VwGVG 2014 §31 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.1050.001.2020
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch Mag. Marzi als Einzelrichter über die Beschwerde der A in ***, ***, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs vom 25. September 2020, Zl. ***, betreffend Absonderung gemäß Epidemiegesetz, den
BESCHLUSS
1. Die Beschwerde wird wegen Unzuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich zurückgewiesen.
2. Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist zulässig.
Begründung:
1. Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt sich in Zusammenschau mit der Beschwerde nachstehender, entscheidungswesentlicher Sachverhalt:
1.1. Mit Mandatsbescheid der belangten Behörde vom 23. September 2020, Zl. ***, wurde „aufgrund Ihres hohen Infektionsrisikos (Hoch‑Risiko‑Exposition) mit der Lungenerkrankung COVID-19 (2019-nCov, „Neuartiges Corona-Virus“)“ die mit 23. September 2020 beginnende Absonderung der Beschwerdeführerin am Wohnsitz in ***, ***, angeordnet.
Als einzuhaltende Maßnahmen wurden verfügt, dass
die Wohnung nicht verlassen werden darf (einzige Ausnahme: Fahrt mit PKW zu einer zugewiesenen Teststation nach Aufforderung der Gesundheitsberatung oder der Gesundheitsbehörde),
der Gesundheitszustand bis zum 10. Tag nach dem letzten kontagiösen Kontakt zu beobachten sei (2x täglich Fieber messen) und
bei Auftreten von Krankheitssymptomen laut beiliegendem Informationsblatt die Gesundheitsberatung zu verständigen sei.
Weiters wurde angeordnet, dass der Bescheid mit 27. September 2020 außer Kraft trete.
Als Rechtsgrundlagen führte die belangte Behörde u.a. §§ 1, 6, 7, 43 Abs. 4 Epidemiegesetz 1950, BGBI. Nr. 186/1950 i.d.g.F., sowie §§ 1, 2, 4 und 5 Absonderungsverordnung, RGBI Nr. 39/1915, i.d.g.F., an.
1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die dagegen eingebrachte Vorstellung der nunmehrigen Beschwerdeführerin abgewiesen.
1.3. In der Beschwerde, bei der belangten Behörde eingelangt am 25. September 2020, wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass mittlerweile zwei PCR-Tests negativ verlaufen seien. Es sei daher bewiesen, dass die Beschwerdeführerin weder krankheitsverdächtig noch ansteckungsverdächtig sei.
2. Rechtliche Erwägungen:
2.1.1. Die maßgebliche Bestimmung des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr. 186/1950 idF BGBl I Nr. 104/2020 lautet wie folgt:
„Absonderung Kranker.
§ 7. (1) Durch Verordnung werden jene anzeigepflichtigen Krankheiten bezeichnet, bei denen für kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen Absonderungsmaßnahmen verfügt werden können.
(1a) Zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach Abs. 1 angeführten anzeigepflichtigen Krankheit können kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen angehalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann. Die angehaltene Person kann bei dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung nach Maßgabe des 2. Abschnitts des Tuberkulosegesetzes beantragen. Jede Anhaltung, die länger als zehn Tage aufrecht ist, ist dem Bezirksgericht von der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen, die sie verfügt hat. Das Bezirksgericht hat von Amts wegen in längstens dreimonatigen Abständen ab der Anhaltung oder der letzten Überprüfung die Zulässigkeit der Anhaltung in sinngemäßer Anwendung des § 17 des Tuberkulosegesetzes zu überprüfen, sofern die Anhaltung nicht vorher aufgehoben wurde.
(2) Kann eine zweckentsprechende Absonderung im Sinne der getroffenen Anordnungen in der Wohnung des Kranken nicht erfolgen oder wird die Absonderung unterlassen, so ist die Unterbringung des Kranken in einer Krankenanstalt oder einem anderen geeigneten Raume durchzuführen, falls die Überführung ohne Gefährdung des Kranken erfolgen kann.
