AVG 1991 §6
AVG 1991 §71
European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.AV.2.001.2022
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch seinen Präsidenten Dr. Segalla als Einzelrichter über die Beschwerde derA GmbH Steuerberatungsgesellschaft, ***, ***, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 2. Dezember 2021, Zl. ***, betreffend Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht:
1. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§ 71 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG
§ 49 Epidemiegesetz 1950 – EpiG
§ 31 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin brachte am 23. November 2020 mittels E-Mail beim Magistrat der Stadt St. Pölten den Antrag auf Vergütung des Verdienstentganges hinsichtlich ihres aufgrund des wegen hohen Infektionsrisikos mit der Lungenerkrankung COVID-19 von der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten von 12. Oktober 2020 bis 17. Oktober 2020 abgesonderten Dienstnehmers B in Höhe von EUR *** ein.
Am 27. Mai 2021 leitete der Magistrat der Stadt St. Pölten den Antrag zuständigkeitshalber an die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten weiter.
Mittels Bescheid vom 27. Oktober 2021, Zl. *** wurde der Antrag von der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten als verspätet zurückgewiesen, worauf die Beschwerdeführerin neben einer Beschwerde gegen diesen Bescheid auch einen, nun verfahrensgegenständlichen, Wiedereinsetzungsantrag stellte.
Begründend wurde hierzu ausgeführt, dass die Zurückweisung mit Verwunderung zur Kenntnis genommen worden sei, da der Antrag am 23. November 2020 eingereicht worden sei. Nach Erhalt des Zurückweisungsbescheides sei mit Herrn C telefonisch Kontakt aufgenommen worden und es sei von diesem mitgeteilt worden, dass die fälschlicherweise an den Magistrat gerichtete Eingabe vom 27. Mai 2021 an die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten weitergeleitet worden sei. Die Weiterleitung sei somit erst nach sechs Monaten erfolgt und es wäre eine Weiterleitung nach zwei Monaten noch fristwahrend gewesen. Eine aus Unkenntnis bei der falschen Behörde eingebrachte Eingabe sei nach § 6 AVG zwar auf Gefahr des Einschreiters weiterzuleiten, jedoch habe die Weiterleitung ohne unnötigen Aufschub zu erfolgen. Der Behörde stehe es nicht zu, dieses Risiko durch Untätigkeit schlagend werden zu lassen. Eine grundlose extreme Verzögerung der Weiterleitung stelle ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG dar und es treffe den Antragsteller diesfalls kein über den minderen Grad des Versehenes hinausgehendes Verschulden. Im Erkenntnis 2002/08/0134 sei ein krasses behördliches Fehlverhalten bei einem für die Weiterleitung noch offenen Zeitraum von mehr als einem Monat angenommen worden. Es liege daher ein krasses Fehlverhalten des Magistrates vor. Eine Fristversäumnis liege keinesfalls vor. Für den Fall, dass der Beschwerde nicht Recht gegeben werde, werde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Einvernahme von Zeugen beantragt.
Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 27. Oktober 2021 wurde mittels Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 7. Dezember 2021, Zl. LVwG-AV-1899/001-2021, abgewiesen. Begründet wurde dies damit, dass der Antrag auf Vergütung des Verdienstentganges am 23. November 2020 beim unzuständigen Magistrat der Stadt. St. Pölten eingebracht wurde und die Weiterleitung an die zuständige Bezirkshauptmannschaft St. Pölten erst am 27. Mai 2021. Insofern wurde die in § 49 Abs. 1 EpiG geregelte dreimonatige Antragsfrist versäumt.
Der Wiedereinsetzungsantrag wurde von der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten mit Bescheid vom 2. Dezember 2021, Zl. ***, abgewiesen. Begründet wurde dies damit, dass es sich bei der Frist zur Geltendmachung eines Vergütungsanspruches nach §§ 33 und 49 Epidemiegesetz um eine materiell‑rechtliche Frist handle, wogegen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich sei.
2. Zum Beschwerdevorbringen:
Gegen den genannten Bescheid vom 2. Dezember 2021 erhob die Beschwerdeführerin die nunmehr entscheidungsgegenständliche Beschwerde und begründetet dies im Wesentlichen damit, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung aufgrund einer Auskunft der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten als auch des Magistrats St. Pölten erfolgt sei und für alle Beteiligten unstrittig sei, dass ein grobes Behördenversagen durch die Nichtweiterleitung des zeitgerecht eingebrachten Antrags an die Vergütungsstelle des Landes Niederösterreich vorläge.
Des Weiteren sei es nach einer weiteren Auskunft möglich gewesen den Antrag auf Vergütung des Verdienstentgangs direkt bei der Vergütungsstelle einzubringen. Außerdem gäbe es nur eine Vergütungsstelle des Landes Niederösterreich und da die Vergütungsstelle sowohl für den Magistrat St. Pölten als auch die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten tätig sei, sei der Antrag auch ordnungsgemäß eingebracht worden. Darüber hinaus sei die fertigende Bearbeiterin der Vergütungsstelle gar nicht bei der Bezirkshauptmannschaft, sondern beim Land Niederösterreich tätig und die am Bescheid angegebene Telefonnummer sei jene der Vergütungsstelle des Landes Niederösterreich. Es sei außerdem fachlich unrichtig, dass Bestimmungen des Epidemiegesetzes aus dem Jahr 1950 mit jenen des AVG aus dem Jahr 1991 interpretiert werden würden. Alle im Bescheid zitierten Bestimmungen seien für das Epidemiegesetz irrelevant. Insgesamt handle es sich um eine fristgerechte Antragstellung.
