LVwG Tirol LVwG-2013/12/1919-2

LVwG TirolLVwG-2013/12/1919-227.3.2014

KFG 1967 §103 Abs2
EMRK Art6
KFG 1967 §103 Abs2
EMRK Art6

European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGTI:2014:LVwG.2013.12.1919.2

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat durch seine Richterin Dr. Ines KROKER über die Beschwerde des Herrn A B, vertreten durch Rechtsanwälte Q & Partner, Adresse, PLZ Ort, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Y vom 06.06.2013, Zahl VK-***-2013,

zu Recht erkannt:

1. Gemäß § 50 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

2. Gemäß § 52 Abs 1 und 2 VwGVG hat der Beschwerdeführer einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in der Höhe von 20 % der verhängten Strafe, das sind Euro 40,--, zu leisten.

3. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision, an den Verwaltungsgerichtshof, Judenplatz 11, 1010 Wien, erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht einzubringen.

Die Beschwerde bzw die Revision ist durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Verfahren und Beschwerdevorbringen:

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Y vom 06.06.2013, Zl. VK-***-2013, wird dem Beschuldigten spruchgemäß nachstehender Sachverhalt zur Last gelegt:

Fahrzeug: PKW, X-Y**1

Sie haben es als vom Zulassungsbesitzer namhaft gemachter Auskunftspflichtiger unterlassen, der Bezirkshauptmannschaft Y auf ihr schriftliches Vorbringen vom 09.04.2013, zugestellt am 18.04.2013 binnen zwei Wochen ab Zustellung bekannt zu geben, wer ihr oben genanntes Fahrzeug, am 10.02.2013 um 13.46 Uhr in W, auf der A***, bei StrKm 44,716 gelenkt hat.“

Der Beschuldigte habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 103 Abs 2 KFG begangen und wurde über ihn gemäß § 134 Abs 1 KFG eine Geldstrafe in Höhe von Euro 200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage) unter gleichzeitiger Festsetzung der Verfahrenskosten verhängt.

Gegen dieses Straferkenntnis hat der rechtsfreundlich vertretene Beschuldigte fristgerecht Beschwerde erhoben und vorgebracht wie folgt:

„Das Straferkenntnis wird in seinem gesamten Umfang, sohin hinsichtlich Schuld und Strafe angefochten.

a) Rechtswidrigkeit des Inhalts:

Der Beschuldigte wurde als Auskunftspflichtiger eines Fahrzeuges mit deutschem Kennzeichen, welches in Österreich wegen eines Tiefenabstandsverstoßes verfolgt wird, belangt. Das Fahrzeug war in Österreich im Rahmen der Personenverkehrsfreiheit unterwegs, wie nicht zuletzt der Umstand zeigt, dass Zulassungsbesitzer der Arbeitgeber des Beschuldigten, die Fa. GH AG, ist.

Damit fällt der Beschuldigte in den Anwendungsbereich der Grundrechtscharta der Europäischen Union, welcher auch von österreichischen Behörden und Gerichten unmittelbare Anwendung („Anwendungsvorrang“) zukommt (vgl. VfGH U1175/12 vom 13.3.2013).

Artikel 47 und Artikel 48 der Grundrechtscharta statuieren u.a.:

Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht

(2) Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

Unschuldsvermutung und Verteidigungsrechte

(1) Jede angeklagte Person gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis ihrer Schuld als unschuldig.

(2) Jeder angeklagten Person wird die Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet.

Aus Art 52 Abs 3 der Grundrechtscharta der Europäischen Union ergibt sich, dass soweit die Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, diese die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie die Konventionsrechte genießen. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.

Gem. Abs 4 leg. cit. werden, soweit in dieser Charta Grundrechte anerkannt werden, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, diese im Einklang mit diesen Überlieferungen ausgelegt.

Aufgrund der Grundrechtscharte kommt diesen Rechten Anwendungsvorrang auch vor der Verfassungsbestimmung des § 103 Abs 2 KFG zu.

Zu den Verteidigungsrechten zählt seit jeher in Übereinstimmung mit der Traditionen der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten, das Recht, sich als Beschuldigter der Aussage, zu entschlagen, sowie das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen.