(3) Zum Zwecke der Absonderung sind, wo es mit Rücksicht auf die örtlichen Verhältnisse geboten erscheint, geeignete Räume und zulässig erkannte Transportmittel rechtzeitig bereitzustellen, beziehungsweise transportable, mit den nötigen Einrichtungen und Personal ausgestattete Barackenspitäler einzurichten.
(4) Abgesehen von den Fällen der Absonderung eines Kranken im Sinne des Abs. 2 kann die Überführung aus der Wohnung, in der er sich befindet, nur mit behördlicher Genehmigung und unter genauer Beobachtung der hiebei von der Behörde anzuordnenden Vorsichtsmaßregeln erfolgen.
(5) Diese Genehmigung ist nur dann zu erteilen, wenn eine Gefährdung öffentlicher Rücksichten hiedurch nicht zu besorgen steht und der Kranke entweder in eine zur Aufnahme solcher Kranker bestimmte Anstalt gebracht werden soll oder die Überführung nach der Sachlage unbedingt geboten erscheint.
2.1.2. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat in seinem Beschluss vom 29. Mai 2020, LVwG-AV-453/001-2020, zur Frage der Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts wie folgt ausgeführt:
„Durch die Novellierung des Epidemiegesetzes im Jahr 2016 wurde die Entscheidung über die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der freiheitsbeschränkenden Absonderungsmaßnahmen durch die Bezirksgerichte, in deren Sprengel der Anhaltungsort liegt, eingeführt (§ 7 Abs. 1a Epidemiegesetz 1950).
In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage betreffend § 7 Abs. 1 und 1a Epidemiegesetz 1950 (RV zu BGBl I Nr. 63/2016) wurde ausgeführt, dass nach dem Vorbild des Tuberkulosegesetzes und den aktuellen verfassungsrechtlichen Vorgaben folgend auch im Epidemiegesetz das Rechtsschutzinstrumentarium für freiheitsbeschränkende Maßnahmen den menschenrechtlichen Standards entsprechend ausgestaltet wurde. Kranken, krankheitsverdächtigen oder ansteckungsverdächtigen Personen, denen gegenüber eine freiheitsbeschränkende Maßnahme (Absonderung in der Wohnung oder einer entsprechenden Krankenanstalt) verfügt wurde, steht aus diesem Grund die Möglichkeit einer Überprüfung dieser Maßnahme durch das Gericht zu. Die freiheitsbeschränkende Maßnahme kann dabei je nach Sachlage, insbesondere der Dringlichkeit der Maßnahme, entweder durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (auch unter Assistenz der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vgl. § 28a leg. cit.) oder durch Bescheid erfolgen. Hinsichtlich des vorgesehenen gerichtlichen Überprüfungsverfahrens ist sinngemäß der Zweite Abschnitt des Tuberkulosegesetzes anwendbar.
Aus den Erläuterungen ergibt sich eindeutig, dass kranken, krankheitsverdächtigen oder ansteckungsverdächtigen Personen, welchen gegenüber eine freiheitsbeschränkende Maßnahme in Form einer Absonderung verfügt wurde, die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung dieser Maßnahme offensteht. Die Überprüfung der Freiheitsbeschränkung durch das Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, steht daher nicht nur – dem Gesetzeswortlaut entsprechend – angehaltenen Personen offen, sondern können auch jene Personen, die im Verkehr mit der Außenwelt durch Absonderungsmaßnahmen beschränkt wurden, die Überprüfung durch das Bezirksgericht beantragen.
