VfGH E1197/2016

VfGHE1197/201623.2.2017

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mangels nachvollziehbarer Begründung der Entscheidung

Normen

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8

 

Spruch:

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 29. April 2014 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) vom 16. Jänner 2015 wurde dieser Antrag gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) und gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß §§57 und 55 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG iVm §9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und weiters gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß §46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise des Beschwerdeführers gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Mit ergänzendem Schriftsatz vom 25. Februar 2016 zog er die Beschwerde betreffend Spruchpunkt I des Bescheides des BFA zurück.

3. Mit der angefochtenen Entscheidung wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde als unbegründet ab, da dem Beschwerdeführer eine zumutbare Flucht- bzw. Schutzalternative in der Stadt Kabul zur Verfügung stehe und ihm eine Rückkehr dorthin jedenfalls möglich und auch zumutbar sei.

4. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144 B‑VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 BVG BGBl 390/1973), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

5. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand und verwies auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

2. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

3. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

4. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Bundesverwaltungsgericht vorzuwerfen:

4.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

4.2. Das Bundesverwaltungsgericht führt in der angefochtenen Entscheidung einerseits aus, dass sich aus den Feststellungen zur persönlichen Lebenssituation des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der spezifischen Länderfeststellungen keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses der Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat Afghanistan ergeben. In der Folge legt das Bundesverwaltungsgericht dar, dass eine Rückführung in die Provinz Maidan Wardak aufgrund einer dort drohenden Gefahr für Leib und Leben nicht zumutbar sei. Schließlich führt es aus, dass die Ehefrau und sämtliche Familienangehörige des Beschwerdeführers weiterhin in Afghanistan lebten und mit ihm in Kontakt seien.

4.3. Das Bundesverwaltungsgericht führt zutreffend aus, dass zu prüfen sei, ob der Beschwerdeführer aufgrund der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes verwiesen werden könne. Der Beschwerdeführer habe eine langjährige Ausbildung genossen und sich in Kabul aufgehalten, er könne sich daher dort auf Grund seines erlernten und bisher ausgeübten Berufes oder allenfalls durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage sichern. Er verfüge damit in seiner Heimat nach wie vor über ein gewisses soziales Netzwerk in Form von früheren Berufskollegen und damit verbundenen Sozialkontakten.

4.4. Der Beschwerdeführer hatte im Verfahren wiederholt vorgebracht, dass er im Jahr 2003 während des Besuchs der Polizeiakademie in Kabul gelebt habe und dass seine Familienangehörigen wegen seiner Tätigkeit als Polizist verfolgt worden seien, weshalb sie in die Provinz Ghazni geflüchtet seien.

4.5. Das Bundesverwaltungsgericht ist in nicht nachvollziehbarer Weise davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer über seine bestehenden sozialen Kontakte in Kabul über ein soziales Netzwerk verfüge. Dabei hat es in der Begründung einerseits auf die Kontakte des Beschwerdeführers zu seinen nicht in Kabul lebenden Angehörigen hingewiesen und gleichzeitig festgestellt, dass eine Rückführung in die Provinz Maidan Wardak nicht zumutbar sei. Zu konkreten sozialen Kontakten des Beschwerdeführers in Kabul hat das Bundesverwaltungsgericht keinerlei Feststellungen getroffen. Die Annahme, dass ein ehemaliger Polizist, der – seinem Vorbringen zufolge auf Grund seiner Tätigkeit durch die Taliban verfolgt wurde – nach mehreren Jahren bei seinen früheren Arbeitskollegen in Kabul unterkommen würde, entbehrt entsprechender konkreter Feststellungen in der Begründung.

4.6. Das Bundesverwaltungsgericht lässt daher eine nachvollziehbare Begründung seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vermissen, wodurch es seine Entscheidung mit Willkür behaftet (vgl. VfSlg 18.861/2009 mwN und VfGH 10.6.2016, E2597/2015).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden. Die Entscheidung wird daher aufgehoben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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