VfGH G422/2015

VfGHG422/201522.9.2015

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des AußStrG; (abweisende) Entscheidung über die Ablehnung eines Sachverständigen keine in erster Instanz entschiedene Rechtssache; Ausschluss eines abgesonderten Rechtsmittels gegen derartige Beschlüsse verfassungsrechtlich nicht bedenklich

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VfGG §62a Abs1
AußStrG §35
ZPO §366 Abs1
EMRK Art6
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VfGG §62a Abs1
AußStrG §35
ZPO §366 Abs1
EMRK Art6

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Die Antragstellerin begehrt mit ihrem auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag, §35 Außerstreitgesetz, BGBl I 111/2003, idF BGBl I 40/2009, in eventu die Wortfolgen "über die Beweisaufnahme durch einen ersuchten oder beauftragten Richter" und "über die Vernehmung minderjähriger Personen" sowie "über die einzelnen Beweismittel" in §35 Außerstreitgesetz, BGBl I111/2003, idF BGBl I 40/2009, wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben.

II. Rechtslage

1. Der angefochtene §35 Außerstreitgesetz, BGBl I 111/2003, idF BGBl I 40/2009, lautet:

"§35. Soweit nichts anderes angeordnet ist, sind die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über die Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung bei der Beweisaufnahme, über die Beweisaufnahme durch einen ersuchten oder beauftragten Richter, über die abgesonderte Vernehmung von Parteien oder Zeugen, über die Vernehmung minderjähriger Personen, über die Beweisaufnahme im Ausland und über die einzelnen Beweismittel mit Ausnahme der Bestimmungen über die Gemeinschaftlichkeit der Beweise, die Fortsetzung des Verfahrens ohne Rücksicht auf die ausstehende Beweisaufnahme sowie die eidliche Vernehmung eines Zeugen oder einer Partei sinngemäß anzuwenden."

2. §366 Zivilprozessordnung, RGBl. 113/1895, lautet:

"Rechtsmittel

§. 366.

(1) Gegen den Beschluss, durch welchen die Ablehnung eines Sachverständigen verworfen oder eine schriftliche Begutachtung angeordnet wird, findet ein abgesondertes Rechtsmittel nicht statt.

(2) Die Entscheidung über die Anzahl der zu bestellenden Sachverständigen, der Beschluss, durch welchen die Bestellung der Sachverständigen dem beauftragten oder ersuchten Richter überlassen (§. 352) oder ein Sachverständiger wegen Ablehnung enthoben wird, die über die Beeidigung eines Sachverständigen gefassten Beschlüsse, endlich die Beschlüsse, durch welche für die Abgabe des Gutachtens gemäß §. 360 eine Tagsatzung anberaumt oder eine Frist bestimmt wird, können durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden."

III. Anlassverfahren und Antrag

1. Mit dem Beschluss vom 7. August 2015, 20 PS 59/12 b-156, wies das Bezirksgericht Linz den (neuerlichen) Antrag der Antragstellerin auf Ablehnung eines näher bezeichneten Sachverständigen in einem Obsorgeverfahren ab. Das Bezirksgericht Linz begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Antragstellerin keine überzeugenden Argumente vorgebracht habe, welche eine Ablehnung des Sachverständigen rechtfertigten.

2. Die Antragstellerin führt zur Zulässigkeit ihres auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten (Partei-)Antrages aus, dass es sich beim Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 7. August 2015 um eine von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz ergangene Entscheidung handle. Dieser Beschluss sei zwar keine Endentscheidung, jedoch würde gerade der "Zwang", eine solche abwarten zu müssen, das verfassungswidrige Ergebnis und allenfalls auch die Beeinträchtigung der physischen wie psychischen Gesundheit des minderjährigen Sohnes der Antragstellerin wie auch der Antragstellerin selbst erst ermöglichen.