Für den Fall, dass der Beschwerde nicht Folge gegeben werde, wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie darin zu vernehmende Zeugen beantragt.
3. Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren vor dem LVwG:
Per Schreiben vom 2. Jänner 2022 legte die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich den Verwaltungsakt mit dem Ersuchen um Entscheidung über die Beschwerde vor. Darin wurde außerdem bekannt gegeben, dass von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch gemacht wird.
Darauffolgend wurde durch Einsicht in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt Beweis aufgenommen.
4. Feststellungen:
Der Dienstnehmer B wurde seitens der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten aufgrund einer möglichen Ansteckung mit der Lungenkrankheit COVID-19 von 12. Oktober 2020 bis 17. Oktober 2020 mittels Bescheid abgesondert.
Die Beschwerdeführerin stellte aufgrund dessen einen Antrag auf Vergütung des Verdienstentgangs und brachte ihn am 23.11.2020 mittels E-Mail beim Magistrat St. Pölten ein.
Am 27. Mai 2021 leitete der Magistrat St. Pölten den Antrag zuständigkeitshalber an die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten weiter.
5. Beweiswürdigung:
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem unbedenklichen und unstrittigen Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes der belangten Behörde.
Die - im Übrigen nicht mehr entscheidungsrelevante (die Antragsverspätung steht durch das Erkenntnis LVwG-AV-1899/001-2021 fest, verfahrensgegenständlich ist nur mehr der Antrag auf Wiedereinsetzung) – Feststellung, dass der Antrag beim Magistrat St. Pölten und nicht beim Amt der NÖ Landesregierung („Vergütungsstelle“) als funktionale Einschreiterin der belangten Behörde eingebracht wurde, ergibt sich daraus, dass der Antrag mittels E-Mail, wie sich aus dem Verwaltungsakt ergibt, zweifellos direkt an den Magistrat St. Pölten, nämlich an die E-Mail-Adresse ***, übermittelt wurde.
6. Rechtslage:
Die maßgebliche Bestimmung des Epidemiegesetz 1950 (EpiG) lautet wie folgt:
§ 49. Sonderbestimmung für die Dauer der Pandemie mit SARS-CoV-2
(1) Abweichend von § 33 ist der Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges, der aufgrund einer wegen des Auftretens von SARS-CoV-2 ergangenen behördlichen Maßnahme besteht, binnen drei Monaten vom Tag der Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, geltend zu machen.
Die relevante Bestimmung des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) lautet:
§ 71. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
(1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder
2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, daß kein Rechtsmittel zulässig sei.
(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.
(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.
(4) Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat.
(5) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt.
(6) Die Behörde kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung aufschiebende Wirkung zuerkennen.
(7) Der Wiedereinsetzungsantrag kann nicht auf Umstände gestützt werden, die die Behörde schon früher für unzureichend befunden hat, um die Verlängerung der versäumten Frist oder die Verlegung der versäumten Verhandlung zu bewilligen.
7. Erwägungen:
Die in § 49 Abs. 1 EpiG genannte Frist von drei Monaten für die gegenständliche Geltendmachung des Anspruches auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß § 32 EpiG, gerechnet ab Aufhebung der behördlichen Maßnahmen bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich diese Maßnahmen getroffen wurden, stellt eine materiellrechtliche Frist dar (vgl. VwGH 23.4.2002, 2000/11/0061; 22.09.2021, Ra 2021/09/0189, Rn 13).
Der ständigen Rechtsprechung des VwGH zu § 6 AVG zufolge ist auch eine aus Unkenntnis von der Zuständigkeit oder Behördenorganisation bei der falschen Behörde eingebrachte Eingabe „auf Gefahr des Einschreiters“ an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Zwar kann ein „krasses“ Fehlverhalten der zur Weiterleitung verpflichteten Behörde einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen (siehe VwGH, 12.11.2019, Ra 2019/16/0110), doch kommt ein Wiedereinsetzungsantrag nur im Fall einer versäumten verfahrensrechtlichen Frist in Betracht, nicht jedoch bei der materiellrechtlichen Frist des § 49 EpiG 1950 (vgl. VwGH, 05.09.2019, Ra 2018/03/0085, Rn 15).
Die aufgetretene Verzögerung bei der Weiterleitung geht daher ohne Möglichkeit einer Wiedereinsetzung zu Lasten der Beschwerdeführerin, die den Schriftsatz bei der falschen Einbringungsstelle eingebracht hat.
Da der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand insofern zu Recht abgewiesen wurde, war spruchgemäß zu entscheiden.
8. Zur Nichtdurchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung:
Von der Durchführung einer Verhandlung konnte trotz Parteienantrags gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden, da die Akten erkennen ließen, dass durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war. Die Entscheidung in vorliegendem Verfahren beruhte ausschließlich auf einer Rechtsfrage, zu der eindeutige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vorliegt.
9. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
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