Darüber hinaus entspricht es nicht dem Willen des Gesetzgebers, dass die Entscheidung betreffend die Überprüfung der Zulässigkeit der Absonderung an sich, dem (nach dem Anhalteort örtlich zuständigen) Bezirksgericht obliege, hingegen das (entsprechende örtlich zuständige) Landesverwaltungsgericht über die Dauer der Absonderungsmaßnahme zu entscheiden habe. Die Auffassung einer derartigen Zuständigkeitsaufteilung zwischen den Landesverwaltungsgerichten und den Bezirksgerichten betreffend die Überprüfung von Freiheitsbeschränkungen nach dem Epidemiegesetz ist schon im Hinblick auf den Wortlaut der Bestimmung § 7 Abs. 1a Epidemiegesetz verfehlt, wonach die angehaltene Person „bei dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung nach Maßgabe des 2. Abschnittes des Tuberkulosegesetzes beantragen“ kann. Die Entscheidung durch das Bezirksgericht umfasst daher auch die Dauer der Absonderungsmaßnahme. Darüber hinaus würde diese Zuständigkeitsaufteilung zu einem Nachteil für Rechtsunterworfene führen sowie eine Unsicherheit seitens der Rechtsunterworfenen mit sich bringen, da gegen einen Bescheid, mit welchem die Absonderung angeordnet wurde, sowohl ein Rechtsmittel an das örtlich zuständige Bezirksgericht, als auch an das örtlich zuständige Landesverwaltungsgericht erhoben werden müsste. Letztlich würde ein derartiger Rechtszug auch dem Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung vor den Verwaltungsgerichten widersprechen.
[…]
Da der Beschwerdeführer als angehaltene Person beim Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung beantragen kann und der Rechtsweg gegen Bescheide der Behörde, mit welchen Absonderungsmaßnahmen angeordnet wurden, an das Landesverwaltungsgerichtes durch die Novelle 2016 nicht mehr vorgesehen ist, sondern stattdessen durch die Bestimmung § 7 Abs. 1a Epidemiegesetz 1950 die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung durch das Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, eingeführt wurde, erachtet sich das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich im gegenständlichen Fall für unzuständig, weshalb unter Berücksichtigung der oben wiedergegebenen Sach- und Rechtslage spruchgemäß zu entscheiden war.“
2.1.3. Diese Judikatur ist auf den gegenständlichen Fall übertragbar. Nach dem Gesetzeswortlaut und den zitierten Erläuterungen zur Regierungsvorlage betreffend § 7 Abs. 1 und 1a Epidemiegesetz 1950 (RV zu BGBl I Nr. 63/2016) ergibt sich eine Zuständigkeit des Bezirksgerichts zur Überprüfung der, im Zusammenhang mit freiheitsbeschränkenden Maßnahmen nach dem Epidemiegesetz 1950 stehenden Entscheidungen der Bezirksverwaltungsbehörden oder Maßnahmen in Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt.
Eine Aufteilung der Kompetenzen zwischen den, nach dem Willen des Gesetzgebers, zuständigen Bezirksgerichten und den Landesverwaltungsgerichten in Fällen, die nicht unmittelbar mit einer aufrechten Freiheitsentziehung in Zusammenhang stehen oder nur die Dauer der Absonderungsmaßnahme betreffen, würde, wie bereits oben in der zitierten Judikatur ausgeführt, zu einem Nachteil für Rechtsunterworfene führen sowie eine Unsicherheit seitens der Rechtsunterworfenen mit sich bringen, da gegen einen Bescheid, mit welchem die Absonderung angeordnet wurde, in bestimmten Fällen sowohl ein Rechtsmittel an das örtlich zuständige Bezirksgericht, als auch an das örtlich zuständige Landesverwaltungsgericht erhoben werden müsste. Letztlich würde ein derartiger Rechtszug auch dem Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung widersprechen.
Aus all dem ergibt sich die Zuständigkeit des Bezirksgerichts für die Überprüfung der Zulässigkeit (auch nach Ende der Maßnahme) und Aufhebung von Freiheitsbeschränkungen nach § 7 Abs. 1a Epidemiegesetz 1950.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG abgesehen, da die Beschwerde zurückzuweisen ist.
2.2. Die Revision ist zulässig, da keine Rechtsprechung zur Frage vorliegt, ob gegen eine Verfügung gemäß § 7 Abs. 1a Epidemiegesetz eine Beschwerde an das örtlich zuständige Landesverwaltungsgericht zulässig ist.
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