Grundlegend hierzu hat der österreichische Verfassungsgerichtshof unter Beipflichtung der Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes zu G7/80, G11/81, G71/81, G53/82, G94/82, G26/83, G54/83 (Sammlungsnummer 9950) § 103 Abs 2 KFG 1967 idF BGBl 615/1977 als verfassungswidrig aufgehoben, worauf der Verfassungsgesetzgeber in rechtsstaatlich bedenklicher Weise die Bestimmung des § 103 Abs 2 KPG in Verfassungsrang gehoben hat.

Der Verfassungsgerichtshof führte in dem zitierten Erkenntnis grundlegend aus wie folgt:

„Im Folgenden geht der VfGH sohin von der in den Erk. VfSlg. 5235/1966 und 5295/1966 zum Ausdruck gebrachten Auffassung über das Anklageprinzip in seiner materiellen Bedeutung aus, das insoweit kraft Größenschlusses auch für das Verwaltungsstrafverfahren maßgeblich ist. Er bleibt insbesondere auf seinem Standpunkt, dass eine Gesetzesbestimmung mit diesem Grundsatz dann nicht im Einklang steht, wenn sie den (im Verwaltungsstrafverfahren oder in einem Stadium vor Einleitung eines Strafverfahrens im weitesten Sinn) Beschuldigten unter Strafsanktion zwingt, ein Geständnis seines strafbaren Verhaltens abzulegen. Gerade dies trifft infolge der im letzten Halbsatz des §103 Abs2 KFG 1967 enthaltenen Anordnung im Hinblick auf die Strafbestimmung des §134 dieses Gesetzes zu.

Die Mitteilung an die Behörde, ein KFZ Zeitpunkt selbst gelenkt zu haben, beinhaltet dann, wenn - wie im Regelfall - die Frage auf die Feststellung des einer verwaltungsbehördlichen ahndbaren Tat Verdächtigten abzielt, das Einbekenntnis, (der bisher unbekannte) Täter iS des bestehenden Tatverdachtes zu sein. Dieses Einbekenntnis kommt in seiner Wirkung einem Geständnis in Bezug auf eine (bereits oder erst künftig) zur Last gelegte Tat derart nahe, dass es materiell einem solchen gleichgesetzt werden muss. Der gewiss gegebene Unterschied zwischen einem derartigen Einbekenntnis und einem in einer Strafsache förmlich abgelegten Geständnis ist nämlich nicht so bedeutsam, als dass er bei einer an den sachlichen Folgen der Erklärung des Betroffenen orientierten Betrachtungsweise ins Gewicht fällt; mit Recht betont der VwGH, dass bei wahrheitsgetreuer Antwort des Zulassungsbesitzers, er selbst sei der Lenker zur fraglichen Zeit gewesen, das Vorliegen des angelasteten objektiven Tatbestandes oftmals kaum mit Erfolg zu leugnen sein wird. Darüber hinaus räumt auch die Bundesregierung die – im Verwaltungsstrafverfahren wohl regelmäßig eintretende - Verschlechterung der Position als Beschuldigter infolge des ihm nach § 5 Abs 1 VStG 1950 obliegenden Nachweises ein, dass ihm die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift ohne sein Verschulden unmöglich gewesen sei.

Wenn sie unter Bezugnahme auf die Erk. VfSlg. 5235/1:966 und 5295/1966 meint, es handle sich bei der in Rede stehenden Verpflichtung um eine grundsätzlich als zulässig erachtete Pflicht zu aktiven Mitwirkung im Bereich einer Sachverhaltsfeststellung, so geht dies am Kern der Aussage der beiden Erk. vorbei, dass niemand unter Strafsanktion gezwungen werden darf ein Geständnis eines strafbaren Verhaltens abzulegen.