3. Der Verfassungsgesetzgeber habe in Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG nicht zwischen Endentscheidung und Zwischenentscheidung differenziert. Bei verfassungskonformer Interpretation müsse zur Bekämpfung verfassungswidriger Verfahrensgesetze, insbesondere soweit sie Rechtsmittelbeschränkungen vorsehen, auch eine erstgerichtliche, nicht gesondert bekämpfbare Entscheidung eine taugliche Grundlage für einen (Partei-)Antrag sein; allenfalls liege hier eine echte Lücke vor, die vom Verfassungsgerichtshof verfassungskonform im Sinne der Zulassung des Parteiantrages zu schließen sei.

4. In der Sache legt die Antragstellerin im Einzelnen ihre Bedenken gegen die Verfassungskonformität des §35 Außerstreitgesetz dar.

IV. Zur Zulässigkeit

Der Antrag ist unzulässig.

1. Nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

2. §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 92/2014 ordnet an, dass "[e]ine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, […] gleichzeitig einen Antrag stellen [kann], das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben".

3. Wie die Antragstellerin in ihrem Antrag ausführt, ist die beschlussförmige Entscheidung des Bezirksgerichts Linz vom 7. August 2015 gemäß §35 AußStrG iVm §366 Abs1 ZPO nicht abgesondert, sondern nur mit dem Rechtsmittel gegen die Sachentscheidung im Verfahren anfechtbar. Da Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG ausdrücklich die Einbringung eines (Partei-)Antrages an die "gleichzeitige" Erhebung eines – zulässigen – Rechtsmittels gegen die Gerichtsentscheidung knüpft, aus deren Anlass der Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit gestellt wird, ist der aus Anlass des genannten Beschlusses des Bezirksgerichts Linz gestellte Antrag mangels gesonderter Anfechtbarkeit unzulässig. In der (abweisenden) Entscheidung über die Ablehnung eines Sachverständigen liegt somit keine in erster Instanz entschiedene Rechtssache iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG und §62a Abs1 VfGG vor.

4. Der Verfassungsgerichtshof kann – entgegen der Auffassung der Antragstellerin – nicht erkennen, dass Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG eine (echte) Lücke beinhaltet, welche "verfassungskonform im Sinne der Zulassung des Parteiantrages zu schließen" sei. Der Verfassungsgerichtshof hat in Bezug auf gesetzliche Rechtsmittelbeschränkungen im Rahmen der Prozessvoraussetzungen eines (Partei-)Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG von Amts wegen zu prüfen, ob gegen die konkrete Rechtsmittelbeschränkung verfassungsrechtliche Bedenken bestehen und gegebenenfalls ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Gesetzesbestimmung einzuleiten (Art140 Abs1 Z1 litb B‑VG).

Im vorliegenden Fall sieht sich der Verfassungsgerichtshof nicht zur Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich der Rechtsmittelbeschränkung des §366 Abs1 ZPO (iVm §35 AußStrG) veranlasst. Es liegt im rechtspolitischen Spielraum des Verfahrensgesetzgebers, ob er nicht zuletzt aus Gründen der Verfahrensökonomie eine abgesonderte Anfechtbarkeit der Entscheidung des Gerichts, mit welcher die Ablehnung eines Sachverständigen verworfen wird, vorsieht oder nicht. Es ist nicht zu erkennen, dass der Verfahrensgesetzgeber mit der Entscheidung, ein abgesondertes Rechtsmittel gegen eine solche Gerichtsentscheidung nicht zuzulassen, gegen Art6 EMRK oder das Rechtsstaatsprinzip verstoßen hat.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist daher zurückzuweisen.

2. Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden, ohne dass auf das Vorliegen sonstiger Prozessvoraussetzungen einzugehen war.

3. Von einer Verständigung des Bezirksgerichts Linz gemäß §62a Abs5 VfGG konnte aufgrund der offenkundigen Unzulässigkeit des Antrages abgesehen werden.

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