artenschutzrechtlichen Bestimmung zum Schutz des Rotföhren-Trockenauwaldes deckt. Und hinsichtlich des § 7 TNSchG 2005 (Gewässerschutz) hat das durchgeführte Ermittlungsverfahren ergeben, dass nur geringfügige Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes und des Erholungswertes zu befürchten sind. Andere nachteilige Auswirkungen auf den ca 200 bis 300 m entfernten Badesee konnten im Ermittlungsverfahren nicht festgestellt werden.

Auch die gemäß § 29 Abs 2 lit a Z 2 TNSchG 2005 vorzunehmende Interessenabwägung hat somit zugunsten der „langfristigen öffentlichen Interessen“ auszugehen, zumal bereits die „zwingenden Gründe“ iSd § 23 Abs 5 TNSchG 2005 bejaht wurden. Gleiches gilt für die Alternativenprüfungen iSd §§ 29 Abs 4 TNSchG 2005, da bereits die Alternativenprüfung nach § 23 Abs 5 TNSchG 2005 ergeben hat, dass der angestrebte Zweck mit einem im Verhältnis zum erzielbaren Erfolg vertretbaren Aufwand auf eine andere Weise nicht erreicht werden kann. Somit liegen auch die Bewilligungsvoraussetzungen hinsichtlich des Gewässer- und Auwaldschutzes vor.

VI. Ergebnis:

In Summe ist die Naturschutzbehörde zu Recht davon ausgegangen, dass die beantragte naturschutzrechtliche Bewilligung zu erteilen ist. Im Spruch waren jedoch die Bewilligungstatbestände hinsichtlich des Gewässer- und Auwaldschutzes zu ergänzen. Es war auch klar zu stellen, welche konkreten Maßnahmen von der bewilligten Baulandschaffung umfasst sind. Zudem war die Bezeichnung der betroffenen Grundstücke aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Parzellenänderung zu aktualisieren.

VII. Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren Rechtsfragen zu lösen waren, denen iSd Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es fehlt nämlich an einer detaillierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den artenschutzrechtlichen Bestimmungen des TNSchG 2005 und der TNSchVO 2006. Insbesondere fehlt eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes

 zum Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit gemäß § 2 Abs 2 lit a und Abs 4 lit a und b TNSchVO 2006,

 zur Auslegung des Standortschutzes gemäß § 2 Abs 2 lit b und Abs 4 lit c und § 3 TNSchVO 2006 sowie

 zur Auslegung der „zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ gemäß § 23 Abs 5 lit c TNSchG 2005.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Mag. Alexander Spielmann

(Richter)

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