Der VfGH kann der Bundesregierung aber auch nicht beipflichten, wenn sie für eine restriktive Wertung des Begriffes "Geständnis" ins Treffen führt, dass ohne Auskunftspflicht ein geordnetes Verwaltungshandeln nicht möglich sei und dass die Möglichkeit praktisch nie von vornherein ausgeschlossen werden dürfe, eine (gemäß der Auskunftspflicht erteilte) Auskunft im Ergebnis als Geständnis auszulegen. Diese Argumentation verkennt nämlich, dass die Auffassung, was unter einem "Geständnis" mit Beziehung auf eine gesetzlich festgelegte Auskunftspflicht zu verstehen ist, nicht aus allgemeinen Überlegungen, sondern nur aus der Betrachtung der konkreten Gesetzeslage (insbesondere aufgrund einer Weitung der typischen oder beabsichtigten Auswirkungen der ungeordneten Auskunft) gewonnen werden kann. Der Hinweis der Bundesregierung, dass das Auskunftsverlangen auch auf andere Zwecke wie zB die Feststellung eines Zeugen abzielen kann, ist grundsätzlich richtig, nimmt aber der in Erörterung stehenden Vorschrift nicht die kritisierte Auswirkung auf die Person des Zulassungsbesitzers. Dass die in Prüfung stehende Gesetzesstelle, jedoch – wie die Bundesregierung schließlich hilfsweise geltend macht - verfassungskonform ausgelegt werden könnte, ist nicht erkennbar. Enthält nämlich der sinngemäß heranzuziehende erste Halbsatz des zweiten Satzes im §103 Abs2 KFG 1967 keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Auskunftspflicht des Zulassungsbesitzers in irgendeiner Richtung (zB im Hinblick auf ein sonst gegebenes Zeugnisverweigerungsrecht) eingeschränkt wäre, so fehlt auch jede Handhabe dafür, irgendeine Einschränkung im Bereich des zweiten Halbsatzes anzunehmen.“

Begründet wurde die Wiedereinführung damit, dass ohne wirksame Ersatzlösung eine geordnete und wirksame Kontrolle im Straßenverkehr nicht mehr möglich sei, weil alle Delikte eines Kraftfahrzeuglenkers, bei denen er nicht persönlich betreten werde, nicht mehr geahndet werden könnten. In Anbetracht der Tatsachen, dass einem Täter von Verkehrsdelikten ein rasches Fortbewegungsmittel zur Verfügung steht, könne hiermit dem klassischen Instrumentarium zur Feststellung eines Täters im fließenden Verkehr (zB. Fahrerflucht nach einem schweren Verkehrsunfall) nicht das Auslangen gefunden werden.

In Deutschland wird die Vollstreckung von Strafbescheiden nach § 103 Abs 2 KFG häufig unter Berufung auf Artikel 4 Abs. 1 des Österreich-Deutschen Vollstreckungsabkommens verweigert. Nach Artikel 4 des genannten Übereinkommens ist keine und Amts- und Rechtshilfe zu leisten wenn sie nach dem Recht des ersuchten Staates unzulässig ist. Auf diesen Passus berufen sich deutsche Behörden in der Praxis häufig aufgrund des Aussageverweigerungsrechtes eines Beschuldigten bzw. des Zeugnisverweigerungsrechtes, Rechte die auch aus Art 6 Abs 1 und 2 der EMRK abgeleitet werden.

Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. u.a. JALLOH v GERMANY, Appl 54810/00 WEH v. AUSTRIA, Appl 38544/97; O’HALLORAN AMD FRANCIS v. THE UNITED KINGDOM. Appl 15809/02 and 25624/02) ist das Recht zu Schweigen bzw. sich nicht selbst belasten zu müssen von folgenden Faktoren abhängig:

Natur und Ausmaß des Zwanges, welches zur Erlangung des Beweises benützt wurde

das öffentliche Interesse an der Untersuchung und Bestrafung

die Ausgestaltung der Verfahrensgarantien

die Art und Weise, in der die Beweise im Verfahren herangezogen werden

Umgemünzt auf den vorliegenden Sachverhalt bedeutet dies, dass die Lenkererhebung lediglich zur Erlangung von Beweisen in einem Verwaltungsstrafverfahren betreffend zu geringem Tiefenabstand erfolgte.

Der Beschuldigte hat auch versucht, diese Auskunft; nach bestem Wissen: und Gewissen zu erteilen, indem er mitteilte, dass entweder seine Frau, oder er selbst gefahren sei.

Damit unterscheidet sich der Fall jedoch ganz gravierend von der Entscheidung WEH v. AUSTRIA, Appl 38544/97, da dort der tatsächliche Lenker von der Behörde nie ermittelt werden konnte und die Frage, ob der Beschwerdeführer durch die Aufforderung zur Lenkerbekanntgabe in seinen Verteidigungsrechten beschnitten wurde, hypothetisch blieb, während im vorliegenden Fall die Auskunft des Beschuldigten ihn einer konkreten Gefahr verwaltungsstrafrechtlicher Verfolgung aussetzte. Mit der Rechtssache O'HALLORAN AND FRANCIS v. THE UNITED: KINGDOM, Appl 15809/02 and 25624/02 kann der gegenständliche Fall bereits deshalb nicht verglichen werden, da das britische Recht keine strenge Haftung vorsieht, sondern gerade jenen Fall von einer Bestrafung ausnimmt, in der der Beschuldigte glaubhaft macht, dass er die Auskunft trotz Aufwendung gehöriger Sorgfalt nicht erteilen kann.

Nach der österreichischen Rechtslage ist der Fahrzeughalter jedoch stets verpflichtet, die Auskunft zu erteilen, andernfalls eine Strafe erfolgt, da die zur Erteilung der Auskunft notwendigen Aufzeichnungen nicht geführt wurden (§ 103 Abs 2 KFG).

Gerade im Hinblick darauf, dass aufgrund der technischen Möglichkeiten, wie etwa Frontradar, die Verpflichtung zur Lenkerbekanntgabe unter Strafandrohung nicht mehr erforderlich ist, um effektive Strafverfolgung zu betreiben, wird durch die Bestimmung des § 103 Abs 2 KFG nicht nur in die durch Art 8 EMRK und Art 48 der Europäischen Grundrechtscharte verbrieften verfassungsmäßig garantierten Rechte eingegriffen und diese auch verletzt. Dabei hätte - wie gerade der vorliegende Fall zeigt - ein Frontfoto es dem Beschuldigten ermöglicht, die Lenkerauskunft eindeutig zu erteilen, da damit zumindest eine Unterscheidung zwischen seiner Frau und ihm möglich gewesen wäre.

Hinzu kommt, dass gemäß ständiger Rechtsprechung des VwGH der Zulassungsbesitzer Mitwirkung im Verwaltungsstrafverfahren verpflichtet ist (vgl. ua. VwGH 2010/02/0129), sodass die Lenkererhebung jedenfalls nicht das gelindeste Mittel darstellt, um den tatsächlichen Lenker seinem Strafverfahren zuzuführen.

Im Hinblick darauf, dass der Beschuldigte die Auskunft nach bestem Wissen und Gewissen erteilte und er noch dazu hierzu aufgrund der Verletzung seines Rechts zu schweigen und sich nicht selbst zu belasten hierzu nicht verpflichtet war, ist eine Bestrafung nicht gerechtfertigt.

Beweis: PV

Hinzu kommt, dass offenbar der Tiefenabstand mit 0,39 sec festgestellt wurde, Dies wird bestritten und die Vorlage des Eichscheins, sowie der VKS Auswertung beantragt. Der Grund liegt darin, dass just bei 0,4 sec ein Unterschreiten des Tiefenabstands unter eine mildere Strafsanktion fallen würde und der Tiefenabstand jedenfalls mehr als 0,39 sec betragen hat.

Da die verhängte Geldstrafe des Vergehens des § 103 Abs 2 KFG mit dem Grunddelikt hinsichtlich der Strafhöhe zu korrelieren hat, ist die Geldstrafe herabzusetzen, zumal sich der Beschuldigte ohnedies um korrekte Angaben bemüht hat, ihm jedoch beim besten Willen nicht mehr erinnerlich ist, ob nunmehr seine Gattin oder er das Fahrzeug seinerzeit gelenkt hat. Die Strafverfolgung durch die Behörde war durch diese Auskunft auch nicht wesentlich erschwert.

Zudem wird auf die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit verwiesen,

Beweis: PV

Es werden daher gestellt die

ANTRÄGE:

Der Unabhängige Verwaltungssenat möge

die Frage, ob die Europäische Grundrechtscharta, insbesondere deren Art 47 und 48, der Verpflichtung zur Lenkerbekanntgabe nach § 103 Abs 2 KFG entgegensteht dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen und

- der Berufung Folge geben und

a) das Verwaltungsstrafverfahren einstellen;

b) in eventu: die Strafe herabsetzen.

II. Sachverhalt und Beweiswürdigung

Zur Klärung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes wurde Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Strafakt sowie den gegenständlichen Akt des Landesverwaltungsgerichts Tirol. Am 27.03.2014 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der sich der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer aus wirtschaftlichen Gründen (Anreisekosten) entschuldigen ließ.

Der Lenker/die Lenkerin des Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen X-Y**1 (D) wurde von der Landesverkehrsabteilung Tirol wegen des Verdachtes einer Übertretung am 10.02.2013 um 13.46 Uhr auf der A***, bei Straßenkilometer 44,716 im Gemeindegebiet von W nach § 99 As 2c Z4 StVO in Verbindung mit § 18 Abs 1 StVO angezeigt. Die Angaben zum ursprünglich erhobenen Tatvorwurf ergeben sich aus der Anzeige der Landesverkehrsabteilung Tirol vom 12.02.2013, GZ A1/00000***/**/2013.

An die „GH AG“ in Deutschland wurde als Zulassungsbesitzerin des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen X-Y**1 (D) eine Aufforderung zur Lenkerbekanntgabe vom 26.03.2013, VK-***-2013, übermittelt. Mit Schreiben vom 07.04.2013 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer als auskunftspflichtige Person bekanntgegeben und weiters als Lenker „A B oder M B“ angeführt.

Daraufhin wurde der Beschwerdeführer mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Y vom 09.04.2013 als vom Zulassungsbesitzer namhaft gemachter Auskunftspflichtiger aufgefordert, der Bezirkshauptmannschaft Y binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens die Auskunft zu erteilen, wer das Fahrzeug am 10.02.2013, 13.46 Uhr im Gemeindegebiet von W auf der A***, bei km 44,716 gelenkt hat. Der Beschuldigte wurde darauf hingewiesen, dass er sich strafbar macht, wenn er die verlangte Auskunft nicht, unrichtig, unvollständig oder nicht fristgerecht erteilt.

Der Inhalt und der Nachweis der Zustellung der Lenkererhebung vom 09.04.2013 sind dem erstinstanzlichen Akt zu entnehmen (Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Y vom 09.04.2013, VK-***-2013, samt Rückschein international - Übernahme durch den Empfänger am 18.04.2013).

Am 27.04.2014 – sohin innerhalb der zweiwöchigen Frist - langte bei der Bezirkshauptmannschaft Y ein Telefax ein, in dem wieder als auskunftspflichtiger Person A B und als Lenker „A B oder M B“ angeführt waren.

Mit diesem Schreiben wurde die erforderliche Lenkerauskunft nicht erteilt, sodass die Bezirkshauptmannschaft Y in der gegenständlichen Angelegenheit eine Strafverfügung vom 29.04.2013, VK-***-2013, erließ. Gegen diese am 08.05.2013 zugestellte Strafverfügung wurde rechtzeitig Einspruch erhoben. In weiterer Folge erging das nun gegenständlich angefochtene Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Y.

III. Rechtliche Erwägungen:

Vorab ist festzuhalten, dass gemäß Art 151 Abs 51 Z 8 B-VG die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern aufgelöst wurden. Die Zuständigkeit zur Weiterführung der mit Ablauf des 31. Dezember 2013 bei den Unabhängigen Verwaltungssenaten anhängigen Verfahren geht gemäß der zitierten Verfassungsbestimmung auf die Verwaltungsgerichte über. Gemäß § 3 Abs 7 Z 2 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl I 2013/33 idF BGBl I 2013/122, können die mit Ablauf des 31. Dezember 2013 bei den unabhängigen Verwaltungsbehörden anhängigen Verfahren von den Verwaltungsgerichten weitergeführt werden, wenn die Rechtssache in diesem Zeitpunkt zur Zuständigkeit eines einzelnen Mitglieds der unabhängigen Verwaltungsbehörde gehört hat, danach zur Zuständigkeit des Einzelrichters eines Verwaltungsgerichtes gehört und es sich um denselben Organwalter handelt. Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall vor.

Die für die gegenständliche Entscheidung wesentliche gesetzliche Bestimmung des § 103 Abs 2 Kraftfahrgesetz 1967, BGBl Nr 67/1967 idF BGBl I Nr 43/2013, lautet wie folgt:

Die Behörde kann Auskünfte darüber verlangen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt oder einen nach dem Kennzeichen bestimmten Anhänger verwendet hat bzw zuletzt vor einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort abgestellt hat. Diese Auskünfte, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten müssen, hat der Zulassungsbesitzer - im Falle von Probe- oder von Überstellungsfahrten der Besitzer der Bewilligung - zu erteilen; kann er diese Auskunft nicht erteilen, so hat er die Person zu benennen, die die Auskunft erteilen kann, diese trifft dann die Auskunftspflicht; die Angaben des Auskunftspflichtigen entbinden die Behörde nicht, diese Angaben zu überprüfen, wenn dies nach den Umständen des Falles geboten erscheint. Die Auskunft ist unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung zu erteilen; wenn eine solche Auskunft ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht gegeben werden könnte, sind diese Aufzeichnungen zu führen. (Verfassungsbestimmung) Gegenüber der Befugnis der Behörde, derartige Auskünfte zu verlangen, treten Rechte auf Auskunftsverweigerung zurück.

Aufgrund der getroffenen Sachverhaltsfeststellungen steht fest, dass der Beschwerdeführer als vom Zulassungsbesitzer des gegenständlichen Kraftfahrzeuges namhaft gemachter Auskunftspflichtiger binnen Frist die geforderte Auskunft nicht erteilt hat, weil er zwei mögliche Lenker, nämlich sich selbst und seine Ehegattin, benannt hat.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl VwGH 24.02.2012, 2011/02/0140 uva) ist eine Verletzung der Auskunftspflicht iSd § 103 Abs 2 KFG 1967 nämlich schon dann gegeben, wenn der Zulassungsbesitzer zwei oder mehrere Personen nennt, denen er das Lenken seines Kraftfahrzeuges überlassen hat. Dasselbe gilt für den vom Zulassungsbesitzer namhaft gemachten Auskunftspflichtigen, da diesen dann die Auskunftsplicht nach § 103 Abs 2 KFG trifft.

Gerade dann, wenn ein Fahrzeug nicht ausschließlich allein nur von einer einzigen Person benützt wird, hat der Zulassungsbesitzer bzw Auskunftspflichtige, wenn er die verlangte Auskunft sonst nicht erteilen kann, entsprechende Aufzeichnungen zu führen bzw wenn ihm dies nicht möglich ist, führen zu lassen, aus denen unverzüglich entnommen werden kann, wer jeweils das Fahrzeug gelenkt hat (VwSlg 10.192; 15.5.1990, 89/02/0206 u.a.).

Der Zulassungsbesitzer bzw Auskunftspflichtige kann sich sohin von vornherein, dh bereits ab Überlassung des Lenkens des KFZ an eine andere Person, nicht auf sein Gedächtnis oder nachträgliche Mitteilungen Dritter (bzw auf die Übermittlung eines Radarfotos) verlassen, ohne Gefahr zu laufen, im Zeitpunkt der Anfrage darüber nicht mehr eine Auskunft geben zu können. Will er dieses Risiko nicht eingehen, so muss er eben durch das Führen entsprechender Aufzeichnung dafür Sorge tragen, dass er seiner Auskunftspflicht jederzeit ordnungsgemäß nachkommen kann (VwGH 28.1.1983, 83/02/0013).

Soweit sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt sieht, ist darauf hinzuweisen, dass schon die Europäische Kommission für Menschenrechte in der Entscheidung vom 05.09.1989 über die Beschwerden 15.135/89, 15.136/89 und 15.137/89 festgestellt hat, dass die Auskunftspflicht nach § 103 Abs 2 KFG nicht gegen Art 6 EMRK verstößt (Grundtner/Pürstl, KFG9 (2013) § 103 Abs 2 [E 77]).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Urteil O’Halloran und Francis dann ausgesprochen, dass die bloße Verpflichtung zur Angabe, wer das Fahrzeug gelenkt habe, noch keine Selbstbezichtigung darstellt (EGMR vom 29.06.2007, O’Halloran und Francis gg das Vereinigte Königreich, Bsw Nr 15.809/02 und 25.624/02). Dies zusammengefasst deshalb, weil Art und Grad des Zwanges zur Erlangung der Lenkerauskunft nicht besonders schwer waren und dem Zulassungsbesitzer diese Verpflichtung von vornherein bekannt war. Wer sich (freiwillig) dazu entschließt, ein Kraftfahrzeug zu halten und mit diesem am Verkehr teilzunehmen, akzeptiert damit auch bestimmte, ihm vom Gesetz auferlegte Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen (konkret die Verpflichtung zur Bekanntgabe des Fahrzeuglenkers).

In den Fällen Lückhof und Spanner bestätigte der EGMR im Wesentlichen diese Rechtsprechung auch zur Bestimmung des § 103 Abs 2 KFG 1967. Die Behörden sind daher dazu berechtigt, Auskunft über den Namen und die Adresse der Person, welche das Fahrzeug zur besagten Zeit gelenkt hat, zu verlangen. Dieses Erfordernis, eine einfache Tatsache bekannt zu geben, nämlich wer der Fahrer des Fahrzeuges war, ist als solche nicht belastend (vgl Lückhof und Spanner gegen Österreich, Urteil des EGMR vom 10.01.2008, Kammer I, Bsw Nr 58.452/00 und 61.920/00).

Auch unter dem Blickwinkel der Art 47 und 48 Grundrechtscharta bestehen unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des EGMR, wonach durch die Verpflichtung zur Lenkerbekanntgabe nach § 103 Abs 2 KFG das Recht auf ein faires Verfahren nicht verletzt ist, keine Bedenken.

Aufgrund der getroffenen Sachverhaltsfeststellungen steht fest, dass der Beschwerdeführer den objektiven Tatbestand einer Übertretung nach § 103 Abs 2 KFG verwirklicht hat. Der Beschwerdeführer hat die betreffende Lenkerauskunft nicht erteilt, obwohl er dazu nach der vorzitierten Gesetzesbestimmung verpflichtet gewesen wäre.

Was die innere Tatseite anlangt, ist zunächst festzuhalten, dass es sich bei der Nichterteilung der Lenkerauskunft um ein so genanntes „Ungehorsamsdelikt“ im Sinne des § 5 Abs 1 2.Satz VStG handelt. Bei derartigen Delikten ist dann Fahrlässigkeit anzunehmen, wenn der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. „Glaubhaftmachung“ bedeutet dabei, dass die Richtigkeit einer Tatsache wahrscheinlich gemacht wird. Der Beschuldigte hat initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Er hat also ein geeignetes Tatsachenvorbringen zu erstatten und Beweismittel zum Beleg desselben bekannt zu geben oder vorzulegen (vgl VwGH 24.05.1989, 89/02/0017 ua).

Die Behauptungen des nunmehrigen Beschwerdeführers – wie oben ausgeführt – reichen für sich alleine zur Glaubhaftmachung des mangelnden Verschuldens nicht aus. Sohin hat der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung auch in subjektiver Hinsicht zu verantworten. Seine Einwände gehen ins Leere.

IV. Strafbemessung:

Wer gemäß § 134 Abs 1 KFG und den aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu Euro 5.000,--, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Wochen, zu bestrafen.

Nach § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat.

Nach § 19 Abs 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Der Unrechtsgehalt der dem Beschwerdeführer angelasteten Verwaltungsübertretung ist nicht unerheblich, weil die betreffende Bestimmung sicherstellen soll, dass der verantwortliche Lenker eines Fahrzeuges von der Behörde jederzeit, also ohne langwierige und aufwendige Erhebungen, festgestellt werden kann, um so einen effizienten Gesetzesvollzug zu ermöglichen. Durch die fehlende Beantwortung der in Rede stehenden Lenkeranfrage wurde dieser Gesetzeszweck unterlaufen.

Bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse hat der Beschwerdeführer keine Angaben gemacht, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. Es war daher nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Schätzung vorzunehmen (vgl VwGH 21.10.1992, 92/02/0145 uva), wobei mangels gegenteiliger Anhaltspunkte jedenfalls von durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen ausgegangen werden konnte.

Unter Zugrundelegung dieser Strafbemessungskriterien haben sich gegen die durch die Erstinstanz verhängte Geldstrafe keine Bedenken ergeben. Damit wurde der gesetzliche Strafrahmen des § 134 Abs 1 KFG von bis zu Euro 5.000,-- zu lediglich 4 % ausgeschöpft. Eine Geldstrafe in dieser Höhe war jedenfalls geboten, um dem Unrechts- und Schuldgehalt der Übertretung hinreichend Rechnung zu tragen.

Angemerkt wird, dass die Behörde nicht gehalten ist, bei der Strafbemessung auf jene Strafdrohung Rücksicht zu nehmen, welche hinsichtlich jener Verwaltungsübertretung besteht, die Anlass für das Auskunftsverlangen nach § 103 Abs 2 KFG war (vgl VwGH 05.07.1996, 96/02/0075 ua), sodass auf die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen nicht näher einzugehen war.

Als Verschuldensform war zumindest Fahrlässigkeit anzunehmen. Der Beschwerdeführer ist unbescholten, Erschwerungsgründe sind nicht hervorgekommen. Doch liegen auch nicht die Voraussetzungen für die Anwendung einer außerordentlichen Strafmilderung vor. Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen. Der Kostenspruch stützt sich auf die dort angeführten Gesetzesbestimmungen.

V. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es wird hierzu auf die oben zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr. Ines KROKER

(Richterin)

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte